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4. Datenerhebung

4.2. Feldforschung

Seit den legendären Feldaufenthalten von Franz Boas in British Columbia, Alfred R.

Radcliffe-Brown auf den Andamanen und Bronislaw Malinowski auf den Trobriand-Inseln im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert hat die Feldforschung in der Ethnologie einen unumstritten zentralen Stellenwert.

"Der Anthropologe muß seine bequeme Position im Liegestuhl auf der

Veranda des Missionsgeländes oder im Bungalow des Farmers aufgeben, wo er, mit Bleistift und Notizblock und manchmal mit einem W hisky-Soda

bewaffnet, gewöhnt war, Berichte von Informanten zu sammeln, Geschichten niederzuschreiben und viele Seiten Papier mit Texten der Primitiven zu füllen.

Er muß hinaus in die Dörfer gehen und den Eingeborenen bei der Arbeit in den Pflanzungen, am Strand und im Dschungel Zusehen; er muß mit ihnen zu entfernten Sandbänken und zu fremden Stämmen fahren und sie beim Fischen, Handeln und bei zeremoniellen Überlandexpeditionen beobachten.

Die Information muß ihm, gewürzt mit eigenen Beobachtungen über das Leben der Primitiven zukommen, und darf nicht tropfenweise aus

widerwilligen Informanten herausgequetscht werden. ... Anthropologie im Freien ist im Gegensatz zu Notizen vom Hörensagen harte Arbeit, aber sie macht auch großen Spaß. Nur eine solche Anthropologie kann uns eine vollständige Vorstellung vom primitiven Menschen und von primitiver Kultur geben." (Malinowski 1973: 1 28, verfaßt 1926)

Die Übertragung von ethnologischer Methodik auf dieses Terrain wird vielfach diskutiert (vgl. z.B. Gamst 1980, Mulder van de Graaf und Rottenburg 1989). Speziell mit dem Ethnoscience-Ansatz befassen sich Morey und Luthans (1 984), mit einem eng an Claude Levi-Strauss orientierten strukturalistischen Turner (1 977), mit dem phänomeno­

logischen Sanders (1982). Obschon letzterer kein Kind der Ethnologie ist, hat die Adoption dieses Gedankengutes die neuere Entwicklung der Ethnologie und anderer Wissenschaften entscheident beeinflußt. Dies gilt ebenfalls für den Symbolischen Interaktionismus und die Ethnomethodologie, die von Soziologen entwickelt wurden, und für die Organisations­

forschung vorgeschlagen werden (Das 1988, 1983: 3 0 5 ff, Gephart 1978).

Ein Manko einer Reihe empirischer Arbeiten zur Unternehmenskultur besteht darin, daß nur Ergebnisse präsentiert werden, ohne die Fundamente der Datenerhebung deutlich zu machen. In ethnologischen Arbeiten werden in der Regel Erhebungsumstände, Feldsituation, Aufenthaltsdauer usw. genauer beschrieben. Allerdings bleiben auch dort weitergehende methodologische Überlegungen oft unausgesprochen.

Das noch recht geringe Angebot empirischer Arbeiten zur Unternehmensforschung ist eng mit den Besonderheiten des Gegenstandes verbunden. Der Forscher ist auf die Einwilligung der Erforschten angewiesen, es sei denn, er betreibt verdeckte "Spionage" wie z.B. das Wallraffsche Vorgehen. Der Bereich privatwirtschaftlicher Unternehmen erscheint größeren Einblicknahmen Dritter gegenüber oftmals recht sensibel. Viele Unternehmen

bestehen auf absoluter Geheimhaltung der Forschung, Forschungsergebnisse dürfen nicht veröffentlicht werden, was den akademischen Zielen abträglich ist (Perey 1988: 11 2).

Stationäre Feldforschung, wie sie von der Ethnologie anhand der Untersuchung schriftloser "Stammesgesellschaften" entwickelt wurde, meint in der Tradition ein langdauerndes - auch mehrjähriges - "M itleben" des Beobachters unter den Beobachteten: Er lernt ihre Sprache und mehr und mehr, wie sie zu denken, wird zu einem

"marginal native" (Freilich 1977). Die Extremversion ist das "going native", dessen Gegenpol die nichtteilnehmende Beobachtung ist, die allerdings in der Ethnologie noch unbedeutender ist als das völlige E in- und Untertauchen des "going native". Trotz lang­

dauernder Beobachtung ist geboten, die Rolle des neutralen Beobachters einigermaßen zu wahren, obwohl dies im Laufe der Zeit mit zunehmender Involvierung schwerer fällt (Wacaster und Firestone 1978). Dieses letzte bißchen Distanz gewährt dem Forscher die Narrenfreiheit, die er benötigt, um sich freier zu bewegen, als dies Mitgliedern möglich wäre.

Ethnologische Feldforschung bewegt sich üblicherweise also in einem Mittelfeld zwischen Nähe und Distanz, mehr in Richtung Nähe tendierend. Von einigen Ethnologen wird sehr weitgehende Teilnahme gefordert, d.h. unter Bauern selbst ein Feld zu bestellen, unter Viehzüchtern selbst Tiere zu halten, sich wie die Beobachteten zu ernähren usw. - also gegebenenfalls Käferlarven zu verspeisen oder auf der Erde zu schlafen. Andere wiederum bestreiten den heuristischen Wert solch weitgehender Teilnahme und betonen stattdessen die An-Teilnahme. In Unternehmen wird sie durch die Komplexität moderner Berufe, A rbeits- und Sicherheitsbestimmungen usw. limitiert (Mulder van de Graaf und Rottenburg

1 9 8 9 :3 0 ).

Was sich für den traditionellen ethnologischen Untersuchungsbereich als zweckmäßig oder notwendig erwiesen hat - die lange Aufenthaltsdauer - muß für das spezielle Feld Unternehmen (der eigenen Großkultur) nicht erforderlich sein und ist zudem wohl wenig praktikabel, obschon sich für die Erforschung von Kulturwandlungsprozessen auch im Organisationsbereich Langzeitstudien als notwendig erweisen können (Wacaster und Firestone 1978). Janata (1988 : 55) hält in Anbetracht der Zeitknappheit die Möglichkeit einer sinnvollen ethnologischen Tätigkeit in Unternehmen für fraglich. Sicherere Antworten können beim jetzigen Forschungsstand noch nicht erwartet werden. Knorr-C etina (1 984) hat ihrer "Ethnographie naturwissenschaftlicher Erkenntniserzeugung" ein ganzes Jahr im Feld, einem Labor, gewidmet. Rosen (1988) war zehn Monate lang als teilnehmender Beobachter in einer Werbeagentur tätig und hat mit den Mitarbeitern darüber hinaus einen Teil seiner Freizeit verbracht. Sykes (1966) klassischer Untersuchung zu den anhand stammesgesellschaftlicher Forschungen herauskristallisierten "Joking Relationships"

zwischen möglichen Heiratskandidaten in einem Glasgower Industriebetrieb liegen vier Monate teilnehmende Beobachtung zugrunde, Barleys (1983) semiotischer Untersuchung

zur Bedeutungswelt von Bestattern drei Monate. Die Unternehmenskultursstudien von Mulder van de Graaf et al. (1989b) über ein Dienstleistungsunternehmen und und Rottenburg, Brand und Merkens (1988) über berufliche Ausbildung basieren auf v ie r- bzw.

sechswöchigen Feldaufenthalten.

Traditionell sind ethnologische Feldforscher bestrebt, die Kultur in ihrer "Gesamtheit"

zu erfassen (monographische Arbeiten), wobei über den Umfang dieser "Gesamtheit" kein Konsens besteht (Freilich 1977: 25f). Im Zuge einer an bestimmten Fragen interessierten Beobachtung erfolgt eine Beobachtungskonzentration. Bei jeder Feldforschung ist irgendwann ein Punkt erreicht, von dem aus ein Mehr an Fakten kein Mehr an Erkenntnissen bedeutet. Dieser Zeitpunkt ist abhängig von der Feldsituation und den zu untersuchenden Fragestellungen.

Jede Feldforschung läßt sich grundsätzlich in zwei Phasen teilen: einer passiveren, allgemein orientierenden, explorativen Phase des Eingewöhnens, in der das Neue oder Verwirrende ganz im Vordergrund steht, und einer anschließenden aktiveren Phase gezielterer Erhebung, in der die eigentliche Arbeit des Forschers abläuft. Bei der Unter­

nehmensforschung in der eigenen Gesellschaft verläuft die erste Phase ungleich kürzer als in einer sehr fremden Kultur, unter Menschen, deren Sprache man nicht spricht. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe für kürzere Erhebungszeiten in der Unternehmensforschung.

Feldforschung im Organisationsbereich stellt einen signifikanten Unterschied im Setting dar, doch die Erfahrungen zeigen, daß sie nicht notwendigerweise Unterschiede in angestammten Forschungstechniken oder Methodologie bedeuten. Es lassen sich weitere zahlreiche Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzählen - zur Entrance-Situation beispiels­

weise stellen Mulder van de Graaf und Rottenburg (1 9 8 9 : 2 5 -2 8 ) vergleichend fest:

"So, wie man in Stammesgesellschaften die lokalen Autoritäten, etwa König, Häuptling und Priester nicht umgehen kann, braucht man auch in

Unternehmen die Billigung der Geschäftsleitung. In beiden Fällen befindet man sich in einer mißlichen Situation, weil man als ungeladener Gast zunächst nur Mißtrauen und bestenfalls Unverständnis ernten kann, zumal man weder etwas verkaufen noch verkünden will, und auch etwas genau Benenn- und Bewertbares, für das man ja auch zahlen müßte, will man nicht h a b e n .... Sowohl in Stammesgesellschaften als auch in Unternehmen braucht man einen 'Torw ächter': eine Person, die ein Eigeninteresse mit dem Besuch des Ethnologen verbindet und ihm die Wege ebnet."

Nach den Erfahrungen der Autoren mit Feldstudien in mehreren Unternehmen (10) wird das Mißtrauen auf niedrigeren Hierarchieebenen größer. Nur Geschäftsleiter könnten relativ günstige Bedingungen für eine Feldforschung ermöglichen. Der Torwächter, zumeist - und zumindest - ein einflußreicher Funktionsträger, liefert erste Hinweise zur U

nter-(10) Vgl. Mulder van de Graaf et al. 1989a, 1989b und Rottenburg, Brand und Merkens 1988. 1989.

nehmenskultur. Er wird versuchen, die Bedingungen der Feldforschung festzulegen, etwa Gesprächspartner auszusuchen oder aber die Wahl den Feldforschern zu überlassen.

Perey (1988: 108f) hingegen schreibt, in Unternehmen sei die Informantensuche vergleichsweise einfach: "In der Regel berichten Unternehmensanthropologen von einer ausdrücklichen Teilnahmebereitschaft, und zwar auf allen Ebenen der Organisation" (1988:

109).

Sind aufgrund der Fragestellungen und Untersuchungsfelder verdeckte Beobachtungen möglich (und vertretbar), entfallen die genannten Entrance- Schwierigkeiten. Sykes (1966), Sandrock (1968), Linstead (1985) und andere haben in einer feldüblichen Rolle unerkannt beobachtet. Die Übernahme einer Beschäftigtenrolle ist insofern nachteilig für die Beobachtung, da man die Rollenanforderungen erfüllen und stets Energie in die Aufrechterhaltung der Maske setzen muß (Sandrock 1 986).

Da man nicht zu allen Feldmitgliedern ein gleich gutes und informatives Verhältnis herstellen kann, kristallisieren sich während der Feldarbeit bestimmte Personen als Hauptinformanten heraus. Sie werden entweder ausgewählt oder bieten sich an. Es hat sich gezeigt, daß es oft Personen mit marginalem Status im Feld sind, die als selbst in irgendeiner Weise Außenstehende eher bereit sind, Kontakte zu einem Fremden, Außenstehenden aufzunehmen. Malinowski (1973 : 21) schreibt, der ideale Informant sei ein einheimischer

"Soziologe", der fähig ist, "... mit unglaublicher Genauigkeit und Einsicht die raison d'etre aufzuzeigen, die Funktion und die Organisation mancher einfachen Institution in seinem Stamm". Dabei ist zu beachten, daß Feldmitglieder nicht als "Schlüsseiinformanten"

ausgewählt werden, nur weil sie dem Beobachter so wunderbar schlüssige Bilder ihrer Kultur zeichnen. In der Praxis werden jedoch zumeist diejenigen zu "Schlüsselinformanten"

erkoren, die einerseits wohl über einige Kompetenz auf dem zu erforschenden Gebiet verfügen, andererseits sich aber überhaupt als Informanten zur Verfügung stellen. Nach den Erfahrungen von Mulder van de Graaf und Rottenburg erweisen sich noch nicht

"betriebsblinde" "Quereinsteiger" als wertvolle Informanten (1989 : 29).

Auch subkulturelle Besonderheiten haben bedeutenden Einfluß auf die Feldfor­

schungssituation. K norr-C etina (1984: 56f) nennt als Eigenheiten ihres Feldes, ein kalifornisches Laboratorium, eine recht geringe Zugänglichkeit: man hat keine Zeit, empfindet die "Gegenwart eines gesprächigen und ignoranten Sozialwissenschaftlers in engen Büros und vollgestopften Laborräumen" als lästig:

"Nichts erscheint störender, als beim Adjustieren eines Instruments, beim Messen eines Versuchswertes, beim Eingeben von Befehlen am Terminal oder beim Formulieren eines veröffentlichbaren Satzes durch eine

unerwartete Frage aufgeschreckt zu werden. Davon abgesehen, kann allein die ständige Präsenz eines Beobachters irritierend genug wirken, um Konzentration zu zerstören." (1984 : 57)

Diese Forschungssituation wird mit einer in F&E-Abteilungen von Unternehmen in vielen Aspekten große Ähnlichkeiten aufweisen.

Inder ethnologischen Tradition besteht das Ideal des einsamen Forschers im Felde.

Von einigen wird das singuläre Arbeiten zur Maxime gemacht, mit Begründungen wie: Mehr als ein Fremder wirkt störend auf das Feld; nur als alleiniger Fremder ist man gezwungen, alle Sozialkontakte auf das Feld zu richten; Feldforschung ist eine höchstpersönliche Erfahrung etc. Perey(1 988 : 1 09) sieht den einsamen "Allround-Ethnologen", der sich mit sämtlichen Aspekten fremder Lebensweisen befaßt, als untypisch für S tadt- und Unterneh­

mensethnologie. Hier profitiere der Ethnologe von der Teamarbeit mit Soziologen, Psychologen, Sozialarbeitern, W irtschafts- und auch Naturwissenschaftlern sowie technischen Fachleuten, welche seine Perspektive ergänzen und zusätzliche Anregungen bieten. Es könnten sich auch gemischte Teams - zumindest eine enge Zusammenarbeit - von Mitarbeitern des Unternehmens und in der Kulturanalyse erfahrenen Externen als ratsam erweisen (Das 1 983 : 31 0, Dierkes 1 988 : 565).

Mit dem holistischen Kulturverständnis der Ethnologie erklärt sich das Detail durch das Ganze, und läßt sich wiederum das Ganze durch das Detail erschließen, indem es als pars pro toto erscheint. Mögliche konkrete Untersuchungsgegenstände wären etwa Verhaltens- und Einstellungsmuster von Mitarbeitern bzw. Organisationsmitgliedern, Symboliken, Kommunikationswege und -Strukturen, Arbeitsplätze und ihre physische Beschaffenheit, Sprachbesonderheiten, Interaktion untereinander und mit der Außenwelt, subkulturelle Besonderheiten, Machtstrukturen, Enkulturation, Akkulturation, das Alltägliche und das Außergewöhnliche wie beispielsweise Krisensituationen usw. Ein fruchtbares und für viele Ethnologen interessantes Themengebiet bei Organisationsstudien bilden wiederkehrende Ereignisse mit zeremoniellem oder rituellem Charakter. Viele von der Ethnologie elaborierte Spezialitäten, beispielsweise die Erforschung innerer Phänomene wie Trance oder Besessenheit, könnten in der Unternehmensforschung wohl nur in Ausnahmefällen Anwendung finden; sie bleiben hier unberücksichtigt. Im folgenden soll anhand einiger Beispiele gezeigt werden, auf welchen Wegen verschiedene konkrete Unter­

suchungsgegenstände oder -fe ld e r ethnologisch erforscht werden können.

Rosen (1988) betrachtet eine Weihnachtsfeier einer New Yorker Werbefirma, in welcher er zehn Monate lang als Feldforscher tätig war, als 'social drama', und schildert, wie das R egel- und Statussystem des Unternehmens durch dieses Ereignis reflektiert, bestätigt und bekräftigt wird. Auch zeremonielle Statusdegradierungen können als Drama betrachtet werden. Einerder "Väter" der Ethnomethodologie, Harold Garfinkei (1956), hat sich in den fünfziger Jahren damit befaßt; etwa 20 Jahre später hat Gephart (1978) in ähnlicher Weise eine Degradierungszeremonie anhand eines solchen Ereignisses in einer kanadischen Studentenorganisation untersucht. Ausgehend von seinem speziellen Ansatz

entwickelt er eine Theorie zur Statusdegradierung als einer Form von organisatorischer Nachfolgeschaft, "...w hich focuses on the process whereby organizational schemes are constructed, modified, and invoked as interpretational frameworks used by members to make sense of scenic events, and to accomplish succession as a practical outcome of organizational behavior" (1978: 580).

Jordan (1990) studiert Akkulturationsprozesse, die durch die Verschmelzung zweier amerikanischer Unternehmen ausgelöst wurden, und zeigt, wie sich dieses traditionelle Ethnologenthema im Unternehmensbereich einbringen läßt. Zur

Gregory (1983) geht vom Ethnoscience-Ansatz aus, um die Perspektive von "natives"

im amerikanischen High-Tech-Zentrum Silicon Valley zu erfassen, inbesondere deren Konzepte von sozialen Kategorien, und unterschiedliche Orientierungen oder Kulturen zu identifizieren. Anhand umfangreicher Interviewtranskriptionen sowie von Firmendokumenten aller Art, die als "Texte" betrachtet werden, analysiert Gregory semantische Felder, die ein nicht ethnozentrisches, detalliertes Verständnis der untersuchten Kultur ermöglichen sollen (vgl. auch Morey und Luthans 1984, 1985). Zu den Ergebnissen ihrer Arbeiten gehört ein differenziertes Bild von sich überlappenden Gruppen und Subgruppen, die sich zu einer multikulturellen Organisation zusammenfügen.

Einen Zugang zu Bedeutungssystemen per Sprache und Zeichen verfolgt ebenfalls Barley (1983), der ein amerikanisches Bestattungsunternehmen, speziell die Perspektive der Direktorenbrüder untersucht. Er arbeitet anhand intensiver Befragungen heraus, wie identische codes die Bedeutungswelt der Bestatter während der verschiedenen Aufgaben strukturieren. Sein Ziel ist zu verstehen, wie ein Bestatter seine Tätigkeit auffaßt, zu verstehen, mit welchen Komponenten eine Kultur wie strukturiert ist. Während Barleys Untersuchung auf dreimonatiger V or-O rt-B eobachtung und Befragung basiert, arbeitet Fiol (1989) in Verfolgung eines etwas anderen semiotischen Ansatzes aus dreissig Firmenbriefen ein relativ einfaches Muster von Vorstellungen heraus, die den komplexen Beziehungen zwischen Unternehmen und Umfeldern zugrunde liegen.

Die eben genannten Forschungsansätze, Ethnomethodologie, Ethnoscience und Semiotik, konzentrieren sich ganz auf die Bedeutungsgebungen durch die Akteure, wobei jedoch von der Ethnoscience-Forschung und Semiotik ausgesprochen elaborierte Verfahren entwickelt wurden, die emische Perspektive erfassen zu können.

Organisationsstudien müssen nicht auf den durch Territorialität oder anders begrenzten engeren Binnenbereich beschränkt bleiben. Hanford (1989), ein Ethnologe, der in einem amerikanischen Energieversorgungsunternehmen im direkten Kundenkontakt tätig ist, skizziert u.a. eine Ethnographie der Kundenbeziehungen des Unternehmens. Da wirtschaftliche Organisationen nicht hermetisch abgeschlossen sind, zählen solche trans­

organisatorischen Untersuchungen noch zum Organisationsansatz. Reddy und Rao (1990)

betrachten das marktliche Beziehungsgeflecht selbst als eine "Interfirm Organization", die sich allerdings nur sehr diffus und unscharf konturiert darstellen läßt.

Plattner (1984) faßt Händler eines Wochenmarktes in St. Louis, Missouri, zu einer (Kultur-) Gruppe zusammen, studiert sie mittels Feldstudien und Interviews, und untersucht mit Hilfe eines Computersimulationsprogrammes ihr wirtschaftliches Entscheidungs­

verhalten, welches die einzelnen Händler selbst dem Ethnologen nicht darstellen oder erklären können. Diesen emischen Daten stellt Plattner etische Beobachtungsergebnisse zu eben diesem Verhalten gegenüber und findet Divergenzen zwischen dem, was die Händler erzählen bzw. wie sie in der spielerischen Simulationswelt agieren und ihrem beobachtbaren Verhalten in der Praxis.

Ethnologische Arbeiten sind überwiegend auf die Insider-Perspektiven gerichtet, auftretende Widersprüche zwischen emischen und etischen Forschungsergebnissen werden eher sporadisch thematisiert und diskutiert als Ausdruck von 'falsch en' etischen Kategorien ("Können Hexen Fliegen?"), von Divergenzen zwischen Idealen und Praxis (Selbstlüge) oder von absichtlich 'falsch er' Darstellung gegenüber dem Ethnologen.

Wie wichtig ein über bloße distanzierte Beobachtung hinausgehendes Verstehen für die Erhebungsphase selbst ist, zeigen z.B. die bislang noch wenigen Untersuchungen über Humor in Unternehmen, denn witzige Situationen müssen vom Beobachter als solche erkannt und verstanden werden. Linstead (1985) untersucht die kulturstabilisierende Bedeutung von Humor unter Arbeitern einer großen Bäckereifabrik in Nordengland. Im Humor finden sich Regeln durch Umkehrung oder Umbewertung reflektiert. Auf die Bedeutung bei der Untersuchung von Freundschafts- und Machtbeziehungen, auf gruppenbindende sowie -abgrenzende Wirkungen weisen Duncan und Feisal (1989) (vgl.

auch Duncan 1982) hin, die Humor am Arbeitsplatz in den Wahrnehmungshorizont aufmerksamer Manager rücken möchten.

Wie eben bereits angesprochen, erscheinen Regeln bei Nichtbefolgung besonders deutlich, und mittels einer Reihe von Nichtbefolgungen lassen sich die Grenzen eines konformen Verhaltens ausloten. Legnaro (1974) verwendet das Beispiel von Till Eulenspiegel, um zu illustrieren, wie durch die Nichtbeachtung von Regeln der Common Sense deutlich wird. Wenig empfehlenswert wäre es, selbst solche Garfinkelschen Experimente in einem Feld auszuführen, in welchem man noch etwas länger als Beobachter verweilen möchte. (Auch Till Eulenspiegels "Experimente" haben in der Regel zu seiner Vertreibung geführt.) Bei Kleinigkeiten, die jedem Feldforscher anfangs notwendig unterlaufen, da er die Regeln erst noch erkennen möchte, und die wesentlicher Teil seiner Initiation zu einem Insider-Verständnis sind, besteht die Feldreaktion vielleicht noch in Gelächter und Korrektur, bei gravierenden Regeln kann auch für "Außenstehende mit Narrenfreiheit" eine nicht tolerable Grenze überschritten werden. Folglich ist es sinnvoller,

man überläßt die Übertretung anderen, d.h. erschließt aus Fällen von Nichtbefolgung das konforme Verhalten.

Feldforschung bedeutet Teilnahme am Leben, die Mitarbeit in einem Unternehmen umfaßt aber nur einen Teilbereich. Aus ethnologischer Sicht ließe sich fragen, ob die Einbeziehung des Privatbereiches die Unternehmenskulturforschung möglicherweise bereichern könnte, ob sich etwa aus dem Freizeitverhalten von Mitarbeitern Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur ziehen ließen. Wenn man bedenkt, daß viele Bundesbahn­

bedienstete in ihrer Freizeit begeisterte Modelleisenbahner oder "Train Spotter" sind, und diese Eisenbahnleidenschaft sicherlich Auswirkungen auf das Ausmaß der Identifikation mit dem Unternehmen Bundesbahn hat, erscheint dieser Gedanke nicht abwegig. Deal and Kennedy (1 982) beziehen in ihre Unternehmensstudien das Freizeitverhalten (z.B. Sport) und den Privatbereich (z.B. Wohnung) mit ein.

Im Unterschied zur Soziologie, die sich bis vor einiger Zeit noch sehr auf die Erfassung von Verbalisierbarem mittels Fragebogen konzentriert hat, schließt die Ethnologie traditionell materielle Kulturäußerungen in die Erhebung ein, würde im Bereich der Unternehmens­

kulturforschung also auch die Symbolik von Architektur, Interieur oder Firmenzeichen untersuchen, und Kleidung, egal ob Grasrock oder Nadelstreifen, ist eine Form symbolischer Kommunikation - damit Gegenstand der Kulturforschung (vgl. z.B. Turner

1977: 106).

Als wichtigste Prinzipien der Feldforschung nennt Girtler (1984 : insbes. 3 6 -4 0 ) Kommunikation und Offenheit. Üblicherweise geht ein Ethnologe ohne feste Hypothesen ins Feld und ist bereit, die im direkten Kontakt mit der dortigen sozialen Welt erstellten Hypothesen laufend zu modifizieren (Girtler 1984: 170). Diese Offenheit gegenüber dem Fremden ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen für eine Überwindung ethnozen- tristischer Übertragungen und einen Zugang zum 'Native's Point of View'.

Die skizzierte ethnologische Vorgehensweise wird als methodisch schwer faßbar oder überhaupt nicht formalisierbar beschrieben. Wie auch immer, Feldforschung ist keine esoterische Kunst, bedarf jedoch einiger Erfahrung und "Wahrnehmungsschulung", um effizient einsetzbar zu sein. Das - unerreichte und unerreichbare - Idealbild der Ethnologie ist wohl immer noch "... the chameleon fieldworker, perfectly self tuned to his exotic surroundings, a walking miracle o f empathy, tact, patience, and cosmopolitanism..." (Geertz 1976: 222). Bei der deutlich pragmatischer orientierten wirtschaftswissenschaftlichen Unternehmenskulturforschung wird zumeist eher ein nach "gesicherten Erhebungsstandards" vorgehender "schneller" Feldforscher als ein "mirakulöser"

favorisiert.

"One difficulty with ethnological data has been the 'flexibility' of its

interpretations by those who attempt to use the information. Social scientists outside of anthropology are troubled about aspects of our meta-methodology related to our standards for representativeness, reliability, and validity of reported data... Ethnological methodology is sometimes obtuse and baroque and is often developed in exotic nonreplicable field settings." (Gamst 1980:

interpretations by those who attempt to use the information. Social scientists outside of anthropology are troubled about aspects of our meta-methodology related to our standards for representativeness, reliability, and validity of reported data... Ethnological methodology is sometimes obtuse and baroque and is often developed in exotic nonreplicable field settings." (Gamst 1980: