P O L I T I K
VERBRAUCHERSCHÜTZER
IGeL-Angebote in der Kritik
Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat in einer Studie die An ge bote von individuellen Gesundheitsleistungen untersucht. Dem- nach halten sich die Ärzte häufig nicht an die rechtlichen Vorgaben.
J
edes Angebot individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) muss der hohen ärztlichen Verant- wortung gegenüber Patientinnen und Patienten Rechnung tragen, die auch bei nicht notwendigen Leis- tungen nicht zu Kunden werden.“ – Diesen Grundsatz haben sich die Ärzte in einem Beschluss des 109.Deutschen Ärztetages selbst auf die Fahnen geschrieben. Ein Ratgeber der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) empfiehlt Ärz- tinnen und Ärzten bei IGeL eine sachliche Information der Patienten über Nutzen und Risiken der ge- wünschten medizinischen Leistung sowie über die dadurch entstehen- den Kosten. Patienten sollen nicht gedrängt werden, IGeL in Anspruch zu nehmen und genügend Bedenk- zeit erhalten. Bei nicht sinnvollen Leistungen halten es BÄK und KBV für richtig, dem Patienten von der Maßnahme abzuraten.
In der Praxis würden viele Ärzte indessen diese Empfehlungen und die gesetzlichen Vorgaben für IGeL- Angebote nicht umsetzen, kritisierte der Verbraucherzentrale Bundesver- band (vzbz). Er beruft sich dabei auf eine Online-Befragung von 15 Ver- braucherzentralen, an der sich mehr als 1 700 Personen beteiligt hatten.
Demnach sind 57 Prozent der Pa-
tienten nicht über die Risiken der von ihnen in Anspruch genomme- nen IGeL informiert worden, knapp 42 Prozent beklagen eine zu kurze Bedenkzeit, und nur die Hälfte hat einen schriftlichen Vertrag unter- schrieben, obwohl dieser vom Bun- desmantelvertrag-Ärzte für GKV- Versicherte vorgeschrieben ist.
„Wenn hier das geltende Recht eingehalten würde, dürften wir viele Probleme nicht haben“, betonte Dr.
Ilona Köster-Steinebach, Referentin für Qualität und Transparenz im Ge- sundheitswesen beim vzbz. Für mehr Klarheit und Rechtsverbind- lichkeit könnte das geplante Patien- tenrechtegesetz sorgen. Der aktuelle Gesetzentwurf würde jedoch die Patientenrechte eher schwächen als stärken, kritisierte der vzbz: „Im Gesetzentwurf wird für den Ver- tragsabschluss einer IGeL eine Textform verlangt“, erklärte Köster- Steinebach. Dies könne jedoch auch nur ein Flyer sein, der über die Leis- tung informiert. Nach Ansicht des vzbz müsse für jede IGeL ein schriftlicher Vertrag zwischen Pa- tient und Arzt verlangt werden.
Auch beim Thema Aufklärung des Patienten geht den Verbraucher- schützern der Gesetzentwurf nicht weit genug. „Die Aufklärungspflicht, wie sie jetzt im Gesetz steht, greift nur bei Eingriffen und medizini-
schen Maßnahmen“, so Köster-Stei- nebach. Für diagnostische Leistun- gen bestehe diese Aufklärungspflicht nicht, obwohl diese am häufigsten in Anspruch genommen würden.
Der vzbz fordert darüber hinaus eine zeitliche Trennung von IGeL-Informati onsgespräch und der Leistungserbringung: Patienten sollen, nachdem ihnen eine Selbst- zahlerleistung angeboten wurde, mindestens 24 Stunden Zeit haben, sich zu entscheiden. „IGeL sind nichts anderes als Haustürgeschäfte mit einem hohen Überrumpelungs- faktor“, erklärte Gerd Billen, Vor- stand des vzbz. Deshalb müsse es Fristen zwischen Angebot und Leis- tung geben, in denen der Patient oh- ne Druck entscheiden kann. Die SPD fordert in einem Änderungsan- trag zum Patientenrechtegesetz so- gar, dass GKV-Leistungen und IGeL nicht am selben Tag an einem Patienten erbracht werden dürfen.
Klaus Rinkel, stellvertretender Vorsitzender des Hartmannbunds, wies die generelle Kritik an Ärzten, die IGeL anbieten, zurück. Die GKV würde noch lange nicht alle sinnvollen Leistungen bezahlen.
„Patientenrecht ist auch die freie Entscheidung über Diagnostik und Therapie. Das dürfen wir nicht über zu viele Regeln einschränken“, be- tonte Rinkel. Eine 24-Stunden-Frist lehnt er deshalb ab.
„Diffuse Studien und
spekulative Hochrechnungen“
Auch die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereini- gung wehrten sich gegen die gene- relle Ärzteschelte. „Verbraucher werden nicht dadurch geschützt, dass Verbraucherschutzorganisatio- nen diffuse Studien und spekulative Hochrechnungen zu individuellen Gesundheitsleistungen veröffentli- chen“, erklärte Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der BÄK. Stattdessen solle der vzbz den Ärztekammern die Ärzte melden, bei denen ein Verdacht auf unzulässiges Verhalten bestehe, damit offensicht- liches Fehlverhalten berufsrechtlich geahndet werden könne. „Weder uns noch den Verbrauchern ist mit pau- schalen Urteilen geholfen.“
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Dr. rer. nat. Marc Meißner
Foto: Fotolia/Meddy Popcorn
A 2114 Deutsches Ärzteblatt