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Archiv "Das deutsche DRG-System: Die pauschale Geburt" (20.06.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 25

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20. Juni 2014 A 1121

KOMMENTAR

Alexandra Bruns, Vorstandsmitglied Geburt e.V. Schleswig-Holstein

Deutschland braucht Kinder. Wer wel- che bekommt, spürt die Solidarität der Gesellschaft. Wir geben Milliarden aus, um Anreize zu schaffen: für Kinderbe- treuung, Herdprämien, steuerliche För- derungen. Auf dem wichtigsten Sektor aber versagen wir: der Geburt.

Unser Finanzierungskonstrukt für die Krankenhäuser ist das G-DRG-Sys- tem. Jeder Diagnose wird ein Kosten- gewicht zugewiesen. Das nennt man Fallpauschalen. Multipliziert man das Kostengewicht mit dem Landesbasis- fallwert, ergibt das die Vergütung. Um

an eine Vergütung für einen Patienten zu kommen, benötigt die Klinik zuerst eine Hauptdiagnose. Umso mehr Ne- bendiagnosen, die im direkten Zusam- menhang mit der Hauptdiagnose ste- hen, also umso komplizierter der Fall, desto höher die Vergütung. Das Neuge- borene wird schon vor seiner Geburt zum Fall und somit zum Teil eines Wirt- schaftskreislaufs, der nicht auf Bedarf, sondern auf Ertrag ausgelegt ist.

Erst ab einer bestimmten Fallzahl sind die Betriebskosten zu erwirtschaf- ten. Wie hoch diese Zahl ist, wird von der Kalkulation bestimmt. Jährlich er- mittelt ein Institut, das InEK, über Durchschnittskosten die Kostengewich- te jeder Diagnose. An der Kalkulation teilnehmende Kliniken nennt man Kal- kulationspartner. In der Kalkulation stel- len die Perinatalzentren, die hochkom- plizierte Fälle, wie Frühchen betreuen, eine Zweidrittel-Mehrheit. Folge: Die Fallzahlen, die benötigt werden, um die Betriebskosten zu erwirtschaften, wer- den immer größer. Noch sind das 600 bis 800 Geburten im Jahr, dieser Wert dürfte auf mehr als 1 000 Geburten steigen. Einige abwertende Faktoren sind nicht beeinflussbar: Alle Betriebs- kostensteigerungen wirken erst mit zweijähriger Verzögerung. Der Fach- arztmangel führt zu einer Abwertung,

da die Kosten für eine unbesetzte Stel- le nicht eingebracht werden können.

So wirken alle unbesetzten Stellen bei Kalkulationspartnern mindernd.

Seit 2004 verringerte sich das Kos- tengewicht für eine komplikationslose vaginale Entbindung auf einer Beleg- station um 27 Prozent. Zu einer verant- wortungsvollen Begleitung durch Ge- setzgeber und Krankenkassen hätte ei- ne Plausibilitätsprüfung gehört. Wie de- finiert sich „leistungsgerechte Vergü- tung“ angesichts der prekären Lage der Geburtskliniken?

In der Geburtshilfe sind als Beson- derheit Mindeststandards zur Qualitäts- sicherung vorgegeben. Die daraus re- sultierenden Kosten werden nicht oder nur unzureichend vergütet. Der Betrei- ber muss unter anderem Kinderkran- kenschwester, Facharzt, Hebamme, OP-Team und Labor in vorgegebenen Zeiten einsatzbereit haben. Womit rechtfertigt sich die Tatsache, dass über die Pauschale eine wirtschaftlich notwendige Mindestzahl eingeführt wurde? Würden diese Qualitätsanfor- derungen als Grundsicherung unmittel- bar bezahlt werden – den Schließun- gen könnte Einhalt geboten werden.

Eine Geburt ist kein technischer Vor- gang. Die komplikationslose vaginale Entbindung sollte einen Anreiz für sich darstellen. Qualitätsmerkmal muss sein, dass eine Frau bei der Geburt die Zeit bekommt, die sie benötigt. Das im- pliziert eine Vergütungsverpflichtung für Personal zu 100 Prozent der Zeit. Das Kostengewicht für einen Kaiserschnitt darf nicht höher sein als für eine natür- liche Geburt.

Traumatisierte, insbesondere von sexueller Gewalt betroffene Frauen be- dürfen einer verlässlichen Betreuung.

Sie finden auf kleineren Stationen mit einer festen Hebamme, die ihre beson- deren Bedürfnisse kennt und schützt,

Bedingungen, die ihnen eine natürliche Geburt oft erst ermöglichen.

Eine Geburtshilfestation hat auf das gesamte Krankenhaus mittels Mindest- standards eine enorme Gütesteigerung in der interdisziplinären Versorgung.

Häufig hängt eine Kinderstation am Schicksal der Geburtshilfe, Labor und OP-Team sind in 24-Stunden-Bereit- schaft, und Gynäkologen stehen der Notfallambulanz zur Verfügung.

Seit Einführung des DRG-Systems schlossen mehr als hundert Kreißsäle, Trend anhaltend. Kleinere Geburtsklini-

ken können nicht auskömmlich wirt- schaften. Sie sind abgewirtschaftet und systematisch abgehängt. Die flächen- deckende Versorgung ist schon nicht mehr überall gegeben. Frauen werden zunehmend vor der Geburt ausgelagert – eine enorme Belastung für Familien und hoher psychischer Stress für die werdende Mutter.

40 Prozent aller Kliniken sind mitt- lerweile defizitär, darunter Universitäts- kliniken. Auch am zweiten Ast der dua- len Krankenhausfinanzierung, den In- vestitionen durch die Länder, wird durch Unterfinanzierung kräftig gesägt.

So müssen von den Fallpauschalen auch noch Investitionen bestritten wer- den. Die Kliniken befinden sich in einer Knechtschaft – und tragen zu diesem Umstand selbst bei. Als Kalkulations- partner erliegen sie der Illusion, Ein- fluss nehmen zu können. Aus der Knechtschaft ausbrechen wollen, hie- ße, die Kalkulationsvereinbarung kol- lektiv aufzukündigen.

Unsere Bemühungen, dem demo- grafischen Wandel zu trotzen, laufen ins Leere, wenn wir ein Gesundheitssystem aufrechterhalten, das den Ursprung, die Geburt eines Kindes, erschwert. Unser Grundrecht auf Unversehrtheit ist be- droht, wo unnötige Interventionen statt- fanden, bereits verletzt.

DAS DEUTSCHE DRG-SYSTEM

Die pauschale Geburt

P O L I T I K

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