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1. E in le itu n g

1.1. Einführung und Themenstellung

Während der achtziger Jahre entwickelte sich "Organisationskultur", besonders das Teilgebiet "Unternehmenskultur" zu einem ausgesprochenen Modethema der multidisziplinären Organisationsforschung. Unzufriedenheit mit damals dominierenden Erklärungsmodellen von Unternehmensverhalten, denen eine eng begriffene ökonomische Rationalität zugrunde lag, ließ nach neuen, bislang weitgehend unberücksichtigt gebliebenen Dimensionen suchen. Die schlechtere Wirtschaftslage und der Konkurrenzdruck japanischer Untenehmen gelten als wesentliche Auslöser für die Suche nach neuen Erklärungsmodellen und Managementkonzepten (ausführlicher bei Alvesson 1990, Barley, Meyer und Gash 1988, Ebers 1988). Bücher wie "Corporate Cultures, The Rites and Rituals of Corporate Life" (1982) von Deal und Kennedy oder "In Search of Excellence" (1982) von Peters und Waterman wurden zu Bestsellern, die den Organisationskulturansatz weit über enge Wissenschaftskreise hinaus bekannt machten.

Mit der üblichen transatlantischen Verspätung erscheinen seit einiger Zeit auch im deutschsprachigen Raum Veröffentlichungen, deren Titel wie z.B. "Unternehmenskultur und Stammeskultur", "Zwischen Totem und Tabu" oder "Zurück zur Urhorde" einen deutlichen Bezug zur Ethnologie aufweisen.

Als Teil eines von der Haniel-Stiftung geförderten interdisziplinären Forschungs­

projekts "Unternehmenskultur - Zur empirischen Erhebung eines umstrittenen Begriffes"

wird in der vorliegenden Arbeit der Unternehmenskulturansatz aus einer ethnologischen Perspektive beurteilt. Die Projektaufgabe besteht darin, die Brauchbarkeit der bisher vorgeschlagenen Konzepte aus organisationspsychologischer, ökonomischer sowie soziologischer und ethnologischer Sicht zu prüfen und weiterzuentwickeln (1).

Die bislang erschienene englisch- und deutschsprachige Literatur zu diesem Themenbereich zeigt einen recht großen Einfluß von Erkenntnissen und Methoden, die ursprünglich von der Ethnologie erarbeitet wurden. Dies kommt nicht von ungefähr, denn in

(1) Beteiligte an dem Projekt sind Ulrich Steger, Gerhard Prätorius, Petra Tiebler (Institut für Ökologie und Unternehmensführung an der European Business School), Lutz von Rosenstiel, Jürgen Kaschube (Institut für Psychologie der Universität München, W irtschafts- und Organisationspsychologie), Meinolf Dierkes, Sabine Helmers (Wissenschaftszentrum Berlin, Organisation und Technikgenese).

diesem Fach besteht eine lange Tradition der Kulturforschung. Doch nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Literatur zur Organisationsforschung stammt von Ethnologen selber - der oben erwähnte Einfluß ethnologischer Perspektiven in der Literatur ist also eher passiv zustande gekommen.

Zur traditionellen Wirtschaftsethnologie, die sich überwiegend mit volkswirt­

schaftlichen Fragestellungen befaßt, weist die Unternehmenskulturforschung nicht viele Berührungspunkte auf, da bei ihr die Betriebsebene im Mittelpunkt steht. Hier liegt vermutlich einer der Gründe für die noch immer recht geringe aktive Beteiligung von Ethnologen. Ein weiterer besteht darin, daß sich die Unternehmenskulturforschung fast ausschließlich auf industrialisierte (zumeist marktwirtschaftlich orientierte) Gesellschaften beschränkt, während vergleichbare Arbeiten von Ethnologen eher in nichtindustrialisierten Gesellschaften durchgeführt wurden.

In ihren Anfängen (als akademische Disziplin) gegen Mitte bis Ende des letzten Jahrhunderts war die Ethnologie auf die Beschreibung (Ethnographie) und Untersuchung schriftloser, kleiner, vornehmlich außereuropäischer Völker konzentriert. Im Zuge kolonialer Kontakte gelangten "Primitive" oder "Naturvölker" zunehmend in den Blickwinkel akademischer Forschung. Ähnlich wie bereits Rousseau wähnte man zunächst die

"primitiven" "hommes sauvages" auf einer niederen Kulturstufe, zurückgeblieben im Evolutionsprozeß, verhaftet einem vielleicht glücklicheren "Urzustand", einem "Stadium der W ildheit", in welchem der Mensch noch unverbildet von Kultur "Mensch an sich" war. Die

"Primitivität" hatten alle "Primitiven" der Welt gemeinsam, und aus dieser Perspektive betrachtet ergab sich damals ein einigermaßen homogener Gegenstand des Faches. Diese ursprünglichen Abgrenzungen wurden im Laufe der Zeit von der Ethnologie mehr und mehr aufgehoben. Heutzutage sieht eine zunehmende Zahl von Ethnologen ihr Ziel darin, den Menschen in allen Kulturen zu erforschen, in wildbeuterischen, Pastoralen, bäuerlichen und industrialisierten Gesellschaften (vgl. Übersicht bei Antweiler 1986: 1 6 2 -1 6 5 ).

Diese ethnologische Blickfelderweiterung brachte u.a. die (wenn auch hierzulande bislang nur mit 'Minderheitenstatus' belegte) Unternehmens- oder die Industrieethnologie hervor, ln der amerikanischen "Cultural Anthropology" und auch in der britischen "Social Anthropology" (2) gibt es eine längere und intensivere Tradition arbeitsweltlicher

(2) "Ethnology", "Anthropology", "Cultural Anthropology", "Social Anthropology" im

englischsprachigen Raum entspricht in etwa dem oder beinhaltet weitgehend das, was im deutschsprachigen mit Ethnologie, dem älteren Wort Völkerkunde oder auch mit Kulturanthropologie bezeichnet wird. Von fachfremden Autoren werden diese Zusammenhänge offenbar nicht immer erkannt, was dazu führt, daß - auch in der Unternehmenskulturliteratur - statt von Ethnologie von Anthropologie gesprochen wird, was hierzulande eher Physische oder auch Philosophische Anthropologie meint. Doch auch hier nennen sich einige Ethnologen Anthropologen.

Forschungen (vgl. Gamst 1990). Besonders im Rahmen der amerikanischen "Applied Anthropology" (vgl. Human Organization, Zeitschrift der Society for Applied Anthropology sowie Anthropology of Work Review, Zeitschrift der Society for the Anthropology of Work) haben sich die Bereiche Industrieethnologie und Unternehmensethnologie (3) etabliert.

Vereinzelte Vorläufer reichen bis in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zurück. Hingegen ist die Unternehmenskulturforschung für deutschsprachige Ethnologen weitgehend ein Novum, so wie man sich hier generell noch oft schwer damit tut, auch industrialisierte oder gar die eigene Gesellschaft in das ethnologische Blickfeld zu rücken. Bislang sind in der Bundesrepublik nur eine Handvoll Ethnologen im Bereich Unternehmenskulturforschung tätig.

Perey (1988 : 112ff) unterteilt die ethnologischen Beiträge zur Unternehmens­

ethnologie (aus westlicher Perspektive) in vier Gruppen:

1.) In nichtwestlichen Ländern durchgeführte Studien eines kulturell homogenen Bereichs, 2.) in nichtwestlichen Ländern durchgeführte Studien interkultureller Bereiche (z.B. das weite Gebiet des interkulturellen Managementtrainings), und 3.) Fallstudien, die interkulturelle Bedingungen in westlichen Ländern beschreiben (z.B. Untersuchungen über indische, italienische oder chinesische Immigrantenunternehmen in England), schließlich 4.) Studien zu kulturell homogenen Gruppen im Westen, also die Untersuchung von Unternehmen als kulturelle Einheiten.

Letztgenannte bilden den Schwerpunkt der Forschungen zur Unternehmenskultur und sollen in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt stehen. Damit wird der Bereich der national- bzw. großkulturellen Dimension von Unternehmen und geschäftlichen Beziehungen ausgeklammert. Das Außerachtlassen der interkulturellen Perspektive ist jedoch noch immer ein Manko vieler Forschungen, wenn ein aufgrund von Untersuchungen in der eigenen Kultur gewonnenes Ergebnis als allgemeingültig postuliert wird, obwohl es sich aus einem erweiterten Blickfeld als ethnozentristisch erweisen würde.

Ob, wie und in welchem Maße Organisationen isoliert von größeren kulturellen Zusammenhängen untersucht werden können, ist umstritten, auf jeden Fall abhängig von der Untersuchungsperspektive: Werden Unternehmen verschiedener Länder bzw. Kultur­

gruppen betrachtet, so ist die jeweils umgebende Großkultur ein stets zu berücksichtigender Faktor, obschon sich hier herausstellen könnte, daß beispielsweise Autohersteller

(3) Business Week nannte für 1 986 etwa 100 amerikanische (university-affiliated) Ethnologen, die U.S. Unternehmen untersuchen. Nach Angaben der American Anthropological Assn, sei die Zahl der promovierten Ethnologen, die im

Unternehmensbereich tätig sind, seit 1972 um das fünffache gestiegen und läge bei etwa 10% (leider wurden keine absoluten Zahlenangaben gemacht), Siwolop (1 986:

62).

verschiedener Länder jenseits nationaler Besonderheiten gemeinsame Züge aufweisen können. Auf der anderen Seite ermöglicht die Anwendung der Kulturperspektive die Untersuchung von Besonderheiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden von Unternehmen bei Außerachtlassung gemeinsamer und grundlegender nationaler Eigenheiten.

Einfache Übertragungen von ethnologischen Ideen und Methoden mögen zwar recht amüsant und auch erhellend sein, wie Page (1972) mit seinem Buch "Managen wie die Wilden" demonstrierte (4), doch in der Regel sind Modifikationen erforderlich. Dies gilt vorwiegend für den methodischen Bereich. Zudem erweisen sich Umsetzungen als problematisch, wenn etwa Begriffe wie beispielsweise "Tabu" oder "Ritual" entgegen einem - trotz aller Divergenzen bestehenden - ethnologischen Konsens verwendet werden oder wenn Fragmente komplexer Theorien eingesetzt werden, die für sich genommen wenig sinnvoll sind, oder auch wenn aus dem ethnologischen Angebot sehr veraltete Gedanken aufgegriffen werden.

Mit diesen Bemerkungen soll keineswegs angedeutet werden, es gäbe so etwas wie

"die eine Ethnologie". Bekanntlich ist das Fach bis dato in unterschiedlichste Richtungen aufgesplittert, und in kaum einer der "kritischen Fragen" besteht Einhelligkeit. Sperber (1989: 1 5) nennt es ein "Metier der Individualisten", Antweiler (1986 : 162) bezeichnet die

"schillernde Vielfalt sowohl der untersuchten Gegenstände als auch der dabei verwendeten Herangehensweisen" gar als "Charakteristikum" dieser Disziplin. Dieser Vorzug gegenüber homogeneren Disziplinen sorgt für ein breites Ideenspektrum und bietet Raum für innovative Gedanken.

Organisationsforschung unter ethnologischen Vorzeichen unterscheidet sich - wenn auch nur in Nuancen - von Organisationsforschung anderer Disziplinen. (In einer Zeit, in der zunehmend fächerübergreifend gearbeitet wird, mögen Bestrebungen, Grenzen abzustecken, unzeitgemäß erscheinen. Versuche hierzu werden jedoch immer wieder unternommen. Vielleicht braucht jede Richtung ihre eigene Identität, verbunden mit dem Gefühl, "etwas Besonderes" zu sein.) Das Eigene einer ethnologischen Organisations­

forschung ließe sich in einer ganzen Reihe von Aspekten ausmachen. Herausragend ist der Einsatz "... of a set of assumptions about 'cultu re' as a master concept in terms of which human behavior is broadly explainable" (Pelto 1970: 18, und cf. auch Gamstund Norbeck 1976) - die holistische Konzeption von Kultur, die beinahe allen Ethnologen gemeinsam ist

(4) Ähnlich Neuhauser (1989a, 1989b), die Konflikte zwischen verschiedenen Abteilungen in Großunternehmen mit Fehden "primitiver Stammesgesellschaften" gleichsetzt. Oder ein Beitrag in "Management Wissen" mit dem beziehungsreichen Titel "Zwischen Totem und Tabu", in welchem Parallelen zwischen Betriebsfeiern und Fruchtbarkeitsritualen, Motivationsmeetings und Regenbeschwörungen u.ä. gezogen werden (Demmer und Sapper 1989: 208). Solche direkten Vergleiche mit exotischen Völkern haben eher Fabelcharakter - der Bongobongo und die Regenwolken, der Fuchs und die Trauben.

und die sich in der ethnologischen Forschungspraxis etwa als emischer Ansatz (5) und per se vergleichende Perspektive niederschlägt (Qamst 1977, 1980). Die vergleichende Perspektive ermöglicht, "Selbstverständlichkeiten" als kulturbedingt zu erkennen: "A cultural analysis moves us in the direction of questioning ta ke n -fo r-g ra n te d assumptions", schreibt Smircich (1983: 335). Czarniawska-Joerges (1990) spricht von "Anthropology as a Frame of Mind".

1.2. LITERATUROBERSICHT

Für die vorliegende Arbeit wurden überwiegend amerikanische Publikationen herangezogen, da dort die Zentralregion der Unternehmenskulturdiskussionen zu orten ist.

Schwerpunkte der Zeitschriftenrecherche waren insbesondere auf Administrative Science Quarterly, Organization Studies, Organizational Dynamics, Journal of Management Studies und Academy of Management Review gerichtet, welche die wichtigsten Publikationsorgane zum Thema sind. Mit Ausnahme von 'Human Organization' handelt es sich bei den genannten Zeitschriften nicht um ethnologische. In den konventionelleren Organen des Faches ist nur wenig über Unternehmenskulturforschung zu finden.

Die Publikationen zur Unternehmenskultur lassen sich grob unterteilen in "populäre"

und "wissenschaftliche", was nicht notwendig qualitative, sondern mitunter allein stilistische Unterschiede bezeichnet. Alvesson (1990) verwendet die Kategorien "Academic market"

und "Practitioner market" und ortet die Veröffentlichungen dieser Kategorien zwischen Purismus und Pragmatismus.

(5) In der Ethnologie wird mit dem aus der Linguistik entlehnten Ausdruck 'em isch' die Perspektive der Einheimischen (Sprecher) gekennzeichnet, im Gegensatz zu 'etisch', womit die Perspektive eines Außenstehenden oder Fremden bezeichnet wird. Der emische Ansatz der Ethnologie ist auf weitestmögliches Verstehen der

Bedeutungsgebungen der Sprecher ausgerichtet, andere Wissenschaften favorisieren eine etische Perspektive der distanzierten Beobachtung. Geprägt wurden die Begriffe 'em ic' (abgeleitet von 'phonem ic') und 'e tic ' ('phonetic') durch Kenneth Pike.

Abbildung 1: Orientations in organizational culture studies. Alvesson 1990: 40.

Barley, Meyer und Gash (1988) haben mittels einer computergestützten Analyse von fast 200 Artikeln der Jahre 1975 bis Anfang 1985 die konjunkturelle Entwicklung des Themas (siehe Abbildung 2) sowie die gegenseitige Beeinflussung von "akademisch" und

"praktisch" orientierten Autoren untersucht, wobei im Untersuchungszeitraum die Diskurse der "Praktiker" relativ stabil blieben, während sich eine deutliche Annäherung der

"Akademiker" an an die "Praktiker" zeigte, die sich in zunehmender Betonung des w irt­

schaftlichen Nutzens des Unternehmenskulturansatzes sowie in einer stärker funktionali- stischen Ausrichtung zeigte.

"It is possible to argue that the change in academic discourse offers testimony to nothing more than functionalism's re silie n ce .... many early academic authors viewed organizational culture as an opportunity to build a phenomenologically attuned, if not a fully interpretive, theory of organizational life ." (1988 : 53)

Die Dominanz funktionalistischer Ausrichtungen hat sich in den letzten Jahren deutlich fortgesetzt, doch ist außerhalb wirtschaftswissenschaftlicher Kreise eine zunehmende Präsenz interpretativer Ideen festzustellen, die gute Chancen haben, sich langfristig durchzusetzen, da sie der komplexen Natur des Menschen und seinem enormen kulturellen Repertoire mehr entgegenkommen.

YEAR

‘ Data are based on a search of six bibliographic data bases.

Abbildung 2: Papers published annually on organizational culture, 1 9 7 5 -1 9 8 5 . Barley, Meyer und Gash 1988: 33

Für die vorliegende Arbeit erfolgte eine Konzentration auf Veröffentlichungen des akademischen Marktes, doch wurden auch Managermagazine als Quellen berücksichtigt,

da sie einen sehr großen Leserkreis erreichen und ihnen somit ganz entscheidende Bedeutung bei der Verbreitung des Organisationskulturgedankens zukommt. Nicht immer jedoch halten die dort getroffenen, zumeist stark praxisorientierten Aussagen Kriterien einer wissenschaftlichen Organisationskulturforschung stand.

Forschungsgeschichtlich interessant ist, daß die frühe Arbeit von Turner (1977)

"Complex Organizations as Savage Tribes" zur Übertragung von einer in der Ethnologie entwickelten Herangehensweise, der Strukturalen Analyse, auf den Organisationsbereich in der Literatur nur äußerst selten genannt wird, obwohl sich in diesem Artikel bereits viele Gedanken der wenige Jahre später einsetzenden Organisationskulturdiskussion wiederfinden. Gründe für die mangelnde Rezeption mögen in dem hinsichtlich der späteren Diskussionen nicht zentralen Publikationsort sowie dem dort vorgestellten, als "schwierig"

geltenden Ansatz liegen. Als Geburtsjahr des Kulturansatzes in der Organisationsforschung gilt im allgemeinen 1979, in welchem Pettigrews Artikel "On Studying Organizational Cultures" in "Administrative Science Quarterly" erschien. Diese Zeitschrift wird in den folgenden Jahren zum wichtigsten Organ der Organisationskulturdiskussion im englisch­

sprachigen Raum.

Da die vorliegende Arbeit als Teil eines Projekts entstanden ist, wurde der Schwerpunkt der Literaturauswertung auf ethnologisch oder sozialwissenschaftlich orientierte Veröffentlichungen gelegt, während wirtschaftswissenschaftliche oder psycho­

logische nur wenig berücksichtigt wurden, beispielsweise wird man die für die deutsch­

sprachige Diskussion wichtige Arbeit von Neuberger und Kompa (1987) nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Tabubegriff erwähnt finden.

Im folgenden werden zunächst terminologische Grundlagen besprochen. Der zentrale Begriff "Kultur" erscheint recht problematisch, und wird daher im Zusammenhang mit verschiedenen Ausrichtungen der Ethnologie in einem eigenen Abschnitt der vorliegenden Arbeit behandelt. Als weitere Punkte sollen die bislang eingesetzten Erhebungsmethoden und Interpretationswege der Unternehmenskulturforschung aus ethnologischer Perspektive betrachtet werden. In einem Schlußkapitel werden zusammenfassend die bislang eingesetzten und noch möglichen Übertragungen und Modifikationen diskutiert.

2. BEGRIFFE DER UNTERNEHMENSKULTURFORSCHUNG MIT ETHNOLOGISCHEM BEZUG

In diesem Kapitel sollen einige häufiger verwandte Begriffe geklärt, vorgenommene Übertragungen in der Unternehmenskulturliteratur exemplarisch vorgestellt und schließlich die Begriffe hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit überprüft werden. Es handelt sich zwar nur um Namen, und kleinkrämerische terminologische Abhandlungen waren noch selten fruchtbar, jedoch erscheint es in dem hier relevanten Schnittfeld von Ethnologie und Unternehmens­

kulturforschung angezeigt, Grundsätzliches zu klären, um von einer gemeinsamen Diskus­

sionsgrundlage ausgehen zu können.

2 .1. ZEREMONIE

Unter Zeremonie ist eine in der Regel öffentliche, förmliche, mehr oder weniger feierliche jedoch nicht notwendigerweise religiöse (obwohl caeremonia deutlichen Bezug zum Sakralen aufweist) Handlung zu verstehen. Diese kollektiven Inszenierungen beinhalten in zumeist hochverdichteter Form bedeutsame Kulturcharakteristika wie Wertvorstellungen oder Rangordnungen und gehören zu den stabilen und wohl auch stabilisierenden Ereignissen des alltäglichen und außeralltäglichen Lebens.

Im Organisationsbereich sind Zeremonien wie etwa Firmenfeiern, Jahresver­

sammlungen, Betriebsausflüge u.ä. vielfach gewählter und aufschlußreicher Forschungs­

gegenstand (Garfinkei 1956, Trice, Belasco und Alutto 1969, Gephart 197 8, Dandridge 1986, Rosen 1988). Dandridge (1 986: 160) sieht im W irtschaftsbereich den homo ludens vernachlässigt und schreibt: "Lack of ceremony can contribute to the sterility of work and, in w o rk's isolation from the rest of our activity, a reduction in personal satisfaction from work per se ", Zeremonien stellen ein Medium dar, durch welches das Spielerische in die Arbeit (zurück-) gebracht werden kann.

2 .2. RITUAL, RITE, RITUS

Rituelle Handlungen sind eine Form von symbolischer Kommunikation. Das Besondere an Ritualen ist nicht der stereotype Verlauf - sie würden sich von Handlungsroutinen nicht unterscheiden - sondern ihre tiefe symbolische Bedeutung. Sie sind im Kern nicht variierbar und erfordern strikte Befolgung, während Routinehandlungen durch die Praxis geformt werden und ohne weiteres verändert werden können.

Im traditionellen Sinne sind Rituale eng mit der sakralen Sphäre verbunden. Einige Autoren trennen jedoch zwischen sakralen und profanen bzw. sekulären Ritualen (vgl.

Moore und Myerhoff 1977), was außerhalb (religions-) ethnologischer Diskussionen seit langem üblich ist. Dort wird oft von "sinnentleerten Ritualen" gesprochen, womit formalisierte Handlungen bezeichnet werden, deren ursprünglicher Sinn bedeutungslos geworden oder in Vergessenheit geraten ist - Rudimente vergangener Zeiten.

Eine bedeutende Gruppe von Riten sind Rites de Passage (nach van Gennep, 1 986), Riten der Transformation von einem Lebensabschnitt oder Zustand in einen anderen. Van Gennep (1986) wies auf die Dreiphasigkeit dieser Übergänge hin, bestehend aus Loslösung, Umwandlung und Integration. Initiationen können auch im Berufsleben rituell begleitet werden - sie müssen dabei nicht immer so dramatisch sein wie Seemannstaufen oder Präparierkurse für Medizinstudenten. Nicht jede berufliche Initiation hat sakral­

rituellen Charakter.

In der anwendungsorientierten Literatur wird gelegentlich von "Management by Rituals" gesprochen: Mit "simplen Tricks" ließen sich unerwünschte Umstände in einem Unternehmen abändern. Psychologe und Managementtrainer Fischer äußert beispielsweise in einem Gespräch mit "Management Wissen":

"Wer die versteckte Bedeutung von Ritualen versteht, kann in kurzer Zeit auf den Geist, die Tabus und die 'heiligen Kühe' im Betrieb Einfluß nehmen."

"Rituale sind Führungsinstrumente, mit denen die Mitarbeiter auf

Firmenkultur und strategische Ziele eingeschworen werden können." "Will ein Chef etwas ganz Bestimmtes bei den Mitarbeitern auslösen, zum Beispiel Selbstkritik, Kreativität oder Innovationsfreude, dann sollte er dem einen eigenen rituellen Rahmen mit feststehendem Ort, Tag und Ablauf geben."

(Demmer und Sapper 1989: 207)

Wie oben verdeutlicht, entsprechen solche Auffassungen des Ritualbegriffs nicht dem ethnologischen Verständnis. Ort und Zeit der Rituale können durchaus variabel sein. Ob man nun am sakralen Charakter des Ausdrucks festhält oder ihn auf den Profanbereich erweitert - keinesfalls sind Rituale gefälliges W erk- oder Spielzeug, mit Hilfe derer sich "in kurzer Zeit" Tabus beeinflussen oder Kreativität und Innovationsfreude "auslösen" ließen.

Sollte es tatsächlich Führungsinstrumente geben, die solches vermögen, so wären sie ganz und gar wunderbare Magie.

2.3. MYTHEN

Mythen sind Geschichten von nichtmenschlichen oder übermenschlich erscheinenden menschlichen Wesen, legendär gewordenen Gestalten oder Begebenheiten, sind sakrale Kommunikation in symbolischer Form (Cohen 1969: 337). Sie stellen in indirekter Weise Modelle für das menschliche Verhalten dar und geben damit nach Eliade (1963) Sinn und

Wert für das Leben (6). Aus Bettelheims (1976: 35ff) Ausführungen über Mythen wird das Besondere dieser erzählten oder inszenierten Geschichten recht deutlich - unabhängig davon, ob man den psychoanalytischen Vorstellungen folgen mag oder nicht. Er hebt hervor, daß die Symbolsprache der Mythen unbewußte Inhalte transportiert. Die Worte sprechen zugleich das Bewußtsein und das Unbewußte in seinen drei Aspekten - Es, Ich und ü b e r- Ich - sowie das Bedürfnis für Ichideale an, was sie so überaus bedeutungsvoll macht. "...

Myths typically involve superego demands in conflict with id-motivated action, and with the self-preserving desires of the ego... Try as hard as we may, we can never live up fully to what the superego, as represented in myths by the gods, seems to require of us... The myth is pessim istic..." (1974 : 37). Charakteristisch für Mythen ist das Gefühl der Einzigartigkeit, die erzählte Geschichte könnte keine andere Person erleben oder sich in anderen Umständen zutragen. Die Ereignisse sind grandios, Ehrfurcht gebietend und könnten einem gewöhnlichen Sterblichen nicht widerfahren, wobei nicht das Zugetragene selbst so wunderbar und einzig erscheinen muß, sondern die Art der Erzählung es zur Einzigartigkeit werden läßt.

Dies unterscheidet Mythen von Märchen, die von zwar ungewöhnlichen aber doch möglichen Dingen handeln, in ihnen sind die Helden nicht übermenschlich wie im Mythos.

Mythische Helden tragen Namen, und zumeist sind auch ihre Verwandten namentlich überliefert, während Märchen im Grunde von Jedermann handeln und Nebendarsteller "ein Bauer", "ein König", "eine Hexe" sind. Ferner ist ein beinahe immer tragischer Verlauf für Mythen charakteristisch, während Märchen einen glücklichen Ausgang bieten.

Inder Literatur zur Unternehmenskultur wird häufig von "Firmenmythen" gesprochen (vgl. z.B. Boje, Fedor und Rowland 1982, Broms und Gahmberg 1983, Kubicek 1984), und Phänomene wie etwa Führungsgrundsätze, Heldenlegenden, Sachzwangargumente oder Erfolgsstrategien werden als Mythen bezeichnet. Der größte Teil, wenn nicht alle dieser Geschichten, die in Unternehmen kursieren, wird den oben genannten (ethnologischen) Kriterien nicht gerecht und kann höchstens den Status von Märchen, Sagen, Legenden oder Fabeln haben - also mit Begriffen bezeichnet werden, die nicht einen solch geheimnis­

Inder Literatur zur Unternehmenskultur wird häufig von "Firmenmythen" gesprochen (vgl. z.B. Boje, Fedor und Rowland 1982, Broms und Gahmberg 1983, Kubicek 1984), und Phänomene wie etwa Führungsgrundsätze, Heldenlegenden, Sachzwangargumente oder Erfolgsstrategien werden als Mythen bezeichnet. Der größte Teil, wenn nicht alle dieser Geschichten, die in Unternehmen kursieren, wird den oben genannten (ethnologischen) Kriterien nicht gerecht und kann höchstens den Status von Märchen, Sagen, Legenden oder Fabeln haben - also mit Begriffen bezeichnet werden, die nicht einen solch geheimnis­