unehmend begegnet man in den letzten Jahren einer Kom- merzialisierung im Kranken- hauswesen im Zuge der allge- meinen (?) Ideologisierung des „Tota- len Marktes“.
Es ist anscheinend völlig „nor- mal“ geworden, von Patienten als
„Kunden“, von „Angebot und Nach- frage“ bei der Spezialisierung einer Krankenhausabteilung, von „Kon- kurrenz“ unter den Kran-
kenhäusern untereinander, sogar von „Profitorientie- rung“ eines Krankenhaus- verbandes zu reden. Die Ver- waltungen scheinen die Ope- rationsarten bei der ange- strebten „Fallpauschale“ un- ter ökonomischen Gesichts- punkten zu bestimmen, das heißt, gefragt ist die Op-Art, die am meisten Geld dem Hause bringt, wobei sogar
Bedenken gegenüber der Kranken- haushygiene zurückgedrängt werden – wie es scheint. In kurzer Zeit die Op- Säle, das Op-Personal optimal auszu- nutzen, scheint (?) zum Gebot der Stunde zu werden.
Gehen wir den Dingen auf den Grund, so finden wir eine bedrohliche Besitzergreifung der Ökonomie, des Managements, – sagen wir es ehrlich!
– des Geldes im Krankenhauswesen mit beängstigender Selbstverständ- lichkeit einziehen oder schon eta- bliert. Amerikanische Ver-
hältnisse sind gefragt, sind angeblich modern und zweckmäßig – und niemand widerspricht, um nicht als veraltet angesehen zu wer- den. Darauf direkt angespro- chen, gibt man in der Diskus- sion dann zu, daß es einem innerlich als Arzt völlig wi- derspräche, aber von Ver- waltungsseite würde man nur auf die „marktbetonte“
Redeweise verstanden. Das Management scheint den Operateur zu dirigieren!
Die „brutale“ Ausnut- zung des Op-Saales, des Per- sonals muß schon von seiten der Hygiene zu einer Zu- nahme des bakteriellen Hospitalismus führen. Dies bedeutet, von der ökonomi-
schen Seite betrachtet, eine Zunah- me des Medikamenten- – sprich An- tibiotika- – Verbrauches und der Lie- gezeit des „Falles“ bei gleichbleiben- der Fallpauschale im Vergleich zum komplikationslosen postoperativen Verlauf.
Dieses angeblich amerikanische System wird derzeit bei uns vom Ma- nagement unter dem Blickwinkel des Kommerz noch hochgelobt und pro-
pagiert. Von amerikanischer Seite wird in letzter Zeit ihr eigenes System kritisch hinterfragt und das deutsche Krankenhauswesen um Auskunft über sein doch angeblich „völlig veral- tetes System“ gefragt – und das wird seine Gründe haben.
Es steht die Hauptfrage: Können wir als verantwortungsbewußte Chir- urgen uns derart dem Management der Ökonomie unterwerfen, etwa aus Angst vor eventuellen roten Zahlen und damit dem Diktat einer Verwal-
tungsleitung? Wir nur haben die Ver- antwortung für den Patienten als den
„Partner“ in seiner Krankheit (so Bischof Huber beim Chirurgenkon- greß).
Was ist zu tun? Die operierenden Kollegen sind auf die Gefahr des bak- teriellen Krankenhaushospitalismus – mit dem der psychische Hospitalismus eng verbunden ist – eindringlich hin- zuweisen. Die oben angegebenen Ab- läufe in den Op-Abteilungen führen unweigerlich dahin.
So darf in Häusern mit All- gemeinchirurgie nicht die ge- winnträchtige Hüftendopro- thesenimplantation durchge- führt werden – es sei denn, ein spezieller „Hochsicher- heitstrakt“ wäre vorhanden.
Die Op-Zahlen sind auf ein vertretbares Maß zu reduzie- ren, wobei die Arbeitsgrup- pe für Qualitätssicherung zu rücksichtslosem (!) Eingreifen be- rechtigt, genötigt werden sollte! Wenn das auch vorübergehend die „Ökono- mie“, die durchaus immer vernünfti- gerweise im Auge zu halten ist,
„stören“ sollte, auf die Länge der Zeit „macht es sich doch bezahlt“.
(Ich erinnere an das Vertrauen der Patienten zu „ihrem Arzt“, zu „ihrem Krankenhaus“, zur Ärzteschaft über- haupt!)
Der Einzug der Begriffe
„Markt“, „Kunde“, „Profitorientie- rung“ im Krankenhauswe- sen ist für uns Ärzte ein be- schämender Beweis unserer scheinbaren Kapitulation vor dem Management und untergräbt unser Ansehen bei den Patienten, die uns – durch Medienberichte „auf- geklärt“ – mit wachen Augen beobachten.
Selbst auf die Gefahr hin, als Pessimist angesehen zu werden, führt mich die Liebe zu meinem früheren Beruf und die Sorge um die zu operierenden Patienten und deren Therapeuten zu diesen Zeilen.
Dr. med.
Gerhard Friedrich Hasse Bornstraße 29
99817 Eisenach A-1658 (26) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 26, 26. Juni 1998
P O L I T I K KOMMENTARE
Ökonomie und Medizin
Korrektur geboten
Dr. Gerhard Hasse war 32 Jahre Chefarzt am Diakonissenkrankenhaus in Ei- senach und 1997 Ehrenpräsident des 100. Deutschen Ärztetags. Seine „Ge- danken eines recht alten – doch nicht zu alten – Krankenhauschirurgen“
schrieb er nieder „im Nachklang zum Chirurgenkongreß 1998 in Berlin“.
Foto: Archiv/Bernhard Eifrig