• Keine Ergebnisse gefunden

Bis heute wurde bereits eine Vielzahl von in der Ethnologie erarbeiteten Ideen und Methoden durch die Unternehmenskulturforschung aufgegriffen und - mal mehr und mal minder adäquat - übertragen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Bis heute wurde bereits eine Vielzahl von in der Ethnologie erarbeiteten Ideen und Methoden durch die Unternehmenskulturforschung aufgegriffen und - mal mehr und mal minder adäquat - übertragen"

Copied!
55
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

des Forschungsschwerpunkts Technik-Arbeit-Um welt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung

FS 1190-106

THEORETISCHE UND METHODISCHE BEITRÄGE DER ETHNOLOGIE

ZUR UNTERNEHMENSKULTURFORSCHUNG

Sabine Helmers

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D -1 0 00 Berlin 30, Tel.: (0 3 0 )-2 5 4 9 1 - 0

(2)

UNTERNEHMENSKULTURFORSCHUNG

Zusammenfassung

Kerngedanke des Organisationskulturansatzes, dessen überwiegendes Interesse wirtschaftlichen Organisationen gilt, ist die Annahme bzw. die Einsicht, daß die Organisa­

tionsrealität umfassender ist als formelle und explizite Organisations-, Kontroll- und Planungssysteme. Unter der Prämisse, daß bei einem Unternehmen oder einer anderen Organisation wie einer Behörde, einem Betrieb oder einer Genossenschaft ein besonderer, abgrenzbarer kultureller "Rahmen", ein kulturspezifisches "Leitmotiv" erfaßbar ist, kann dieser bzw. dieses ebenso untersucht werden, wie der von "stammesgesellschaftlichen"

Körperschaften, Subkulturen oder größeren ethnischen Einheiten. Die potentiellen Beiträge der Ethnologie liegen in den Gebieten Erfassung und Interpretation der kulturellen Dimension, hingegen können von dieser Wissenschaft keine Beiträge zur Intervention erwartet werden. Bis heute wurde bereits eine Vielzahl von in der Ethnologie erarbeiteten Ideen und Methoden durch die Unternehmenskulturforschung aufgegriffen und - mal mehr und mal minder adäquat - übertragen. Langfristig fruchtbarer als eine eklektizistische Übernahme einzelner Aspekte wird jedoch die Übertragung ethnologischer Grundgedanken wie die holistische Kulturkonzeption, die vergleichende Perspektive und der emische Ansatz sein.

(3)

AND METHODS

Summary

In the past decade research on organizational culture, especially on its subfield corporate, culture has become a dominant subject in popular and academic management literature. The concept o f organizational culture, mainly focussed on business organizations, is based on the assumption that the reality o f any organization consists o f more than its formal and explicit system o f organization, control and planning. I f we consider a business or public organization to have a particular cultural framework, i f we can grasp a specific cultural "Leitmotiv", then the culture concept as developed in anthropology can be effectively applied to formal organizations and provide new ways o f understanding. For the anthropological discipline its e lf the study o f organizations in complex societies certainly could become an interesting research area.

In this article the current adoption o f anthropological concepts and methods in organizational culture research is discussed and suggestions fo r further contributions are made. The review shows that several anthropological ideas and methods have already been adopted by organization researchers, however not always adequately employed. It is suggested that contributions from anthropology can be expected for the collection and interpretation o f cultural data but not fo r intervention or cultural management. In general it is recommended that instead o f adopting eclectic elements it would be more productive in the future to transfer basic anthropological thought - holistic concept o f culture, cross-cu ltura l perspective, emic approach.

(4)

1. E in le itu n g ... 1

1.1. Einführung und Themenstellung...1

1.2. Literaturübersicht... 5

2. Begriffe der Unternehmenskulturforschung mit ethnologischem Bezug... 9

2.1. Z e re m o n ie ...9

2.3. Ritual, Rite, R itu s... 9

2.3. Mythen... 10

2.4. Tabu... 12

2.5. Tribalismus, W antok-S ystem ... 1 3 2.6. Zur B egriffsübertragung... 14

3. K ulturkonzepte...16

4. Datenerhebung... 23

4 .1. Qualitative versus quantitative Erhebungsm ethoden... 23

4.2. Feldforschung...24

5. Interpretationswege... 33

6. Angewandte Unternehmenskulturtheorie... 37

6.1. G ute/schlechte, starke/schw ache K u ltu r... 37

5.2. Machbarkeit von Kultur und K ulturb ildner... 37

7. S chlussdiskussion... 39

Literatur... 45

(5)

1. EINLEITUNG

1.1. EINFÜHRUNG UND THEMENSTELLUNG

Während der achtziger Jahre entwickelte sich "Organisationskultur", besonders das Teilgebiet "Unternehmenskultur" zu einem ausgesprochenen Modethema der multidisziplinären Organisationsforschung. Unzufriedenheit mit damals dominierenden Erklärungsmodellen von Unternehmensverhalten, denen eine eng begriffene ökonomische Rationalität zugrunde lag, ließ nach neuen, bislang weitgehend unberücksichtigt gebliebenen Dimensionen suchen. Die schlechtere Wirtschaftslage und der Konkurrenzdruck japanischer Untenehmen gelten als wesentliche Auslöser für die Suche nach neuen Erklärungsmodellen und Managementkonzepten (ausführlicher bei Alvesson 1990, Barley, Meyer und Gash 1988, Ebers 1988). Bücher wie "Corporate Cultures, The Rites and Rituals of Corporate Life" (1982) von Deal und Kennedy oder "In Search of Excellence" (1982) von Peters und Waterman wurden zu Bestsellern, die den Organisationskulturansatz weit über enge Wissenschaftskreise hinaus bekannt machten.

Mit der üblichen transatlantischen Verspätung erscheinen seit einiger Zeit auch im deutschsprachigen Raum Veröffentlichungen, deren Titel wie z.B. "Unternehmenskultur und Stammeskultur", "Zwischen Totem und Tabu" oder "Zurück zur Urhorde" einen deutlichen Bezug zur Ethnologie aufweisen.

Als Teil eines von der Haniel-Stiftung geförderten interdisziplinären Forschungs­

projekts "Unternehmenskultur - Zur empirischen Erhebung eines umstrittenen Begriffes"

wird in der vorliegenden Arbeit der Unternehmenskulturansatz aus einer ethnologischen Perspektive beurteilt. Die Projektaufgabe besteht darin, die Brauchbarkeit der bisher vorgeschlagenen Konzepte aus organisationspsychologischer, ökonomischer sowie soziologischer und ethnologischer Sicht zu prüfen und weiterzuentwickeln (1).

Die bislang erschienene englisch- und deutschsprachige Literatur zu diesem Themenbereich zeigt einen recht großen Einfluß von Erkenntnissen und Methoden, die ursprünglich von der Ethnologie erarbeitet wurden. Dies kommt nicht von ungefähr, denn in

(1) Beteiligte an dem Projekt sind Ulrich Steger, Gerhard Prätorius, Petra Tiebler (Institut für Ökologie und Unternehmensführung an der European Business School), Lutz von Rosenstiel, Jürgen Kaschube (Institut für Psychologie der Universität München, W irtschafts- und Organisationspsychologie), Meinolf Dierkes, Sabine Helmers (Wissenschaftszentrum Berlin, Organisation und Technikgenese).

(6)

diesem Fach besteht eine lange Tradition der Kulturforschung. Doch nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Literatur zur Organisationsforschung stammt von Ethnologen selber - der oben erwähnte Einfluß ethnologischer Perspektiven in der Literatur ist also eher passiv zustande gekommen.

Zur traditionellen Wirtschaftsethnologie, die sich überwiegend mit volkswirt­

schaftlichen Fragestellungen befaßt, weist die Unternehmenskulturforschung nicht viele Berührungspunkte auf, da bei ihr die Betriebsebene im Mittelpunkt steht. Hier liegt vermutlich einer der Gründe für die noch immer recht geringe aktive Beteiligung von Ethnologen. Ein weiterer besteht darin, daß sich die Unternehmenskulturforschung fast ausschließlich auf industrialisierte (zumeist marktwirtschaftlich orientierte) Gesellschaften beschränkt, während vergleichbare Arbeiten von Ethnologen eher in nichtindustrialisierten Gesellschaften durchgeführt wurden.

In ihren Anfängen (als akademische Disziplin) gegen Mitte bis Ende des letzten Jahrhunderts war die Ethnologie auf die Beschreibung (Ethnographie) und Untersuchung schriftloser, kleiner, vornehmlich außereuropäischer Völker konzentriert. Im Zuge kolonialer Kontakte gelangten "Primitive" oder "Naturvölker" zunehmend in den Blickwinkel akademischer Forschung. Ähnlich wie bereits Rousseau wähnte man zunächst die

"primitiven" "hommes sauvages" auf einer niederen Kulturstufe, zurückgeblieben im Evolutionsprozeß, verhaftet einem vielleicht glücklicheren "Urzustand", einem "Stadium der W ildheit", in welchem der Mensch noch unverbildet von Kultur "Mensch an sich" war. Die

"Primitivität" hatten alle "Primitiven" der Welt gemeinsam, und aus dieser Perspektive betrachtet ergab sich damals ein einigermaßen homogener Gegenstand des Faches. Diese ursprünglichen Abgrenzungen wurden im Laufe der Zeit von der Ethnologie mehr und mehr aufgehoben. Heutzutage sieht eine zunehmende Zahl von Ethnologen ihr Ziel darin, den Menschen in allen Kulturen zu erforschen, in wildbeuterischen, Pastoralen, bäuerlichen und industrialisierten Gesellschaften (vgl. Übersicht bei Antweiler 1986: 1 6 2 -1 6 5 ).

Diese ethnologische Blickfelderweiterung brachte u.a. die (wenn auch hierzulande bislang nur mit 'Minderheitenstatus' belegte) Unternehmens- oder die Industrieethnologie hervor, ln der amerikanischen "Cultural Anthropology" und auch in der britischen "Social Anthropology" (2) gibt es eine längere und intensivere Tradition arbeitsweltlicher

(2) "Ethnology", "Anthropology", "Cultural Anthropology", "Social Anthropology" im

englischsprachigen Raum entspricht in etwa dem oder beinhaltet weitgehend das, was im deutschsprachigen mit Ethnologie, dem älteren Wort Völkerkunde oder auch mit Kulturanthropologie bezeichnet wird. Von fachfremden Autoren werden diese Zusammenhänge offenbar nicht immer erkannt, was dazu führt, daß - auch in der Unternehmenskulturliteratur - statt von Ethnologie von Anthropologie gesprochen wird, was hierzulande eher Physische oder auch Philosophische Anthropologie meint. Doch auch hier nennen sich einige Ethnologen Anthropologen.

(7)

Forschungen (vgl. Gamst 1990). Besonders im Rahmen der amerikanischen "Applied Anthropology" (vgl. Human Organization, Zeitschrift der Society for Applied Anthropology sowie Anthropology of Work Review, Zeitschrift der Society for the Anthropology of Work) haben sich die Bereiche Industrieethnologie und Unternehmensethnologie (3) etabliert.

Vereinzelte Vorläufer reichen bis in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zurück. Hingegen ist die Unternehmenskulturforschung für deutschsprachige Ethnologen weitgehend ein Novum, so wie man sich hier generell noch oft schwer damit tut, auch industrialisierte oder gar die eigene Gesellschaft in das ethnologische Blickfeld zu rücken. Bislang sind in der Bundesrepublik nur eine Handvoll Ethnologen im Bereich Unternehmenskulturforschung tätig.

Perey (1988 : 112ff) unterteilt die ethnologischen Beiträge zur Unternehmens­

ethnologie (aus westlicher Perspektive) in vier Gruppen:

1.) In nichtwestlichen Ländern durchgeführte Studien eines kulturell homogenen Bereichs, 2.) in nichtwestlichen Ländern durchgeführte Studien interkultureller Bereiche (z.B. das weite Gebiet des interkulturellen Managementtrainings), und 3.) Fallstudien, die interkulturelle Bedingungen in westlichen Ländern beschreiben (z.B. Untersuchungen über indische, italienische oder chinesische Immigrantenunternehmen in England), schließlich 4.) Studien zu kulturell homogenen Gruppen im Westen, also die Untersuchung von Unternehmen als kulturelle Einheiten.

Letztgenannte bilden den Schwerpunkt der Forschungen zur Unternehmenskultur und sollen in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt stehen. Damit wird der Bereich der national- bzw. großkulturellen Dimension von Unternehmen und geschäftlichen Beziehungen ausgeklammert. Das Außerachtlassen der interkulturellen Perspektive ist jedoch noch immer ein Manko vieler Forschungen, wenn ein aufgrund von Untersuchungen in der eigenen Kultur gewonnenes Ergebnis als allgemeingültig postuliert wird, obwohl es sich aus einem erweiterten Blickfeld als ethnozentristisch erweisen würde.

Ob, wie und in welchem Maße Organisationen isoliert von größeren kulturellen Zusammenhängen untersucht werden können, ist umstritten, auf jeden Fall abhängig von der Untersuchungsperspektive: Werden Unternehmen verschiedener Länder bzw. Kultur­

gruppen betrachtet, so ist die jeweils umgebende Großkultur ein stets zu berücksichtigender Faktor, obschon sich hier herausstellen könnte, daß beispielsweise Autohersteller

(3) Business Week nannte für 1 986 etwa 100 amerikanische (university-affiliated) Ethnologen, die U.S. Unternehmen untersuchen. Nach Angaben der American Anthropological Assn, sei die Zahl der promovierten Ethnologen, die im

Unternehmensbereich tätig sind, seit 1972 um das fünffache gestiegen und läge bei etwa 10% (leider wurden keine absoluten Zahlenangaben gemacht), Siwolop (1 986:

62).

(8)

verschiedener Länder jenseits nationaler Besonderheiten gemeinsame Züge aufweisen können. Auf der anderen Seite ermöglicht die Anwendung der Kulturperspektive die Untersuchung von Besonderheiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden von Unternehmen bei Außerachtlassung gemeinsamer und grundlegender nationaler Eigenheiten.

Einfache Übertragungen von ethnologischen Ideen und Methoden mögen zwar recht amüsant und auch erhellend sein, wie Page (1972) mit seinem Buch "Managen wie die Wilden" demonstrierte (4), doch in der Regel sind Modifikationen erforderlich. Dies gilt vorwiegend für den methodischen Bereich. Zudem erweisen sich Umsetzungen als problematisch, wenn etwa Begriffe wie beispielsweise "Tabu" oder "Ritual" entgegen einem - trotz aller Divergenzen bestehenden - ethnologischen Konsens verwendet werden oder wenn Fragmente komplexer Theorien eingesetzt werden, die für sich genommen wenig sinnvoll sind, oder auch wenn aus dem ethnologischen Angebot sehr veraltete Gedanken aufgegriffen werden.

Mit diesen Bemerkungen soll keineswegs angedeutet werden, es gäbe so etwas wie

"die eine Ethnologie". Bekanntlich ist das Fach bis dato in unterschiedlichste Richtungen aufgesplittert, und in kaum einer der "kritischen Fragen" besteht Einhelligkeit. Sperber (1989: 1 5) nennt es ein "Metier der Individualisten", Antweiler (1986 : 162) bezeichnet die

"schillernde Vielfalt sowohl der untersuchten Gegenstände als auch der dabei verwendeten Herangehensweisen" gar als "Charakteristikum" dieser Disziplin. Dieser Vorzug gegenüber homogeneren Disziplinen sorgt für ein breites Ideenspektrum und bietet Raum für innovative Gedanken.

Organisationsforschung unter ethnologischen Vorzeichen unterscheidet sich - wenn auch nur in Nuancen - von Organisationsforschung anderer Disziplinen. (In einer Zeit, in der zunehmend fächerübergreifend gearbeitet wird, mögen Bestrebungen, Grenzen abzustecken, unzeitgemäß erscheinen. Versuche hierzu werden jedoch immer wieder unternommen. Vielleicht braucht jede Richtung ihre eigene Identität, verbunden mit dem Gefühl, "etwas Besonderes" zu sein.) Das Eigene einer ethnologischen Organisations­

forschung ließe sich in einer ganzen Reihe von Aspekten ausmachen. Herausragend ist der Einsatz "... of a set of assumptions about 'cultu re' as a master concept in terms of which human behavior is broadly explainable" (Pelto 1970: 18, und cf. auch Gamstund Norbeck 1976) - die holistische Konzeption von Kultur, die beinahe allen Ethnologen gemeinsam ist

(4) Ähnlich Neuhauser (1989a, 1989b), die Konflikte zwischen verschiedenen Abteilungen in Großunternehmen mit Fehden "primitiver Stammesgesellschaften" gleichsetzt. Oder ein Beitrag in "Management Wissen" mit dem beziehungsreichen Titel "Zwischen Totem und Tabu", in welchem Parallelen zwischen Betriebsfeiern und Fruchtbarkeitsritualen, Motivationsmeetings und Regenbeschwörungen u.ä. gezogen werden (Demmer und Sapper 1989: 208). Solche direkten Vergleiche mit exotischen Völkern haben eher Fabelcharakter - der Bongobongo und die Regenwolken, der Fuchs und die Trauben.

(9)

und die sich in der ethnologischen Forschungspraxis etwa als emischer Ansatz (5) und per se vergleichende Perspektive niederschlägt (Qamst 1977, 1980). Die vergleichende Perspektive ermöglicht, "Selbstverständlichkeiten" als kulturbedingt zu erkennen: "A cultural analysis moves us in the direction of questioning ta ke n -fo r-g ra n te d assumptions", schreibt Smircich (1983: 335). Czarniawska-Joerges (1990) spricht von "Anthropology as a Frame of Mind".

1.2. LITERATUROBERSICHT

Für die vorliegende Arbeit wurden überwiegend amerikanische Publikationen herangezogen, da dort die Zentralregion der Unternehmenskulturdiskussionen zu orten ist.

Schwerpunkte der Zeitschriftenrecherche waren insbesondere auf Administrative Science Quarterly, Organization Studies, Organizational Dynamics, Journal of Management Studies und Academy of Management Review gerichtet, welche die wichtigsten Publikationsorgane zum Thema sind. Mit Ausnahme von 'Human Organization' handelt es sich bei den genannten Zeitschriften nicht um ethnologische. In den konventionelleren Organen des Faches ist nur wenig über Unternehmenskulturforschung zu finden.

Die Publikationen zur Unternehmenskultur lassen sich grob unterteilen in "populäre"

und "wissenschaftliche", was nicht notwendig qualitative, sondern mitunter allein stilistische Unterschiede bezeichnet. Alvesson (1990) verwendet die Kategorien "Academic market"

und "Practitioner market" und ortet die Veröffentlichungen dieser Kategorien zwischen Purismus und Pragmatismus.

(5) In der Ethnologie wird mit dem aus der Linguistik entlehnten Ausdruck 'em isch' die Perspektive der Einheimischen (Sprecher) gekennzeichnet, im Gegensatz zu 'etisch', womit die Perspektive eines Außenstehenden oder Fremden bezeichnet wird. Der emische Ansatz der Ethnologie ist auf weitestmögliches Verstehen der

Bedeutungsgebungen der Sprecher ausgerichtet, andere Wissenschaften favorisieren eine etische Perspektive der distanzierten Beobachtung. Geprägt wurden die Begriffe 'em ic' (abgeleitet von 'phonem ic') und 'e tic ' ('phonetic') durch Kenneth Pike.

(10)

Abbildung 1: Orientations in organizational culture studies. Alvesson 1990: 40.

Barley, Meyer und Gash (1988) haben mittels einer computergestützten Analyse von fast 200 Artikeln der Jahre 1975 bis Anfang 1985 die konjunkturelle Entwicklung des Themas (siehe Abbildung 2) sowie die gegenseitige Beeinflussung von "akademisch" und

"praktisch" orientierten Autoren untersucht, wobei im Untersuchungszeitraum die Diskurse der "Praktiker" relativ stabil blieben, während sich eine deutliche Annäherung der

"Akademiker" an an die "Praktiker" zeigte, die sich in zunehmender Betonung des w irt­

schaftlichen Nutzens des Unternehmenskulturansatzes sowie in einer stärker funktionali- stischen Ausrichtung zeigte.

"It is possible to argue that the change in academic discourse offers testimony to nothing more than functionalism's re silie n ce .... many early academic authors viewed organizational culture as an opportunity to build a phenomenologically attuned, if not a fully interpretive, theory of organizational life ." (1988 : 53)

Die Dominanz funktionalistischer Ausrichtungen hat sich in den letzten Jahren deutlich fortgesetzt, doch ist außerhalb wirtschaftswissenschaftlicher Kreise eine zunehmende Präsenz interpretativer Ideen festzustellen, die gute Chancen haben, sich langfristig durchzusetzen, da sie der komplexen Natur des Menschen und seinem enormen kulturellen Repertoire mehr entgegenkommen.

(11)

YEAR

‘ Data are based on a search of six bibliographic data bases.

Abbildung 2: Papers published annually on organizational culture, 1 9 7 5 -1 9 8 5 . Barley, Meyer und Gash 1988: 33

Für die vorliegende Arbeit erfolgte eine Konzentration auf Veröffentlichungen des akademischen Marktes, doch wurden auch Managermagazine als Quellen berücksichtigt,

(12)

da sie einen sehr großen Leserkreis erreichen und ihnen somit ganz entscheidende Bedeutung bei der Verbreitung des Organisationskulturgedankens zukommt. Nicht immer jedoch halten die dort getroffenen, zumeist stark praxisorientierten Aussagen Kriterien einer wissenschaftlichen Organisationskulturforschung stand.

Forschungsgeschichtlich interessant ist, daß die frühe Arbeit von Turner (1977)

"Complex Organizations as Savage Tribes" zur Übertragung von einer in der Ethnologie entwickelten Herangehensweise, der Strukturalen Analyse, auf den Organisationsbereich in der Literatur nur äußerst selten genannt wird, obwohl sich in diesem Artikel bereits viele Gedanken der wenige Jahre später einsetzenden Organisationskulturdiskussion wiederfinden. Gründe für die mangelnde Rezeption mögen in dem hinsichtlich der späteren Diskussionen nicht zentralen Publikationsort sowie dem dort vorgestellten, als "schwierig"

geltenden Ansatz liegen. Als Geburtsjahr des Kulturansatzes in der Organisationsforschung gilt im allgemeinen 1979, in welchem Pettigrews Artikel "On Studying Organizational Cultures" in "Administrative Science Quarterly" erschien. Diese Zeitschrift wird in den folgenden Jahren zum wichtigsten Organ der Organisationskulturdiskussion im englisch­

sprachigen Raum.

Da die vorliegende Arbeit als Teil eines Projekts entstanden ist, wurde der Schwerpunkt der Literaturauswertung auf ethnologisch oder sozialwissenschaftlich orientierte Veröffentlichungen gelegt, während wirtschaftswissenschaftliche oder psycho­

logische nur wenig berücksichtigt wurden, beispielsweise wird man die für die deutsch­

sprachige Diskussion wichtige Arbeit von Neuberger und Kompa (1987) nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Tabubegriff erwähnt finden.

Im folgenden werden zunächst terminologische Grundlagen besprochen. Der zentrale Begriff "Kultur" erscheint recht problematisch, und wird daher im Zusammenhang mit verschiedenen Ausrichtungen der Ethnologie in einem eigenen Abschnitt der vorliegenden Arbeit behandelt. Als weitere Punkte sollen die bislang eingesetzten Erhebungsmethoden und Interpretationswege der Unternehmenskulturforschung aus ethnologischer Perspektive betrachtet werden. In einem Schlußkapitel werden zusammenfassend die bislang eingesetzten und noch möglichen Übertragungen und Modifikationen diskutiert.

(13)

2. BEGRIFFE DER UNTERNEHMENSKULTURFORSCHUNG MIT ETHNOLOGISCHEM BEZUG

In diesem Kapitel sollen einige häufiger verwandte Begriffe geklärt, vorgenommene Übertragungen in der Unternehmenskulturliteratur exemplarisch vorgestellt und schließlich die Begriffe hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit überprüft werden. Es handelt sich zwar nur um Namen, und kleinkrämerische terminologische Abhandlungen waren noch selten fruchtbar, jedoch erscheint es in dem hier relevanten Schnittfeld von Ethnologie und Unternehmens­

kulturforschung angezeigt, Grundsätzliches zu klären, um von einer gemeinsamen Diskus­

sionsgrundlage ausgehen zu können.

2 .1. ZEREMONIE

Unter Zeremonie ist eine in der Regel öffentliche, förmliche, mehr oder weniger feierliche jedoch nicht notwendigerweise religiöse (obwohl caeremonia deutlichen Bezug zum Sakralen aufweist) Handlung zu verstehen. Diese kollektiven Inszenierungen beinhalten in zumeist hochverdichteter Form bedeutsame Kulturcharakteristika wie Wertvorstellungen oder Rangordnungen und gehören zu den stabilen und wohl auch stabilisierenden Ereignissen des alltäglichen und außeralltäglichen Lebens.

Im Organisationsbereich sind Zeremonien wie etwa Firmenfeiern, Jahresver­

sammlungen, Betriebsausflüge u.ä. vielfach gewählter und aufschlußreicher Forschungs­

gegenstand (Garfinkei 1956, Trice, Belasco und Alutto 1969, Gephart 197 8, Dandridge 1986, Rosen 1988). Dandridge (1 986: 160) sieht im W irtschaftsbereich den homo ludens vernachlässigt und schreibt: "Lack of ceremony can contribute to the sterility of work and, in w o rk's isolation from the rest of our activity, a reduction in personal satisfaction from work per se ", Zeremonien stellen ein Medium dar, durch welches das Spielerische in die Arbeit (zurück-) gebracht werden kann.

2 .2. RITUAL, RITE, RITUS

Rituelle Handlungen sind eine Form von symbolischer Kommunikation. Das Besondere an Ritualen ist nicht der stereotype Verlauf - sie würden sich von Handlungsroutinen nicht unterscheiden - sondern ihre tiefe symbolische Bedeutung. Sie sind im Kern nicht variierbar und erfordern strikte Befolgung, während Routinehandlungen durch die Praxis geformt werden und ohne weiteres verändert werden können.

Im traditionellen Sinne sind Rituale eng mit der sakralen Sphäre verbunden. Einige Autoren trennen jedoch zwischen sakralen und profanen bzw. sekulären Ritualen (vgl.

(14)

Moore und Myerhoff 1977), was außerhalb (religions-) ethnologischer Diskussionen seit langem üblich ist. Dort wird oft von "sinnentleerten Ritualen" gesprochen, womit formalisierte Handlungen bezeichnet werden, deren ursprünglicher Sinn bedeutungslos geworden oder in Vergessenheit geraten ist - Rudimente vergangener Zeiten.

Eine bedeutende Gruppe von Riten sind Rites de Passage (nach van Gennep, 1 986), Riten der Transformation von einem Lebensabschnitt oder Zustand in einen anderen. Van Gennep (1986) wies auf die Dreiphasigkeit dieser Übergänge hin, bestehend aus Loslösung, Umwandlung und Integration. Initiationen können auch im Berufsleben rituell begleitet werden - sie müssen dabei nicht immer so dramatisch sein wie Seemannstaufen oder Präparierkurse für Medizinstudenten. Nicht jede berufliche Initiation hat sakral­

rituellen Charakter.

In der anwendungsorientierten Literatur wird gelegentlich von "Management by Rituals" gesprochen: Mit "simplen Tricks" ließen sich unerwünschte Umstände in einem Unternehmen abändern. Psychologe und Managementtrainer Fischer äußert beispielsweise in einem Gespräch mit "Management Wissen":

"Wer die versteckte Bedeutung von Ritualen versteht, kann in kurzer Zeit auf den Geist, die Tabus und die 'heiligen Kühe' im Betrieb Einfluß nehmen."

"Rituale sind Führungsinstrumente, mit denen die Mitarbeiter auf

Firmenkultur und strategische Ziele eingeschworen werden können." "Will ein Chef etwas ganz Bestimmtes bei den Mitarbeitern auslösen, zum Beispiel Selbstkritik, Kreativität oder Innovationsfreude, dann sollte er dem einen eigenen rituellen Rahmen mit feststehendem Ort, Tag und Ablauf geben."

(Demmer und Sapper 1989: 207)

Wie oben verdeutlicht, entsprechen solche Auffassungen des Ritualbegriffs nicht dem ethnologischen Verständnis. Ort und Zeit der Rituale können durchaus variabel sein. Ob man nun am sakralen Charakter des Ausdrucks festhält oder ihn auf den Profanbereich erweitert - keinesfalls sind Rituale gefälliges W erk- oder Spielzeug, mit Hilfe derer sich "in kurzer Zeit" Tabus beeinflussen oder Kreativität und Innovationsfreude "auslösen" ließen.

Sollte es tatsächlich Führungsinstrumente geben, die solches vermögen, so wären sie ganz und gar wunderbare Magie.

2.3. MYTHEN

Mythen sind Geschichten von nichtmenschlichen oder übermenschlich erscheinenden menschlichen Wesen, legendär gewordenen Gestalten oder Begebenheiten, sind sakrale Kommunikation in symbolischer Form (Cohen 1969: 337). Sie stellen in indirekter Weise Modelle für das menschliche Verhalten dar und geben damit nach Eliade (1963) Sinn und

(15)

Wert für das Leben (6). Aus Bettelheims (1976: 35ff) Ausführungen über Mythen wird das Besondere dieser erzählten oder inszenierten Geschichten recht deutlich - unabhängig davon, ob man den psychoanalytischen Vorstellungen folgen mag oder nicht. Er hebt hervor, daß die Symbolsprache der Mythen unbewußte Inhalte transportiert. Die Worte sprechen zugleich das Bewußtsein und das Unbewußte in seinen drei Aspekten - Es, Ich und ü b e r- Ich - sowie das Bedürfnis für Ichideale an, was sie so überaus bedeutungsvoll macht. "...

Myths typically involve superego demands in conflict with id-motivated action, and with the self-preserving desires of the ego... Try as hard as we may, we can never live up fully to what the superego, as represented in myths by the gods, seems to require of us... The myth is pessim istic..." (1974 : 37). Charakteristisch für Mythen ist das Gefühl der Einzigartigkeit, die erzählte Geschichte könnte keine andere Person erleben oder sich in anderen Umständen zutragen. Die Ereignisse sind grandios, Ehrfurcht gebietend und könnten einem gewöhnlichen Sterblichen nicht widerfahren, wobei nicht das Zugetragene selbst so wunderbar und einzig erscheinen muß, sondern die Art der Erzählung es zur Einzigartigkeit werden läßt.

Dies unterscheidet Mythen von Märchen, die von zwar ungewöhnlichen aber doch möglichen Dingen handeln, in ihnen sind die Helden nicht übermenschlich wie im Mythos.

Mythische Helden tragen Namen, und zumeist sind auch ihre Verwandten namentlich überliefert, während Märchen im Grunde von Jedermann handeln und Nebendarsteller "ein Bauer", "ein König", "eine Hexe" sind. Ferner ist ein beinahe immer tragischer Verlauf für Mythen charakteristisch, während Märchen einen glücklichen Ausgang bieten.

Inder Literatur zur Unternehmenskultur wird häufig von "Firmenmythen" gesprochen (vgl. z.B. Boje, Fedor und Rowland 1982, Broms und Gahmberg 1983, Kubicek 1984), und Phänomene wie etwa Führungsgrundsätze, Heldenlegenden, Sachzwangargumente oder Erfolgsstrategien werden als Mythen bezeichnet. Der größte Teil, wenn nicht alle dieser Geschichten, die in Unternehmen kursieren, wird den oben genannten (ethnologischen) Kriterien nicht gerecht und kann höchstens den Status von Märchen, Sagen, Legenden oder Fabeln haben - also mit Begriffen bezeichnet werden, die nicht einen solch geheimnis­

voll exotischen, bedeutungsvollen Klang tragen. Broms und Gahmberg (1983) fanden mittels einer Computer-Inhaltsanalyse von zwei größeren Datenbanken den Mythenbegriff

(6) Bowles (1989) geht unter Bezugnahme auf diverse 'N ew -A ge'-A utoren der Frage nach, ob in der säkularisierten Moderne eine sinngebende "New Mythology" in der Arbeitswelt entwickelt werden kann, "...w hich allows people to participate more fully in their work lives and social lives generally" (1989 : 418). Andere Autoren der

Organisationsforschung, die sich mit Mythen befassen, begrenzen ihre Aussagen in der Regel auf den Organisationsbereich.

(16)

noch 1979 in nur etwa 50 wirtschaftswissenschaftlichen Artikeln, drei Jahre später, 1981, aber in etwa 500 Artikeln.

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird mit Mythe eine Geschichte bezeichnet, die erzählt wird, als wäre sie wahr, sich jedoch so nicht zugetragen hat, oder zutragen muß. Ein bekanntes Beispiel ist z.B. "Vom Tellerwäscher zum Millionär", also eine keineswegs Schaudern hervorrufende oder pessimistische Geschichte. Solche Erzählungen können sehr bedeutsame Inhalte transportieren und stellen auch in dem hier relevanten Organisa­

tionsbereich einen lohnenswerten Untersuchungsgegenstand dar. Dafür den Ausdruck 'M ythos' zu verwenden, ist irritierend für diejenigen, die der ethnologischen bzw. antiken Bedeutung des Wortes folgen.

2 .4. TABU

Der Tabubegriff bedeutet mehr als ein schlichtes Verbot. Charakteristisch für Tabus ist ihre magisch-religiöse Natur und die Erwartung übernatürlicher Sanktionen bei einer Übertretung. Das Tabuisierte ist zugleich unrein und geweiht. Ihm wohnen besondere Kräfte (im polynesischen 'M ana'), die sich bei Berührung übertragen. Für Unbefugte ist die Befleckung mit diesen Kräften außerordentlich gefährlich.

Die Angst vor übernatürlicher Bestrafung bei Nichtbefolgung ist zwar kein untrüglicher, aber recht guter Indikator. Wenn sich ein Verbot relativ einfach aufheben läßt, dann ist es mit großer W ahrscheinlichkeit profaner Natur. Das Besondere an Tabuverboten ist, daß sie rationalen Erwägungen nicht zugänglich sind - warum darf das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter gekocht werden?

Neuberger und Kompa (1987 : 168, 1 76f) erwähnen ein "Gehaltstabu" (die Heimlich­

keiten der Gehaltsabrechnung), bezeichnen u.a. Unschicklichkeiten wie das Reden über Mißstände und Schwächen, Regelverstöße gegen Kleiderordnungen, Fleißgebote oder ordnungsgemäßes Betragen, das Witzeln über Firma, Vorstand und Unternehmenszweck als Tabu, obwohl sie den Tabubegriff in einem Glossar als "das gleichzeitig Heilige und das Verfluchte, also dasjenige, was von normalen Sterblichen unbedingt gemieden werden muß, wenn sie nicht in den Sog einer unheimlichen tödlichen Kraft (Mana) kommen wollen"

bezeichnen (1987 : 282). Diese Skizzierung entspricht der ethnologischen Auffassung von Tabu. Doch ist kaum nachvollziehbar, was an den im Buchtext genannten Beispielen heilig und verflucht sein soll. Welche unheimliche tödliche Kraft hat derjenige schließlich zu befürchten, der ungeniert gegen das "Gehaltstabu" verstößt?

Eine ethnologischen Auffassung des Tabubegriffs legen ebenfalls M itroff und Kilmann (1985) zugrunde, wenngleich auch ihre Übertragungen auf den Unternehmensbereich mit diesem Verständnis schwer in Einklang zu bringen sind. Sie nennen vier "undenkbare" -

(17)

ergo "tabuisierte" - katastrophale Ereignisse in amerikanischen Unternehmen und fordern dazu auf, als Präventionsversuch regelmäßig über mögliche "Tabu-Katastrophen" nachzu­

denken, obgleich diese Themen hochgradig angstauslösend wirken. Ihre überzeugendsten Beispiele sind unerwartete Reaktionen auf das Procter & Gamble-Logo (ein "Zauberer", Mond und Sterne) sowie auf Sears-R oebuck-Kreditkarten, deren erste Ziffern stets "6 6 6 "

lauteten. Religiöse Gruppen sahen in beiden Fällen teuflische Zeichen und beschuldigten die überraschten Firmen des Satanismus. M itroffs und Kilmanns Beispiel handelt zwar von einem Tabu, doch war die Diffamierung durch religiöse Gruppen eher "unerwartet" als

"undenkbar", denn die Unternehmen haben die möglicherweise als satanisch zu interpre­

tierenden Symbole so gar nicht wahrgenommen. Auch ihre anderen Beispiele beinhalten Tabus - Tod und Sexualität - doch hat der Kontext keine direkte Verbindung zu diesen Inhalten, weshalb man in den genannten nicht von Tabubeziehungen ausgehen kann.

Im Unternehmensbereich lassen sich vor allem allgemeine Tabus wiederfinden - wenn z.B. Bestattungsunternehmer höchsten Wert darauf legen, nicht als eine Art "M üllabfuhr" zu erscheinen. Da Tabus überaus bedeutungsvolle und tief verwurzelte Kulturphänomene darstellen, ist kaum zu erwarten, daß sich unternehmensspezifische Tabus finden ließen, wohl aber als 'unantastbar' geltende Verbote oder Unschicklichkeiten. In traditionsreichen Berufen mit recht bedrohlichen Risiken und großen Unwägbarkeiten w ieder Heilkunde, der Seefahrt oder dem Bergbau lassen sich eine Vielzahl von magischen Vorstellungen, Abwehrriten und auch Tabuvorstellungen feststellen, die in der Berufswelt generiert werden und nicht unternehmensspezifisch sind. Das Gebiet der auf nicht rational herleitbaren Kausalitäten beruhenden magischen G e- oder Verbote in einzelnen Unternehmen ist bislang weitestgehend unerforscht, hier dürfte jedoch ein bedeutender Beitrag zum Verstehen von Unternehmenswelten zu erwarten sein.

Die in dem folgenden Unterabschnitt 2 .5. behandelten Begriffe stammen nicht aus dem Wortschatz der Unternehmenskulturforschung, könnten jedoch aufgenommen werden.

2 .5. TRIBALISMUS, WANTOK-SYSTEM

Mit Tribalismus oder dem neomelanesischen Begriff Wantok-System wird in der Ethnologie eine Verhaltenstendenz der Bevorzugung von Kontakten zu Mitgliedern der eigenen Kulturgruppe bezeichnet. ("Wantok" heißt svw. "eine Sprache sprechen".) Besonders deutlich wird diese Bevorzugung in der Diaspora; gute Beispiele wären die zahlreichen German Clubs in Übersee oder die türkischen Geschäfte in der Bundesrepublik.

Der deutsche Ausdruck "Vetternwirtschaft" entspricht in etwa dem Wantok-System, nur ist er durch das Bezugssystem Verwandtschaft begrenzter. Wie in allen Bereichen ist auch in Unternehmen das Wantok-System von Bedeutung, wenn z.B. bei Geschäftskontakten oder

(18)

Personaleinstellungen solche Menschen bevorzugt werden, die ganz allgemein der gleichen Kulturgruppe, Konfession oder Partei angehören, aus derselben Stadt oder demselben Dorf stammen, zum Verwandten- oder Bekanntenkreis gehören oder - sehr wichtig in England - die gleiche Universität besucht haben. Wenn also ein türkischer Arbeitsmigrant seine Altländer Äpfel lieber in einem von Landsleuten betriebenen Laden kauft, eine Warenhaus­

kette nur katholische Mitarbeiter einstellt oder der "alte Fuchs" dafür sorgt, daß ein Mitglied seiner Korporation den Auftrag erhält, dann läßt sich für dieses Bevorzugungsverhalten der Begriff W antok-System verwenden.

In vielen Ländern gibt es ein "Old Boys Network". In Anbetracht der Tatsache, daß die Führungsebenen der meisten Unternehmen der Bundesrepublik und der anderen Industrie­

nationen noch immer fast ausschließlich mit Männern besetzt sind und Frauen der Zugang oft erschwert oder unmöglich gemacht wird, ließe sich fragen, ob diese Art von

"tribalistischem" Verhalten nicht als Männerbündelei bezeichnet werden könnte.

2 .6. ZUR BEGRIFFSOBERTRAGUNG

In der ethnologischen Literatur ist dem Begriff der Zeremonie weitaus weniger Aufmerksamkeit widerfahren als dem des Rituals, des Mythos oder dem des Tabus, bei welchen Bestimmungsunterfangen oft schon dogmatische Züge annehmen. Dieser Umstand macht Begriffsübertragungen im Falle der Zeremonie aus ethnologischer Sicht vergleichsweise unproblematisch.

Tabu, Ritual und Mythe sind Begriffe der sakralen Sphäre (7), die durch Profanisierung ihre (eigentliche) Bedeutungskraft verlieren. Wie gezeigt, werden die Begriffe in der Unternehmenskulturforschung eher in ihrer profanen Bedeutung verwandt.

Wenn der Bedeutungsrahmen in der Übertragung jedoch so allgemein und umfassend wird, daß mit ihm eine einigermaßen präzise Benennung eines bestimmten Phänomens nicht mehr möglich ist, dann ist der Nutzen der Terminologie doch fraglich. Wenn etwa der Tabubegriff auf alle möglichen a u s - oder unausgesprochenen Verbote oder Unschicklichkeiten ausgedehnt wird, dann wird er letzlich schon wieder zu ungenau für Forschungszwecke. Im Bereich der Menschenwissenschaften läßt sich dies nicht immer vermeiden - wie auch anhand des im folgenden Abschnitt diskutierten Kulturbegriffs sehr deutlich wird - doch sollte man wo irgend möglich eine einigermaßen konturierte Bedeutung von Fachbegriffen anstreben.

(7) In Anlehnung Emile Dürkheims Konzeption sowie an Michel Leiris subjektive Auffassung vom Heiligen wird mit sakral hier der besondere, dem alltäglichen profanen

Lebensbereich entgegengesetzte Bereich bezeichnet, der sich einem Kollektiv oder einem Individuum als das Besondere darstellt.

(19)

Der Bereich wirtschaftlichen Handelns ist eine Domäne des Profanen. Beide Sphären sind zwar voneinander geschieden, doch durchdringen sie sich wechselseitig, und auch in Unternehmen ist das Sakrale präsent - nicht nur bei der Anfertigung von Soutanen oder Kruzifixen oder in der Sargtischlerei, vielmehr in vielgestaltiger und oftmals unspektakulärer Form als unscheinbares Amulett oder als Vermeidung des Pfeifens auf See. Im Zuge der Aufklärung wurde das "w ilde" Denken keineswegs vollständig überwunden (es ist unüberwindbar und gehört zur conditio humana), und es ist unsinnig anzunehmen, der Bereich wirtschaftlichen Handelns unterliege ausschließlich der reinen Vernunft.

Anhand der hier diskutierten Begriffe ist deutlich geworden, daß Verständigung bei interdisziplinärer Kommunikation keineswegs selbstverständlich ist. Eine gemeinsame Sprache gehört jedoch zu den wichtigen Voraussetzungen für eine fruchtbare Zusammenarbeit.

(20)

3. KULTURKONZEPTE

"Any social group, to the extent that is is a distinctive unit, will have to some degree a culture differing from that of other groups, a somewhat different set of common understandings around which action is organized." (Becker und Geer 1957: 29).

Im Rahmen einer OrganisationsAu/fu/forschung gehören Überlegungen darüber, was eigentlich Kultur sein soll, zum Grundsätzlichen. Wie schwierig dieser so vielsagende und dadurch vielleicht beinahe schon nichtssagende Begriff zu umreißen ist, ist in der Ethnologie seit langem deutlich und wird immer wieder diskutiert. Die ethnologischen Konzepte von Kultur sind ausgesprochen vielfältig und unterschiedlich (vgl. z.B. Kroeber und Kluckhohn 1952, Gamst und Norbeck 1976, Keesing 1974, Renner 1983). Böse Zungen behaupten, es gäbe so viele Kulturtheorien wie es Ethnologen gibt. Die Ethnologie lebt mit dem Zustand des uneinheitlichen Kulturverständnisses bis heute. In der Literatur zur Unternehmenskultur wird hingegen immer wieder der Versuch unternommen, möglichst griffige und klare Definitionen zu bieten.

Vor allem im deutschsprachigen, aber auch im englischsprachigen Raum wird oftmals die Definition von Schein (z.B. 1985: 19 ff, 1983: 1 4), die sich mit den struktur-funktio nali- stischen Richtungen der Ethnologie in Verbindung bringen läßt, aufgegriffen: Organisa­

tionskultur sei das Muster der grundlegenden Annahmen, die eine bestimmte Gruppe von Menschen, die lange genug zusammen waren, um bedeutende Erfahrungen gemeinsam gemacht zu haben, entwickelt hat in ihrem Bemühen, Probleme der externen und internen Anpassung und Integration zu lösen; aus der Sicht der Gruppe erfolgreiche Grundannahmen werden in der Regel als gegeben angesehen, bleiben weitgehend unbewußt und werden an neue Mitglieder als das Richtige Denken in bezug auf Probleme weitergegeben; sie sind verknüpft mit den stärker bewußten und sichtbaren Werten einer Organisation und den beobachtbaren Verhaltensmustern und Symbolen.

Welche Implikationen birgt Scheins Kulturverständnis? Bei Schein findet sich die instrumentelle Sicht von Kultur wieder, die in der Ethnologie vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts dominierend war. Menschen benötigen Kultur für ihren "Kampf ums Dasein". Ein weiterer wichtiger Punkt in Scheins Kulturauffassung ist das zugrunde liegende Menschenbild: die Reduktion des Menschen auf ein nur reagierendes Wesen. Ferner ortet Schein Kultur in einer Art kollektivem Unbewußten, einem nicht zugänglichen Dahinter oder Darunter. Mit dem folgenden, ausführlichen Zitat soll zum einen das Problem eines kulturellen "Dahinter" skizziert, gleichzeitig aber auch illustriert werden, mit welche Schärfe mitunter die Diskussionen um definitorische Grundlagen geführt werden. Feldman (1989),

(21)

eine der einen symbolisch-interpretativen Ansatz vertretenden "Gegenstimmen" der W irtschaftswissenschaftler in der Organisationsforschung, setzt sich mit Schein wie folgt auseinander:

"Whereas the interpretive concept of culture posits behaviour as being impressed with meaning (which makes the study of culture an em pirically- based science because its focuses on the significance of observable behaviour), Schein separates culture from observable behaviour. Using one of the most misunderstood concepts in the social sciences, Schein defines culture as existing in the hidden 'unconscious'. The problem is that the term 'unconscious' does not refer to a place, but is a linguistic device to describe, not locate, mental phenomena (Ryle, The Concept of Mind, 1949). But because Schein defines culture as existing in the 'unconscious', and

because he uses the term to denote a place, he is forced to claim that culture is 'not visible'. Schein is thus led to de-emphasize scientific, that is,

empirical, investigation. Instead, he suggests the use of predefined categories that he assumes comprise the unsconcious substructure of all cultures. To be sure, when he starts analysing particular cultures, Schein himself is forced into a more empirical focus. He writes, 'the process of culture formation is, in a sense, identical with the process of group

form ation'. But this reduction of cultures to behaviour is not helpful either. It collapses culture into social action, thus denying the concept of culture an empirical referent. By defining culture as a system of significant symbols by which people impress meaning on an otherwise opaque world, however, the interpretive concept of culture focuses on an empirical referent that is both observable and distinguishable from social action. (Feldman 1989: 87)

Der Kulturbegriff umfaßt sowohl die Form als auch den Stoff, er kann nicht auf das

"Unergründliche", das "Tiefe" reduziert werden. Gleiche Formen können unterschiedlichen Stoff beinhalten und umgekehrt: In Kultur A werden Verstorbene verbrannt, um der Seele die Jenseitsreise zu ermöglichen, in Kultur B werden Verstorbenen verbrannt, deren Seelen nicht in ein Jenseits gelangen, sondern vernichtet werden sollen. Kultur X drückt Trauer durch weiße Kleidung aus, Kultur Y durch schwarze. Kulturanalyse bedeutet, die Kulturelemente - Form und S to ff- z u erkennen und miteinander in Beziehung zu setzen, so daß sich ein Bild ergibt. Die Vorstellung eines Schichtenmodells von Kultur läßt sich in gewisser Weise mit dem alten Streit um das Leib-Seele-Verhältnis vergleichen, womit angedeutet werden soll, daß ein Standpunkt in dieser Frage letztendlich wieder glaubensabhängig ist.

Allaire und Firsirotu (1984) teilen die verschiedenen Kulturtheorien in Ethnologie (in Anlehnung an Keesing, 1974) und Organisationsforschung in zwei Großgruppen: jüngere

"ideationale" und früher dominierende "sozio-kulturelle" Auffassungen (vgl. Abbildung 3).

Diese Einteilung umreißt in großen Zügen die beiden Lager der aktuellen Diskussionen. Zur Illustration sollen zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen von Kultur vorgestellt werden: Für Geertz ("ideationale" Fraktion), dessen Perspektive der symbolischen oder semiotischen Richtung zugerechnet wird, ist Kultur ein dynamisches Gewebe von Bedeutungen bzw. Sinn,

(22)

mittels dessen Menschen ihre Erfahrungen interpretieren und ihre Handlungen ausrichten, ein System von allgemein geteilten Symbolen und Bedeutungen, welches nicht in den Köpfen (wie nach kognitiver Auffassung), sondern in den Bedeutungen der Interaktionen zu suchen ist (Hauptfrage ist wie). Nach Malinowski ("soziokulturelle" Fraktion), dem bekanntesten Vertreter des Funktionalismus, bedeutet Kultur für den Menschen ein Instrument zur Problemlösung, Umweltanpassung und Bedürfnisbefriedigung, kulturelle Manifestationen wie Mythen, Institutionen oder Rituale lassen sich mit Blick auf die menschlichen Grundbedürfnisse erklären (Hauptfrage warum). Im ersten Fall stellt sich Kulturanalyse nicht als Suche nach Gesetzen, sondern Interpretation von Bedeutungen für die Menschen dar, während sich nach der zweiten Ansicht alles Kulturelle auf menschliche Grundbedürfnisse und damit auf quasi biologische Naturgesetze im "Kampf ums Dasein"

zurückführen läßt.

(23)

bbildung 3: A Typology of the Conoepts of Culture. Allaire und Firsirotu 1984: 196

r * Goodenough L6vi-Strauu Wallace Geertz, Schneider Malinowski Radcliffe-Brown Boas, Benedict. White, Kluckhohn, Service, M A J O R I

Kroeber Rappoport,

T H E O R IS T S Vayda, Harris

<0

(24)

Der Großteil der Organisationsliteratur sieht Organisationen mehr oder weniger explizit als soziokulturelle Systeme mit der Annahme, daß soziale und strukturelle Komponenten völlig integriert sind (sein müssen) und übereinstimmen mit den ideationalen, symbolischen Dimensionen einer Organisation (Allaire und Firsirotu 1984: 199, Meek 1988). Aus ethnologischer Sicht ist diese zunehmende Vorliebe für "soziokulturelle" Ansätze etwas verwunderlich, da ihnen in der neueren ethnologischen Diskussion weniger Bedeutung beigemessen wird. Betrachtet man jedoch die Forschungsfelder, so wird diese Vorliebe einigermaßen verständlich: Ethnologen befassen sich mit aus abendländischer Perspektive gesehen komplizierten, verwirrenden Phänomenen wie Totembeziehungen, Speisetabus, uns fremdartig erscheinenden Taxonomien, H eirats- und Wohnfolgesystemen, magischen Gesetzen usw. Bei der Beschäftigung mit Wirtschaftsunternehmen standen und stehen Fragen nach Input-O utput-Relationen, Strategien für Erfolg oder geschäftliches

"Überleben", nach Regelkreisläufen oder "Gesetzen" der Marktwirtschaft sehr im Vordergrund. Und mit diesem Untersuchungsfeld vor Augen ist es naheliegend, ein Modell zu übernehmen oder zu entwickeln, das dieser Gedankenwelt entspricht.

Keines der Kulturkonzepte vermag Anspruch auf "Wahrheit" zu erheben - welches man für das richtige hält, ist eine Frage des eigenen jeweiligen Weltbildes. In der Literatur zu Unternehmenskultur werden (noch) sehr unterschiedliche Ansätze vertreten, bilden einen fruchtbaren "code of many colors" (Jelinek, Smircich und Hirsch 1983). Allaire und Firsirotu (1984) plädieren, mit Hinweis auf das noch weitgehend ungeklärte Verhältnis von strukturellen und kulturellen Organisationsaspekten, für ein beide Richtungen integrieren­

des Vorgehen. Sie definieren:

"... organizational culture as a particularistic system of symbols shaped by ambient society and the organization's history, leadership and contingencies, differentially shared, used and modified by actors in the course of acting and making sense out of organizational events. Organizational culture, thus conceived, is a poweful tool for interpreting organizational life and behaviour and for understanding the processes of decay, adaption and radical change in organizations." (1984: 216)

Eine Kernfrage der Organisationsdiskussion betrifft das Verhältnis zwischen "Kultur"

und "G esellschaft", also: Haben Unternehmen Kulturen ("sozio-kulturelle" Fraktion) oder sindsie Kulturen ("ideationale" Fraktion)? Die tiefen Gräben, die zwischen Verfechtern der

" is t" - und "hat"-P osition aufgetan werden, sind nur theoretisch nachvollziehbar. Meek (1988: 465), ein dezidierter Vertreter der "Ist"-F ra ktio n , schlägt vor, aus forschungs­

praktischen Gründen zwischen Kultur und Sozialstruktur zu trennen: "Culture, as a holistic concept, is far to broad to be the main thrust on any research agenda." Eine Gesellschaft

"hat" Kultur, also eine additive Verknüpfung, ist aber nach überwiegender ethnologischer

(25)

Ansicht insofern sinnlos, da alles Gesellschaftliche kulturelle Errungenschaft ist - per definitionem ist der Mensch ein Kulturwesen, Menschen oder Gesellschaften ohne Kultur daher undenkbar. (Auch bei dieser Frage läßt sich wieder auf die alte "Leib-S eele"-D ebatte hinweisen.)

In der Unternehmensforschung, vorwiegend in populären Veröffentlichungen, wird der Kulturbegriff manchmal auf einen positiven Soll-Zustand oder auf die Bedeutung von

"kultiviert" reduziert: Nur eine "gute" Kultur ist Kultur - sei es das Essen mit Messer und Gabel, den Theaterbesuch oder das "grüne Band der Sympathie" einer deutschen Großbank. Diese Kultur legt man sich zu, um sich gegenüber "kulturlosen" Konkurrenz­

unternehmen oder gar solchen mit einer "Unkultur" Vorteile zu verschaffen.

Was umfaßt eine Kulturgruppe und wie ist diese von anderen abgrenzbar? Der Idealfall der ethnologischen Forschung wäre eine in vielerlei Beziehung einzigartige Gruppe, die sich selbst als einzigartig betrachtet und dies durch eine Bezeichnung wie Tikopia, Inuit oder Tolai zum Ausdruck bringt. Analog hierzu wäre der Idealfall der Organisationsforschung eine durch Territorium, sprachliche Eigenheiten, Brauchtum, Vorstellungswelt etc. einzigartige Gruppe, die sich selbst durch Bezeichnungen wie Müller KG, Brownman Electric oder Nippon Consult abgrenzt. In beiden Bereichen bilden die Idealfälle jedoch die Ausnahme.

Internationale Konzerne, Tochtergesellschaften, Zweigwerke, Firmenakquisitionen usw.

erschweren klare Grenzziehungen.

Dies trifft ebenso für subkulturelle Abgrenzungen zu, weshalb Gregory (1983) die Frage aufwirft, ob in großen, komplexen Gesellschaften allgemein, irgend eine Gruppe als eine Kultur bestehen könnte, da der Einzelne verschiedenen Gruppen gleichzeitig und wechselnd im Verlauf seines Lebens angehört: "Societies, and many organizations, can more correctly be viewed in terms of multiple, cross-cu tting cultural contexts changing through time, rather than as stable, bounded, homogeneous cultures" (1983 : 365).

Czarniawska-Joerges (1989 : 1 2) schlägt das Hologramm als Metapher für Organi­

sationskultur vor: in jedem Teil ist das Ganze enthalten, das Hologramm repräsentiert Realität, abhängig vom Betrachtungspunkt verändert sich das Bild. Wie per Holographie müsse eine Organisationsstudie den Lesern ein Bild liefern, das konsistent ist, sich jedoch abhängig von der Perspektive wandelt: "Readers should be able to see that, although an organization seen from the top looks different than from the bottom, it is nevertheless one and the same organization, and there is no standpoint that gives the 'tru e ' picture of it."

In der Ethnologie hat man es nicht immer mit "dem " Hopi-Indianer zu tun, sondern mit Menschen, die sich je nachdem entweder durch ihre Totemzugehörigkeit, ihre Sprachgruppe, ihre Dorfgemeinschaft oder ihre Wirtschaftsweise (vgl. Eiwert 1989) einer bestimmten Gruppe zuordnen. So wie Unternehmen stark von ihrer Umgebungskultur geprägt sind, die Kultur von Siemens mehr Gemeinsamkeiten aufweist mit der von

(26)

Salamander als mit der von Renault, so sind sich die polynesischen Hawaiianer und Maori recht ähnlich im Vergleich zu den melanesischen Tolai. Branchenbezogene Ähnlichkeiten von Unternehmenskulturen ließen sich mit Parallelen vergleichen, die Ethnien mit gleicher Wirtschaftsweise aufweisen können. In beiden Forschungsbereichen lassen sich also nicht immer klare Abgrenzungen vornehmen.

Unternehmenskulturen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von sonst in der Ethnologie untersuchten Kulturen. In letztere beispielsweise wird man hineingeboren, man ist ihnen über seine Ahnen verpflichtet, und sie umfassen das ganze Leben. Die Mitgliedschaft in einem Unternehmen ist hingegen temporär - in zweierlei Beziehung: Sie umfaßt nicht die gesamte Lebensspanne von der Wiege bis zur Bahre und man verbringt nicht den ganzen Tag in ihnen. Des weiteren stellen Unternehmen in der Regel keine S p ra c h -o d e r Religionsgemeinschaft dar. Doch um Unternehmenzu betrachten, als obste Kulturen wären, müssen sie nicht notwendigerweise mit diesen traditionellen, über Jahrhunderte gewachsenen und umfassenden Kulturen übereinstimmen. Kultur kann so als Metapher verwandt werden (Morey und Luthans 1985).

(27)

4. DATENERHEBUNG

Die Organisationskulturforschung hat von Anfang an ein starkes Interesse an der von der Ethnologie entwickelten Feldforschung gezeigt. Den empirischen Grundlagen kommt in der Ethnologie traditionell ein besonderes Gewicht zu, denn zu Beginn der Disziplin waren die "Naturvölker" für den abendländischen Wissensraum weitgehend eine tabula rasa;

kaum eine Beschreibung reichte über vage Berichte Reisender hinaus. In gewisser Hinsicht trifft dies ebenfalls für Unternehmen zu, nur daß in der Unternehmenskulturforschung der Anteil der empirischen Arbeiten immer noch recht gering ist. Bis heute liegen nur wenige Monographien über einzelne Unternehmen oder Unternehmensbereiche vor.

4 .1 . QUALITATIVE VERSUS QUANTITATIVE ERHEBUNGENSMETHODEN

In der Ethnologie sind quantitative Untersuchungen bis heute selten (8) - aus welchen Gründen auch immer. Dies gilt besonders für den deutschsprachigen Raum. In der Organi­

sationstheorie jedoch hatten sich in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend quantitative und eher an den "exakten W issenschaften" orientierte Herangehensweisen durchgesetzt, während parallel die Modelle von Organisationen komplexer wurden, wie Daft (1980) anhand einer Analyse von zwischen 1 95 9 und 1979 erschienenen Beiträgen in der Zeitschrift "Administrative Science Quarterly" illustriert (9). Der Autor skizziert für die ausgehenden siebziger Jahre eine Art Krisensituation der Organisationsforschung, bedingt durch die sich verstärkende Inkongruenz von Methoden und Modellen. Der 1 979 publizierte ASQ-Sonderband über qualitative Forschung markiert gewissermaßen einen Wendepunkt.

Daß dann Anfang der achtziger Jahre im Zuge einer vermehrt qualitativen Ausrichtung ethnologische Sichtweisen in die Organisationstheorie Eingang fanden, ist also kein purer Zufall. Auf den Zusammenhang mit einem in den Sozialwissenschaften generell festzu­

stellenden Trend zu eher interpretativen Ansätzen weisen Alvesson (1990: 44), Ebers (1988: 31), Van Maanen (1979 : 522) und andere hin.

(8) Mit Ausnahme des Bereichs der Ethnoscience, vieler ethnopsychologischer oder soziologisch orientierter Arbeiten.

(9) Es wurde zwar nur eine Zeitschrift ausgewertet, diese hat jedoch für die Organisationsforschung einen hohen Stellenwert.

(28)

4 .2 . FELDFORSCHUNG

Seit den legendären Feldaufenthalten von Franz Boas in British Columbia, Alfred R.

Radcliffe-Brown auf den Andamanen und Bronislaw Malinowski auf den Trobriand-Inseln im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert hat die Feldforschung in der Ethnologie einen unumstritten zentralen Stellenwert.

"Der Anthropologe muß seine bequeme Position im Liegestuhl auf der

Veranda des Missionsgeländes oder im Bungalow des Farmers aufgeben, wo er, mit Bleistift und Notizblock und manchmal mit einem W hisky-Soda

bewaffnet, gewöhnt war, Berichte von Informanten zu sammeln, Geschichten niederzuschreiben und viele Seiten Papier mit Texten der Primitiven zu füllen.

Er muß hinaus in die Dörfer gehen und den Eingeborenen bei der Arbeit in den Pflanzungen, am Strand und im Dschungel Zusehen; er muß mit ihnen zu entfernten Sandbänken und zu fremden Stämmen fahren und sie beim Fischen, Handeln und bei zeremoniellen Überlandexpeditionen beobachten.

Die Information muß ihm, gewürzt mit eigenen Beobachtungen über das Leben der Primitiven zukommen, und darf nicht tropfenweise aus

widerwilligen Informanten herausgequetscht werden. ... Anthropologie im Freien ist im Gegensatz zu Notizen vom Hörensagen harte Arbeit, aber sie macht auch großen Spaß. Nur eine solche Anthropologie kann uns eine vollständige Vorstellung vom primitiven Menschen und von primitiver Kultur geben." (Malinowski 1973: 1 28, verfaßt 1926)

Die Übertragung von ethnologischer Methodik auf dieses Terrain wird vielfach diskutiert (vgl. z.B. Gamst 1980, Mulder van de Graaf und Rottenburg 1989). Speziell mit dem Ethnoscience-Ansatz befassen sich Morey und Luthans (1 984), mit einem eng an Claude Levi-Strauss orientierten strukturalistischen Turner (1 977), mit dem phänomeno­

logischen Sanders (1982). Obschon letzterer kein Kind der Ethnologie ist, hat die Adoption dieses Gedankengutes die neuere Entwicklung der Ethnologie und anderer Wissenschaften entscheident beeinflußt. Dies gilt ebenfalls für den Symbolischen Interaktionismus und die Ethnomethodologie, die von Soziologen entwickelt wurden, und für die Organisations­

forschung vorgeschlagen werden (Das 1988, 1983: 3 0 5 ff, Gephart 1978).

Ein Manko einer Reihe empirischer Arbeiten zur Unternehmenskultur besteht darin, daß nur Ergebnisse präsentiert werden, ohne die Fundamente der Datenerhebung deutlich zu machen. In ethnologischen Arbeiten werden in der Regel Erhebungsumstände, Feldsituation, Aufenthaltsdauer usw. genauer beschrieben. Allerdings bleiben auch dort weitergehende methodologische Überlegungen oft unausgesprochen.

Das noch recht geringe Angebot empirischer Arbeiten zur Unternehmensforschung ist eng mit den Besonderheiten des Gegenstandes verbunden. Der Forscher ist auf die Einwilligung der Erforschten angewiesen, es sei denn, er betreibt verdeckte "Spionage" wie z.B. das Wallraffsche Vorgehen. Der Bereich privatwirtschaftlicher Unternehmen erscheint größeren Einblicknahmen Dritter gegenüber oftmals recht sensibel. Viele Unternehmen

(29)

bestehen auf absoluter Geheimhaltung der Forschung, Forschungsergebnisse dürfen nicht veröffentlicht werden, was den akademischen Zielen abträglich ist (Perey 1988: 11 2).

Stationäre Feldforschung, wie sie von der Ethnologie anhand der Untersuchung schriftloser "Stammesgesellschaften" entwickelt wurde, meint in der Tradition ein langdauerndes - auch mehrjähriges - "M itleben" des Beobachters unter den Beobachteten: Er lernt ihre Sprache und mehr und mehr, wie sie zu denken, wird zu einem

"marginal native" (Freilich 1977). Die Extremversion ist das "going native", dessen Gegenpol die nichtteilnehmende Beobachtung ist, die allerdings in der Ethnologie noch unbedeutender ist als das völlige E in- und Untertauchen des "going native". Trotz lang­

dauernder Beobachtung ist geboten, die Rolle des neutralen Beobachters einigermaßen zu wahren, obwohl dies im Laufe der Zeit mit zunehmender Involvierung schwerer fällt (Wacaster und Firestone 1978). Dieses letzte bißchen Distanz gewährt dem Forscher die Narrenfreiheit, die er benötigt, um sich freier zu bewegen, als dies Mitgliedern möglich wäre.

Ethnologische Feldforschung bewegt sich üblicherweise also in einem Mittelfeld zwischen Nähe und Distanz, mehr in Richtung Nähe tendierend. Von einigen Ethnologen wird sehr weitgehende Teilnahme gefordert, d.h. unter Bauern selbst ein Feld zu bestellen, unter Viehzüchtern selbst Tiere zu halten, sich wie die Beobachteten zu ernähren usw. - also gegebenenfalls Käferlarven zu verspeisen oder auf der Erde zu schlafen. Andere wiederum bestreiten den heuristischen Wert solch weitgehender Teilnahme und betonen stattdessen die An-Teilnahme. In Unternehmen wird sie durch die Komplexität moderner Berufe, A rbeits- und Sicherheitsbestimmungen usw. limitiert (Mulder van de Graaf und Rottenburg

1 9 8 9 :3 0 ).

Was sich für den traditionellen ethnologischen Untersuchungsbereich als zweckmäßig oder notwendig erwiesen hat - die lange Aufenthaltsdauer - muß für das spezielle Feld Unternehmen (der eigenen Großkultur) nicht erforderlich sein und ist zudem wohl wenig praktikabel, obschon sich für die Erforschung von Kulturwandlungsprozessen auch im Organisationsbereich Langzeitstudien als notwendig erweisen können (Wacaster und Firestone 1978). Janata (1988 : 55) hält in Anbetracht der Zeitknappheit die Möglichkeit einer sinnvollen ethnologischen Tätigkeit in Unternehmen für fraglich. Sicherere Antworten können beim jetzigen Forschungsstand noch nicht erwartet werden. Knorr-C etina (1 984) hat ihrer "Ethnographie naturwissenschaftlicher Erkenntniserzeugung" ein ganzes Jahr im Feld, einem Labor, gewidmet. Rosen (1988) war zehn Monate lang als teilnehmender Beobachter in einer Werbeagentur tätig und hat mit den Mitarbeitern darüber hinaus einen Teil seiner Freizeit verbracht. Sykes (1966) klassischer Untersuchung zu den anhand stammesgesellschaftlicher Forschungen herauskristallisierten "Joking Relationships"

zwischen möglichen Heiratskandidaten in einem Glasgower Industriebetrieb liegen vier Monate teilnehmende Beobachtung zugrunde, Barleys (1983) semiotischer Untersuchung

(30)

zur Bedeutungswelt von Bestattern drei Monate. Die Unternehmenskultursstudien von Mulder van de Graaf et al. (1989b) über ein Dienstleistungsunternehmen und und Rottenburg, Brand und Merkens (1988) über berufliche Ausbildung basieren auf v ie r- bzw.

sechswöchigen Feldaufenthalten.

Traditionell sind ethnologische Feldforscher bestrebt, die Kultur in ihrer "Gesamtheit"

zu erfassen (monographische Arbeiten), wobei über den Umfang dieser "Gesamtheit" kein Konsens besteht (Freilich 1977: 25f). Im Zuge einer an bestimmten Fragen interessierten Beobachtung erfolgt eine Beobachtungskonzentration. Bei jeder Feldforschung ist irgendwann ein Punkt erreicht, von dem aus ein Mehr an Fakten kein Mehr an Erkenntnissen bedeutet. Dieser Zeitpunkt ist abhängig von der Feldsituation und den zu untersuchenden Fragestellungen.

Jede Feldforschung läßt sich grundsätzlich in zwei Phasen teilen: einer passiveren, allgemein orientierenden, explorativen Phase des Eingewöhnens, in der das Neue oder Verwirrende ganz im Vordergrund steht, und einer anschließenden aktiveren Phase gezielterer Erhebung, in der die eigentliche Arbeit des Forschers abläuft. Bei der Unter­

nehmensforschung in der eigenen Gesellschaft verläuft die erste Phase ungleich kürzer als in einer sehr fremden Kultur, unter Menschen, deren Sprache man nicht spricht. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe für kürzere Erhebungszeiten in der Unternehmensforschung.

Feldforschung im Organisationsbereich stellt einen signifikanten Unterschied im Setting dar, doch die Erfahrungen zeigen, daß sie nicht notwendigerweise Unterschiede in angestammten Forschungstechniken oder Methodologie bedeuten. Es lassen sich weitere zahlreiche Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzählen - zur Entrance-Situation beispiels­

weise stellen Mulder van de Graaf und Rottenburg (1 9 8 9 : 2 5 -2 8 ) vergleichend fest:

"So, wie man in Stammesgesellschaften die lokalen Autoritäten, etwa König, Häuptling und Priester nicht umgehen kann, braucht man auch in

Unternehmen die Billigung der Geschäftsleitung. In beiden Fällen befindet man sich in einer mißlichen Situation, weil man als ungeladener Gast zunächst nur Mißtrauen und bestenfalls Unverständnis ernten kann, zumal man weder etwas verkaufen noch verkünden will, und auch etwas genau Benenn- und Bewertbares, für das man ja auch zahlen müßte, will man nicht h a b e n .... Sowohl in Stammesgesellschaften als auch in Unternehmen braucht man einen 'Torw ächter': eine Person, die ein Eigeninteresse mit dem Besuch des Ethnologen verbindet und ihm die Wege ebnet."

Nach den Erfahrungen der Autoren mit Feldstudien in mehreren Unternehmen (10) wird das Mißtrauen auf niedrigeren Hierarchieebenen größer. Nur Geschäftsleiter könnten relativ günstige Bedingungen für eine Feldforschung ermöglichen. Der Torwächter, zumeist - und zumindest - ein einflußreicher Funktionsträger, liefert erste Hinweise zur U nter-

(10) Vgl. Mulder van de Graaf et al. 1989a, 1989b und Rottenburg, Brand und Merkens 1988. 1989.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Insgesamt 251 gebührenpflichtige Verwarnungen und 53 Abschleppmaßnahmen waren das Ergebnis einer am Freitag, 22.. März 2019, durchgeführten Kontrolle in den Stadtteilen Nord/Hemshof

Da es in jedem Fall eine Marke gewe- sen wäre, die ich sonst nicht verwende, hätte er damit eine 50:50-Chance gehabt: Sie hätte mir gefallen können und er hätte mich

In einer Phase des vermehr- ten One-Stop-Shoppings, in der viele Verbraucher bei ihren Drogerieprodukten Abstriche gemacht haben, um neben dem Lebensmittelhandel mit der

der Kulturrevolution in China eine starke religiöse Komponente zugesprochen.. Bei näherer Uberprüfung läßt sich diese Diesseits-Jenseits-Un¬.. terscheidung, so sehr sie

Man beachte, daß bei einer Verdoppelung der Dosis auch der an sich &#34;ideale&#34; Wirkstoff bis Mittemacht noch nicht vollständig ausgeschieden wäre, (gezeichnet

[r]

Neben der Tafel Kleve dürfen sich auch die Tafeln in Geldern, Goch, Kalkar und Kevelaer über eine Spende freuen. Und nachdem im letzten Jahr die Repair-Cafés im Kreis Kleve

Nach dem Einsatz des &#34;Victor&#34; entlang einer Fahrtroute über die Zwillingskuppe (&#34;Twin mounds&#34;) wurde das Fahrzeug am Vormittag wieder geborgen.. Während des