• Keine Ergebnisse gefunden

Bei der ethnologischen Vorgehensweise sind Datenerhebung und Interpretation eng miteinander verwoben (Malinowski 1973: 22 5 ff, Sperber 1989: 2 0 ff, Geertz 1976, Girtler 1984, Van Maanen 1 979).

'Je d e s Vorhaben einer wissenschaftlichen Ethnologie hat es mit einer wesentlichen Schwierigkeit zu tun: Es ist schier unmöglich, ein kulturelles Phänomen - zum Beispiel eine Wahl, eine Messe oder ein Fußballspiel - adäquat zu beschreiben, wenn man nicht die Vorstellung mitberücksichtigt, die sich die Beteiligten davon machen. Vorstellungen lassen sich aber nicht beobachten, sie werden intuitiv verstanden; sie lassen sich nicht

beschreiben, sie werden gedeutet. Infolgedessen w irft die Beschreibung kultureller Phänomene Probleme auf, mit denen die Naturwissenschaften nicht konfrontiert sind (1 2)." (Sperber 1989: 20)

Für die zum Teil stark an den Naturwissenschaften orientierte Organisationsforschung mag diese dominierende Hermes-Tätigkeit der Ethnologie vielleicht etwas zweifelhaft erscheinen, zumal der intuitive Interpretationsvorgang nicht überprüfbar ist.

Bei der Interpretation, dem Zusammenfügen der Daten zu einem einigermaßen einheitlichen Bild der Kultur XY, dem Wandeln zwischen den Teilen und dem Ganzen, um das eine durch das andere zu erkennen (Geertz 1976: 235), ergeben sich stets Probleme aus Widersprüchlichkeiten des Erhobenen. Bereits 1916 schrieb Malinowski (1973: 226f), man müsse sich mit einem verwirrenden und schwer faßbaren Chaos von Fakten und Bruchstücken auseinandersetzen, denn "Eingeborene" (in der Mehrzahl) haben nie den einen Glauben oder die eine Vorstellung, vielmehr habe jeder seine eigene. Zudem existieren sie nicht nur in den bewußten und formulierten Meinungen der Mitglieder einer Gemeinschaft, sondern werden in sozialen Institutionen verkörpert und durch das Verhalten ausgedrückt, aus beiden müßten sie also extrahiert werden. Das Herausfiltern des

"Kulturtypischen", "Normalen" ist nicht nach "objektiven", zumindest konsensuellen Regeln durchführbar, so wie man sich bei statistischen Verfahren auf beweisbare und anerkannte Regeln berufen kann, um zu Mittelwerten zu gelangen und Extremwerte herauszufiltern.

Mehr noch als die Erhebungsmethoden sind die Interpretationswege, also wie und mit welchen Fragestellungen das Erlebte verstanden und übersetzt wird, von den verschiedenen Richtungen der Ethnologie geprägt. Im Zusammenhang mit den Kulturauffassungen der interpretativen im Unterschied zur funktionalistischen Richtung im dritten Kapitel wurde auf divergierende Interpretationsansätze hingewiesen: geht es bei der einen Ausrichtung mehr um das 'W ie', steht für Vertreter der anderen mehr die Frage nach

(1 2) Weshalb Sperber (1989) eine rationalistische Konzeption entwirft, die, da sie sich an den Regeln formaler Logik orientiert, eher geeignet sein soll, "objektiven" Kriterien Stand zu halten.

dem 'Warum' im Vordergrund. Bei Untersuchungen zum Wie kommt die ethnologische offene Vorgehensweise, das Mißtrauen gegenüber "Selbstverständlichem", zum tragen: 'Z u fragen wie erfordert oft, daß wir eine radikal naive Haltung einnehmen und das Offensichtliche zum Problematischen machen", schreibt Knorr-C etina (1984 : 49).

Ethnologie ist eine vom Ansatz her (kultur-) vergleichende Wissenschaft. In der Einleitung wurde bereits kurz auf direkte Vergleiche zwischen Stammesgesellschaften und Unternehmen eingegangen, die eher der Erbauung denn der wissenschaftlichen Erkenntnisvermehrung dienlich sind. Auf einer anderen Ebene vergleicht Erdheim (1988) aus ethnopsychoanalytischer Perspektive Manager mit aztekischen Kriegern und weist auf Parallelen zwischen aztekischer und europäisch-puritanischer Ethik hin. Beide Kulturen huldigen Arbeitsamkeit, Mäßigkeit, Selbstdisziplin, Keuschheit, Sauberkeit, Sparsamkeit, Männlichkeit, beide bergen ein "ungeheures Aggressionspotential" (1988 : 42). So wie die Azteken, die mittels Krieg zwar ein Großreich eroberten, es aber infolge ihrer selektiven Kriegerkultur nicht auf Dauer zu erhalten vermochten, so wird nach Ansicht Erdheims die moderne Managerkultur Schiffbruch erleiden. Er interpretiert die Aggressivität der Kultur als psychischen Niederschlag eines gehemmten Kulturwandels. Unsere A rbeits- und Herr­

schaftsverhältnisse seien überholt, die Wahl des aztekischen Lösungsweges verschärfe nur die Kulturkrise. Aus dem engeren Kreis der Organisationsforschung sind als Beispiel für die Einbindung von ethnologischem und psychoanalytischem Gedankengut die Arbeiten von Kets de Vries und Miller (1987) zu nennen: Zur Interpretation von Ereignissen in Unternehmen wird auch die Vergangenheit der beteiligten Individuen beleuchtet und beispielsweise die Errichtung eines kostspieligen neuen Firmengebäudes mit der Bewältigung von Kindheitsproblemen in Beziehung gebracht.

Bereits im Jahr 1 977 schlug Turner vor, komplexe Organisationen als 'Eingeborenen­

stämme' zu betrachten und zu ihrer Untersuchung den von Claude Levi-Strauss entwickelten strukturalistischen Interpretationsansatz heranzuziehen: "... there might be a hidden underlying order to organizational life, an order of the Levi-Straussian type (i.e., issuing from the structure of human mind)" (1977 : 1 24). Ausgehend von einer grundsätzlich überall gleichen Struktur menschlichen Intellekts fragt Turner, ob sich nicht die von Levi- Strauss anhand von Mythen, sogenannten Totemismusvorstellungen oder Verwandt­

schaftsbeziehungen entwickelten Analysemethoden auf moderne Organisationen übertragen ließen, und somit z.B. formale Organisationsstrukturen in einem neuen Licht gesehen werden könnten:

"If we see the 'formal structure' as a rationalized and partial reinterpretation of actual social arrangements we see that it can not be used in the ways in which it has traditionally been used. It must be called into question just as indigenous pictures of social arrangements and social behaviour would be called into question by a social anthropologist studying a primitive society."

(1 9 7 7 :1 0 3 .)

Auch Boje, Fedor und Rowland (1 982) sehen in der von Levi-Strauss entwickelten Strukturalen Analyse einen geeigneten Weg zur Untersuchung von Unternehmens­

geschichten ("Mythen").

Wie bei den Datenerhebungsmethoden ist bei den Interpretationen jeweils die Frage der Übertragbarkeit und ggf. notwendiger Modifikationen zu stellen. So sind beispielsweise ausgefeilte und zeitaufwendige semiotische Untersuchungen von kollektiven und über Generationen weitergereichten Stammesmythen der tiefen Bedeutung des Untersuchten durchaus angemessen. Werden solche Interpretationsmethoden aber auf Firmen­

broschüren angewandt, die zwar mit dem Segen der Geschäftsleitung, jedoch von irgendeiner Werbeabteilung verfaßt werden, so erwecken sie eher den Eindruck unangemessener Überinterpretation.

Formale Strukturen müssen nicht notwendig ein in jeder Hinsicht homogenes Feld umreissen, vielmehr können sich dem aufmerksamen Betrachter der emischen Perspektiven verschiedene 'Frames of Meaning' erschließen (Spybey 1989).

Kreiner (1989) nimmt Studien paradoxer Situationen zum Anlaß, an dem verbreiteten Konzept von Kultur als 'shared meanings' zu zweifeln: "...shared meanings are not collective phenomena impressed upon members of the culture, but merely a concerted production of meaning by individuals." (1989: 80). Organisationskultur befreie die Mitglieder keineswegs von emotionalen Spannungen und intellektuellen Paradoxien, vielmehr unterstütze und verstärke sie diese sogar. Kreiners Kritik trifft allenfalls mechanistische Kulturauffassungen, die eine jeweils "beste aller Welten" implizieren, jedoch können seine Argumentationen nicht das Kulturkonzept als Ganzes widerlegen.

Hauschild (1988) diskutiert Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Stammes­

gesellschaften und Unternehmen im Rahmen körperschaftstheoretischer Überlegungen:

Körperschaftliche Symbolik sei als "Corporate Identity" in Unternehmen nachweisbar, die Gruppenmechanismen seien auf den ersten Blick denen traditioneller Kulturen ähnlich - man spricht von Betriebszugehörigkeit, Betriebstreue, gemeinsamer Haftung, entwickle ein

"W ir-G efühl" in der Konkurrenz zu anderen Gruppen, grenzt sich nach außen durch Trachten, Embleme etc. ab ... doch gäbe es nicht viele Unternehmen, in denen der Chef auch der Vater, Priester, Beichtvater oder Kriegshäuptling seiner Untergebenen sei und diese sich als seine Kinder oder Soldaten fühlten. Auch Thiel (1988) verweist auf

Gemeinsamkeiten zwischen Unternehmen und Jä g e r- und Sammlerethnien (13) in puncto Gruppensolidarität, Identität, Symbolbedeutung, Senioritätsprinzip, Sozialprestige durch wirtschaftliche Bedeutung des Gruppenmitglieds, Verhaltensregulative und Kulturheroen (14). Janata (1 9 8 8 : 60) meint, daß Ähnlichkeiten zwischen Stamm und Unternehmen an der Oberfläche bleiben und Äußerlichkeiten betreffen, denn die aufgezeigten strukturellen Parallelen basierten auf Grundgesetzen menschlichen Zusammenlebens und seien daher für Vergleiche nicht geeignet. Mit anderen Worten: Mitglieder in Unternehmen und Stammesgesellschaften sind Menschen, sterblich, zweibeinig usw. - doch außer auf solch fundamentaler Ebene von Selbstverständlichkeiten seien Vergleiche unmöglich, da Unternehmen eben keine seit Jahrtausenden kontinuierlich gewachsenen Kulturen aufwiesen. Mit dieser Ansicht steht Janata innerhalb der Ethnologie sicher nicht allein, doch gibt es wie gezeigt auch andere Stimmen, die sehr wohl eine ethnologische Untersuchung von Unternehmenskulturen für möglich und zu interessanten Ergebnissen führend halten.

(13) Thiels Wildbeuterethnien sind im ethnographischen Präsens vorgestellt. Die von ihm angeführten Inuit leben heutzutage vorwiegend von staatlicher Unterstützung, Jagen und Sammeln sind für fast alle Inuit zu einer Nebenbeschäftigung geworden.

(14) Vgl. ebenf. Janata 1 988 , der sich darüber hinaus mit materiellen Rang- und

Identitätssymbolen, wie Sänfte oder Mercedes, Turbane oder Firmenkrawatte, und mit dem Verhältnis zu Dingen befaßt. Allerdings verwendet auch er wie einst Tacitus seine 'Germania' die "einfachen Stammesgesellschaften" als einen besseren Spiegel für die Moderne.