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Archiv "Das Bild des Arztes in der Trivialliteratur" (07.05.1982)

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FEUILLETON

Worin besteht unser Selbstver- ständnis als Arzt? Welche Rolle spielen wir in der Gesellschaft?

Welchen Idealen eifern wir nach?

Was für Menschen sind wir eigent- lich, wir Ärzte — oder gibt es uns gar nicht, uns Ärzte? Antworten auf diese Fragen finden wir zur Genüge in der Literatur; denn Arztgestalten begegnen uns in den Romanen, Erzählungen und Dramen aller Epochen, sei es bei Marcel Proust, sei es im Werk ei- nes Gustave Flaubert, eines Albert Camus oder eines Machado de As- sis: Doktor Cottard („Auf der Su- che nach einer verlorenen Zeit"), Charles Bovary („Madame Bova- ry"), Doktor Rieux („Die Pest") oder Doktor Simäo Bacamarte („Der Irrenarzt") verkörpern die Ärzte ihrer Epoche und damit die gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit; denn kaum ein anderer Beruf spiegelt so sehr die Lebensum- stände eines Volkes, eines Lan- des, einer Zeit wider wie der des Arztes. Und kaum ein Lebensbe- reich ist so sehr Kristallisations- punkt menschlichen Schicksals wie der der Medizin: Kein Wunder also, wenn die Literatur zum The- ma „Arzt" reichhaltig ist, kein Wunder auch, daß die Zahl der schreibenden Ärzte zu allen Zeiten groß war und daß einige von ihnen als Berühmtheiten in die Literatur- geschichte eingegangen sind: Ar- thur Schnitzler, Michail Bulgakov und Alfred Döblin ebenso wie Gottfried Benn oder Georg Trakl.

Doch Literatur, das sind nicht nur die Bücher von Flaubert, Camus oder Proust, sondern das sind ebenso die Romane eines Johan- nes Mario Simmel, eines Heinz G.

Konsalik, einer Marie Louise Fi- scher: Hie gehobene Literatur, dort Unterhaltungs-, Trivial- oder Schundliteratur — wie auch immer

man das klassifizieren will, was von der Auflage her in allen Län- dern der Erde dominiert — ebenso wie in Deutschland. Denn die er- folgreichsten, weil meistgelese- nen deutschen Autoren heißen eben nicht Handke, Walser, Frisch oder Böll, sondern selbstverständ- lich Heinrich, Konsalik (Weltaufla- ge über 50 Millionen) oder Simmel.

Und unterhalb der Literaturkate- gorie, die sie repräsentieren, ran- giert noch eine ganze Anzahl wei- terer „Schriftsteller" wie beispiels- weise Andreas Kufsteiner oder Pa- tricia Vandenberg — Verfasser je- ner Unzahl von Illustrierten- und Heftchenromanen, die allwöchent- lich in Millionenauflagen den deutschen Markt überschwem- men und sich einer stetig zuneh- menden Beliebtheit erfreuen:

Mehr als 300 (!) Millionen Roman- hefte werden alljährlich in der Bundesrepublik abgesetzt — durchschnittlich also fünf pro Bundesbürger.

Ein beträchtlicher Teil dieser Ro- mane spielt im Arztmilieu — wie ein Blick auf das Programm des größ- ten Hefteproduzenten, des Bastei- Verlags, zeigt: Von den zwanzig Serien mit Unterhaltungsroma- nen, mit denen der rührige Verlag in Bergisch-Gladbach die bundes- deutsche Literaturszene berei- chert, gehören nicht weniger als sieben zu den Arztromanen:

Durchschnittlich alle vierzehn Ta- ge erscheinen die 60 bis 70 Seiten starken Heftchen mit so vielver- sprechenden Titeln wie „Der Berg- doktor" und „Arztroman Dr. Stef- an Frank" oder „Arzt-Roman",

„Dr. Thomas Bruckner" und

„Chefarzt Dr. Holl" oder „Dr. Mo- nika Lindt" und „Schiffsarzt Dr.

Hansen". Einige dieser Titel verra-

Der Arzt in der Literatur—ein zeitloses Thema. Literatur, das sind nicht nur die Bü- cher von Flaubert, Camus oder Thomas Mann, die alle (auch) Ärzte porträtiert ha- ben. Das sind ebenso Roma- ne .von Simmel, Konsalik oder Marie Louise Fischer, die ohne den Arzt nicht aus- kommen. Das sind nicht zu- letzt aber die millionenfach verbreiteten Heftchen, deren Handlung wahren Halbgöt- tern in Weiß huldigt.

ten bereits, in welcher Umgebung die Arztgeschichten angesiedelt sind: Die wirkungsvollsten Kulis- sen für einen spannenden Roman geben ohne Zweifel die in der Abendsonne rot erglühenden Al- pen oder sämtliche exotischen Landschaften zwischen Hamburg und Haiti ab, die der unverwüstli- che Bastei-Schiffsarzt Dr. Hansen an Bord der „Viktoria" bereist:

Tag und Nacht ist der rührige Me- diziner der sieben Meere für seine kreuzfahrenden Patienten da und bereinigt nicht nur alle medizini- schen Probleme, die während der Seereise auftauchen, sondern kann sich darüber hinaus noch aufopfernd um die seelischen Be- lange und den Liebeskummer sei- ner Klienten kümmern.

Ohne den Hintergrund einer exo- tisch oder wilden und unzugängli- chen Landschaft kommt kaum ei- nes der Produkte aus dem Bereich des Arztromans aus: Sicher käme keiner der Heftchenautoren jemals auf die Idee, einen Allgemeinarzt aus Castrop-Rauxel oder Wanne- Eickel zur Hauptperson einer Ro- manserie zu machen.

Eine zweite wichtige Komponente in sämtlichen Medizinerromanen von Kufsteiner bis Konsalik stellt das Fachgebiet des Helden dar:

Selbstverständlich finden nur die Sparten der Medizin Beachtung, die schon von sich aus ein gewis- ses Maß an Spannung und Ak-

Das Bild des Arztes in der Trivialliteratur

Friedrich Hofmann

88 Heft 18 vom 7. Mai 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Diagnose und Therapie

Ungenaue und unverständliche medizinische Diagnosen, merk- würdige Therapievorstellun- gen: Die Liste der medizini- schen Stilblüten ließe sich be- liebig verlängern .

„Ein Schock? Blutung im Ge- hirn? Blutüberdruck? Das Herz? Kein Tropfen Blut scheint in den Adern der be- wußtlosen Frau zu fließen. Die Augen sind halb geschlossen.

Was tut man in diesem Fall?

Das Herz massieren! Georg tut es. Die Bewußtlose schlägt die Augen auf, die Herzmassage hat geholfen. Plötzlich weiß er, was mit der Patientin los ist. Ein typischer Fall von Psychosoma- tik." (Hans Gustl Kernmayr)

„Sein Vater hatte wirklich einen Herzanfall gehabt, und zwar ei-

nen Riß in der vorderen Wand des Herzens." (Andreas Kuf- steiner)

„Marcus Hansen sah seine Hel- ferin nachdenklich an. ,Sie ha- ben einen guten Blick für Men- schen', sagte er, das stelle ich immer wieder fest. Sie halten dies wohl für einen psychoso- matischen Fall, nicht wahr?"

(„Schiffsarzt Doktor Hansen") Gespräch zwischen zwei Ärzten:

Aber wie hättest Du denn in diesem Fall gehandelt?" —

„Ich hätte die Frau erst einmal aufgerichtet, dann hätte ich ihr ein kaltes Fußbad verschrieben, wenn es nichts geholfen hätte, hätte ich ihr einen Kübel Was- ser über den Kopf geschüt- tet. Dann hätten wir wieder ein halbes Jahr unsere Ruhe ge- habt. (Hans Gustl Kernmayr)

Arztbeschreibungen

Die Helden der Arztromane se- hen bei fast jedem Autor gleich aus, so daß man durchaus vom Einheitsarzttyp des Trivialro- mans sprechen kann. Einige Beispiele:

„Dr. Burger war mehr als mittel- groß. Dunkles, gewelltes Haar fiel ihm in die stets sonnenge- bräunte Stirn und kluge, brau- ne Augen sahen sein Ge- genüber fast immer freundlich an.

Er hatte einen schöngeschwun- genen Mund, dessen Linie von

viel Gefühl erzählte, aber auch von großer Selbstbeherr- schung, und das kantige Kinn

verriet, daß er sich durchzuset- zen verstand." (Andreas Kuf- steiner)

„Die grauen, klugen Augen, die von winzigen Lachfältchen um- geben waren, machten Dr. Cur- tius ausgesprochen sympa- thisch. Durch das Weiß seines Kittels kam die gesunde Bräune

seiner Haut besonders zur Gel- tung." (Marie-Louise Fischer)

„Seine Augen, die kleinen Fält- chen in den Augenwinkeln, die schmalen Lippen vor dem herri- schen Mund, die etwas geboge- ne, schmale Nase in diesem braunen, manchmal asketisch wirkenden Gesicht, dessen hef- tigster und schönster Ausdruck seine Augen waren, diese brau- nen, großen strahlenden Au- gen, die mich ansahen und un- ter denen ich wegschmolz und willenlos wurde." (Heinz G.

Konsalik)

Beschreibung des Geheimrats Prof. Dr. Zacharias:

„Es waren auch goldene Hän- de, denn er war ein Meister des Messers. Der Kopf war in die Länge gezogen, die Augen stahlblau. Mit diesen Augen be- herrschte er alle. Mit den Augen und den Händen hatte er sich die große Stelle in der Medizin erarbeitet. Die Patienten schworen auf den Geheim- rat . . . "(Hans Gustl Kernmayr).

Trivialliteratur

tionsspielraum garantieren: So sind es vor allem Chirurgen, Inten- sivmediziner und Gynäkologen, die von den nimmermüden Ro- manautoren beschrieben werden;

denn die knisternde Operations- saal-Atmosphäre dieser Fächer ist immer für dramatische Situatio- nen gut. Auf der anderen Seite ver- spricht auch der Beruf des Allge- meinmediziners spannende Mo- mente — allerdings nur vor der oben beschriebenen Kulisse —, wenn sich etwa dickköpfige Berg- bauern der längst notwendigen Behandlung widersetzen, Eifer- suchtsdramen in den Bergen oder Schießereien zwischen Jägern und Wilderern Verletzte fordern:

Selbstverständlich ist der „Berg- doktor" oder der „Doktor vom Sa- merberg" gleich zur Stelle und be- handelt die Kranken mit einer typi- schen Alpentherapie einer Mi- schung aus gesundem Menschen- verstand, verbaler Grobheit und der Hilfe altbewährter Hausmittel und Kräuter (siehe Kasten „Dia- gnose und Therapie")

Nicht interessant für die Arztro- manautoren hingegen sind Der- matologen und Augenheilkundler, ganz zu schweigen von den Hals- Nasen-Ohren-Ärzten oder gar von den Labormedizinern, deren sture Tätigkeit an Zentrifugen, Photo- metern und Mikroskopen keine sich dramatisch zuspitzenden Si- tuationen verspricht. Ein dritter in- teressanter Aspekt bei der Lektüre von Arztromanen ist die Aus- tauschbarkeit der Mediziner-Figu- ren — seien sie von Konsalik erfun- den oder von Marie Louise Fi- scher: Der vorherrschende Arzttyp mit den klugen Augen ist sonnen- gebräunt und sportlich. Daß er selbstverständlich auch einen Sportwagen oder einen „kleinen Sportwagen" fährt, gehört zum Arzt-Klischee dazu (siehe Kasten

„Arztbeschreibungen").

Betrachtet man die Wirklichkeit, so wird man vergebens nach der Quelle für die stets vorhandene Mediziner-Bräune suchen. Denn der durchschnittliche deutsche Krankenhausarzt muß bekanntlich

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Der Arztroman und seine Handlung

Die Handlung eines Arztromans ist im allgemeinen einfach auf- gebaut, von nicht zu großem Tiefgang — und natürlich siegt am Ende immer die Gerechtig- keit. Ein Beispiel unter vielen:

Andreas Kufsteiners „Berg- doktor".

Der „Bergdoktor" Burger ist ein ehemaliger Chirurg, der während seiner Assistentenzeit in der Universitätsklinik Mün- chen tätig gewesen ist. „Eine steile berufliche Karriere hatte auf ihn gewartet", schreibt Bergdoktor-Autor Andreas Kuf- steiner. Und er fährt fort: „Doch da hatte sich sein alter Vater den Knöchel gebrochen, und der gerade in Urlaub daheim befindliche Sohn war, ohne sich zu besinnen, eingesprun- gen und hatte die Praxis weiter- geführt. Dabei", so endet die Beschreibung, „war es dann geblieben, denn die starke Ver- bundenheit mit seinem Heimat- dorf und den geliebten Bergen war Dr. Burger während dieser Tätigkeit klar geworden."

In Band 28 der „Bergdoktor"- Serie — Thema: „Ein heißes Herz verlangt nach Liebe" — geht es um den hochdruck- kranken Gneider-Bauer, der in zweiter Ehe mit seiner ehemali- gen Magd Wanda verheiratet ist. Diese hat ein Verhältnis mit dem Knecht Pinkas. Eines Ta- ges kommt nun der von dem eigensinnigen Bauern versto- ßene Sohn Bernhard aus der Fremde zurück, um sich mit dem Vater auszusöhnen. Doch

unmittelbar nach der Unterre- dung zwischen Vater und Scihn erleidet der Bauer einen „Herz- anfall" (Kufsteiner spricht von einem „Herzriß") und stürzt aus dem Fenster. Bernhard wird des Mordes am Gneider-Bau- ern bezichtigt und zwar von Pinkas und Wanda, die sich schon als zukünftige Herren auf dem Bauernhof betrachten.

Doch der Sohn entkommt und findet in einer einsamen Berg- hütte einen Unterschlupf. Nach mehreren Tagen wird er dort von der Magd Annamirl aufge- funden, die ihn insgeheim liebt.

Gemeinsam mit Dr. Burger, der an die Unschuld des Sohnes glaubt, rettet sie den jungen Gneider — nicht nur vor dem Tod durch eine lebensgefährli- che Infektion, sondern auch vor dem Arm der Justiz, denn dem Bergdoktor gelingt es, die Poli- zei von der Unschuld des jun- gen Mannes zu überzeugen:

Wanda gibt ihre Falschaussage zu und damit siegt zu guter Letzt doch noch die Gerechtig- keit: Bernhard verlobt sich mit der Magd Annamirl und über- nimmt den Hof. Kaum ist er von der Krankheit genesen, plagen ihn bereits die Zukunftsproble- me: „Doch dann verdunkelte sich sein strahlender Blick und besorgt fragte er: ,Wird mir denn die Raiffeisenkasse einen so hohen Kredit überhaupt ge- ben?' " Selbstverständlich wei- gert sich der eigentliche Urhe- ber des neuen Glücks, irgend- ein Honorar anzunehmen:

„Wenn ihr mir eine Freud' ma- chen wollt, dann nehmt mich zu eurer Trauung als Trauzeu- gen", wünscht sich der Berg- doktor am Schluß. 3 Trivialliteratur

sechs bis acht Nachtdienste im Monat ableisten, ganz zu schwei- gen von den Wochenendtagen, die er in der Klinik verbringen muß: Da bleibt für die Bräunung in der Sonne wahrhaftig nicht viel Zeit.

Doch nicht genug mit den Kli- schees — nein: Der Held eines Arzt- romans verfügt auch über ein er- staunliches sexuelles Leistungs- vermögen. Wenn er nicht gerade arbeitet, verführt er am liebsten ei- ne seiner Krankenschwestern, Me- dizinstudentinnen oder Kollegin- nen. Der sexuelle Urtrieb des Arz- tes macht auch vor dem Nacht- dienstzimmer nicht halt. Selbst in der Klinik — wenn gleichzeitig ein paar Zimmer weiter die Patienten auf der Intensivstation am lebens- rettenden Tropf hängen — muß je- de freie Minute genutzt werden:

„Ich bin heute auf meinem Zim- mer, Dr. Dötouche", läßt Heinz G.

Konsalik seinen Chirurgen Gaston Rablais sprechen, als dieser sich mit der neuen Assistentin zu ver- gnügen gedenkt. „Ich bleibe in der Klinik", sagte er in dem dienstli- chen Ton des stellvertretenden Chefs, „aber ich möchte nur im allerdringendsten Notfall gestört werden." Und auch die zaghafte Frage des Assistenten „Und bei der Einlieferung von Privatpatien- ten?" kann den Chirurgen mit den

„braunen, großen, strahlenden Augen" nicht mehr von dem ge- planten Techtelmechtel abhalten.

Natürlich sind auch die Autoren der Arztromane schnell mit sexu- ellen Vorurteilen gegenüber be- stimmten Gruppen von Frauen bei der Hand, wenn ihre Story da- durch spannender wird. Lebens- nah wird sie durch den Gebrauch solcher Klischees allemal, denn das Bestätigen von Vorurteilen verleiht dem Arztroman einen Hauch von Realismus — vor allem wenn der Autor selbst Arzt ist — so wie Hugh Miller, Verfasser von

„Notarzt Dr. Avery". Interessant übrigens, daß der Goldmann-Ver- lag für dieses Buch mit dem be- zeichnenden Slogan wirbt: „Der

Verfasser dieses Arztromans ist selbst Mediziner, also ein Mann vom Fach: Er weiß, wovon er schreibt."

Wirklichkeitsgetreu und reali- stisch ist — wie der Vergleich mit den tatsächlich bestehenden Ver- hältnissen zeigt — jedenfalls kaum eines der zahlreichen Erzeugnisse der Arztromanliteratur, auch die in

den großen Taschenbuchreihen erschienenen Romane nicht, bei denen sich lediglich die äußere Aufmachung positiv von der der Heftchen abhebt. Die tatsächli- chen Probleme, denen wir uns als Ärzte gegenübersehen — sei es in einem Krankenhaus, sei es in der eigenen Praxis —, die wirklichen Konfliktsituationen im Leben ei- nes Mediziners bleiben unerwähnt Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 18 vom 7. Mai 1982 93

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Sex

Kaum ein Trivial-Arztroman kommt ohne sexuelle Dramatik aus. Eine wichtige Rolle spielen sexuelle Vorurteile. Einige Bei- spiele:

„Nein, ich bin kein Mädchen, das man sofort nach einer kur- zen Bekanntschaft auf die Couch oder ins Bett legen kann. Aber ich bin auch keine unbescholtene Jungfrau mehr.

Das kann man in meinem Alter nicht mehr verlangen, vor allem nicht als Medizinstudentin und schon gar nicht, wenn man in Paris studiert." (Heinz G. Kon- salik)

„Unter den Studenten der letz- ten Semester gab es eine Theo- rie, nach der die tüchtigsten Krankenschwestern jene wa- ren, mit denen man am leichte- sten ins Bett gehen konnte . Menschen, die in ihrer Arbeit großen Spannungen ausge- setzt sind, haben oft das Be- dürfnis, sich in ihrer Freizeit entweder wie lärmende Kinder oder wie nimmersatte Sexbe- stien auszutoben." (Hugh Miller)

„Von neuem legte die Wanda ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an ihn, und bald war von den beiden nichts an- deres mehr zu vernehmen als lustvolles Stöhnen." (Andreas Kufsteiner)

Arztroman-Werbung

Kein Arztroman ohne aufreizen- de Werbung auf den Umschlag- seiten, ohne schlagwortartige Inhaltsangaben, die dramati- sche Ereignisse versprechen:

„Ein Roman, lebensnah und er- greifend, voller Verständnis, voller Herz und Seele, wie ihn nur eine Autorin schreiben kann: Marie Louise Fischer!" —

„Konsalik, wie man ihn kennt.

Lebensnah. Vital. Packend."

„Ein Thriller um Ärzte und ein modernes Unfallkrankenhaus.

Wie durch mikroskopische Schnitte deckt er die kompli-

zierten Schichten von Liebe und Haß, Ruhm und Versagen, Leben und Tod in dieser klei- nen Welt auf." — „Intensivsta- tion — hier spielt sich Tag und Nacht der aufopfernde, oft ver- zweifelte Kampf der Ärzte um das Leben ihrer Patienten ab!

Ein Roman, wie ihn in dieser Meisterschaft nur Frank G.

Slaughter schreiben konnte."

Romantik

Kein Arztroman ohne Roman- tik, ohne eine versteckte Träne im Knopfloch, ohne tragische Liebe. Am Schluß des Buches wartet dann auf den Leser fast unvermeidlich das Happy-End:

„Verirrungen und Verwirrun- gen hatten ihnen eine schwere Prüfung auferlegt. Erkenntnis- se und Erfahrungen sollten nur ein Wegweiser für sie sein, ih- rem Leben den Sinn geben, den ihre Herzen ersehnten." (Patri- cia Vandenberg)

„Und dann vergaßen wir Botu und Parkett und waren nur noch die ewige Liebe, die auf- blüht unter den Küssen und zerfließt in dem Du, das ein ein- ziges Ich geworden ist." (Heinz G. Konsalik)

„Sie lächelte selig. Ihr Mund glühte noch von seinen Küssen, und auch in sein mageres Kran- kengesicht war wieder Farbe gekommen, aber diesmal nicht vom Fieber. Und die Augen hat- ten einen Glanz, den nur das Glück und die Zuversicht verlei- hen." (Andreas Kufsteiner)

„Der Doktor legte den Arm um seine junge Frau, führte sie ans Fenster. Brennrot stand die Sonne über den Bergspitzen, über dem Wendelstein, der Hochrieß, dem Heuberg. Die Häuser von Steinkirch prunkten wie noch nie, die farbigen Bil- der an den Mauern, schon über hundert Jahre alt, glühten im Schein der letzten Sonnen- strahlen. Im Tal schimmerte sil- bern der Inn." (Hans Gustl Kernmayr)

Trivialliteratur

oder tauchen nur einmal am Ran- de auf.

Denn wo die Pauschalisierung aufhört und die Individualisierung anfängt, da hört die Trivialliteratur auf, beginnt die wirkliche, die „ge- hobene" Literatur. Ein gutes Bei- spiel für einen Roman, der sich im Grenzbereich zwischen diesen beiden Arten von Romanliteratur bewegt, ist das Buch „Nacht, steh' mir bei". Verfasser ist der südafri- kanische Herzchirurg Christiaan Barnard. Zwar findet man auch hier Platitüden und Pauschalisie- rungen ä la Konsalik und Konsor- ten, doch auf der anderen Seite wird in glaubwürdiger und biswei- len sogar tiefschürfender Weise das Problem der Sterbehilfe und der „barmherzigen Lüge in der Medizin" abgehandelt — ein seit Jahren in Medizinerkreisen disku- tiertes Thema, für das es naturge- mäß keine Patentlösung geben kann.

Sucht man in der Literatur die wirklichen Ärzte, dann muß man sich bei den eingangs erwähnten Autoren umtun, ein Buch von Bul- gakow in die Hand nehmen oder sich in den „Zauberberg" von Thomas Mann hineinlesen. Ein Vergleich der in der gehobenen Literatur beschriebenen Ärzte mit ihren Kollegen aus den Trivialro- manen zeigt sofort, daß man es hier mit wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut zu tun hat, wäh- rend dort falsch heroisiert und sti- lisiert wird. Warum soll ein Arzt als Mensch nicht genauso mittelmä- ßig sein wie seine Mitmenschen.

Warum soll er nicht so sein, wie ihn Gustave Flaubert in „Madame Bovary" beschreibt? „Charles Art zu sprechen war platt wie Straßen- pflaster; er hatte nur Allerweltsge- danken, die im Alltagskostüm vor- überspazierten und niemand rühr- ten, die weder freudig noch träu- merisch stimmten. Solange er in Rouen lebte, sagte er, habe er nie- mals Neugierde verspürt, sich ein Gastspiel von Pariser Schauspie- lern im Theater anzusehen. Er konnte weder schwimmen noch fechten, noch Pistole schießen

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Die Rolle des Arztes

Wie hohl-pathetisch klingt es doch, wenn sich ein Trivialarzt- roman-Autor einmal Gedanken über den Arztberuf macht! Zwei Zitate:

„Es ist kein geringes Ding, das Leben genossen zu haben, Amy. Nur zu sein und zu tun und einem Gesetz zu gehor- chen. Ein Ideal zu beschützen.

Das ist Erfüllung." (Hugh Miller)

„Sie gehen hinaus ins Leben als junge Ärzte, die das Ideal mitbringen, gute Ärzte sein zu wollen... Das Leben eines Arztes ist ein ständiges Bauen an sich selbst und an dem Wall gegen Krankheit, Elend und Tod. Sie werden immer im Kampf stehen. Sie werden die lebenslänglichen Soldaten an der vordersten Front sein und dazu gehört Ausdauer und Mut." (Heinz G. Konsalik).

Dramatik

Kein Arztroman ohne Dramatik, ohne buchstäblich blutige Hö- hepunkte. Drei Beispiele zu die- sem Thema:

„Die große Wunde, die Lungen- lappen und das Blut, der Kampf um den Puls und das Herz, das durch dauernde Transfusionen zum Schlagen gezwungen wur- de, die immer wieder sich än- dernde, diffizile Anaesthesie.

Alles war so furchtbar, daß ich sitzen blieb, steif, wie gelähmt, wie hypnotisiert, als die Opera- tion endlich vorüber war . . . "

(Heinz G. Konsalik)

„Ohne den halb bewußtlosen Patienten zu warnen, stieß er ihm die Nadel seitlich in die Brust. Sofort spritzte das Blut . . "(Hugh Miller)

„Im Nu war Bernhard mit Blut überströmt. Von der Augen- braue lief es ihm über das Auge und machte ihn blind. Von der Hand, mit der er das Blut weg- zuwischen versuchte, tropfte ebenfalls das rote Naß und aus der Armwunde lief der Lebens- saft bis zum Ellenbogen hinun- ter und von dort auf den Fußbo- den."(Andreas Kufsteiner)

Trivialliteratur

„Doktor Cottard wußte niemals mit Sicherheit, in welchem Tone er jemandem antworten sollte, ob sein Gesprächspartner scherzte oder ob das, was er sagte, womög- lich ernst gemeint war. Auf alle Fälle fügte er dem sonstigen Aus- druck seines Gesichts ein beding- tes Lächeln hinzu, dessen abwar- tende Schläue ihn von jedem Vor- wurf der Naivität freihalten mußte, falls die Äußerung, die man ihm gegenüber getan hatte, ironisch gemeint gewesen war." Sprächen und handelten die Helden in den Arztromanheftchen ebenso wie Bovary und Cottard, wären sie als Menschen also nur mittelmäßig und bestenfalls guter Durch- schnitt, dann könnte man die Fol- gen für die Trivialliteraturindustrie schon absehen: Auflagenrück- gang und Zusammenbruch binnen kürzester Zeit. Denn ein echter Tri- vialroman und noch viel mehr ein echter Arztroman ist nicht vorstell- bar ohne diese drei wichtigen Stützpfeiler:

Einen positiven, starken, von we- nig Selbstzweifeln geplagten Hel- den, eine dramatische Handlung und — nicht zu vergessen — ein strahlendes Happy-End.

und eines Tages vermochte er ihr nicht einmal einen Reitsportaus- druck zu erklären, auf den sie in einem Roman gestoßen war."

Und wirkt nicht auch der Doktor Cottard „echt", wie ihn Marcel Proust in seiner „Suche nach ei- ner verlorenen Zeit" beschreibt?

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Friedrich Hofmann Herz-Kreislauf-Klinik Kandelstraße 41 7808 Waldkirch

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