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Archiv "Kinderkrebs und Atomkraft: Streit um Kausalzusammenhang" (16.05.2008)

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A1052 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2016. Mai 2008

M E D I Z I N R E P O R T

D

er Streit um die Ende 2007 publizierte Mainzer Kinder- krebsstudie, die an 16 Standorten der insgesamt 22 Atomkraftwerke in Deutschland nach einem höheren Krebsrisiko für Kleinkinder forsch- te, erreicht jetzt einen neuen Höhe- punkt. Anlass ist eine Qualitätsprü- fung, die drei Gutachter im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) vorgenommen haben. In dem Papier kritisieren sie nicht die Me- thodik der KiKK-Studie (Epidemio- logische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwer- ken), sondern vielmehr die Interpre- tation der Ergebnisse. Ein Gutachter spricht gar von einer Verharmlosung der möglichen Gefahren.

In einer Stellungnahme vom 21. April 2008 sieht auch das BfS nach Lektüre des Gutachtens „einen starken Hinweis auf einen ursächli- chen Zusammenhang zwischen dem Wohnen in der Nähe von Kernkraft- werken und dem Risiko von unter fünf Jahre alten Kindern, an Krebs und Leukämie zu erkranken“, der allerdings durch die Studie nicht bewiesen sei. Strahlung könne je- doch nicht als Verursacher ausge- schlossen werden.

Die Autoren der KiKK-Studie dagegen bezweifeln – heute wie auch bereits im Dezember 2007– ei- nen kausalen Zusammenhang zwi- schen den Krebserkrankungen und den Emissionen der Kernkraftwerke und weisen die Vorwürfe zurück. In einer Stellungnahme vom 14. April stellen sie fest, „dass die beobachte- te Entfernungsabhängigkeit nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht durch die Emissionen der Kernkraftwerke zu erklären ist“.

Einig sind sich alle Beteiligten lediglich, dass es einen Zusammen- hang zwischen der Nähe der Woh-

nung zum nächstgelegenen Kern- kraftwerk und dem Erkrankungs- risiko für Kinder vor dem sechsten Lebensjahr gibt. Daran lassen die Ergebnisse der Studie offenbar keinen Zweifel: Im Zeitraum von 1980 bis 2003 erkrankten 77 kleine Kinder, die innerhalb eines Fünf- kilometerradius um ein Atomkraft- werk (AKW) lebten, an Krebs – davon 37 an Leukämie. Statistisch zu erwarten gewesen wären 48 Krebs- beziehungsweise 17 Leuk- ämiefälle.

Das Kinderkrebsregister berech- nete anhand der Daten innerhalb des Fünfkilomterradius um ein AKW ein attributables Risiko von 0,2 (Krebs) beziehungsweise 0,3 Pro- zent (Untergruppe Leukämie). Das heißt, in dem untersuchten Zeitraum

wären 29 der 13 373 Kinderkrebs- fälle dem Wohnen in der Nähe ei- nes AKW zuzuschreiben (DÄ, Heft 50/2007). Über die Kausalität wird seit Monaten jedoch gestritten.

Im Auftrag des BfS überprüfen Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel (Essen), Prof. Dr. med. Eberhard Greiser (Bremen) und Prof. Dr.

med. Wolfgang Hoffmann (Greifs- wald) die Ergebnisse der KiKK-Stu- die. Ihr Fazit: Von den Autoren wer- de das Attributivrisiko unterschätzt.

Auch das BfS erachtet es in seiner jüngsten Stellungnahme als notwen- dig, die Attributivrisiken – sie wer- den als zusätzliche Krebsneuerkran- kungen in absoluten Zahlen aus- gedrückt – für die gesamte Studien- region auszuweisen, in der eine Ri- sikoerhöhung beobachtet wurde; al- so für einen Umkreis bis zu 50 Ki- lometern. Sinnvoll ergänzt werden könne dies durch die Angabe von Attributivrisiken im Fünfkilometer- umkreis.

Prof. Greiser (Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen) wirft der Leite- rin der KiKK-Studie, Prof. Dr. med.

Maria Blettner (Institut für Biome- trie, Epidemiologie und Informa- tik/IMBI, Mainz), bereits seit Mo- naten „Schönrechnerei“ vor. Die Daten der Studie seien zwar belast- bar; es werde allerdings nicht alles an die Öffentlichkeit transportiert, sagte er bei einer Veranstaltung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW in Berlin. Nicht die Zahl der zusätzlichen Krebsfälle sei die zentrale Fragestellung der Studie gewesen. Es sei deshalb unseriös, wenn Blettner nur auf die kleine Zahl von Fällen in der Fünfkilometer- zone abhebe.

„Wenn man schon über Zahlen spricht, dann haben wir es im gesam- ten Studiengebiet nicht mit 29, son- KINDERKREBS UND ATOMKRAFT

Streit um Kausalzusammenhang

Stellungnahme steht gegen Stellungnahme: Die Studie des Kinderkrebsregisters vom

Dezember 2007 fand in der Nähe von Atomkraftwerken ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen bei kleinen Kindern. Über die Interpretation der Ergebnisse sind sich die Experten nicht einig.

Das Kernkraft- werk Neckar- westheim und ein Neubaugebiet liegen in enger Nachbarschaft.

Foto:ddp

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2016. Mai 2008 A1053

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dern mit 121 bis 275 zusätzlichen Krebsfällen im Umkreis von 50 Ki- lometern um die Kernkraftwerke zu tun. Das sind acht bis 18 Prozent al- ler Krebserkrankungen bei Kindern bis zu fünf Jahren im Studiengebiet.

Wir sprechen hier also über eine nennenswerte Quote der Krebsfälle bei Kleinkindern“, sagte Greiser.

Bevölkerungsdosis ist unklar Ein weiteres unbestrittenes Ergebnis der Studie ist eine signifikante Ab- standsabhängigkeit des Risikos. Das heißt, das Krebsrisiko nimmt signi- fikant zu, je näher die Kinder an ei- nem AKW wohnen. Mögliche an- dere Einflussfaktoren (Confounder), wie beispielsweise ein erhöhter Pes- tizidverbrauch in diesen Gebieten, konnten durch eine zusätzliche Fall- kontrollstudie ausgeschlossen wer- den. Die Autoren der Studien halten die Emissionen der AKW allerdings für zu gering, um damit die Kinder- krebsfälle kausal zu erklären.

Nach Auffassung von Prof. Dr.

rer. nat. Inge Schmitz-Feuerhake (Bremen) setzen Atomanlagen je- doch mehr Radioaktivität frei, als offiziell angegeben wird. Ungeneh- migte Freisetzungen spiegelten sich beispielsweise darin wider, dass man bei Kindern in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel si- gnifikant mehr dizentrische Chro- mosomen im Blut gefunden habe als bei nicht exponierten Kindern. „Sie sind ein spezifischer Indikator für Strahlenschäden“, betonte Schmitz- Feuerhake. Das Argument, die Do- sis sei zu klein, um den beobachte- ten Effekt hervorzurufen, sei nicht stichhaltig, da die Bevölkerungs- dosis bei radioaktiven Stoffen sehr schwierig zu bestimmen sei. Da sie nicht direkt gemessen werden kön- ne, müsse sie anhand von Modell- rechnungen aus den gemessenen Emissionen über den Weg von Atemluft, Nahrung und Trinkwasser simuliert werden. Auch der Fehler- bereich der Dosis könne nicht ange- geben werden.

Ähnlicher Ansicht ist Prof. Dr.

rer. nat. Sebastian Pflugbeil: „Die Forscher vom Mainzer Kinderkrebs- register stellten fest, dass lediglich der Abstand zu den Atomkraftwer- ken signifikante Ergebnisse lieferte“,

betonte der Präsident der Gesell- schaft für Strahlenschutz und eben- falls Mitglied der Expertenkommis- sion. „Damit liegt der Schluss nahe, dass die Ursache der erhöhten Krebs- raten in den radioaktiven Emissionen aus den AKW zu suchen ist.“

Kritik üben die jetzt vom BfS be- stellten drei Gutachter ferner an der Kooperationsbereitschaft des Kin- derkrebsregisters mit dem studien- begleitenden Expertengremium und empfehlen eine erneute Überprü- fung der Studie. Diese Empfehlung wird vom BfS unterstützt. „Die Durchführung eines umfassenden Audits und einer Zweitrechnung befürworten wir uneingeschränkt“, sagte ein Sprecher des BfS gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt.

Aufgrund der kritisierten geringen Bereitschaft der Autoren zur Zu- sammenarbeit mit dem Experten- gremium und mit vom BfS beauf- tragten Experten habe das Audit jedoch bisher nicht realisiert wer- den können. Das BfS hat daher dem Bundesumweltministerium empfoh- len, dies nachholen zu lassen.

Den Vorwurf, ein nachträgliches Audit verweigert zu haben, weist das Kinderkrebsregister indes strikt zurück. Nie sei ein Termin für ein zusätzliches Audit durch das BfS bestätigt worden. Nicht zuletzt sei es wegen des intransparenten Ver- haltens des BfS bisher nicht zustan- de gekommen. Auch den Vorwurf mangelnder Kommunikation ent- kräften die Autoren der Studie: „In einer frühen Phase des Projekts war ausdrücklich vereinbart worden, dass die Studiengruppe und das Exper- tengremium nicht direkt miteinan- der kommunizieren dürften, son- dern nur über das BfS“, heißt es in der jüngsten Stellungnahme des Kinderkrebsregisters.

Auf fehlende Strahlendosen für Kinder weisen die Gutachter in der Qualitätssicherung hin. Für die Ab- schätzung der Strahlendosis für Leukämien dürften nicht einfach die Werte für Erwachsene zugrunde ge- legt werden, meint Gutachter Hoff- mann. Die Unsicherheiten der Do- sisbestimmung könnten besonders bei kleinen Kindern mehrere Zeh- nerpotenzen betragen. Unklar sei auch noch, zu welchen Schäden vor-

geburtliche Bestrahlung beim Em- bryo führe. Ein erhöhtes Krebsrisiko sei zudem auch durch die Bestrah- lung der Eltern vor der Konzeption denkbar. „Die Autoren der Studie unterschätzen dies drastisch bei ihrer Interpretation“, so Hoffmann.

Sofortmaßnahmen zur Verhinde- rung weiterer Kinderkrebserkran- kungen im Umfeld deutscher AKW, wie beispielsweise die Finanzierung des Umzugs von Familien und Schwangeren in eine andere Region, fordern der Bund für Umwelt und Naturschutz, die atomkritische Ärz- teorganisation IPPNW sowie eine In- itiative von mehr als 100 Pädiatern.

„Angesichts des Nachweises eines erhöhten Kinderkrebsrisikos in der Umgebung der Atomkraftwerke muss das Bundesumweltministerium jetzt endlich handeln“, sagte die IPPNW-Vorsitzende, Dr. med. Ange- lika Claußen, gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt. „Wie auch im Qua- litätsbericht gefordert, muss über- prüft werden, ob die existierenden strahlenbiologischen Modelle der hochgradigen Strahlensensibilität von Embryonen, Feten, Säuglingen und Kleinkindern gerecht werden.“

Amtliche Messungen gefordert Außerdem sollten in Zukunft die AKW-Emissionsmessungen nicht mehr von den Betreibern, sondern von amtlichen Kontrollbehörden durchgeführt werden. Im Sinne des europa- und verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatzes der Risiko- vorsorge fordert die Ärzteorganisa- tion die Bundesregierung auf, sich jetzt eindeutig gegen eine Laufzeit- verlängerung der deutschen Atom- kraftwerke auszusprechen.

Diese Forderung scheint jedoch (gerade angesichts der bevorstehen- den Wahlen) nicht auf viel Zuspruch zu treffen. Politische Unterstützung kommt bisher vonseiten der Linken und der Grünen. Sie fordern die be- schleunigte Abschaltung der ältes- ten Atomkraftwerke. Union und FDP warnten im Dezember hinge- gen davor, die Studie überzubewer- ten. Ergebnisse einer erneuten Überprüfung der KiKK-Studie sol- len dem Vernehmen nach im Okto-

ber vorliegen. I

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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