DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
ÜBERSICHTSAUFSATZ
D
ie Hepatitis-B-Impfung ist nunmehr seit rund drei Jah- ren frei verfügbar. Ihrer wünschenswerten Verbreitung standen jedoch Sicherheitsbe- denken entgegen, die auch in die- ser Zeitschrift (4) kontrovers dis- kutiert wurden. Zu dem damaligen Zeitpunkt war es aufgrund der epidemiologischen Daten unab- weisbar geworden, daß das Roh- material für die Herstellung des Hepatitis-B-Impfstoffes (Blutplas- ma von Virusträgern) AIDS-Erre- ger enthalten würde. Da über die Natur der AIDS-Erreger noch nichts bekannt war, konnte man nicht mit letzter Sicherheit aus- schließen, daß diese Erreger in den fertigen Impfstoff gelangen würden. Bei der langen Inkuba- tionszeit des AIDS und der starken Zunahme der Fälle war auch die bis dahin beobachtete Unschäd- lichkeit der Hepatitis-B-Impfstoffe keine überzeugende Sicherheits- garantie für spätere Impfstoff- chargen. Immerhin war es sehr unwahrscheinlich, daß ein Krank- heitserreger die Inaktivierungs- maßnahmen bei der Impfstoffher- stellung überstehen würde, und daher war es vertretbar, die Imp- fung bei bestimmten Personen fortzusetzen. Es erschien jedoch ratsam, die Indikation sehr streng zu stellen und für alle nicht sodringenden Fälle abzuwarten, bis die Situation durch konkrete Be- funde zur Natur der AIDS-Erreger geklärt und eventuell entschärft werden konnte. Dies ist seit eini- gen Monaten der Fall.
Als AIDS-Erreger ist das Retrovi- rus HTLV-III identifiziert worden.
Retroviren werden durch physika- lische und chemische Inaktivie- rungsmaßnahmen sehr rasch zer- stört (1), so daß die Hepatitis-B- Impfstoffe auch nicht die gering- ste Spur davon enthalten sollten.
Es konnte auch in der seither ver- strichenen Zeit kein Fall von AIDS auf eine Hepatitis-B-Impfung zu- rückgeführt werden, und es wur- den bei von uns geimpften Perso- nen ohne AIDS-Risiko keine HTLV-III-Antikörper gefunden (wir danken Herrn Professor Huns- mann für die Bestimmung). Das Beispiel des AIDS zeigt allerdings auch, daß Präparate, die aus gro- ßen Pools menschlichen Plasmas hergestellt werden, immer wieder durch neu auftauchende Krank- heitserreger in Probleme geraten können, selbst wenn im Falle des Hepatitis-B-Impfstoffes das Risiko durch die anwendbaren Inaktivie- rungsmaßnahmen sehr viel gerin- ger ist als zum Beispiel bei den Gerinnungspräparaten. Völlig ent- fällt ein solches Risiko bei Hepati-
tis-B-Impfstoffen, die gentech- nisch in unbedenklichen Wirtszel- len, zum Beispiel in Hefe, herge- stellt wurden. Ein solcher Impf- stoff der Firma MSD befindet sich zur Zeit mit positiven Zwischener- gebnissen in der klinischen Erpro- bung. Da aber der Zeitpunkt der Zulassung noch offen ist, emp- fiehlt es sich nicht, diesen Impf- stoff abzuwarten, wenn ein nen- nenswertes Hepatitis-B-Risiko ab- gewendet werden muß.
Während die Sicherheit der Hepa- titis-B-Impfstoffe zur Zeit positiv bewertet werden muß, mehren sich die Befunde, daß die Schutz- rate und die Wirkungsdauer nicht ganz so gut sind, wie man ur- sprünglich angenommen hatte.
Dies gilt sowohl für die Vakzine von MSD/Behring (2) als auch für eine vom Nationalen Referenzla- bor Göttingen hergestellte Präpa- ration (5). Nicht nur bei immunolo- gisch beeinträchtigten Patienten, sondern auch bei gesundem me- dizinischem Personal entwickeln zahlreiche Personen auch nach der dritten Impfung keine ausrei- chenden Antikörpertiter (< 10 mE/m1 Anti-HBs). Bei einem weite- ren Teil geht der schützende Titer nach einigen Monaten wieder ver- loren. Verschiedene Studien hier- zu haben schwankende Ergebnis- se gebracht, jedoch muß nach un- serer Erfahrung der Anteil der gar nicht oder nur kurzfristig ge- schützten Impflinge auf minde- stens 10 Prozent, maximal 30 Pro- zent, geschätzt werden. Darüber
hinaus gibt es Einzelfälle, wo selbst Titer von 50 mE/m1 und mehr noch keinen Schutz vor aku- ter Hepatitis B garantieren (3).
Die bei einem Teil der Impflinge mangelhafte Immunogenität soll- te nicht dazu verleiten, auf die empfohlene Hepatitis-B-Impfung zu verzichten, da die Mehrzahl der Geimpften, den ursprünglichen Erwartungen gemäß, für mehrere Jahre geschützt ist. Um Klarheit über den Impferfolg zu erhalten, ist jedoch in jedem Falle eine quantitative Bestimmung des An- ti-HBs-Titers vier Wochen nach
Unschädlichkeit und Wirksamkeit der Hepatitis-B-Impfung
Reiner Thomssen und Wolfram Gerlich
Nationales Referenzlabor für die Virushepatitis Göttingen
Auf Grund vielfältiger Erfahrungen und neuer Erkenntnisse zum AIDS- Problem sollte sich jetzt niemand mehr durch Sicherheitsbedenken von einer Hepatitis-B-Impfung abhalten lassen. Der Impferfolg ist je- doch individuell sehr unterschiedlich und nur bei ca. 90% der Geimpf- ten ausreichend. Quantitative Anti-HBs-Titerbestimmungen erlauben Aussagen über die Schutzdauer und den Termin einer Auffrischung.
1868 (76) Heft 24 vom 12. Juni 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
Tabelle: Anti-HBs-Titer nach drei Hepatitis-B-Impfungen und Termin für eine Titerkon- trolle und eventuelle Wieder- impfung
anti-HBs*) Termin m E/m 1
< 100
< 300
< 1 000
< 3 000
< 10 000
< 30 000
< 100 000
< 100 000
sofortige 4. Impfung 6 Monate 1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre 4 Jahre 5 Jahre 6 Jahre
*) Auswertung von 228 Impflingen (5)
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Hepatitis-B-Impfung
der dritten Impfung angebracht.
Leider wird die Bestimmung des Anti-HBs, wenn überhaupt, meist nur qualitativ oder zu ungenau durchgeführt. Obwohl geeignete Testmethoden und Referenzprä- parate zur Verfügung stehen, wa- ren bei einem kürzlich zusammen mit Instand durchgeführten Ring- versuch nur 36 von 98 Labors in der Lage, einen Anti-HBs-Titer ge- nauer als mit einem Faktor 2 Ab- weichung zu bestimmen. Die Fachgesellschaften sollten hier auf Abhilfe drängen.
Falls .der Titer bei einem Impfling unter 100 mE/m1 liegt, sollte inner- halb der nächsten Monate eine vierte Impfung erfolgen, bei höhe- ren Werten sollte eine Wiederho- lungsuntersuchung nach den in der Tabelle angegebenen Zeiten vorgesehen werden, bevor über eine Auffrischimpfung entschie- den wird. Vierfach geimpfte Per- sonen ohne ausreichenden Titer können mit dem gegenwärtigen Impfstoff wohl nicht geschützt werden und sollten möglichst kei- nem vermeidbaren Hepatitis-B-Ri- siko ausgesetzt werden. Nach so- fort erkannter Inokulation (Nadel- stich, Intimkontakt oder ähn- liches) sollten solche Impflinge rechtzeitig mit Hepatitis-B-Im- munglobulin behandelt werden.
Eine bessere Schutzwirkung ist von der gentechnisch hergestell- ten Vakzine aus Hefe nicht unbe- dingt zu erwarten, da ihre Anti-
genzusammensetzung praktisch der herkömmlicher Impfstoffe gleicht. Neuerdings wurden ne- ben dem HBsAg der bisherigen Impfstoffe die Prä-S-Genprodukte des Hepatitis-B-Virus als mög- liche schützende Antigene er- kannt. Auch das virale e-Antigen eignet sich möglicherweise als Impfstoff. Es kann heute sehr effi- zient in Bakterien hergestellt wer- den. Ob und wann diese neuen Impfstoffkonzepte verfügbar wer- den, muß man abwarten. Bis da- hin sollten alle Personen, die mit einem Hepatitis-B-Risiko leben müssen, nicht zögern, sich mit den verfügbaren Impfstoffen imp- fen zu lassen, danach aber in je- dem Falle den Impferfolg quanti- tativ kontrollieren.
Bei allen Personen, die seit länge- rem einem Hepatitis-B-Risiko, zum Beispiel durch ihre beruf- liche Tätigkeit, ausgesetzt waren, ist außerdem eine Voruntersu- chung auf bereits vorhandene na- türliche Immunität zu fordern. Da- bei sollte zunächst das Blut auf Anti-HBc untersucht werden und, falls Anti-HBc vorliegt, auch auf Anti-HBs. Nur wenn beide Antikör- per vorhanden sind, muß nicht geimpft werden.
Literatur
(1) Centers for Disease Control: Hepatitis B
Vaccine: Evidence confirming lack of AIDS transmission MMWR (Morbility and Mortality Weekly Report) 33 (1984) 685-686 — (2) Jilg, W.; Schmidt, M.; Zachoval, R.; Deinhardt, F.:
Persistenz von Antikörpern gegen Hepatitis-B- Oberflächenantigenen nach Impfung gegen Hepatitis B. Dtsch. Med. Wschr. 110 (1985) 205-209 — (3) Stevens, C. E., et al.: Hepatitis B Vaccine in patients receiving hemodialysis.
New Engl. J. Med. 311 (1984) 496-501 — (4) Thomssen, R.; Gerlich, W. H.: Hepatitis B:
Schutzimpfung ohne Risiko? DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80, Heft 44 (1983) 37-40 — (5) Thomssen, R.; Ritter, S.; Gerlich, W. H.: Ergeb- nisse der aktiven Immunisierung mit Hepatitis- B-Vaccine des Nat. Referenzzentrums für die Virushepatitis. Probleme der Vor- und Nach- untersuchung. In: Tittor, W.; Schwalbach, G., Hrsg.: Die Leber bei extrahepatischen Erkran- kungen und Stoffwechselleiden (249-264). De- meter Verlag, Gräfelfing (1984)
Anschrift der Verfasser:
Professor
Dr. med. Reiner Thomssen Professor
Dr. rer. nat. Wolfram Gerlich Abteilung Mediz. Mikrobiologie Zentrum für Hygiene und Humangenetik der Universität Kreuzbergring 57
3400 Göttingen
FÜR SIE GELESEN
Chilli bei
Ulcus duodeni erlaubt?
Eine alte, offenbar für Pakistan gedachte Diät- und Lebensregel für Ulcus duodeni-Patienten aus Großbritannien lautet: no hurry, no worry, no curry. Über den Ein- fluß von Gewürzen auf die Magen- sekretion sind insbesondere von der Arbeitsgruppe um Demling eingehende Untersuchungen vor-
gelegt worden, die zeigen, daß al- lenfalls scharfer Senf die Magen- sekretion anzuregen vermag. Un- tersucht wurde der Einfluß von 3 Gramm rotem Chillipuder, wie er in Indien häufig konsumiert wird, auf die Heilung von Ulcera duo- deni, wobei die Ulkuspatienten sechs mal am Tag je 15 ml eines Antazidums einnahmen. Während in früheren Studien direkt über ei- ne Magensonde in den nüchter- nen Magen instilliertes Chillige-
würz zu Mucosaschädigungen führte, ergab sich in der vorlie- genden Untersuchung kein Ein- fluß auf die Ulkusheilung. Die Au- toren schließen daraus, daß Ul- kuspatienten ruhig ihre gewohnte Nahrung zu sich nehmen sollten, da eine blande Kost offensichtlich keine Vorteile bietet.
Kumar, N., J. C. Vij, S. K. Sarin, B. S. Anand: Do chillies influence healing of duodenal ulcer?
Brit. med. J. 288:1728 (1984). Department of Gastroenterology, G. B. Pant Hospital, New Delhi 2, Indien
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 24 vom 12. Juni 1985 (79) 1869