Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 186. Mai 2005 AA1237
S E I T E E I N S
D
ie Vorwürfe hatten es in sich: Die auf Bundesebene Verantwortli- chen des Marburger Bundes (MB) hätten für den öffentlichen Dienst ei- ne Tarifeinigung akzeptiert und spä- ter gar als Erfolg verkauft, die zu deutlichen Gehaltskürzungen bei den Klinikärzten führe, hieß es bei der 107. MB-Hauptversammlung in Ber- lin. Dabei stellten die Kritiker auch ver.dis Verhandlungsvollmacht für den MB in Tarifverhandlungen infra- ge. „ver.di betreibt eine Klientelpoli- tik, die auf Umverteilung abzielt. Die Belange der Ärzte kommen zu kurz“, hatte Dr. med. Theo Windhorst, MB- Bezirksvorstand Bielefeld, dem DÄ im Vorfeld des Treffens gesagt.Zum Bruch mit ver.di kam es am letzten Wochenende jedoch (noch) nicht. Dies könnte aber am 25. Sep- tember geschehen, wenn die Dele- gierten auf der vorgezogenen 108.
Hauptversammlung entscheiden, ob der MB den dann bis ins Detail aus- gehandelten Tarifvertrag für den öf- fentlichen Dienst (TVöD) mitträgt.
Ein „Nein“ würde das Ende der Kooperation mit ver.di bedeuten –
ein für den MB revolutionärer Rich- tungswechsel. Damit liegt das letzte Wort nicht mehr in den Händen der sonst in Tariffragen zuständigen Großen Tarifkommission (in der der Bundesvorstand und alle Landesvor- sitzenden vertreten sind), sondern bei der Hauptversammlung – ein überraschendes Votum, das sich als strategisch kluge Entscheidung er- weisen könnte. Kann doch MB-Ver- handlungsführer Lutz Hammer- schlag nun in den entscheidenden Runden in die Waagschale werfen, dass eine souveräne Hauptversamm- lung das Endergebnis noch ablehnen könnte.
Die fehlende Unterschrift der Klinikärztegewerkschaft unter den TVöD würde zwar nicht dessen In- Kraft-Treten zum 1. Oktober verhin- dern – aber für Aufsehen sorgen. Für die beim Bund und den Kommunen angestellten Ärzte (die Länder sind aus den TVöD-Verhandlungen aus- gestiegen) hätte dies einen tariflosen Zustand zur Folge. Der MB müsste dann eigenständig einen Tarifvertrag mit den Arbeitgebern aushandeln.
Warum werden die am 9. Februar beschlossenen Eckpunkte für einen TVöD so konträr beurteilt? Kern- punkt der Einigung ist eine neue Ver- gütungstabelle mit 15 Entgeltgruppen und sechs Erfahrungsstufen. Wo sich der einzelne Arzt in dieser Matrix wiederfindet, ist aber noch ungewiss.
Der MB-Bundesvorsitzende Dr.
med. Frank Ulrich Montgomery geht von einer günstigen Eingruppierung der Ärzte aus und betont bisherige Verhandlungserfolge: So habe man flexible Bereitschaftsdienstvergütun- gen durchgesetzt, eine Absenkung der Eingangsvergütung in Uniklini- ken verhindert, die Einführung einer Entgeltgruppe oberhalb von 15 (15Ü) bewirkt sowie die Eingruppierung al- ler Ärzte mindestens in Entgeltgrup- pe 14 erreicht. Die Kritiker verweisen auf ersichtliche Einbußen. Dies gelte für die Orts- und Sozialzuschläge und das Urlaubs-/Weihnachtsgeld. Die Vergütung nach Erfahrungsstufen an- stelle des Lebensalters führe zudem dazu, dass Ärzte mit befristeten Kon- trakten bei Vertragsverlängerungen benachteiligt würden. Jens Flintrop
Marburger Bund
Am Scheideweg
Praxisgebühr
Letzte Mahnung D
ass Ärztinnen und Ärzte vonKrankenkassen-Repräsentanten gelobt werden, ist selten. Die Ärzte- schaft bemühe sich „sehr erfolg- reich“ um die Eintreibung der Pra- xisgebühr, betonte dieser Tage Udo Barske, Sprecher des AOK-Bundes- verbandes. Das Lob kann nicht dar- über hinwegtäuschen, dass Kassen und Kassenärztliche Bundesvereini- gung (KBV) noch immer wegen der Mahnverfahren streiten.
Bisher summieren sich die Voll- streckungsverfahren auf rund 60.
Nur wenige wurden schon entschie-
den. Einhelliger Tenor: KVen dürfen Mahn- und Gerichtskosten nicht von säumigen Versicherten einfor- dern. Nach Angaben des KBV-Vor- standsvorsitzenden Dr. med. An- dreas Köhler betrugen die ausstehen- den Forderungen für die Praxisge- bühr 2004 zwei Millionen Euro. Zö- gen die KVen stets vor Gericht, wür- de sie dies 34 Millionen Euro kosten.
Einig sind sich Kassen und KBV, dass der Bundestag das Mahnver- fahren spätestens bis Januar 2006 klar regeln sollte. Auch dass die Krankenhausambulanzen die Praxis-
gebühr konsequenter eintreiben müs- sen, ist Konsens. Doch die Kassen weigern sich, für Mahn- und Ge- richtskosten vollständig aufzukom- men, und wollen lediglich einen An- teil übernehmen. Nach Köhlers Ein- druck hoffen sie, dass die Ärzte dann weiter aus eigenem finanziellen In- teresse heraus säumige Patienten mah- nen. Bis 24. Mai verlangt die KBV nun Klarheit,sonst will sie das Schieds- amt anrufen. Beim AOK-Bundes- verband herrscht Zuversicht,dass sich eine Übergangslösung findet – und dass die Politik handelt. Sabine Rieser