Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 42⏐⏐20. Oktober 2006 [87]
B E R U F
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b in Klinik oder Praxis – Ziel sollte es sein, ein Arbeitskli- ma zu schaffen, in dem Kritik nicht als Angriff auf Personen angesehen wird, sondern als Feedback, durch das sich Menschen und Institution weiterentwickeln. Von den Ärzten wird ein kreativer Umgang mit Kri- tik erwartet. Dies gilt besonders für Mitarbeiter, die in Führungsverant- wortung hineinwachsen sollen.Entscheidend ist, wie die Kritik geäußert wird. Nach dem Konzept der „produktiven Kritik“ wird Kritik als „produktiv“ angesehen, wenn sie
> aktiv planend ist. Sie soll pro- blemlösend wirken und einen Ist- Zustand einem bestimmten Soll-Zu- stand annähern.
> die Selbstachtung des Kriti- sierten schützt. Das Selbstwertge- fühl des kritisierten Menschen darf nicht verletzt werden. Abstrafendes Abkanzeln vor Patienten oder Kol- legen ist zu vermeiden. Das Kri- tikgespräch muss unter vier Augen stattfinden und im „sachlichen Fahrwasser“ bleiben.
> in die Zukunft gerichtete Ver- besserungen und Problemlösungen in Gang setzen will. Es geht nicht um das „Herumreiten“ auf der Ver- gangenheit, sondern die Ermittlung der Gründe, die zu dem kritisierten Verhalten geführt haben. Diese Gründe sollen abgestellt werden.
> interaktiv angelegt ist. Der Kritisierte muss Gelegenheit erhal- ten, sich in einem offenen Dialog ar- gumentativ wehren zu können.
> Hilfestellung bieten will. Dem Kritisierten soll geholfen werden, seine Aufgaben besser zu erfüllen.
Kommunikatives Instrument der produktiven Kritik ist die Frage:
Kritik wird nicht mit anklagendem Zeigefinger geäußert, sondern in Frageform vorgetragen Die kriti- sierte Person soll in den Problemlö- sungsprozess integriert werden –
mit dem Ziel, dass sie von sich aus zur Einsicht gelangt und das kriti- sierte Verhalten abstellt.
Bei dem Konzept der „produkti- ven Kritik“ handelt es sich um ein Ideal, das für den Arzt ein Gerüst für den angemessenen Umgang mit Kritik sein kann. Wird er produktiv kritisiert, versteht sich seine Reakti- on von selbst. Er weiß, dass der Vor- gesetzte ihn mit der Kritik unterstüt- zen will und lässt sich darum auf den Kritikprozess ein, indem er zum Beispiel daran mitarbeitet, eine Lö- sung herbeizuführen. Konfrontiert der Vorgesetzte den Arzt hingegen mit unangebrachten negativen Wer- tungen, bietet ihm das Kritikkon- zept Hinweise, wie er darauf ant- worten kann. Er kontert den unsach- gemäßen Angriff mit dem Hinweis, er wolle sich gerne auf eine Diskus- sion einlassen – sobald der Vorge- setzte bereit sei, sie zu versachli- chen. Zudem betont er, gerne über den inhaltlichen Aspekt sprechen zu wollen. Er verbittet sich jedoch per- sönliche Angriffe auf der Bezie- hungsebene. Dieser Standpunkt kann dem Arzt kaum als renitentes Verhalten ausgelegt werden. Im Ge- genteil: Er sammelt Pluspunkte, in- dem er Kritikkompetenz beweist und zeigt, dass er willens ist, sich kritisieren zu lassen.
Warum fällt es Menschen so schwer, angemessen zu kritisieren und mit Kritik positiv umzugehen?
Anscheinend ist unsere Kultur vor- nehmlich auf das Negative fixiert, das Positive hingegen hat es schwer.
Das ist schon an dem Begriff „Kri- tik“ zu beobachten, der zumeist un- ter dem Aspekt der „negativen Kri- tik“ diskutiert wird. Dabei ist er zunächst einmal wertneutral zu ver- stehen, leitet er sich doch von dem griechischen Adjektiv kritikós ab und meint „zur entscheidenden Be- urteilung gehörig“.
Kritik ist ein Problem, weil ein Mensch den anderen wertend an- spricht. Dann spielen Sympathie, hierarchische Machtverhältnisse und die bisherige menschliche Bezie- hung zwischen Kritisierendem und Kritisiertem eine Rolle. Zu beachten ist daher, wer wen kritisiert. Ein spe- zieller Problembereich dabei ist die Kritik, die der Arzt an seinem Vor- gesetzten oder an Kollegen äußert.
Ist dies überhaupt opportun für ei- nen jungen Klinikarzt? Als Arzt, von dem erwartet wird, dass er aktiv als mündiger Mitarbeiter die Ge- schicke und Entwicklung der Praxis oder der Klinik mitbestimmt, ist er zur Kritik berechtigt. Es kommt im- mer auf das „Wie“ an.
Der Arzt sollte sich fragen, wel- che Einstellung der Vorgesetzte oder Kollege zur Kritik hat. Be- trachtet er sie primär als Quelle von Verbesserungsvorschlägen oder als Versuch, ihn bloßzustellen? Wenn etwa der Chef offen und flexibel auf Mitarbeitervorschläge eingeht, ist es wahrscheinlich, dass er auch Kri- tik an der eigenen Person positiv
verarbeitet. Ist er hingegen ein Kommunikationsmuffel und hält gerne am Status quo fest, wird sie eher auf unfruchtbaren Boden fal- len. Mit ehrlichem Lob und begrün- deter Anerkennung der Leistungen von Chef und Kollegen bereitet der Arzt den Boden für Kritik, die ange- nommen wird. Sie muss stichhaltig und begründet vorgetragen werden, und darum sollte er sie mit Fakten und Tatsachen belegen und jede Schuldzuweisung vermeiden. I Karin und Michael Letter E-Mail: info@5medical-management.de
KARRIEREFAKTOR KRITIKVERHALTEN