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U M DES M E N S C H E N W I L L E N

Moral und Spiritualität

Festschrift für Bernhard Fraling zum 65. Geburtstag

Herausgegeben von

Michael Schramm und U d o Zelinka

echter

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Gemeinsam sind uns Schuld und Sünde

E i n Vergleich zwischen D i e t z Langes Ethik und H e l m u t Webers Moraltheologie

Von Herbert Schlägel OP

Z u den vielfältigen Initiativen auf ö k u m e n i s c h e r Ebene g e h ö r t das B e m ü h e n , im ethischen Bereich z u gemeinsamen Aussagen und ge- meinsamen H a n d e l n z u kommen. Dies geschieht auf kirchenamtli- cher Ebene1, im theologischen D i s k u r s2 wie in zahlreichen E i n z e l i n - itiativen im gemeindlichen Bereich3.

Das ö k u m e n i s c h e B e m ü h e n zeigt sich aber auch in der A r t und Weise, wie theologische Beiträge aus anderen Konfessionen in die eigenen Ü b e r l e g u n g e n einfließen4.

Im folgenden sollen zwei neuere W e r k e , die sich mit Grundfragen der Ethik aus evangelischer5 bzw. aus katholischer6 Sicht befassen, miteinander verglichen werden. Dabei b e s c h r ä n k t sich die Untersu- chung auf ein zentrales T h e m a : Schuld und S ü n d e . Z i e l des Aufsat- zes ist es, zumindest die gegenseitige Kenntnisnahme zu f ö r d e r n und die Andersartigkeit des Anderen wahrzunehmen. N a c h wie vor gilt, was Johannes G r ü n d e l vor einigen Jahren formulierte: »Für ei- nen ö k u m e n i s c h e n D i a l o g in Fragen der theologischen Ethik er- scheint es in besonderer Weise auch erforderlich, die Positionen des Partners noch g r ü n d l i c h e r als bisher zur Kenntnis z u nehmen . . . «7.

1 Vgl. u.a.: Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Grundwerte und Gottes Ge- bot, Gütersloh-Trier 1979; dies., Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, G ü t e r s l o h - K ö l n 1985; dies., Gott ist ein Freund des Lebens, Gütersloh-Trier 1989.

2 Vgl. u. a.: Schwerpunktthema: Grundlagen der Ethik im katholisch-evangelischen Gespräch, in: Z E E 37 (1993) Heft 1.

3 Vgl. u. a.: W . T h ö n i s s e n , Woran krankt die Ö k u m e n e ? Anmerkungen zu aktuel- len Entwicklungen und Tendenzen, in: K N A - K I 4 (20.1.1993) 5-14.

4 Vgl.z. B. H . Schlögel, Ö k u m e n i s c h e s in der evangelischen Ethik. Eine Moment- aufnahme, in: Cath 46 (1992) 253-272.

5 D . Lange, Ethik in evangelischer Perspektive. Grundfragen christlicher Leben- spraxis, G ö t t i n g e n 1992.

6 H . Weber, Allgemeine Moraltheologie. Ruf und Antwort, G r a z - W i e n - K ö l n 1991.

7 J. Gründel, Zwei Kirchen - eine Moral? Akzentsetzungen katholischer Moral und ihre Auswirkungen auf das sittliche Verhalten, in: O . Bayer u. a., Zwei Kirchen - eine Moral? Regensburg 1986, 77-103, hier 101.

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Das T h e m a Schuld und S ü n d e bietet sich aus verschiedenen G r ü n - den an:

1. D i e Schwierigkeit, den gemeinten Inhalt z u vermitteln, eint die christlichen Konfessionen.

2. A u f evangelischer wie auf katholischer Seite hat das W o r t eine unterschiedliche T r a d i t i o n . Z u Recht urteilt M i c h a e l Sievernich:

»So legt die katholische T r a d i t i o n den Schwerpunkt auf die per- sönlichen T a t s ü n d e n , um von dort die M a c h t der S ü n d e in den Blick z u bekommen, w ä h r e n d die protestantische T r a d i t i o n eher von einer G r u n d s ü n d i g k e i t ausgeht, die in den individuellen S ü n - den ihren Ausdruck findet«8.

3. Vermehrt lassen sich Hinweise aus der g e g e n w ä r t i g e n Literatur finden, die auf die Dringlichkeit des Themas hinweisen9. Schuld und S ü n d e bei zwei Gesamtdarstellungen der Ethik z u un- tersuchen, erlaubt es, diese Fragestellung vom Gesamt des jeweili- gen Ansatzes her z u verdeutlichen. D a r ü b e r hinaus kann anhand der Gesamtdarstellungen verdeutlicht werden, ob und wenn ja w e l - che Form der A n n ä h e r u n g bzw. der Distanz in der ö k u m e n i s c h e n Ethik vorhanden ist. Selbstverständlich kann der Vergleich zweier W e r k e - zumal auf ein T h e m a begrenzt - keine repräsentative A u s - sage für das ö k u m e n i s c h e G e s p r ä c h sein. E i n Indikator für die der- zeitige Situation ist der Vergleich dennoch. Bernhard Fraling, dem in dankbarer und herzlicher Verbundenheit dieser Beitrag gewid- met ist, hat sich an diesem G e s p r ä c h beteiligt1 0.

8 M . Sievernich, Sünde und Schuld im alltäglichen und kirchlichen Verständnis, in:

W . Seidel, Hrsg., Befreiende Moral. Handeln aus christlicher Verantwortung, W ü r z b u r g 1991, 61-85, hier 76,

9 Vgl. dazu: J. Imbach, Schuld in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, in:

StZ 112 (1987) 731-743; U . Baumann/K.-J. Kuschel, Wie kann denn ein Mensch schuldig werden? Literarische und theologische Perspektiven von Schuld, M ü n c h e n 1990; J. Dirnbeck, Der unfaßbare Grund. Zum P h ä n o m e n Schuld in der modernen Literatur, in: O . K ö n i g u. A . Wolkinger, Hrsg., H o r i - zonte sittlichen Handelns. Richard Bruch Octogenario, Graz 1991, 135-158; B.

Sill, »Schuld - wie schreibt sich das?« Ein kleiner Einblick in Texte zeitgenössi- scher Dichtung und Literatur, in: H . Ritt, Hrsg., Gottes Volk. Bibel und Liturgie im Leben der Gemeinde, 7/92, Stuttgart 1992, 99-114.

1 0 B. Fraling ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des J o h a n n - A d a m - M ö h l e r - Instituts Paderborn. Seine Beiträge zum ö k u m e n i s c h e n Gespräch: Grundwerte im ö k u m e n i s c h e n Dialog, in: Cath 34 (1980) 260-278; Methodisches zur Frie- densethik im ö k u m e n i s c h e n Vergleich, in: Cath 39 (1985) 27-51; Gemeinsame ethische Probleme, in: H J . Urban/H.Wagner, Hrsg., Handbuch der Ö k u m e n i k III/1, Paderborn 1987, 179-194; Ethische Fragen, in: H J . U r b a n / H . Wagner, Hrsg., Handbuch der Ö k u m e n i k III/2, 199-215.

In der Vorlesung »Allgemeine Moraltheologie II« kommt die Schuldthematik ausführlich zur Sprache. Vgl. auch: B. Fraling, Zur Problematik der Unterschei- dung von schwerer und leichter Sünde, in: LebZeug 39 (1984) 39-46; ders.,

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/. Sünde und Schuld bei Dietz Lange11

1.1. H i n f ü h r u n g

Bevor auf das T h e m a »Schuld und Sünde« n ä h e r eingegangen w i r d , ist es notwendig, die A u s f ü h r u n g e n von Lange dazu in einen g r ö ß e - ren Kontext zu stellen. Keineswegs ist beabsichtigt, Langes Ethik ausführlich darzustellen und z u w ü r d i g e n . Lange hat sich intensiv mit dem amerikanischen Theologen Reinhold N i e b u h r (1892-1971) beschäftigt. Lange promovierte 1962 bei Gerhard Ebe- ling in Z ü r i c h mit dem T h e m a : »Christlicher Glaube und soziale Probleme. Eine Darstellung der Theologie Reinhold N i e b u h r s «1 2. D a Lange seine »Ethik in evangelischer Perspektive« Reinhold N i e b u h r widmet, ist es sinnvoll, seinem Verweis auf ihn n ä h e r nach- zugehen. Weiter soll auf den evangelischen Standort hingewiesen werden, den Lange in der E t h i k einnimmt. D i e G ö t t i n g e r F a k u l t ä t , der Lange a n g e h ö r t , hat sich kritisch mit dem Text des Ö k u m e n i - schen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen

» L e h r v e r u r t e i l u n g e n - k i r c h e n t r e n n e n d ? «1 3 auseinandergesetzt1 4. Lange gab als D e k a n diesen Band für die G ö t t i n g e r F a k u l t ä t heraus.

Beim Blick auf Reinhold N i e b u h r wie auf den evangelischen Stand- ort der Ethik soll die Frage, wie dort die Schuldthematik zur Spra- che kommt, leitend sein.

1.1.1. R e i n h o l d N i e b u h r1 5

Niebuhr, Sohn eines aus Deutschland eingewanderten Pastors, war als Seelsorger von 1915-1928 in einer Gemeinde von Detroit tätig.

D o r t erlebte er intensiv soziales Elend. N i e b u h r g e h ö r t e der in A m e r i k a verbreiteten »Social G o s p e l « - B e w e g u n g an, die sich als Pendant z u m religiösen Sozialismus in E u r o p a verstand. In der Phase seiner Z u g e h ö r i g k e i t zu dieser Bewegung definierte er S ü n d e sozial als Ungerechtigkeit, Imperialismus usw.. Allerdings brach

Geistliche Erfahrungen machen. Spiritualität im Seelsorge-Verbund, W ü r z b u r g 1992, 59-100.

1 1 D . Lange, Ethik, 383-410.

1 2 D . Lange, Christlicher Glaube und soziale Probleme. Eine Darstellung der Theo- logie Reinhold Niebuhrs, G ö t t i n g e n 1964.

1 3 K . Lehmann u. W . Pannenberg, Hrsg., Lehrverurteilungen - kirchentrennend?

I Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, F r e i b u r g / G ö t t i n g e n 21987.

1 4 D . Lange, Hrsg., Ü b e r h o l t e Verurteilungen? Die G e g e n s ä t z e in der Lehre von Rechtfertigung, Abendmahl und Amt zwischen dem Konzil von Trient und der Reformation - damals und heute, G ö t t i n g e n 1991.

1 5 D . Lange, Ethik, 158-167.

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N i e b u h r später mit dieser Richtung. Seine dem »Social Gospel« w i - dersprechende These lautet, »daß der relativ machtlose Egoismus der Einzelnen in den s o z i a l e n Impuls< eindringt und mit Hilfe der Vernunft sich zum kollektiven Egoismus einer Klasse oder einer N a t i o n p o t e n z i e r t «1 6. D i e Wende im S ü n d e n v e r s t ä n d n i s ist deut- lich.

W a r die S ü n d e bisher sozial definiert als Ungerechtigkeit, so w i r d jetzt umgekehrt argumentiert. D e r Egoismus des Einzelnen steht im V o r d e r g r u n d , der sich auf das soziale Geschehen bis hin zum »kol- lektiven Egoismus« ausweitet. Bei dieser Vorgehensweise werden aber Einzelinteressen verabsolutiert. D a d u r c h kommen die Interes- sen in einen kämpferischen Gegensatz zueinander. » D e m Ideal ei- ner durch Liebe bestimmten Gesellschaft kann d e m g e g e n ü b e r ledig- lich eine regulative Funktion zukommen. Unmittelbar relevant ist nur die aus ihm abgeleitete rationale N o r m der Gleichheit, politisch realisierbar nur eine relative Verbesserung des jeweils bestehenden Zustandes, nämlich ein Gleichgewicht der K r ä f t e «1 7. In diesem Gleichgewicht der Kräfte findet sich die M a x i m e englischer Politik, der »balance of p o w e r « , wieder.

Lange hebt hervor, d a ß das U m d e n k e n Niebuhrs auch theologische Konsequenzen hatte. A l s Gestalten, die für N i e b u h r wichtig sind, nennt Lange hier: Augustinus, Paul T i l l i c h , M a r t i n Luther, Soeren Kierkegaard. Bis auf Augustinus bezieht sich Lange später in sei- nem Kapitel z u r Schuldproblematik auf dieselben A u t o r e n .

Niebuhrs theologischer Ausgangspunkt ist die Anthropologie.

» ( N i e b u h r ) sieht den Menschen in einer fundamentalen Spannung zwischen Zeit und E w i g k e i t : einerseits als an N a t u r und >organi- sche< Sozialordnungen gebundenes, endliches Wesen, andererseits als >Geist<, d.h. als fähig zur Selbsttranszendenz, die ihm nicht nur die eigensüchtige Gestaltung von N a t u r und gesellschaftlicher O r d - nung erlaubt, sondern ihn auch nach G o t t als dem G r u n d des L e - bens fragen läßt. D i e darin implizierte personale Urbeziehung z u G o t t - nicht eine Wesensanalogie - bezeichnet N i e b u h r als imago d e i «1 8. Welche Konsequenzen hat dieses V e r s t ä n d n i s ? D e r M e n s c h

»kehrt ... die Selbsttranszendenz gegen ihre Bestimmung und wirft sich selbst z u m Gott auf. D a m i t ist S ü n d e jetzt klar theologisch defi- niert. Ihre soziale Dimension als Absolutsetzung einer gesellschaft- lichen Gruppe, als Klerikalismus oder Nationalismus und Imperia- lismus ist jetzt als A b b i l d der verfehlten Gottesbeziehung begrif-

1 6 Ebd. 160.

1 7 Ebd.

1 8 Ebd. 161.

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f e n «1 9. Lange sieht also bei N i e b u h r die S ü n d e theologisch - der M e n s c h setzt sich an die Stelle Gottes - und sozial im Sinne einer Absolutsetzung einer Gruppe. Indem der M e n s c h sich im Selbstwi- derspruch befindet, w i r d - so N i e b u h r - »das Wesen des Menschen zur Forderung und zur A n k l a g e im G e w i s s e n «2 0. D i e Bestimmung des Menschen, seine personale Urbeziehung z u Gott, meldet sich im Gewissen. Dieser Widerspruch w i r d erst durch die Selbsthingabe Jesu am K r e u z ü b e r w u n d e n . In dieser geschichtlichen V e r w i r k l i - chung zeigt sich die Liebe Gottes. »Diese am M o d e l l reformatori- scher Soteriologie entwickelte theologia crucis bildet von nun an die Kernaussage der Niebuhrschen Theologie, mit einem - u. a.

durch die Diskussionslage in den Staaten bedingten starken, pole- mischen A k z e n t auf S ü n d e und G e r i c h t «2 1.

N i e b u h r entfaltet diesen Gedanken weiter. In Anlehnung an K i e r - kegaard skizziert er das V e r h ä l t n i s des Menschen z u sich selbst, z u anderen Menschen und z u G o t t nicht als »zeitlose Struktur, son- dern (als) V o l l z u g «2 2. D e r M e n s c h kommt in vielfältigen Beziehun- gen an G r e n z e n , »nicht nur an ä u ß e r e Grenzen der Interessen und Rechte, sondern elementarer an das Geheimnis fremder Individua- lität, das er ehren m u ß «2 3. H i e r s t ö ß t der M e n s c h an das Geheimnis, das G o t t selbst ist. D e r M e n s c h kann seine M i t t e in G o t t oder auch in sich selbst suchen. »Aus diesem Schwebezustand, der Sorge (an- xiety), verfällt der M e n s c h mit einem u n e r k l ä r l i c h e n >Sprung< in den M i ß b r a u c h seiner Freiheit, die S ü n d e «2 4. N i e b u h r unterscheidet mit Kierkegaard zwei Grundformen der S ü n d e : » H y b r i s und Sinn- lichkeit (Sich-treiben-lassen), wobei die zweite F o r m , die W e i g e - rung, ein Selbst z u sein, im Grunde nur eine Abart der ersten i s t «2 5. Das K r e u z Jesu durchbricht den Teufelskreis der S ü n d e . N i e b u h r sieht hier besonders die bleibende S ü n d e des Menschen, »doch hebt er gegen eine exklusiv forensische Rechtfertigungslehre hervor, d a ß der >Christus in uns<, d.h. der H e i l i g e Geist, auch reale V e r ä n d e - rungen im Leben des Christen hervorbringt. D a m i t ist die Schwelle z u r E t h i k e r r e i c h t «2 6.

Als kritischen Punkt bei N i e b u h r merkt Lange an, d a ß die S ü n d e n -

1 9 Ebd.

2 0 Ebd.

2 1 Ebd. 161 f.

" E b d . 162

2 3 Ebd.

2 4 Ebd. 163.

2 5 Ebd. Zu Kierkegaards Sündenverständnis vgl.: P. Fonk, Zwischen Sünde und Er- lösung. Entstehung und Entwicklung einer christlichen Anthropologie bei Soeren Kierkegaard, Kevelaer 1990.

2 6 D . Lange, Ethik, 164.

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Problematik bei ihm durch die Frontstellung gegen den amerikani- schen Fortschrittsoptimisimus g e p r ä g t sei. D a m i t werden auch die Grenzen des Ethischen z u sehr betont.

F ü r Niebuhrs S ü n d e n v e r s t ä n d n i s bleibt nach der Darstellung von Lange festzuhalten: D e r Mensch steht in einer personalen Bezie- hung z u Gott. D o c h der Mensch w i l l in der W i r k l i c h k e i t des Lebens sein wie Gott. Das ist der theologische Sinn der S ü n d e , der soziale Auswirkungen hat. Diese zeigen sich in der Absolutsetzung gesell- schaftlicher Gruppen.

Bevor auf das S ü n d e n v e r s t ä n d n i s von Lange n ä h e r eingegangen w i r d , k u r z ein Blick auf den »evangelischen S t a n d o r t « seines W e r - kes.

1.1.2. » D e r e v a n g e l i s c h e S t a n d o r t «2 7

A u f diesen Punkt hinzuweisen, ist deshalb notwendig, weil es bei diesem Beitrag um einen Vergleich mit einem katholischen A u t o r geht. Lange spricht von der Grunddifferenz zwischen katholischer und evangelischer Auffassung. E r stellt dies nicht nur für die d o g - matischen Themen der Rechtfertigungslehre und Ekklesiologie fest, » s o n d e r n auch für das vortheoretische G r u n d v e r s t ä n d n i s des Glaubens selbst als eines der Kirche geschuldeten Gehorsamsaktes auf katholischer und als eines trotz der fortbestehenden N o t w e n - digkeit geschichtlicher Vermittlung unmittelbaren Verhältnisses z u dem in Jesus Christus g e g e n w ä r t i g e n G o t t auf evangelischer S e i t e «2 8. Welche Konsequenzen hat dies für das V e r s t ä n d n i s des Ethischen?2 9 Lange sieht es im katholischen V e r s t ä n d n i s von N a t u r

2 7 Ebd. 293-301.

2 8 Ebd. 293; Lange verweist zur näheren Begründung der dogmatischen Differenz auf die in Anm. 14 zitierte Erklärung der Göttinger Fakultät und auf J. Baur, E i - nig in Sachen der Rechtfertigung? Zur Prüfung des Rechtfertigungskapitels der Studie des Ö k u m e n i s c h e n Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theolo- gen: »Lehrverurteilungen - kirchentrennend?« T ü b i n g e n 1989; vgl. dazu:

U . K ü h n / O . H . Pesch, Rechtfertigung im Disput. Eine freundliche Antwort an Jörg Baur auf seine Prüfung des Rechtfertigungskapitels in der Studie des Ö k u - menischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen »Lehrverur- teilungen - kirchentrennend?« T ü b i n g e n 1991; vgl. weiterhin: T . Koch, Ö k u m e - nische Verständigung und konfessionelle Differenz. Zu den Stellungnahmen zur Studie »Lehrverurteilungen - kirchentrennend?«, in: ZevKr 37 (1992) 148-163;

Lehrverurteilungen im Gespräch. Die ersten offiziellen Stellungnahmen aus den evangelischen Kirchen in Deutschland, G ö t t i n g e n 1993.

2 9 G . Ebeling hat hierzu eine dezidierte Auffassung: » N u r dann sind ethische Fra- gen theologisch behandelt, wenn man darüber Rechenschaft zu geben vermag, wie sie im Lichte des Glaubens e i n z u s c h ä t z e n und g e m ä ß der Liebe zu beantwor- ten sind. D a ß ein christlicher Konsensus in bezug auf ethische Fragen gegebenen- falls keineswegs leichter, sondern schwerer zu erzielen ist als in dogmatischen

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und Ü b e r n a t u r . Im Blick auf die S ü n d e n l e h r e folgert er: »Die S ü n d e ist also im Unterschied zur reformatorischen Rede von der völligen Verderbnis des Menschen p r i m ä r nur ein M a n g e l an ur- s p r ü n g l i c h e r Gerechtigkeit erst s e k u n d ä r eine >positive< G r ö ß e . Das ist im Rahmen einer Substanzontologie unvermeidlich, will man nicht die Verantwortlichkeit des Menschen p r e i s g e b e n «3 0. In der Substanzontologie sieht Lange den entscheidenden trennenden Punkt auch bei neueren Moraltheologen wie Alfons A u e r3 1 und Franz B ö c k l e3 2.

Es kann in diesem Zusammenhang nicht ausführlich diskutiert wer- den, ob die S c h l u ß f o l g e r u n g e n , die Lange aus den Arbeiten von A u e r und Böckle zieht, richtig sind, zumal die Diskussion im katho- lischen R a u m weitergegangen ist3 3. Sicher bleibt aber z u fragen, ob eine unterschiedliche Interpretation der Ontologie die Grunddiffe- renz im Ethischen ausreichend b e g r ü n d e t .

Gegen die katholische Auffassung setzt Lange die lutherische P o s i - tion, in der die S ü n d e p r i m ä r als ein völliger Verlust der Beziehung des Menschen z u G o t t verstanden w i r d . D i e M ö g l i c h k e i t ethisch guten Handelns kann nur auf » G o t t e s V o r s e h u n g « z u r ü c k g e f ü h r t werden, »die sich gegen die Grundrichtung des menschlichen W i l - lens auf S e l b s t b e g r ü n d u n g durchsetzt, indem sie sein Gewissen u n d / o d e r die Folgen seines Handelns (also auch gegen die Absicht des Handelnden) z u ihrem Instrument m a c h t «3 4. D i e E r l ö s u n g durch Jesus Christus, die Vergebung der S ü n d e , setzt einen neuen Anfang, in dem der W i l l e des Menschen umgewendet w i r d . Als weitere wichtige Folgerung aus diesem E r l ö s u n g s v e r s t ä n d n i s sieht Lange, d a ß auch die kirchlichen Institutionen von dem S ü n - dersein und von dem v ö l l i g - n e u - g e s c h a f f e n - w e r d e n nicht ausge- schlossen sind. »Ethisch folgt daraus, d a ß kein M e n s c h und keine Institution als unbezweifelbare A u t o r i t ä t dem Einzelnen seine V e r - antwortung abnehmen k a n n «3 5.

Fragen, d a ß die Gemeinsamkeit ethischer Erkenntnis und Entscheidung aber auch nicht ohne weiteres zur Bedingung der Gemeinsamkeit gemacht werden darf, ist eine Einsicht, an der sich nur stoßen kann, wer die theologische Orien- tierung in bezug auf das P h ä n o m e n des Ethischen verloren hat« (Studium der Theologie. Eine e n z y k l o p ä d i s c h e Orientierung, T ü b i n g e n 1977, 161).

3 0 D . Lange, Ethik, 294.

3 1 A . Auer, Autonome Moral und christlicher Glaube, Düsseldorf 21984.

3 2 F. B ö c k l e , Fundamentalmoral, M ü n c h e n 41985.

3 3 V g l . dazu u. a.: B. Fraling, Hrsg., Natur im ethischen Argument, Freiburg 1990;

bes. K . Demmer, Natur und Person. Brennpunkte gegenwärtiger moraltheologi- scher Auseinandersetzung, ebd., 55-86.

3 4 D . Lange, Ethik, 297.

3 5 Ebd. 299.

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Lange benennt zwei zentrale Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Auffassung des S ü n d e n v e r s t ä n d n i s s e s :

1. Das unterschiedliche V e r s t ä n d n i s der Imago-Dei-Lehre und da- mit das V e r s t ä n d n i s der Substanzontologie. Lange hebt hervor, d a ß durch die Vergebung Gottes allein der durch die S ü n d e völ- lig verdorbene W i l l e des Menschen umgewendet werden kann.

D i e katholische Kirche beharre nach seiner M e i n u n g nach wie vor auf dem Natur/Ubernatur-Schema.

2. D i e R a d i k a l i t ä t der S ü n d e betrifft auch die kirchlichen Institutio- nen. Insofern sind sie auch nicht T r ä g e r eines objektiven H e i l s - anspruchs. D e m einzelnen Menschen kann keiner die Verant- wortung für sein H a n d e l n abnehmen. » D e r M e n s c h kann nur so zu seiner Wahrheit kommen, d a ß er die W i r k l i c h k e i t seiner selbst und der ihn umgebenden W e l t in einer durch die Vergebung vom O k t r o i heteronomer Festlegungen befreiten eigenen V e r a n t w o r - tung wahrnimmt und zugleich bereit ist, anderen dieselbe Frei- heit e i n z u r ä u m e n «3 6.

1.2. »Die W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t der ethischen S i t u a t i o n «3 7

U n t e r dieser Überschrift behandelt Lange die ethische Seite der S ü n d e . E r hebt hervor, » d a ß S ü n d e hier selbstverständlich nicht als ethischer, sondern als theologischer Begriff verwendet w i r d . Frei- lich ist andererseits ebenso deutlich, d a ß der den ganzen Menschen meinende Gottesbezug natürlich sein soziales Wesen einschließt, so d a ß ein theologischer Sündenbegriff ohne eine religiös konstituierte ethische Seite unvorstellbar i s t «3 8. D i e enge Anlehnung an das bei N i e b u h r skizzierte S ü n d e n v e r s t ä n d n i s ist deutlich: einerseits die ge- störte Beziehung des Menschen z u Gott, andererseits die S ü n d e des Menschen aufgrund seines sozialen Wesens.

A n anderer Stelle wendet sich Lange gegen eine R e d u k t i o n der Ethik auf die S o z i a l e t h i k3 9, aber im Zusammenhang mit dem S ü n - d e n v e r s t ä n d n i s bleibt z u fragen, ob die Unterscheidung, E t h i k nicht auf Sozialethik z u konzentrieren, beibehalten w i r d . D i e ethische Seite der S ü n d e sieht Lange in drei Formen des Konflikts hervortre- ten.

3 6 Ebd. 300.

3 7 Ebd. 383-410.

3 8 Ebd. 383.

3 9 Siehe seine Kritik an T . Rendtorff, Ethik. Grundelemente, Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theorie. 2 Bde., Stuttgart u. a. 21990: »Die Ethik ist auch hier wieder praktisch auf Sozialethik reduziert...« (D. Lange, Ethik, 94f.).

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1.2.1. » D i e u n b e d i n g t e F o r d e r u n g G o t t e s u n d die r e l a t i v e W i r k l i c h k e i t des M e n s c h e n «4 0

In der unbedingten Forderung d r ü c k t sich der W i l l e Gottes aus.

Dieser W i l l e fließt in konkrete Formulierungen ein, geht aber nicht in ihnen auf. In konkreten Situationen soll er erfüllt werden; die un- bedingte Forderung w i r d aber nicht erfüllt. »Vielmehr ist die s c h ö p - f u n g s m ä ß i g e Endlichkeit alles H u m a n e n immer und überall unent- rinnbar mit der Verfehlung des Willens Gottes verflochten. D e r ge- genseitigen D u r c h d r i n g u n g von Geschöpflichkeit und S ü n d e ent- spricht auf der Ebene der weltlichen Verhältnisse die gegenseitige D u r c h d r i n g u n g der begrenzten Fähigkeit und Reichweite des ein- zelnen Subjekts auf der einen und seiner Schuld auf der anderen S e i t e «4 1. D e r Einzelne steht mit seinem H a n d e l n immer schon in ei- nem Zusammenhang, der schuldbehaftet ist. Das d r ü c k t die Lehre von der U r s ü n d e aus. »Es geht in ihr um die Verfehlung des Gottes- verhältnisses als etwas das Moralische E i n s c h l i e ß e n d e s , aber we- sentlich T r a n s m o r a l i s c h e s «4 2. Lange sieht die damit verbundenen Probleme, ob die Endlichkeit selbst S ü n d e und die S c h ö p f u n g nicht gut sei. Dies bedeutet - so Lange - kein Ineinssetzen von der ge- schöpflich bedingten endlichen V e r w i r k l i c h u n g und dem Verfehlen des Willens Gottes. »Die eigentliche Schwierigkeit des mit der U r - s ü n d e n l e h r e gestellten Problems liegt also in der Antinomie der in ihr a u s g e d r ü c k t e n Erfahrung als eines z u verantwortenden Versto- ßes gegen den W i l l e n Gottes und zugleich als eines der eigenen Verantwortung vorausliegenden Z u s a m m e n h a n g e s «4 3. H i n t e r die- ser Aussage steht der Grundgedanke, d a ß sich menschliche Freiheit allein G o t t verdankt. D e r M e n s c h ist schlechthin a b h ä n g i g von G o t t . E r »ahnt« diese A b h ä n g i g k e i t »in jeder Wahrnehmung der unbedingten Forderung anders ist die Gewissenserfahrung theo- logisch nicht z u b e g r e i f e n «4 4. Zentral ist also hier das Bewußtsein der völligen A b h ä n g i g k e i t des Menschen von Gott. W e n n der M e n s c h G o t t g e g e n ü b e r ein Eigenrecht beansprucht, dann ist dies aufgrund seiner Geschöpflichkeit S ü n d e . » S ü n d e ist demnach hin- sichtlich des Konflikts von unbedingter Forderung und relativer V e r w i r k l i c h u n g ihrer ersten F o r m nach die T r e n n u n g des Relativen von seiner Quelle, also seine A b s o l u t s e t z u n g «4 5. Allerdings kann man sich ü b e r diese Endlichkeit auch auf andere Weise hinwegset-

4 0 D . Lange, Ethik, 384-387.

4 1 Ebd. 384.

4 2 Ebd. 384 mit Bezug auf Paul Tillich.

4 3 Ebd. 385.

4 4 Ebd.

4 5 Ebd. 386.

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zen. Dies geschieht dann, wenn man mit r e v o l u t i o n ä r e n M a ß n a h - men versucht, einen Idealzustand h e r b e i z u f ü h r e n . In beiden Fällen ist ein M i ß b r a u c h der Freiheit z u sehen. Lange folgert: » D a ß die Freiheit sich immer in diesem Widerstreit befindet, weist auf den ü b e r p e r s ö n l i c h e n s ü n d i g e n Zusammenhang hin, von dem bereits die Rede w a r «4 6. Dies hat aber nichts mit einer Determiniertheit z u tun, die die persönliche Verantwortung völlig ausschließt. D e r W i - derspruch zwischen der unbedingten Forderung und der relativen V e r w i r k l i c h u n g weist auch auf einen inneren Widerspruch im ethi- schen Subjekt hin.

1.2.2. » D e r innere W i d e r s p r u c h des e t h i s c h e n S u b j e k t s «4 7 D e r M e n s c h g e r ä t in unserer Gesellschaft immer mehr in eine »un- auflösliche Dialektik von Schuld und V e r h ä n g n i s «4 8. H i e r zeigt sich das Gebrochensein des Menschen selbst. »Diese Gebrochenheit kann religiös (coram Deo) nur interpretiert werden als der W i d e r - spruch zwischen dem faktischen Sosein und seiner gottgesetzten B e s t i m m u n g «4 9. D i e eigene Selbstbestimmung erscheint gerade als Freiheit und nicht als Widerspruch gegen die von G o t t her gege- bene Bestimmung des Menschen. D i e B e g r ü n d u n g des Menschen aus sich selbst kann nur von G o t t her v e r ä n d e r t werden. »Erst da- durch, d a ß G o t t sich als der G r u n d allen Seins dem Menschen of- fenbart, kann dieser erkennen, d a ß er S ü n d e r ist, d.h. d a ß er sich von der Teilhabe an der Quelle des Lebens um einer vermeintlich sich selbst verdankten I d e n t i t ä t willen abgeschnitten hat, dadurch in sich verschlossen ist (homo incurvatus in se ipsum) und so zugleich mit der a u ß e r h a l b seiner selbst g e g r ü n d e t e n Freiheit auch das Leben verloren hat ( R o m 5 , 1 2 ) «5 0. D i e Schwierigkeit liegt hier wie beim ersten Punkt, dem V e r h ä l t n i s von Endlichkeit und Unendlichkeit, darin, d a ß der M e n s c h »allein für (diesen Selbstwiderspruch) ver- antwortlich ist und doch immer schon aus einer Vergangenheit und aus einem sozialen Zusammenhang herkommt, die ihn in diese Richtung d r ä n g e n und denen er sich faktisch nicht entziehen k a n n «5 1. D e r M e n s c h erfährt diesen Selbstwiderspruch. U n d genau die Erfahrung dieses Selbstwiderspruchs ist S ü n d e . Sie »meldet sich im Gewissen zugleich in ihrer ethischen und (jedenfalls implizit) in

4 6 Ebd. 387

4 7 Ebd. 387-396.

4 8 Ebd. 389.

4 9 Ebd. 390.

5 0 Ebd.

5 1 Ebd. 391.

(13)

ihrer religiösen B e d e u t u n g «5 2. D i e Verfehlung des Menschen ge- g e n ü b e r anderen ist »die Kehrseite der Verfehlung der Existenz co- ram D e o «5 3.

D e n inneren Widerspruch des Subjekts sieht Lange in dreifacher Weise:

1. Im V e r h ä l t n i s von Freiheit und Schicksal ist immer das V e r h ä l t n i s von S c h ö p f u n g und S ü n d e vorhanden. »Das V e r h ä l t n i s von Frei- heit und Schicksal stellt die M o d a l i t ä t des menschlichen Selbstwi- derspruchs d a r «5 4.

2. Im V e r h ä l t n i s des Menschen z u G o t t kommt die Beziehung vom Endlichen zum Unendlichen z u m Ausdruck. »Das ist die Q u a l i - tät des G r u n d w i d e r s p r u c h s «5 5.

3. Zwischen dem Einzelnen als ethischem Subjekt und der Gruppe als ethischem Subjekt besteht ein enger Zusammenhang. A b e r ge- rade dieser Zusammenhang ist aufgrund der V e r f a ß t h e i t des ein- zelnen ethischen Subjekts gestört, und davon ist das soziale L e - ben betroffen. D a m i t ist die »Relation des G r u n d w i d e r s p r u c h s « a u s g e d r ü c k t .

Lange schließt sich Kierkegaard an, wenn er »das Man-selbst-sein- W o l l e n und das Nicht-man-selbst-sein-Wollen als die beiden Grundformen der S ü n d e «5 6 feststellt. D i e S ü n d e liegt gerade darin, d a ß in beiden Verhaltensweisen der M e n s c h seine Existenz nicht G o t t verdanken w i l l . Dies hat Auswirkungen auf das W e l t v e r s t ä n d - nis. » H i e r verweigert der M e n s c h die Existenz in der W e l t als dem von G o t t gesetzten O r t von Freiheit e r m ö g l i c h e n d e r und begren- zender Verbindlichkeit, indem er diesen O r t entweder selbst zu ei- genen Bedingungen neu setzen oder sich solcher Bindung entziehen w i l l «5 7.

1.2.3. » D i e Z w e i d e u t i g k e i t der e t h i s c h e n S i t u a t i o n u n d die F r a g e n a c h d e m W i l l e n G o t t e s «5 8

M i t dieser Überschrift wendet sich Lange der ethischen Seite der Theodizeefrage z u . D e n n diese » e n t z ü n d e t sich ja gerade an dem v e r h ä n g n i s h a f t e n Element des Bösen, das als solches vom M e n - schen nicht verantwortet werden k a n n «5 9. Im A n s c h l u ß an K a n t

5 2 Ebd. 392.

5 3 Ebd.

5 4 Ebd. 393.

5 5 Ebd.

>6 Ebd.

5 7 Ebd. 395

5 8 Ebd. 397-402

5 9 Ebd. 397

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spricht Lange v o n der » U n l ö s b a r k e i t der Theodizeefrage in ihrer allgemeinen F o r m «6 0. Das Problem der Theodizeefrage ist aber nicht die U n l ö s b a r k e i t , sondern der von Luther eingebrachte Punkt des s ü n d i g e n Charakters dieser Frage. D e r M e n s c h will ü b e r G o t t urteilen, warum er das Leid zulasse, warum er ihn in eine endliche Lage versetze usw. M a n w i r d aber noch einen Schritt weitergehen müssen. »Die Aporie, aus der die ethische Theodizeefrage entsteht, ist doch gerade die Unvermeidlichkeit der Schuld, die den ethischen K o n f l i k t kennzeichnet, also dessen v e rh ä n gni sha f te S e i t e «6 1. Sie zeigt sich darin, d a ß der M e n s c h Gottes G ü t e erhofft und zugleich fragt, »was denn G ü t e Gottes bedeuten k ö n n e und was n i c h t «6 2. Be- reits in dem letztgenannten Punkt, in dem der M e n s c h G o t t für sein T u n zur Verantwortung ziehen w i l l , zeigt sich die S ü n d e der Eigen- m ä c h t i g k e i t des Menschen. G o t t w i r d im ethischen K o n f l i k t als der Verborgene erfahren. D e r M e n s c h kann aber in seinem H a n d e l n nicht am Platz der Verborgenheit Gottes verweilen. » E r braucht eine verläßliche Lebensbasis, um die einzelne Situation meistern und d a r ü b e r hinaus die Gestaltung seines Lebens in die H a n d neh- men z u k ö n n e n «6 3.

Dies setzt voraus, d a ß der M e n s c h zwischen g r ö ß e r e m und kleine- rem Ü b e l w ä h l e n kann. Zugleich scheint in jeder noch so kleinen Forderung die unbedingte Forderung auf. M a n c h e Ethiker sehen dieses D i l e m m a , z u m einen auf der Ebene des Relativen, das gerin- gere Ü b e l z u w ä h l e n und zugleich der unbedingten ethischen F o r - derung g e g e n ü b e r schuldig z u werden, als Abstraktion. »Angesichts der tatsächlichen Erfahrung w ä r e aber z u fragen, ob nicht eher die entgegengesetzte Vorstellung vom W i l l e n Gottes als der in einer be- stimmten Situation ergehenden eindeutigen konkreten Forderung in Wahrheit eine Abstraktion ist, die allenfalls in Spitzensituationen plausibel erscheinen mag, in den meisten Fällen aber gerade dann in zwei einander diametral entgegengesetzte A u s l e g u n g s m ö g l i c h k e i - ten auseinanderfahren w i r d «6 4. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dadurch, d a ß das Wissen, in jedem Falle schuldig z u werden, sich ethisch l ä h m e n d a u s d r ü c k t . Lange sieht diesen E i n w a n d , den er im Zusammenhang des Abschnittes »Die V o l l m a c h t z u m L e b e n «6 5 n ä h e r behandelt. D a es sich aber um eine im Gewissen gemachte E r - fahrung handelt, kann sie nicht einfach beiseite gelassen werden.

6 0 Ebd.

6 1 Ebd. 398.

6 2 Ebd. 399.

6 3 Ebd. 401.

6 4 Ebd.

6 5 Ebd. 410-486, bes. 410-425.

(15)

Deshalb wendet sich Lange an dieser Stelle dem anklagenden G e - wissen z u .

1.2.4. » D a s a n k l a g e n d e G e w i s s e n «6 6

Lange beschreibt die Gewissenserfahrung »als die Erfahrung der Differenz zwischen dem Selbst, wie es sein soll, und dem Selbst, wie es faktisch i s t «6 7. N u n g e h ö r t es z u r Gewissenserfahrung, d a ß diese Differenz nicht aufgehoben werden kann. » D e r G r u n d dafür kann, christlich verstanden, nur darin bestehen, d a ß die Bestimmung des Menschen nicht von ihm selbst, sondern von G o t t gesetzt ist, von dem allein sie auch erfüllt werden k a n n «6 8. Das anklagende Gewis- sen weist darauf hin, d a ß der M e n s c h als S ü n d e r vor G o t t , seinem Richter, steht. »Dies ist der letzte G r u n d dafür, weshalb das >sich meldende< Gewissen p r i m ä r das schlechte Gewissem ist. U n d zwar ist es coram D e o in einem so radikalen Sinne schlechtes Gewissen, d a ß ihm faktisch nur die Alternative bleibt, entweder den G r u n d - konflikt z u v e r d r ä n g e n oder auf Vergebung z u b a u e n «6 9. Bei der V e r d r ä n g u n g ersetzt man die Forderung Gottes durch die eigene ethische Leistung. Erwartet man Vergebung ohne verläßlichen Z u - spruch, dann bleibt dies eine b l o ß e Wunschvorstellung.

Diese Sicht - so Lange - w i r d als pessimistisch disqualifiziert, wie es z. B . die offizielle katholische S ü n d e n l e h r e , der liberale Protestan- tismus und die feministische Theologie tun. A u ß e r t h e o l o g i s c h weist Lange auf Sigmund Freud hin.

N u n schließt das anklagende Gewissen, das schlechte Gewissen vor G o t t , das gute Gewissen g e g e n ü b e r Menschen in bestimmten Fällen nicht aus. » V i e l m e h r erweist sich die W i r k l i c h k e i t s n ä h e dieses schlechten Gewissens ebenso wie sein Charakter als Grunderfah- rung gerade darin, d a ß man Aussagen ü b e r die relativen Unter- schiede zwischen G u t und Böse zwar einer kritischen Untersuchung auf m ö g l i c h e I r r t ü m e r und Voreingenommenheiten unterzieht, sie aber gerade nicht z u einer schwarzen Einheitsmasse reiner N e g a t i - vität einstampft, sondern Anerkennenswertes auch w i r k l i c h aner- k e n n t «7 0. Luther selbst hat davon gesprochen, d a ß es coram h o m i n i - bus, aber nicht coram D e o gute W e r k e geben kann. »Die volle H ä r t e der Gewissensverurteilung erfährt der M e n s c h aber erst dann, wenn er mit der N ä h e Gottes konfrontiert ist, gegen dessen Setzung seiner Bestimmung er sich durch den V e r s u c h e i g e n m ä c h t i -

6 6 Ebd. 402-410

6 7 Ebd. 402.

" Ebd.

6 9 Ebd.

7 0 Ebd. 405 f.

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ger Selbstbestimmung verfehlt hat und der ihn deshalb r i c h t e t «7 1. H i n t e r diesem Einsichtsstand kann theologisch nicht z u r ü c k g e g a n - gen werden, selbst wenn es umstritten ist, wie viele Menschen ihn annehmen.

So resümiert Lange am Schluß seiner A u s f ü h r u n g e n , » d a ß coram D e o alle nicht Gott selbst verdankte Selbstbestimmung - auch die moralische, auch die sich auf einen Besitz des Gottesverhältnisses berufende - S ü n d e i s t «7 2.

Im Sinne des Vergleichs soll jetzt die Auffassung von H e l m u t W e - ber z u r Sprache kommen, bevor im dritten Punkt dann beide D a r - stellungen miteinander verglichen werden.

2. Sünde und Schuld bei Helmut Weber7*

W ä h r e n d Lange den entscheidenden Abschnitt ü b e r S ü n d e mit »Die W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t der ethischen S i t u a t i o n «7 4 ü b e r s c h r i e b e n hat, hat der Trierer Moraltheologe H e l m u t Weber dem entsprechenden Abschnitt den T i t e l gegeben: »Die negative A n t w o r t auf den sittli- chen A n s p r u c h «7 5. D a m i t ist bereits eine unterschiedliche Sicht- weise gegeben. D e n n dort, w o es möglich ist, eine positive A n t w o r t auf den sittlichen Anspruch z u geben, wie es Weber auch später ent- faltet7 6, ist eine andere Perspektive vorhanden als dort, w o die ethi- sche Situation »in sich« w i d e r s p r ü c h l i c h ist, d.h. coram D e o der M e n s c h nie Gutes tun kann, sondern immer von der S ü n d e befan- gen ist.

2.1. »Die Problemlage i m heutigen E m p f i n d e n «7 7

Weber weist darauf hin, d a ß das T h e m a Schuld und S ü n d e , einst Spitzenthema der Moraltheologie, sich immer mehr verflüchtigt.

E i n G r u n d mag darin liegen, d a ß die Schuldfähigkeit des Menschen besonders v o n humanwissenschaftlicher Seite zunehmend an- gezweifelt w i r d7 8. M i t dem Z u r ü c k g e h e n der Schuldempfindlich-

7 1 Ebd. 407.

7 2 Ebd. 410.

7 3 H . Weber, Moraltheologie, 256-304.

7 4 D . Lange, Ethik, 383.

7 5 H . Weber, Moraltheologie, 256.

7 6 Ebd. 305-338.

7 7 Ebd. 257-264.

7 8 Vgl. dazu: J . R ö m e l t , Schulderfahrung als Krise. Zur anthropologischen und theologischen Hermeneutik menschlicher Schuld, in: T h G l 81 (1991)454-466.

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keit geht nicht die Absage an die M o r a l einher. V i e l m e h r ist gerade in einem säkularisierten U m f e l d der Anspruch an eine M o r a l un- ü b e r h ö r b a r . Allerdings soll es eine » M o r a l ohne S ü n d e «7 9 sein. »Es ist dies wahrscheinlich der g e g e n w ä r t i g tiefste U m b r u c h im V e r - ständnis von M o r a l , zumindest ist es ein radikaler W a n d e l . D e n n bisher galten S ü n d e und Schuld als aus der M o r a l nicht fortzuden- kende G r ö ß e n «8 0. Es bleibt die Frage, ob mit dem Entschwinden von Schuld und S ü n d e nicht auch der moralische Anspruch sich ver- ä n d e r t , der sich auf das Empfinden begrenzt. Weber nennt beson- ders zwei Ursachen, die für dieses Lebensgefühl von Bedeutung sind: » D e r Verlust der Transzendenz und Fehler in der früheren T h e o l o g i e «8 1. Z u den Fehlern g e h ö r e n die Ü b e r t r e i b u n g und der i n - flationäre Gebrauch des Wortes S ü n d e . Auswirkungen hat dies nicht nur im profanen Bereich, sondern auch im kirchlichen. S ü n d e und Schuld werden z w a r im liturgischen Bereich e r w ä h n t , aber in ihrer Bedeutung für das persönliche Leben nicht mehr anerkannt.

T r o t z dieser Schwierigkeiten w i r d »die Theologie ... immer an den alten sperrigen Vorstellungen festhalten müssen, d a ß Menschen schuldig werden k ö n n e n und diese Schuld eine Schuld vor dem hei- ligen G o t t ist und d a ß sie die Verlorenheit des Menschen bedeutet und nicht nur etwas mehr oder weniger B e d a u e r l i c h - Z u f ä l l i g e s «8 2. Bei diesen zentralen Formulierungen ist der Unterschied z u Lange deutlich auszumachen. E r w ü r d e sich dagegen wehren, » d a ß M e n - schen schuldig werden k ö n n e n « , sondern betonen, d a ß Menschen vor G o t t schuldig sind.

W e b e r w e i s t auf einige Verlagerungen im Schuldverständnis hin. So w i r d heute soziales Fehlverhalten s t ä r k e r wahrgenommen als z u früheren Zeiten. Das gilt auch für den U m g a n g mit der N a t u r . W e i - terhin werden nicht so sehr einzelne Taten in den Blick genommen, sondern verkehrte Grundhaltungen als schuldhaft angesehen.

Schließlich w i r d die strukturelle Seite des Bösen, die früher kaum e r w ä h n t wurde, intensiver empfunden und dargestellt8 3.

W i e bereits angedeutet, ist durch die modernen Humanwissen- schaften das S c h u l d v e r s t ä n d n i s nachhaltig v e r ä n d e r t worden. W e -

7 9 H . Weber, Moraltheologie, 259 mit Verweis auf A . Hesnard, der dies als Buchti- tel g e w ä h l t hat.

8 0 H . Weber, Moraltheologie, 259.

8 1 Ebd.

8 2 Ebd. 261.

8 3 V g l . dazu: K . Hilpert, Schuld in ihrer sozialen Erscheinungsform. Verschiebun- gen im Verantwortungsverständnis, in: T G A 32 (1989) 38-52; ders., Soziale S ü n d e , in: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe 5 2( 1991) 93-100; Papst Johannes Paul II. spricht in der Enzyklika »Sollicitudo rei socialis« (1987) von

»Strukturen der Sünde« (Nr. 36/37).

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ber setzt sich mit vier Positionen der Tiefenpsychologie n ä h e r aus- einander: S. Freud, A . A d l e r , C G . Jung und die >personale< oder

>anthropologische< Tiefenpsychologie8 4. T r o t z mancher Unter- schiede sind Gemeinsamkeiten feststellbar: das Schuldproblem w i r d d u r c h g ä n g i g als zentral angesehen; Schuld und Schuldgefühl sind personal; das Negative bei einem Menschen w i r d in einer verkehr- ten Grundhaltung gesehen.

F ü r das ethisch-theologische V e r s t ä n d n i s v o n Schuld ergibt sich daraus ein ambivalentes B i l d : zum einen rechnet man » z w a r mit ei- ner Fülle verkehrter und destruktiver Haltungen und H a n d l u n g e n , sieht aber den einzelnen weithin einer letzten Verantwortung ent- hoben und damit ent-schuldigt... Andererseits w i r d überall die Be- deutung des Schuldproblems in einer a u ß e r g e w ö h n l i c h e n Weise be- s t ä t i g t «8 5. D u r c h die Tiefenpsychologie wird die vielfältige Realität von Schuld und S ü n d e b e w u ß t gemacht. Z u r Verantwortung des Menschen vor G o t t - auch für seine Schuld - kann die T i e f e n p s y - chologie keine Hinweise geben. Dies ist das T h e m a der Bibel.

2.2. »Das biblische V e r s t ä n d n i s «8 6

Es soll selbstverständlich an dieser Stelle nicht ausführlich das bibli- sche S ü n d e n v e r s t ä n d n i s z u r Sprache kommen, sondern einige G e - sichtspunkte hervorgehoben werden, die Weber hier benennt. Dies ist deshalb e r w ä h n e n s w e r t , weil Lange nur ä u ß e r s t knapp in A n l e h - nung an R o m 7,7-25 auf den biblischen Befund eingeht.

Weber stellt z u Beginn des biblischen Abschnitts heraus, d a ß das T h e m a S ü n d e nicht das Wichtigste in der Bibel sei. G o t t , der sich seinem V o l k Israel g e g e n ü b e r als der treue Bundesgott erwiesen hat und in seinem Sohn uns e n d g ü l t i g H e i l geschenkt hat, steht im M i t - telpunkt des biblischen Geschehens. Aber die S ü n d e g e h ö r t z u r B i - bel unaufgebbar h i n z u . D i e heiligen Schriften bieten keine systema- tische Darstellung. Gerade die A b g r ü n d i g k e i t der S ü n d e in ihrer vielfältigen Erscheinungsform sucht die Bibel z u r Sprache z u brin- gen.

D e n biblischen Befund zusammenfassend, läßt sich festhalten:

- Das T h e m a Schuld und S ü n d e ist d u r c h g ä n g i g in den biblischen Schriften vorhanden. D e r zentrale Gesichtspunkt der Bibel ist G o t t und sein Heilshandeln an den Menschen. Aber die S ü n d e erscheint als Negativfolie z u diesem W i r k e n Gottes.

8 4 H . Weber, Moraltheologie, 264-274.

8 5 Ebd. 273.

8 6 Ebd. 274-286.

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- Das Geschehen der S ü n d e ist für die Bibel von Bedeutung. V o n Schuldgefühlen w i r d wenig gesprochen. D i e biblischen Schrift- steller sind der Ü b e r z e u g u n g , d a ß der M e n s c h schuldig werden kann und w i r d .

- Schuld des Menschen ist immer auch Schuld vor Gott. Bei der Schuld geht es also nicht nur um das Z u r ü c k b l e i b e n hinter menschlichen M ö g l i c h k e i t e n , sondern zur W i r k l i c h k e i t der Schuld g e h ö r t immer auch ihre Beziehung z u Gott. »Wirkliche Schuld hat aus der Sicht der Bibel immer den Charakter der S ü n d e «8 7.

- Dabei ist sich die Bibel der unterschiedlichen Intensität der S ü n d e b e w u ß t . O b sich der M e n s c h in einer dauerhaften H a l t u n g der S ü n d e befindet oder einen E i n z e l v e r s t o ß begeht, w i r d unter- schiedlich bewertet. Dies ist aber kein vordringliches Anliegen der Schrift.

- Beim S ü n d e n v e r s t ä n d n i s zeigt sich eine breite Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen A l t e m und N e u e m Testamemt. Dies gilt besonders für die seit den Propheten einsetzende V e r k ü n d i g u n g des personalen V e r s t ä n d n i s s e s von S ü n d e . A T wie N T sind nicht auf die S ü n d e fixiert, sondern sprechen immer wieder von der Ü b e r w i n d u n g der S ü n d e . G o t t kann die Schuld des Menschen vergeben.

- D e r M e n s c h kann in Schuld geraten. Menschliche Schuld ist i m - mer zugleich Schuld vor G o t t . Sie kann nur von ihm vergeben werden. Diese Sichtweise h ä n g t so eng mit der Offenbarung z u - sammen, d a ß auf sie nicht verzichtet werden kann.

»Zugleich läßt das von der Bibel her Unaufgebbare die g r u n d s ä t z l i - che G r e n z e z u r Tiefenpsychologie erkennen. Sie ist dort gegeben, w o man Schuld rein innerweltlich e r k l ä r t und meint, sie mit rein menschlichen M i t t e l n beheben z u k ö n n e n , so wie man Krankheiten oder technische Probleme b e h e b t «8 8.

Weber widmet sich in einem weiteren Punkt der E n t w i c k l u n g des S ü n d e n v e r s t ä n d n i s s e s . D a dies für die Reformation der zentrale P u n k t war, ist es wichtig, einige Stationen der Geschichte in den Blick z u nehmen.

8 7 Ebd. 284.

8 8 Ebd. 285.

(20)

2.3. » E n t w i c k l u n g e n in der T r a d i t i o n «8 9

Weber unterscheidet vier Perioden: die Patristik, das F r ü h m i t t e l - alter, die Scholastik und die nachtridentinische Zeit.

Für die V ä t e r z e i t ist festzuhalten, d a ß die S ü n d e sehr ernst genom- men w i r d und d a ß man beginnt, zwischen den S ü n d e n z u differen- zieren. G r u n d war der geregelte Zugang zur Eucharistie, d . h . , es gab Vergehen, die von der Eucharistie ausschlössen. Diese m u ß t e n durch ein offizielles kirchliches Bußverfahren vergeben werden.

Andere wurden als nicht so schwerwiegend empfunden. Sie schlös- sen nicht von der Eucharistie aus und wurden auf anderem Wege vergeben. F ü r die erste Gruppe findet sich u. a. der N a m e »peccata gravia« (schwere S ü n d e n ) , für die zweite »peccata levia« (läßliche S ü n d e n ) .

Das F r ü h m i t t e l a l t e r weist ein v e r ä n d e r t e s Schuldverständnis auf, das Weber als »massiven Rückschritt« charakterisiert. »In der M o - ral der B u ß b ü c h e r sind es wiederum wie mitunter in der F r ü h z e i t Is- raels rein objektive Ereignisse, von denen man die Schuld des M e n - schen a b h ä n g i g sieht. Als entscheidend gilt der faktisch negative Tatbestand, nicht die Gesinnung oder die A b s i c h t «9 0.

E i n weiterer Punkt, der für die Entwicklung folgenreich war, ist die Ausweitung der bußpflichtigen S ü n d e n . Dies h ä n g t eng zusammen mit dem Entstehen der geheimen und wiederholbaren Beichte. D i e Z a h l der notwendig z u beichtenden S ü n d e n wurde erweitert. D i e Scholastik unterschied theologisch zwischen der T o d s ü n d e und der läßlichen S ü n d e : »Die T o d s ü n d e ist eine inordinatio circa finem, ein H a n d e l n contra caritatem, ein nach der formalen Seite hin v o l l - s t ä n d i g e r menschlicher A k t ; läßliche S ü n d e ist eine inordinatio circa media ad finem, ein H a n d e l n praeter caritatem, ein unvoll- s t ä n d i g e r menschlicher A k t «9 1.

D i e E n t w i c k l u n g , die sich in den vorherigen Epochen angebahnt hat, setzt sich in der nachtridentinischen Zeit fort. Besonders w i c h - tig ist die Bestimmung des Trienter K o n z i l s , alle T o d s ü n d e n nach Z a h l , A r t und U m s t ä n d e n z u beichten.

Zweierlei ist aus dem gerafften Überblick festzuhalten:

1. »Die Entwicklung der S ü n d e n l e h r e ist a b h ä n g i g von der sakra- mentalen Bußpraxis der K i r c h e . . .

2. Das Bedeutsamste der Entwicklung liegt in der Ausweitung des T o d s ü n d e n b e g r i f f s auf immer neue T a t b e s t ä n d e sowie in dem von wachsender Zuversicht getragenen Versuch einer möglichst

8 9 Ebd. 286-289.

9 0 Ebd. 287.

9 1 Ebd. 288.

(21)

exakten Unterscheidung der T o d s ü n d e von der läßlichen S ü n d e «9 2.

Gerade hierin ist ein G r u n d z u sehen, warum die Bedeutung der S ü n d e abgenommen hat. D i e immer g r ö ß e r e Z a h l der T o d s ü n d e n ließ die Ernsthaftigkeit bei der Frage, was ist w i r k l i c h schwerwie- gend, z u r ü c k g e h e n . Insofern hat die Theologie, wenn auch unbeab- sichtigt, zur Bagatellisierung der S ü n d e beigetragen.

2.4. »Aktuelle theologische P r o b l e m e «9 3

Weber sieht zwei Themenkreise: die Unterscheidung der S ü n d e n und die theologische Dimension der Schuld.

D i e Unterscheidung der S ü n d e n ist ein in der katholischen T h e o l o - gie seit langem diskutiertes Problem. Traditionell wird es behandelt unter der Unterscheidung von T o d s ü n d e und läßlicher S ü n d e . D e r Unterschied zwischen beiden Formen der S ü n d e bestand im G e - wicht des objektiv negativen Tatbestandes. M i t dem H i n w e i s auf den objektiv negativen Tatbestand w i r d das Wesen der S ü n d e nur unzureichend gekennzeichnet. »Das Wesen der S ü n d e ist vielmehr ein personal-subjektives Geschehen, die im Innern sich vollzie- hende Entscheidung. Sie schlägt sich g e w i ß nieder in objektiv fest- stellbaren Sachverhalten - in ä u ß e r e n H a n d l u n g e n wie auch in um- schreibbaren Gedanken, Affekten oder H a n d l u n g e n . Aber diese Sachverhalte sind immer nur ein ungefähres Indiz für das, was im Innern der Person vor sich g e h t «9 4. Weiter erweist sich als Schwie- rigkeit, den objektiven Tatbestand selbst immer angemessen z u quantifizieren. W a n n handelt es sich z. B . bei Diebstahl um ein leichtes b z w . schweres Vergehen? D i e Unterteilung in zwei A r t e n der S ü n d e » T o d s ü n d e - läßliche Sünde« wurde ebenfalls als u n z u - reichend empfunden.

Weber beteiligt sich an dieser Diskussion mit einem eigenen V o r - schlag. E r greift den Gedanken auf, neben der Unterscheidung von T o d s ü n d e und läßlicher S ü n d e eine dritte Kategorie e i n z u f ü h r e n . Meist w i r d sie im Unterschied z u den beiden anderen Benennungen als schwere S ü n d e gekennzeichnet. Sein Ansatz geht von zwei ver- schiedenen Ordnungen von S ü n d e aus - »zwischen S ü n d e als sub- jektiver Entscheidung und S ü n d e als objektivem V e r s t o ß «9 5. D i e ei- gentliche S ü n d e ist die S ü n d e als subjektive Entscheidung, weil sie die Schuld des Menschen vor G o t t b e g r ü n d e t . » H i e r hat es einen

9 2 Ebd. 289.

9 3 Ebd. 290-304.

9 4 Ebd. 292.

9 5 Ebd. 297.

(22)

Sinn, zwischen T o d s ü n d e und N i c h t - T o d s ü n d e z u unterscheiden.

Aber auch nur hier - bei S ü n d e als subjektiver Entscheidung - scheint die Frage nach T o d s ü n d e und die Rede von ihr am P l a t z «9 6. M i t letzter Sicherheit läßt sich aber nicht sagen, ob der M e n s c h mit G o t t noch verbunden ist oder durch sein Verhalten diese Bindung gekappt hat. D a m i t ist nicht gesagt, d a ß es einen solchen Bruch und damit eine solche S ü n d e nicht geben kann. Aber der Mensch w i r d ein solches Urteil nicht fällen k ö n n e n .

Anders ist dies bei der Seite des Sachverhaltes, bei der objektiven Seite. »Diese sachliche Seite macht nicht die eigentliche S ü n d e des Menschen aus, aber sie darf auch nicht, vor allem der anderen we- gen, ü b e r s e h e n werden. M a n w i r d sogar mit Recht ausdrücklich von S ü n d e sprechen k ö n n e n : d a ß bestimmte Taten und Verhaltens- weisen S ü n d e n s i n d «9 7. H i e r p a ß t nicht die Unterscheidung von T o d s ü n d e und läßlicher S ü n d e . E i n Vergehen läßt sich aber nach seiner Schwere beurteilen. D a m i t w i r d »kein Urteil ü b e r die subjek- tive Schuld und die Situation des Menschen vor G o t t gefällt, son- dern lediglich das g r ö ß e r e oder geringere Gewicht des objektiv um- schreibbaren Vergehens a n g e g e b e n «9 8. » T o d s ü n d e « und »schwere Sünde« g e h ö r e n z u einer unterschiedlichen O r d n u n g : T o d s ü n d e g e h ö r t zur Kategorie der S ü n d e als subjektiver Entscheidung, schwere S ü n d e zur Kategorie der S ü n d e als objektiver V e r s t o ß . E i n weiteres aktuelles theologisches Problem, das Weber anspricht, ist die Unterscheidung zwischen der einen S ü n d e und den vielen S ü n d e n . A u c h hier geht es um die n ä h e r e Bestimmung der tatsächli- chen Schuld. » G r u n d g e d a n k e der Unterscheidung ist, wie bereits in der Bibel, die Vorstellung, d a ß den einzelnen sündhaften Taten und Einstellungen eines Menschen etwas zugrunde liegt, das das Wesen der S ü n d e ausmacht und das als die eigentliche Schuld des M e n - schen z u verstehen i s t «9 9. In dieser Unterscheidung zeigt sich auch, d a ß der M e n s c h für seine negative Entscheidung »welthaftes M a t e - rial« braucht, um diese negative Entscheidung a u s z u d r ü c k e n . Dies geschieht dann in den einzelnen sündhaften Handlungen. Aber auch bei diesem Aspekt gilt: »Die eigentliche S ü n d e des Menschen bleibt in einer unaufhebbaren V e r h ü l l t h e i t «1 0 0.

Weber schließt den Abschnitt »Die negative A n t w o r t auf den sittli- chen A n s p r u c h « ab mit einem Hinweis auf die theologische D i m e n - sion der menschlichen Schuld. D i e erste Frage ist in diesem Zusam-

9<~EbI

9 7 Ebd. 298.

9 8 Ebd.

9 9 Ebd. 300.

1 0 0 Ebd.

(23)

menhang, wie Menschen, die dezidiert nicht an G o t t glauben, G o t t g e g e n ü b e r schuldig werden k ö n n e n . A l s A n t w o r t ist darauf z u ver- weisen, » d a ß der M e n s c h auch in seinem H a n d e l n an G o t t g e r ä t . D i e V e r b i n d u n g Gottes mit dem Menschen ist nach christlicher Auffassung von einer solchen Intensität, d a ß ein V e r s t o ß gegen den Mitmenschen oder gegen die eigenen personalen M ö g l i c h k e i t e n immer auch G o t t selber t r i f f t «1 0 1.

Weiter ist z u fragen, ob der M e n s c h mit seiner Schuld G o t t ü b e r - haupt erreichen kann. Das W o r t von der Beleidigung Gottes ist eine allzu menschliche Vorstellung. Besser ist es, v o m M i t l e i d e n Gottes z u sprechen. A u c h bei dieser Schwierigkeit ist es wichtig, die Inten- sität der Beziehung zwischen G o t t und M e n s c h z u betonen. Sie zeigt sich u. a. in der Schuld des Menschen, die G o t t nicht unbe- r ü h r t läßt. D a r ü b e r hinaus ist er es, der Schuld vergeben kann.

Letztlich bleibt bei der Rede ü b e r die S ü n d e - so Weber - ein U n g e - n ü g e n . Z u m einen, weil sich die S ü n d e »prinzipiell einer E r k l ä r u n g w i d e r s e t z t «1 0 2. Z u m andern ist es »die Tendenz der S ü n d e , sich z u verstecken und z u v e r s c h l e i e r n «1 0 3.

3. Gemeinsam sind uns Schuld und Sünde?

W e r die Aussagen von Lange und Weber miteinander in der eben dargebotenen gerafften F o r m vergleicht, w i r d leichter die Unter- schiede ausmachen als Gemeinsamkeiten feststellen k ö n n e n . W o r - an läßt sich der Unterschied festmachen?

3.1. K o n f l i k t gegen Grundentscheidung

Eine Beantwortung der Frage m u ß v o n Lange ausgehen, weil er s t ä r k e r als Weber das Konfessionsspezifische betont und an der Grunddifferenz festhält. Das kennzeichnende W o r t , das den U n - terschied markiert, ist der K o n f l i k t . Lange skizziert ihn als P f l i c h - ten-, G ü t e r - und Rollenkonflikt. Dieser K o n f l i k t hat seine U r s a - chen in der theologischen A n t h r o p o l o g i e . D u r c h die Beschäftigung mit N i e b u h r hat Lange diese Ü b e r z e u g u n g g e w o n n e n1 0 4. M i t N i e - buhr grenzt er sich gegen ein V e r s t ä n d n i s der Wesensanalogie des Menschen z u G o t t ab und spricht von einer »personale(n) U r b e z i e -

1 0 1 Ebd. 302.

1 0 2 Ebd. 303.

1 0 3 Ebd. 304.

1 0 4 Siehe unter 1.1.1.

(24)

hung zu G o t t «1 0 5. D e r M e n s c h ist hineingenommen »in den Liebes- willen Gottes, der auf die wesenhafte Einheit der Menschheit z i e l t «1 0 6. Diesen Satz m u ß man auf dem Hintergrund der späteren K r i t i k an einigen katholischen Moraltheologen - u. a. A u e r und Böckle - lesen. So kritisiert Lange Böckle, d a ß dieser »sich jedoch g e n ö t i g t sieht, die A u t o n o m i e des Menschen substanzontologisch in der freien ratio Gottes z u v e r a n k e r n «1 0 7. D . h . , aus der katholi- schen Sicht geht es hier um eine Teilhabe (participatio) des M e n - schen an der ratio Gottes, w ä h r e n d Lange mit N i e b u h r umgekehrt argumentiert. Es geht »um den Liebeswillen Gottes, der auf die we- senhafte Einheit der Menschheit z i e l t «1 0 8. D e r ratio steht der L i e - beswille g e g e n ü b e r . D i e Bewegung ist einmal vom Menschen z u Gott, das andere M a l von G o t t z u m Menschen. D e r n ä c h s t e Satz bei Lange ist auf den ersten Blick völlig unstrittig: » D o c h in der L e - benswirklichkeit kehrt der M e n s c h die Selbsttranszendenz gegen ihre Bestimmung und wirft sich selbst zum G o t t a u f «1 0 9. D i e Schwierigkeit zeigt sich im W o r t »Lebenswirklichkeit«. K l i n g t hier nicht bereits das an, was später Lange unter der W i d e r s p r ü c h l i c h - keit der ethischen Situation und den verschiedenen Formen des Konflikts bezeichnet? Dies w i r d deutlich an einer P r ä z i s i e r u n g , die Lange z u einer Feststellung von T r u t z Rendtorff anbringt. R e n d - torff spricht von der Notwendigkeit des Einlassens »auf die t a t s ä c h - lichen P r o b l e m e «1 1 0. Lange e r g ä n z t , » d a ß >die tatsächlichen P r o - b i e n s nicht nur auf die schiere K o m p l e x i t ä t der V e r h ä l t n i s s e , son- dern vor allem auf die Widersprüchlichkeit der ethischen Situation z u beziehen s i n d «1 1 1. Bei der d u r c h g ä n g i g e n » W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t der ethischen Situation« ist es konsequent, von »der Spannung z w i - schen unvermeidlicher Schuld und der Notwendigkeit der Ent- scheidung aufgrund v o n Vergebung und V o l l m a c h t «1 1 2 z u spre- chen. M i t ethischem H a n d e l n ist die Ü b e r n a h m e von unvermeidba- rer Schuld gegeben. Lange sieht das damit gegebene Problem, wenn er schreibt: »Die Z u r ü c k h a l t u n g in der Behandlung der K o n f l i k t s i - tuation hat natürlich darin ihren G r u n d , d a ß die in ihr z u ü b e r n e h - mende unvermeidliche Schuld das Unternehmen der E t h i k selbst in ihrem K e r n bedroht. Diese Schuld läßt sich aber angesichts der un-

1 0 5 D . Lange, Ethik, 161.

1 0 6 Ebd.

1 0 7 Ebd. 295, Anm. 151.

1 0 8 D . Lange, Ethik, 161.

1 0 9 Ebd.

1 1 0 T . Rendtorff, Ethik, Bd. 1, 142.

1 1 1 D . Lange, Ethik, 423 (Hervorhebung- H.S.).

1 1 2 Ebd. (Hervorhebung - H.S.).

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