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Archiv "Weiterbildung Allgemeinmedizin: Diskriminierung deutscher Ärztinnen" (22.02.2002)

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er Deutsche Ärztetag hat 1992 für die deutschen Ärztinnen und Ärz- te eine dreijährige Weiterbildung in der Allgemeinmedizin, gekoppelt mit der Pflicht zur Teilnahme an Kursen von mindestens 240 Stunden Dauer, einge- führt. Die Landesärztekammern über- nahmen sie von 1993 bis 1998 in ihre Weiterbildungsordnungen. An den Kur- sen nehmen heute mehrheitlich Ärztin- nen teil, die aufgrund von Übergangsbe- stimmungen die dreijährige Weiterbil- dung und die Kurse auch noch im Jahr 2010 und später abschließen können.

Durch das GKV-Gesundheitsreformge- setz 2000 wurde die Eintragung in das Arztregister der Kassenärztlichen Verei- nigung ab dem 1. Januar 2006 von dem erfolgreichen Abschluss einer allge- meinmedizinischen Weiterbildung mit der Befugnis zum Führen einer entspre- chenden Gebietsbezeichnung abhängig gemacht (§ 95 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V).

Ferner wurde der Nachweis dieser Wei- terbildung an eine mindestens fünfjähri- ge erfolgreiche Weiterbildung in der All- gemeinmedizin geknüpft (§ 95 a Abs. 2 und 3 SGB V in der ab dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung). Insbesondere unter den angehenden Allgemeinärztin- nen hat diese ab dem 1. Januar 2000 ein- geführte Neuregelung eine große und berechtigte Unruhe ausgelöst. Sie fühlen sich hierdurch diskriminiert.

EG-Richtlinie Allgemeinmedizin

Gemäß „Richtlinie über eine spezifi- sche Ausbildung in der Allgemeinme- dizin“ (86/457/EWG) in der Fassung der EG-Freizügigkeits- und Anerken- nungsrichtlinie 93/16/EWG wurde je- der Mitgliedsstaat zur Verbesserung der allgemeinmedizinischen Ausbildung verpflichtet, bis zum 1. Januar 1990 eine zweijährige Ausbildung in Allgemein-

medizin nach sechsjährigem Studium mit dem Diplom „Praktischer Arzt“

einzuführen. Außerdem wurde jeder Mitgliedsstaat verpflichtet, diese zwei- jährige Ausbildung ab dem 1. Januar 1995 als Zugangsvoraussetzung für eine Tätigkeit als „Praktischer Arzt“ im So- zialversicherungssystem des jeweiligen Mitgliedsstaates auszugestalten. Diese Verpflichtung setzten die Bundesländer durch Ausführungsgesetze zur EG- Richtlinie um. Diese Gesetze sind bis heute in Kraft. Die Ärztekammern müssen jedem Arzt ein Zeugnis zum Führen der Bezeichnung „Praktischer Arzt“ zu erteilen, wenn er nach Ab- schluss des Studiums eine zweijährige praktische Ausbildung in Krankenhäu- sern, bei Vertragsärzten oder anderen ärztlich geleiteten Einrichtungen absol- viert hat. Dies führt zur vollen Migrati- onsfähigkeit innerhalb der Europäi- schen Union (EU). Die zweijährige Ausbildung in der Allgemeinmedizin

wird ab 1. Januar 2007 europarechtlich der Vergangenheit angehören und durch eine dreijährige Ausbildung ab- gelöst werden (Richtlinie 2001/19/EG).

Die Ausführungsgesetze dazu müssen bis zum 31. Dezember 2002 geändert werden.

Wer sich in Deutschland heute nie- derlassen und Versicherte der gesetzli- chen Krankenkassen behandeln möch- te, benötigt hierfür, wenn er Bürger der EU, aber kein deutscher Staatsange- höriger ist, die europarechtliche Aner- kennung als „Praktischer Arzt“ (§ 95 a Abs. 5 SGB V). Deutsche Staatsan- gehörige müssen seit dem 1. Januar 1996 für die Eintragung in das Arztregi- ster und die Zulassung den Abschluss einer mindestens dreijährigen erfolgrei- chen allgemeinmedizinischen Weiter- bildung mit der Befugnis zum Führen der Fachgebietsbezeichnung „Allge- meinmedizin“ nachweisen (§ 95 a Abs.

1 bis 3 SGB V i.V.m. Art. 33, § 2 GSG T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 8½½½½22. Februar 2002 AA483

Weiterbildung Allgemeinmedizin

Diskriminierung deutscher Ärztinnen

Insbesondere unter den angehenden Allgemeinärztinnen hat die zum

1. Januar 2000 wirksam gewordene Neuregelung der Weiterbildung Unruhe ausgelöst.

Ab 2006 ist für die Eintragung ins Arztregister eine fünfjährige Weiterbildung in der Allgemeinmedi- zin erforderlich. Vor allem Allgemeinärztinnen fühlen sich dadurch diskriminiert.

Foto: Peter Wirtz

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1993). Der Bundesgesetzgeber begrün- dete diese so genannte direkte Inländer- diskriminierung damit, dass die allge- meinmedizinische Qualifikation durch eine dreijährige Weiterbildung verbes- sert werden solle. Es sei unstreitig, dass die spezifischen Kenntnisse der Allge- meinmedizin keinesfalls in einem Zeit- raum unterhalb von drei Jahren erlernt werden könnten (Amtliche Begrün- dung zu § 95 a SGB V).

Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 entschieden, dass der Bundesge- setzgeber die Gesetzgebungskompe- tenz dafür besitzt, die vertragsärztliche Versorgung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Versorgungsbe- reich zu gliedern (§ 73 SGB V), da eine solche Regelung der Sache nach zum Recht der Gesetzlichen Krankenversi- cherung gehört (Urteil vom 17. 6. 1999, 1 BvR 2507/97).

Die unterschiedliche Behandlung von Unionsbürgern und deutschen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen Art. 12 EG-Vertrag. Das EG-Recht stelle nur einen Mindeststandard dar.

Es sei jedem Mitgliedsstaat unbenom- men, für seine Staatsangehörigen schär- fere Qualifikationsanforderungen zu stellen (EuGH 175/78-Slg 179, 1129, BSGE 65, S. 89 ff.). Ebenso wenig ver- stoße die Regelung gegen den Gleich- heitsgrundsatz und das allgemeine Grundrecht auf Berufsfreiheit.

Das Zulassungsrecht ab 2006

Die Neuregelung in Art. 1 Nr. 40 sowie in Art. 15 des GKV-Gesundheitsre- formgesetzes 2000, wonach ab dem 1.

Januar 2006 für die Eintragung in das Arztregister eine mindestens fünfjähri- ge Weiterbildung in der Allgemeinme- dizin gefordert wird, ist verfassungswid- rig.

Dem Bundesgesetzgeber fehlt für die getroffenen Regelungen die Gesetz- gebungskompetenz. Zwar hat sie das Bundesverfassungsgericht in seinem er- wähnten Beschluss bejaht. Die Neure- gelung führt andererseits dazu, dass es aufgrund der in den Weiterbildungsord- nungen der Bundesländer bestehenden Übergangsbestimmungen ab 2006 Ärz- tinnen/Ärzte geben wird, denen eine Ärztekammer nach dreijähriger struk-

turierter Weiterbildungszeit ein staatli- ches Facharztdiplom ausgestellt hat.

Wer als Allgemeinärztin eine Weiterbil- dungsurkunde der Ärztekammer nach dreijähriger Weiterbildungszeit und Prüfung in Händen hält, hat seine Wei- terbildung abgeschlossen und kann eine Weiterbildung im Gebiet der Allge- meinmedizin nicht erneut beginnen.

Der für die Sozialversicherung zu- ständige Bundesgesetzgeber hat sich daher in unzulässiger Weise der den Ländern gemäß Art. 70 Abs. 1 GG zu- stehenden Gesetzgebungskompetenz für das Facharztwesen bemächtigt.

Europarechtlich verstößt die Neure- gelung gegen den Grundsatz der umge- kehrten Diskriminierung, der Inländer- diskriminierung. Denn im deutschen Recht wie im EG-Recht gilt der Grund- satz der Verhältnismäßigkeit. Zwar ist es gerade im Bereich der Niederlas- sungsfreiheit (vergleiche Art. 43 EGV) jedem Mitgliedsstaat unbenommen, für seine Staatsangehörigen schärfere Qua- lifikationsanforderungen zu stellen.

Anerkannt ist aber, dass jeder Mit- gliedsstaat, der von seinen Staatsan- gehörigen – wie in Deutschland – eine höhere Qualität fordert, dafür einen sachlichen Grund haben und die Rege- lung verhältnismäßig sein muss (Epi- ney, Umgekehrte Diskriminierung, 1995, S. 280 ff.).

In der Allgemeinmedizin ist europa- weit jeder Unionsbürger bis zum 31.

Dezember 2006 migrationsfähig, wenn er eine zweijährige spezifische Ausbil- dung in der Allgemeinmedizin absol- viert hat. Der deutsche Gesetzgeber fordert für seine Staatsangehörigen demgegenüber ab dem 1. Januar 2006 eine diese Zeit um das eineinhalbfache überschreitende Weiterbildungszeit. In seiner Gesetzesbegründung teilt er le- diglich mit, dass die Weiterbildungszeit in der Allgemeinmedizin aufgrund von Vorschlägen im „Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinmedizini- schen Versorgung“ mittlerweile auf fünf Jahre erhöht worden ist. Er geht deshalb davon aus, „dass ab dem Jahr 2006 die die Niederlassung anstreben- den Allgemeinärzte diese Anforderung erfüllen“. Das Initiativprogramm ist aber ein Notprogramm, um kurzfristig dem Ausscheiden von Hausärzten aus der vertragsärztlichen Versorgung zu

begegnen und langfristig ein Niederlas- sungsverhältnis zwischen Haus- und Fachärzten von 60 : 40 abzusichern. Von Qualitätsüberlegungen ist im Initiativ- programm nur noch marginal und in der Gesetzesbegründung 2000 gar nicht die Rede. Die sozialgesetzliche Neure- gelung ab dem 1. Januar 2006 ist daher in keiner Weise erforderlich, das gesetz- geberische Ziel zu erreichen, denn das Initiativprogramm lässt den Abschluss der dreijährigen Weiterbildungen in der Allgemeinmedizin unberührt.

Freiheit der Berufswahl

§ 95 a Abs. 2 + 3 SGB V und § 3 Abs. 3 + 4 Ärzte-ZV in der ab 2006 geltenden Fassung verstoßen ferner gegen Art. 12 des Grundgesetzes. Die Forderung nach einer fünfjährigen allgemeinmedi- zinischen Weiterbildungszeit ab dem 1.

Januar 2006 ist eine Berufsausübungs- regelung mit Auswirkung auf die Frei- heit der Berufswahl, da dies eine erheb- liche subjektive Zulassungsvorausset- zung darstellt. Sie ist nur verfassungs- gemäß, wenn der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter sie erfor- dert. Dies ist zu verneinen, denn der deutsche Gesetzgeber hat, wenn das Jahr 2006 angebrochen ist, 13 Jahre lang die Auffassung vertreten, eine dreijährige Weiterbildung in der Allge- meinmedizin sei als Zulassungsvoraus- setzung für eine Vertragsärztin unver- zichtbar, aber auch für ihre vielschichti- gen allgemein-medizinischen Aufgaben gemäß § 73 Abs. 1 SGB V ausreichend.

Derselben Auffassung ist die Europäi- sche Union ab dem 1. Januar 2007. Für den Schutz der wichtigen Gemein- schaftsgüter der Volksgesundheit und der Sicherung der finanziellen Stabilität der Gesetzlichen Krankenversicherung reicht daher die von der Ärztekammer erteilte Weiterbildungsanerkennung in Allgemeinmedizin nach dreijähriger Weiterbildungszeit mit Prüfung aus.

Die nachgewiesene schwerwiegende Diskriminierung gerade von deutschen Allgemeinärztinnen muss durch Ände- rung der genannten gesetzlichen Rege- lungen beseitigt werden.

Prof. Dr. iur. Hans Kamps

Geschäftsführer der Bezirksärztekammer Südwürttemberg Haldenhaustraße 11, 72770 Reutlingen

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A484 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 8½½½½22. Februar 2002

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