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"Any social group, to the extent that is is a distinctive unit, will have to some degree a culture differing from that of other groups, a somewhat different set of common understandings around which action is organized." (Becker und Geer 1957: 29).

Im Rahmen einer OrganisationsAu/fu/forschung gehören Überlegungen darüber, was eigentlich Kultur sein soll, zum Grundsätzlichen. Wie schwierig dieser so vielsagende und dadurch vielleicht beinahe schon nichtssagende Begriff zu umreißen ist, ist in der Ethnologie seit langem deutlich und wird immer wieder diskutiert. Die ethnologischen Konzepte von Kultur sind ausgesprochen vielfältig und unterschiedlich (vgl. z.B. Kroeber und Kluckhohn 1952, Gamst und Norbeck 1976, Keesing 1974, Renner 1983). Böse Zungen behaupten, es gäbe so viele Kulturtheorien wie es Ethnologen gibt. Die Ethnologie lebt mit dem Zustand des uneinheitlichen Kulturverständnisses bis heute. In der Literatur zur Unternehmenskultur wird hingegen immer wieder der Versuch unternommen, möglichst griffige und klare Definitionen zu bieten.

Vor allem im deutschsprachigen, aber auch im englischsprachigen Raum wird oftmals die Definition von Schein (z.B. 1985: 19 ff, 1983: 1 4), die sich mit den struktur-funktio nali- stischen Richtungen der Ethnologie in Verbindung bringen läßt, aufgegriffen: Organisa­

tionskultur sei das Muster der grundlegenden Annahmen, die eine bestimmte Gruppe von Menschen, die lange genug zusammen waren, um bedeutende Erfahrungen gemeinsam gemacht zu haben, entwickelt hat in ihrem Bemühen, Probleme der externen und internen Anpassung und Integration zu lösen; aus der Sicht der Gruppe erfolgreiche Grundannahmen werden in der Regel als gegeben angesehen, bleiben weitgehend unbewußt und werden an neue Mitglieder als das Richtige Denken in bezug auf Probleme weitergegeben; sie sind verknüpft mit den stärker bewußten und sichtbaren Werten einer Organisation und den beobachtbaren Verhaltensmustern und Symbolen.

Welche Implikationen birgt Scheins Kulturverständnis? Bei Schein findet sich die instrumentelle Sicht von Kultur wieder, die in der Ethnologie vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts dominierend war. Menschen benötigen Kultur für ihren "Kampf ums Dasein". Ein weiterer wichtiger Punkt in Scheins Kulturauffassung ist das zugrunde liegende Menschenbild: die Reduktion des Menschen auf ein nur reagierendes Wesen. Ferner ortet Schein Kultur in einer Art kollektivem Unbewußten, einem nicht zugänglichen Dahinter oder Darunter. Mit dem folgenden, ausführlichen Zitat soll zum einen das Problem eines kulturellen "Dahinter" skizziert, gleichzeitig aber auch illustriert werden, mit welche Schärfe mitunter die Diskussionen um definitorische Grundlagen geführt werden. Feldman (1989),

eine der einen symbolisch-interpretativen Ansatz vertretenden "Gegenstimmen" der W irtschaftswissenschaftler in der Organisationsforschung, setzt sich mit Schein wie folgt auseinander:

"Whereas the interpretive concept of culture posits behaviour as being impressed with meaning (which makes the study of culture an em pirically- based science because its focuses on the significance of observable behaviour), Schein separates culture from observable behaviour. Using one of the most misunderstood concepts in the social sciences, Schein defines culture as existing in the hidden 'unconscious'. The problem is that the term 'unconscious' does not refer to a place, but is a linguistic device to describe, not locate, mental phenomena (Ryle, The Concept of Mind, 1949). But because Schein defines culture as existing in the 'unconscious', and

because he uses the term to denote a place, he is forced to claim that culture is 'not visible'. Schein is thus led to de-emphasize scientific, that is,

empirical, investigation. Instead, he suggests the use of predefined categories that he assumes comprise the unsconcious substructure of all cultures. To be sure, when he starts analysing particular cultures, Schein himself is forced into a more empirical focus. He writes, 'the process of culture formation is, in a sense, identical with the process of group

form ation'. But this reduction of cultures to behaviour is not helpful either. It collapses culture into social action, thus denying the concept of culture an empirical referent. By defining culture as a system of significant symbols by which people impress meaning on an otherwise opaque world, however, the interpretive concept of culture focuses on an empirical referent that is both observable and distinguishable from social action. (Feldman 1989: 87)

Der Kulturbegriff umfaßt sowohl die Form als auch den Stoff, er kann nicht auf das

"Unergründliche", das "Tiefe" reduziert werden. Gleiche Formen können unterschiedlichen Stoff beinhalten und umgekehrt: In Kultur A werden Verstorbene verbrannt, um der Seele die Jenseitsreise zu ermöglichen, in Kultur B werden Verstorbenen verbrannt, deren Seelen nicht in ein Jenseits gelangen, sondern vernichtet werden sollen. Kultur X drückt Trauer durch weiße Kleidung aus, Kultur Y durch schwarze. Kulturanalyse bedeutet, die Kulturelemente - Form und S to ff- z u erkennen und miteinander in Beziehung zu setzen, so daß sich ein Bild ergibt. Die Vorstellung eines Schichtenmodells von Kultur läßt sich in gewisser Weise mit dem alten Streit um das Leib-Seele-Verhältnis vergleichen, womit angedeutet werden soll, daß ein Standpunkt in dieser Frage letztendlich wieder glaubensabhängig ist.

Allaire und Firsirotu (1984) teilen die verschiedenen Kulturtheorien in Ethnologie (in Anlehnung an Keesing, 1974) und Organisationsforschung in zwei Großgruppen: jüngere

"ideationale" und früher dominierende "sozio-kulturelle" Auffassungen (vgl. Abbildung 3).

Diese Einteilung umreißt in großen Zügen die beiden Lager der aktuellen Diskussionen. Zur Illustration sollen zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen von Kultur vorgestellt werden: Für Geertz ("ideationale" Fraktion), dessen Perspektive der symbolischen oder semiotischen Richtung zugerechnet wird, ist Kultur ein dynamisches Gewebe von Bedeutungen bzw. Sinn,

mittels dessen Menschen ihre Erfahrungen interpretieren und ihre Handlungen ausrichten, ein System von allgemein geteilten Symbolen und Bedeutungen, welches nicht in den Köpfen (wie nach kognitiver Auffassung), sondern in den Bedeutungen der Interaktionen zu suchen ist (Hauptfrage ist wie). Nach Malinowski ("soziokulturelle" Fraktion), dem bekanntesten Vertreter des Funktionalismus, bedeutet Kultur für den Menschen ein Instrument zur Problemlösung, Umweltanpassung und Bedürfnisbefriedigung, kulturelle Manifestationen wie Mythen, Institutionen oder Rituale lassen sich mit Blick auf die menschlichen Grundbedürfnisse erklären (Hauptfrage warum). Im ersten Fall stellt sich Kulturanalyse nicht als Suche nach Gesetzen, sondern Interpretation von Bedeutungen für die Menschen dar, während sich nach der zweiten Ansicht alles Kulturelle auf menschliche Grundbedürfnisse und damit auf quasi biologische Naturgesetze im "Kampf ums Dasein"

zurückführen läßt.

bbildung 3: A Typology of the Conoepts of Culture. Allaire und Firsirotu 1984: 196

r * Goodenough L6vi-Strauu Wallace Geertz, Schneider Malinowski Radcliffe-Brown Boas, Benedict. White, Kluckhohn, Service, M A J O R I

Kroeber Rappoport,

T H E O R IS T S Vayda, Harris

<0

Der Großteil der Organisationsliteratur sieht Organisationen mehr oder weniger explizit als soziokulturelle Systeme mit der Annahme, daß soziale und strukturelle Komponenten völlig integriert sind (sein müssen) und übereinstimmen mit den ideationalen, symbolischen Dimensionen einer Organisation (Allaire und Firsirotu 1984: 199, Meek 1988). Aus ethnologischer Sicht ist diese zunehmende Vorliebe für "soziokulturelle" Ansätze etwas verwunderlich, da ihnen in der neueren ethnologischen Diskussion weniger Bedeutung beigemessen wird. Betrachtet man jedoch die Forschungsfelder, so wird diese Vorliebe einigermaßen verständlich: Ethnologen befassen sich mit aus abendländischer Perspektive gesehen komplizierten, verwirrenden Phänomenen wie Totembeziehungen, Speisetabus, uns fremdartig erscheinenden Taxonomien, H eirats- und Wohnfolgesystemen, magischen Gesetzen usw. Bei der Beschäftigung mit Wirtschaftsunternehmen standen und stehen Fragen nach Input-O utput-Relationen, Strategien für Erfolg oder geschäftliches

"Überleben", nach Regelkreisläufen oder "Gesetzen" der Marktwirtschaft sehr im Vordergrund. Und mit diesem Untersuchungsfeld vor Augen ist es naheliegend, ein Modell zu übernehmen oder zu entwickeln, das dieser Gedankenwelt entspricht.

Keines der Kulturkonzepte vermag Anspruch auf "Wahrheit" zu erheben - welches man für das richtige hält, ist eine Frage des eigenen jeweiligen Weltbildes. In der Literatur zu Unternehmenskultur werden (noch) sehr unterschiedliche Ansätze vertreten, bilden einen fruchtbaren "code of many colors" (Jelinek, Smircich und Hirsch 1983). Allaire und Firsirotu (1984) plädieren, mit Hinweis auf das noch weitgehend ungeklärte Verhältnis von strukturellen und kulturellen Organisationsaspekten, für ein beide Richtungen integrieren­

des Vorgehen. Sie definieren:

"... organizational culture as a particularistic system of symbols shaped by ambient society and the organization's history, leadership and contingencies, differentially shared, used and modified by actors in the course of acting and making sense out of organizational events. Organizational culture, thus conceived, is a poweful tool for interpreting organizational life and behaviour and for understanding the processes of decay, adaption and radical change in organizations." (1984: 216)

Eine Kernfrage der Organisationsdiskussion betrifft das Verhältnis zwischen "Kultur"

und "G esellschaft", also: Haben Unternehmen Kulturen ("sozio-kulturelle" Fraktion) oder sindsie Kulturen ("ideationale" Fraktion)? Die tiefen Gräben, die zwischen Verfechtern der

" is t" - und "hat"-P osition aufgetan werden, sind nur theoretisch nachvollziehbar. Meek (1988: 465), ein dezidierter Vertreter der "Ist"-F ra ktio n , schlägt vor, aus forschungs­

praktischen Gründen zwischen Kultur und Sozialstruktur zu trennen: "Culture, as a holistic concept, is far to broad to be the main thrust on any research agenda." Eine Gesellschaft

"hat" Kultur, also eine additive Verknüpfung, ist aber nach überwiegender ethnologischer

Ansicht insofern sinnlos, da alles Gesellschaftliche kulturelle Errungenschaft ist - per definitionem ist der Mensch ein Kulturwesen, Menschen oder Gesellschaften ohne Kultur daher undenkbar. (Auch bei dieser Frage läßt sich wieder auf die alte "Leib-S eele"-D ebatte hinweisen.)

In der Unternehmensforschung, vorwiegend in populären Veröffentlichungen, wird der Kulturbegriff manchmal auf einen positiven Soll-Zustand oder auf die Bedeutung von

"kultiviert" reduziert: Nur eine "gute" Kultur ist Kultur - sei es das Essen mit Messer und Gabel, den Theaterbesuch oder das "grüne Band der Sympathie" einer deutschen Großbank. Diese Kultur legt man sich zu, um sich gegenüber "kulturlosen" Konkurrenz­

unternehmen oder gar solchen mit einer "Unkultur" Vorteile zu verschaffen.

Was umfaßt eine Kulturgruppe und wie ist diese von anderen abgrenzbar? Der Idealfall der ethnologischen Forschung wäre eine in vielerlei Beziehung einzigartige Gruppe, die sich selbst als einzigartig betrachtet und dies durch eine Bezeichnung wie Tikopia, Inuit oder Tolai zum Ausdruck bringt. Analog hierzu wäre der Idealfall der Organisationsforschung eine durch Territorium, sprachliche Eigenheiten, Brauchtum, Vorstellungswelt etc. einzigartige Gruppe, die sich selbst durch Bezeichnungen wie Müller KG, Brownman Electric oder Nippon Consult abgrenzt. In beiden Bereichen bilden die Idealfälle jedoch die Ausnahme.

Internationale Konzerne, Tochtergesellschaften, Zweigwerke, Firmenakquisitionen usw.

erschweren klare Grenzziehungen.

Dies trifft ebenso für subkulturelle Abgrenzungen zu, weshalb Gregory (1983) die Frage aufwirft, ob in großen, komplexen Gesellschaften allgemein, irgend eine Gruppe als eine Kultur bestehen könnte, da der Einzelne verschiedenen Gruppen gleichzeitig und wechselnd im Verlauf seines Lebens angehört: "Societies, and many organizations, can more correctly be viewed in terms of multiple, cross-cu tting cultural contexts changing through time, rather than as stable, bounded, homogeneous cultures" (1983 : 365).

Czarniawska-Joerges (1989 : 1 2) schlägt das Hologramm als Metapher für Organi­

sationskultur vor: in jedem Teil ist das Ganze enthalten, das Hologramm repräsentiert Realität, abhängig vom Betrachtungspunkt verändert sich das Bild. Wie per Holographie müsse eine Organisationsstudie den Lesern ein Bild liefern, das konsistent ist, sich jedoch abhängig von der Perspektive wandelt: "Readers should be able to see that, although an organization seen from the top looks different than from the bottom, it is nevertheless one and the same organization, and there is no standpoint that gives the 'tru e ' picture of it."

In der Ethnologie hat man es nicht immer mit "dem " Hopi-Indianer zu tun, sondern mit Menschen, die sich je nachdem entweder durch ihre Totemzugehörigkeit, ihre Sprachgruppe, ihre Dorfgemeinschaft oder ihre Wirtschaftsweise (vgl. Eiwert 1989) einer bestimmten Gruppe zuordnen. So wie Unternehmen stark von ihrer Umgebungskultur geprägt sind, die Kultur von Siemens mehr Gemeinsamkeiten aufweist mit der von

Salamander als mit der von Renault, so sind sich die polynesischen Hawaiianer und Maori recht ähnlich im Vergleich zu den melanesischen Tolai. Branchenbezogene Ähnlichkeiten von Unternehmenskulturen ließen sich mit Parallelen vergleichen, die Ethnien mit gleicher Wirtschaftsweise aufweisen können. In beiden Forschungsbereichen lassen sich also nicht immer klare Abgrenzungen vornehmen.

Unternehmenskulturen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von sonst in der Ethnologie untersuchten Kulturen. In letztere beispielsweise wird man hineingeboren, man ist ihnen über seine Ahnen verpflichtet, und sie umfassen das ganze Leben. Die Mitgliedschaft in einem Unternehmen ist hingegen temporär - in zweierlei Beziehung: Sie umfaßt nicht die gesamte Lebensspanne von der Wiege bis zur Bahre und man verbringt nicht den ganzen Tag in ihnen. Des weiteren stellen Unternehmen in der Regel keine S p ra c h -o d e r Religionsgemeinschaft dar. Doch um Unternehmenzu betrachten, als obste Kulturen wären, müssen sie nicht notwendigerweise mit diesen traditionellen, über Jahrhunderte gewachsenen und umfassenden Kulturen übereinstimmen. Kultur kann so als Metapher verwandt werden (Morey und Luthans 1985).