Interferon-alpha
Zum Problem der persistierenden Neurotoxizität
ls das Prinzip der Virus-In- terferenz 1957 erstmalig von Isaac und Lindemann in re- produzierbarer Weise de- monstriert und der Begriff „Inter- feron" (Ifn) geprägt wurde, war an eine therapeutische Anwendung noch nicht zu denken. Die verfüg- baren Mengen der neuentdeckten Substanz, die sich bald als Substanz- gruppe herausstellte, waren noch zu gering (11). Anfang der 60er Jahre entwickelte Cantell ein Verfahren zur Gewinnung von Ifn-a aus Zell- kulturen, später aus Leukozyten von Blutspendern. Hierdurch ergab sich die Grundlage für erste Thera- pieversuche (7).
Die typischen Nebenwirkungen.
des Ifn-a. (und -13) wie Temperatur- anstieg, Abgeschlagenheit, Kopf- schmerz, Myalgien, Haarausfall, ge- legentlich auch Diarrhoen wurden in den folgenden Jahren ebenso er- kennbar wie das gelegentliche Auf- treten normabweichender Laborbe- funde. Hierzu gehören Gamma- GT-, AP-, GPT-, GOT-Anstiege, Thrombozytopenie, Leukozytope- nie und Anämie (9). Anfang der 80er Jahre wurden erstmals spezifi- sche gegen Ifn-a gerichtete, neutra- lisierende Antikörper nachgewie- sen (14, 31).
Potentielle Neurotoxizität
Eine potentielle Neurotoxizität wurde bereits 1979 postuliert (6).
Man hatte in In-vitro-Experimen- ten eine Zunahme der Erregbarkeit von Nervenzellen durch Inkubation mit Leukozyteninterferon festge- stellt. Diese Beobachtung wurde ei- nige Jahre später durch tierexperi- mentelle Studien bestätigt (25).
Hilmar W. Prange
Hinweise auf persistierende oder nur teilreversible Läsionen des Nervensy- stems als Nebenwirkung der Inter- ferontherapie reichen bis Mitte der 80er Jahre zurück. Etwa seit 1990 werden Syndrome eines psychoorgani- schen Leistungsverfalls beobachtet, die entweder einer „frontal-subkortikalen Dysfunktion" oder einem allgemeinen Demenzprozeß entsprechen. Morpho- logisches Korrelat hierfür sind offen- sichtlich rarifizierende Hirnveränderun- gen oder Marklagerdegenerationen.
Der Pathomechanismus der persistie- renden Neurotoxizität ist ebensowenig bekannt wie die exakte Inzidenzzahl.
Es zeigte sich auch bald, daß verschiedene Präparationen des Ifn-a unterschiedlich ausgeprägte neurotoxische Reaktionen entfal- ten: Das Cantellsche Leukozytenin- terferon (HuIfn) hatte den stärk- sten Effekt, gefolgt von rekom- binanten Ifn-a-Präparaten, und -Gamma blieben praktisch oh- ne Auswirkungen auf das Exzitati- onsverhalten der untersuchten Ner- venzellen (4).
Systematische Untersuchungen an Patienten über den Einfluß von Ifn-a und Ifn-Gamma auf klinisch- neurophysiologische Parameter nach systemischer Gabe (5, 16) er- brachten bei niedriger Dosierung (zum Beispiel 3 mio I.U. Ifn-a
Abteilung Neurologie (Vorsteher: Prof. Dr.
med. Klaus Felgenhauer), Zentrum Neurolo- gische Medizin der Universität Göttingen
3-5mal/Woche) eine EEG-Aktivie- rung und eine Verkürzung der frühen Latenzen visuell- und aku- stisch-evozierter Potentiale (VEP, AEP). Wesentlich höhere Ifn-a-Do- sen erzeugten das Gegenteil, näm- lich Potentialverlängerung bei den evozierten Hirnpotentialen sowie Verlangsamung der EEG-Aktivität.
Alle Veränderungen waren jedoch voll reversibel. Ifn-Gamma zeigte allerdings keine der vorgenannten Wirkungen.
Neurotoxizität von Interferon-alpha
Seit Anfang der 80er Jahre geht man von einer speziellen Neuroto- xizität der Interferone aus (23). Ei- nige typische Symptome sind in Ta- belle 1 aufgeführt. Der genaue Me- chanismus ist nicht geklärt. Disku- tiert werden:
O eine Transmitterwirkung von Ifn oder seinen Metaboliten auf dopaminerge, peptiderge und endor- phinerge Systeme
e die Auslösung einer Kaskade von Sekundärwirkungen über Pros- taglandin-Freisetzung, Bildung frei- er Radikale und anderes.
Für alle Wirkungsprinzipien gibt es wohl Hinweise, aber keine schlüssigen Beweise.
Das Ifn entfaltet seine Neuro- toxizität entweder
> über Rezeptoren an den ze- rebralen Endothelzellen oder
> über eine mögliche Pinozy- tose dieser oder
> durch eine Penetration in das ZNS im Bereich der zirkumven- trikulären Organe.
Da letztere an der Regulation von Körpertemperatur, Schlaf, A-3420 (36) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994
Tabelle 1: Reversible neurologische Komplikationen nach Ifn-a-Verabreichung
Autor Jahr Präparat Dosis Dauer Symptomatik
Scott (28) 1981 Leukozyten-Ifn-a 2,25 MU i.m. 2mal Verwirrtheit
Lethargie, Verwirrtheit, expressive Dysphasie, Par- ästhesien, motorische Stö- rungen
Smedley (29) 1983 rekombinantes Ifn-a
20-50 MU/m2 i.m.
3 x /Woche über 12 Wochen
Rohatiner (26)
Hulfn-a 100 MU/m2 i.v.
täglich über 7 Tage
Verlangsamung, Desorien- tiertheit, visuelle Halluzina- tionen
1983
Mattson (15) Hulfn-a 800 MU i.v.
+ 6 MU i.m.
über 5 d, 3 x /Woche 5-42 Wochen
mnestische und visuokon- struktive Funktionen beein- trächtigt
1984
Adams (1) HUIfn-a 3 MU i.m. täglich, 1 Woche
bis 1 Monat 1984
Iivanainen (1)
HUIfn-a 100-200 MU
i.v.
3 MU i.m.
2-6 Tage
täglich, 2 Monate
Verlangsamung, Koordinati- onsstörung, Hypokinese 1985
Janssen (12) 5-10 MU i.m. alle 3 Tage über
2-330 d
Lethargie, Verwirrtheit, Polyneuropathie, neural- gische Amyotrophie 1985 Ifn-a2 c
Renault (24) 5-10 MU i.m. täglich oder
jeden 2. Tag für 4 Monate
Depression, Neurasthenie, Wesensänderung, Desorien- tiertheit, Delir
1987 Ifn-a 2
Bernsen (3) bis 30 MU
i.m.
dann 20 MU i.m.
täglich über 10 d täglich über 11 d
neuralgische Schulteramyo- trophie beidseits
1988 Ifn-a 2
Adams (2) HuIfn-a 3 MU i.m. täglich, minde-
stens 1 Monat
Parkinson-Syndrom, Akathisie, kognitive Störun- gen, Delir
1988
Niiranen (21)
HuIfn-a bis 800 MU i.v.,
dann 6 MU i.m.
über 5 d;
3 x /Woche (> 2 Wochen)
Gedächtnis- und Orientie- rungsstörungen, Angst, Verwirrtheit
1988
Schornagel (27)
Ifn-a2a ( + Vinblastin)
3 x /Woche (8-50 Wochen)
Polyneuropathie, Verwirrt- heit, Somnolenz
1989 18 MU s.c.
Hulfn-a bezieht sich auf Leukozyten- oder Lymphoblastoid-Interferon, hergestellt mit unterschiedlichen Reinigungsverfahren
Hypersomnie, Denkverlang- samung, Verstummen
MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG
Neurosekretion, arteriellem Blut- druck sowie an der Auslösung des Vomitus beteiligt sind, lassen sich Nebenwirkungen wie Temperatur- anstieg und Schüttelfrost, Abge- schlagenheit, Malaise und Nausea leicht erklären (4).
Andere Autoren postulierten, daß die interferon-induzierte „toxi- sche Enzephalopathie" vor allem durch eine Desintegration der Funktion des Stirnhirns, der Basal- ganglien und des retikulären Akti- vierungssystems im oberen Hirn-
stamm bedingt sei (1). Als hierfür typisch wurden spezielle EEG-Ver- änderungen, nämlich symmetrische frontal-betonte langsame span- nungshöhere Wellen und bestimmte Verhaltensauffälligkeiten angese- hen. Letztere bestehen in psycho-
A-3422 (38) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994
3 x /Woche über 8 Wochen bis mehrere Monate 9 MU s.c.
1991 rlfn a2a (plus 5 Fluoro- uracil) Pazdur
(22)
Tardive Dyskinesie, Verwirrtheit
Autor Jahr Präparat Dosis Dauer Symptomatik Befunde
Vesikari (50)
2 MU i.m.
bis 3 MU
jeden 2. Tag täglich 11 Monate
Spastische Para- parese
(2 1/2jähriges Kind)
CT, Liquor, EEG, altersentsprechend 1988 Hulfna
Kemeny (13)
Ifn a2a (plus 5 Fluoro- uracil)
9 MU s.c. 3 x /Woche über 1 Woche bis 11 Monate
Verwirrtheit CT:
kortikale Atrophie 1990
Hulfna (plus Schädel- bestrahlung) Ifn a2b
täglich über 11 Monate täglich, 12 Monate
Erblindung
progressives Hirn- stammsyndrom
bilaterale Optikusatrophie CT-Herde im Hirnstamm Hagberg
(8)
1990 6 MU
(i.m.?) 5 MU i.m.
Ifn a (Typ nicht angegeben)
3 MU (i.m.) bis 10 MU (i.m.)
3 x /Woche 40 d bis 3 Jahre täglich
Störungen von Gedächtnis, Koor- dination und Fein- motorik, Apraxie, Demenz
CT: kortikale Atro- phie oder Mark- lagerdegeneration Meyers
(18)
1991
jeden 2.
Tag über 21-60 Tage
Verwirrtheit, Ata- xie, Apraxie kortikale Blindheit
CT: Atrophie und Marklager-
degeneration Merim-
ski (17)
1990 Ifn aC 3-6 MU (i.m.?)
Mitsuya- ma (20)
Ifn a (Typ nicht angegeben)
„hohe Dosis"
über 8 Monate
Verwirrtheit, Demenz
CT: Marklager- degeneration 1992
Tabelle 2: Irreversible Neurcrtoxizittit nach Ifn-a-Verabreichung
MU=mioIU
motorischer Verlangsamung, Stö- rung der manuellen Feinmotorik, Defiziten der visuokonstruktiven Leistungen, motorischer Perse- veration, Mikrographie sowie Ver- armung von automatischen und as- soziativen Bewegungsabläufen (Hy- pokinese) (10).
Derartige Nebenwirkungen be- trachtete man bisher als reversibel innerhalb von maximal zwei bis drei Wochen nach Absetzen des Präpa- rates und als streng dosisabhängig (4). Als wesentlicher Faktor für die Ausprägung der Neurotoxizität er- wies sich die Applikationsform:
Nach i.v.-Infusion ist die höchste Toxizität zu erwarten, i.v.-Bolus-
Gaben gehen mit der geringsten To- xizität (und der geringsten Effekti- vität) einher. Dazwischen stehen i.m.- und s.c.-Gaben des Ifn-a. Ifn-a hat nach derzeitigem Kenntnisstand eine höhere Neurotoxizität als Be- ta- und Gamma-Interferon. Letzt- genannte Substanzen weisen eine geringere Bioverfügbarkeit nach i.m.- und s.c.-Gaben auf.
Ifn-a besitzt darüber hinaus die längste Verweildauer im Plasma (Eliminations-HWZ 47 bis 68 Mi- nuten). Abweichend vom Ifn-a er- scheinen Ifn-a und -Gamma im Se- rum oft als Di- und Trimere; dies er- schwert ihre Penetration in das ZNS. Besonders gut treten Ifn-a-
Subtypen, die einen höheren Anteil kationischer Molekülkomponenten besitzen, in Gehirn und Liquor- raum über (4).
Häufigkeit neurotoxischer Nebenwirkungen
Derzeit liegt eine Reihe von Berichten zur Häufigkeit neurotoxi- scher Nebenwirkungen vor. Sie sind aufgrund der unterschiedlichen Do- sierungsschemata nur sehr begrenzt miteinander vergleichbar. Die Ar- beitsgruppe von Kemeny (1990) fand nach 9 mio Ifn-a2A, dreimal pro Woche s.c., in 34 Prozent neuro-
A-3424 (40) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994
MEDIZIN
toxische Zeichen wie Gangstörun- gen, Schwindel, Gedächtnisstörun- gen, Verwirrtheit, tardive Dyskine- sie und Geschmacksstörungen. Die- se Nebenwirkungen waren mit Al- ter und Leberfunktionsstörungen korreliert (13).
Die Verabfolgung von Ifn-a 2A, 18 mio I.U. dreimal pro Woche s.c. über 8 bis 50 Wochen ergab di- stal-symmetrische Polyneuropathie in 15 Prozent, Verwirrtheit in 18 Prozent, häufiger auch Vigilanzmin- derung, Schwindel und Muskel- krämpfe (27).
Dosen von fünf bis zehn mio I.U. Ifn-a2C alle drei Tage bei on- kologischen Patienten führten zu Somnolenz, Lethargie und aprakti- schen Zeichen (24 bis 33 Prozent), schwerer Polyneuropathie (9 Pro- zent) sowie Wernicke-Korsakoff- Enzephalopathie und Parkinsonis- mus (4,5 Prozent); eine nur teilre- versible neuralgische Schulteramy- trophie trat in einem Fall auf (12).
Andere Autoren fanden nach Verabreichung von 20 bis 50 mio
Persistierende Neurotoxizität
Die Frage nach irreversiblen neurotoxischen Schäden durch Ifn- a war angesichts der im vorherge- henden geschilderten Beobachtun- gen naheliegend. Aktuell wurden sie aber erst nach Erscheinen einer umstrittenen Arbeit von Meyers et al. (1991) über neuropsychologisch erfaßbare Leistungsdefizite bei on- kologischen Patienten nach Ifn-a- Therapie (18).
Bereits ein Jahr zuvor war über eine „schwere Neurotoxizität" bei zwei Patienten berichtet worden, die sich klinisch unter anderem in Verwirrtheit und Demenz äußerte;
im kranialen CT fand sich eine Hirnatrophie (13). Die Remissions- neigung der betroffenen Patienten, die 9 mio Ifn-a2A (dreimal pro Wo- che) s.c. erhalten hatten, war gering.
Meyers et al. (1991) unterzogen 14 Patienten nach längerfristiger Ifn-a-Verabfolgung (3 mio I.U.
dreimal pro Woche bis 10 mio I.U./d; Behandlungsdauer 40 Tage bis 3 Jahre) einer neuropsychologi-
ZUR FORTBILDUNG
I.U. rIfn-a/m2 pro Tag (oder drei- mal pro Woche) über 12 Wochen in 70 Prozent eine Neurotoxizität, die sich in Inappetenz, Somnolenz, Lethargie, Verwirrtheit, Wortfin- dungsstörungen, Parästhesien und Läsion der oberen Motoneuronen äußerte (29).
Die Arbeitsgruppe von Renault (24) kategorisierte die von ihnen beobachteten psychischen Veränderungen nach 10 mio I.U.
Ifn-a2 alle zwei Tage als:
C' organisch bedingte Persön- lichkeitsveränderung,
2
affektive Störungen wie Weinerlichkeit und Depression,©
delirante Syndrome.Die Häufigkeiten waren für die Punkte 1 und 2 zusammen 12 Pro- zent und für den dritten Punkt 5 Prozent. Die Nebenwirkungen gal- ten als dosis-korreliert und rasch re- versibel.
Weitere Berichte zu reversiblen neurotoxischen Reaktionen wurden summarisch in Tabelle 1 zusammen- gestellt.
schen Testung. Die Auswahl dieser 14 Fälle aus einem Klientel von 1 300 bis 1 400 mit Ifn-a-Behandelten ergab sich aus den angegebenen Be- schwerden der Patienten. Die Be- troffenen hatten über einen hirnor- ganischen Leistungsverlust geklagt;
10 von 13 initial noch Erwerbstäti- gen mußten aus diesem genannten Grunde ihren Beruf aufgeben. Ver- laufsbeobachtungen an vier Patien- ten dieser Gruppe zeigten in zwei Fällen eine Besserungstendenz. Die beiden anderen, deren Ifn-Therapie bereits 120 bis 240 Tage zuvor abge- brochen worden war, tendierten zu einer Verschlechterung der Tester- gebnisse.
Das psychometrisch erfaßte Leistungsprofil ergab Zeichen einer
„frontal-subkortikalen Dysfunkti- on", die sich in Gedächtnisstörun- gen, Defizit der motorischen Koor- dination, beeinträchtigten Strategi- en der Problemlösung und fehlen- der mentaler Flexibilität äußerte.
Sprache und visuelle Wahrneh- mungsverarbeitung waren nicht pa- thologisch verändert. Vier Personen hatten eine offenkundige Demenz
entwickelt. Symptome eines Parkin- sonismus wurden zusätzlich bei vier Patienten registriert. Depressionen oder Angstsyndrome traten bei 9 Untersuchten auf. Sie sprachen va- riierend auf Antidepressiva oder Neuroleptika an.
Die bildgebenden Verfahren (cCT, MRT) erbrachten bei 5 von 10 Fällen eine deutlich über das Alter hinausgehende Atrophie des Hirn- parenchyms. Bei drei Patienten do- minierte dagegen eine „Verände- rung der weißen Substanz".
Die beschriebenen, mutmaß- lich irreversiblen Defizite bestimm- ter Funktionen des Großhirns wa- ren kaum mit zuvor geschilderten neurologischen Symptomen und nicht mit der Therapiedauer korre- liert. Eine positive Korrelation be- stand nur mit der Gesamthöhe der Ifn-a-Dosis.
Etwä in die gleiche Richtung deutet ein kürzlich erschienener Fallbericht aus Japan: Ein 78jähri- ger Patient mit Nierenkarzinom entwickelte nach achtmonatiger Therapie einer höheren Ifn-a-Dosis zunehmende Gedächtnisstörungen und schließlich persistierende Ver- wirrtheit. In der Magnetresonanz- Tomographie (MRT) zeigten sich diffuse Läsionen der weißen Sub- stanz. Die neuropathologische Un- tersuchung nach Ableben des Pati- enten ergab sowohl Merkmale einer zerebralen Mikroangiopathie als auch einer Alzheimerschen Krank- heit (20).
Andere Autoren führten als Zeichen der Neurotoxizität eine konzeptuale Disorganisation, be- gleitet von einer kortikalen Blind- heit auf. Die hierbei festgestellten Veränderungen im kranialen Com- puter-Tomogramm waren unspezi- fisch. Sie demonstrierten eine gene- ralisierte Hirnatrophie beziehungs- weise eine periventrikuläre Dichte- minderung (17).
Nach intrathekaler Verabfol- gung von 3 bis 9 mio I.U. Ifn-a (Cantell) pro Woche oder 1,5 mio I.U. pro Tag über 5 bis 50 Tage kam es bei sieben von neun der Patien- ten, die von Meyer et al. (19) be- handelt worden waren, zu Verwirrt- heit, motorischen Sprachstörungen, Verstummen, schließlich Verlust A-3426 (42) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994
jeglicher Zuwendung und Ausblei- ben jeglicher Reaktion.
Dieser Zustand, der etwa nach drei Wochen rückläufig war, wurde einem katatonen Stupor („wakeful vegetative state") gleichgesetzt. Zu- sätzlich traten — im Überlebenszeit- raum (von 1 bis 10 Monate) be- grenzt rückläufige — neurologische Syndrome wie Parkinsonismus, Hörverlust und Anfallsleiden auf.
Wiederum fand man bei der Hälfte der Fälle im CT eine „Veränderung der weißen Substanz". Vorgenannte neurotoxischen Reaktionen waren nicht eindeutig dosisabhängig und wurden nur bei solchen Patienten beobachtet, bei denen früher be- reits eine Schädelbestrahlung durchgeführt worden war.
Neuere Ergebnisse
Bemerkenswert ist diesbezüg- lich auch ein Bericht aus Uppsala von 1990 (8): Zwei Patienten, die wegen einer Schädelbeteiligung ei- nes Tumorleidens über längere Zeiträume systemisch mit Hulfn-a beziehungsweise Ifn-a2b (6 bezie- hungsweise 5 mio I.U./d) behandelt worden waren und zusätzlich eine Strahlentherapie des Schädels (52 und 56 Gray) erhalten hatten, ent- wickelten Monate später unter fort- laufender Ifn-Gabe schwere ZNS- Läsionen. Im ersten Fall (56jähriger Mann) trat eine bilaterale Optikus- atrophie mit totaler Erblindung, im zweiten Fall (34jährige Frau) ei- ne progressive Stammhirn-Erkran- kung mit kleinen Kalzifikationen in Pons, Medulla, Temporallappen und Hypothalamus auf. Die Patien- tin verstarb daran. Die betreuenden Ärzte unterstellten einen synergisti- schen Effekt der Strahlentherapie auf die potentiell neurotoxische Wirkung des Ifn-a.
Ein weiterer Bericht einer mut- maßlich irreversiblen ZNS-Läsion bezieht sich auf ein 21/2jähriges Kind, das wegen juvenilem Larynx- papillom Ifn-a erhalten hatte. Un- ter der Therapie war es zu einer spastischen Paraplegie gekommen.
Das Krankheitsbild persistierte während des Beobachtungszeitrau- mes (30).
In der onkologischen Abtei- lung des Universitätsklinikums Göttingen wurde, bezogen auf eine höhere Zahl behandelter Patienten, nur einmal eine nennenswerte neu- rotoxische Nebenwirkung unter Ifn- a-Therapie mit langdauernder Rückbildungsphase registriert: Bei einer 75jährigen Frau mit myelo- proliferativem Syndrom manife- stierte sich ein Geschmacksverlust (Ageusie). Bis zur völligen Norma- lisierung nach Therapieende vergin- gen sechs Monate (Kaboth, persön- liche Mitteilung).
Aus den vorhergehenden Erörte- rungen kann man folgern, daß das Spektrum neurotoxischer Neben- wirkungen — ob reversibel oder irre- versibel — breit ist. Reversible neu- rologische Symtpome sind bei höherer Ifn-a-Dosis offensichtlich häufiger; irreversible Ausfälle ha- ben als selten (weniger als 1 Pro-
Dyspeptische Symptome bei gesunden Blutspendern
Helicobacter pylori induziert eine chronische Magenschleimhaut- entzündung, aber nur bei jedem zweiten Helicobacter-pylori-Positi- ven bieten sich Beschwerden im Sinne einer Reizmagensymptoma- tik. Die Autoren fragten bei 180 konsekutiven Blutspendern gezielt nach abdominellen Symptomen und versuchten, diese Beschwerden in ulkusähnlich, dysmotilitätsähnlich, refluxähnlich oder im Sinne einer unspezifischen Dyspepsie zu klassi- fizieren. Insgesamt klagten 65 Blutspender über funktionelle ab- dominelle Beschwerden in den zurückliegenden zwölf Monaten, wobei die meisten über postpran- diales Völlegefühl, frühes Sätti- gungsgefühl und Aufstoßen berich- teten. 57 Personen waren Helico- bacter pylori-positiv. 26 Prozent der Probanden mit Helicobacter pylori klagten über dyspeptische Sympto-
zent) zu gelten. Die Anwendungen hoch-gereinigter und niedriger do- sierter Präparate (in der Regel 5 bis 10 mio I.U./d) wird mutmaßlich die Inzidenz der dargestellten Funkti- onsstörungen des zentralen und pe- ripheren Nervensystems weiter ver- mindern.
Deutsches Arzteblatt
91 (1994) A-3420-3427 [Heft 49]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Hilmar Prange Neurologische Universitätsklinik Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
me, 24 Prozent der Helicobacter py- lory-Negativen hatten die gleichen Beschwerden. Auch die Seropräva- lenz von Helicobacter pylori war in den verschiedenen Dyspepsiegrup- pen ähnlich.
Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß eine Infektion mit Heli- cobacter pylori nicht mit abdomi- nellen Beschwerden bei sonst ge- sunden Personen vergesellschaftet sein kann.
Zu ähnlichen Ergebnissen ka- men auch Autoren aus Skandinavi- en, die nur eine Altersabhängigkeit der Durchseuchung mit Helicobac- ter pylori, aber keinen Zusammen- hang mit einer funktionellen Dys- pepsie fanden.
Holtmann, G, Goebell, H. Holtmann, M, Talley, NJ: Dyspepsia in Healthy Blood Donors. Pattern of Symptoms and Asso- ciation with Helicobacter pylori. Dig. Dis.
Sce. 1994; 39: 1090-1098
University of Essen, Department of hiter- nal Medicine, Division of Gastroenterolo- gy, Hufelandstr. 55,45122 Essen
Wilhelmsen, I, Tagen Haug, T, Sipponen, P, Berstadt, A: Helicobacter pylori in Func- tional Dyspepsia and Normal Controls.
Scand. J. Gastroenterol. 1994; 29: 522-527 Dept. of Psychiatry, 5021 Haukeland Hos- pital, Norwegen
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994 (43) A-3427