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Archiv "Infektionsprophylaxe während der Schwangerschaft: Aktive und passive Immunisierung" (30.10.1980)

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Infektionsprophylaxe

während der Schwangerschaft

Aktive und passive Immunisierung

Mathilde Niesen und Renate Scheier

Aus der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde · (Direktor: Professor Dr. med. Ernst-Jürgen Plotz)

der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Sonn

Klinische Beobachtungen und ge- zielte Forschungen der letzten Jahr- zehnte haben die schwerwiegenden Folgen, die Infektionen in der Gravi- dität haben können, aufgedeckt. Be- sonders Virusinfektionen spielen ei- ne große Rolle. Für einige Viren ist die teratogene Wirkung nachgewie- sen, andere führen aufgrund ihrer hohen Pathogenität zu Abort oder Frühgeburt.

Beim Embryo sind die immunologi- schen Abwehrreaktionen unentwik- kelt, beim Fet unreif. Deshalb kön- nen bei Infektionen je nach Erreger- art und Schwangerschaftsalter pha- senspezifische Schädigungen (Em- bryopathien) oder erregerspezifi- sche Manifestationen (Fetopathien) entstehen. Die Infektion von Embryo und Fet erfolgt vorwiegend auf hä- matogen-diaplazentarem Weg, das heißt: Während des Ablaufs von Vir- ämie, Bakteriämie oder Parasitärnie im mütterlichen Organismus werden die Plaienta und nachfolgend die Frucht infiziert.

Neben diesen direkten Schädigun- gen kann auch eine indirekte Be- einträchtigung des Kindes durch schwerverlaufende Erkrankungen der Schwangeren selbst erfolgen. ln der Gravidität ist die Immunitätslage des mütterlichen Organismus verän- dert. Die Funktion der Thymuslym- phozyten, denen eine zentrale Stel- lung bei immunologischen Abläufen zukommt, scheint im Sinne einer verzögerten Antigenerkennung ver-

mindert zu sein. Das bedeutet unter anderem verlangsamte und relativ niedrige Antikörperbildung. Die kli- nische Erfahrung zeigt, daß bakte- rielle und virale Infektionen in der Schwangerschaft schwerer verlau- fen können und zu Komplikationen neigen.

Unverändert dagegen ist die Infek- tionsabwehr der Schwangeren ge- gen diejenigen Erreger, gegen die sie durch Erkrankung oder Schutz- impfung vor der Gravidität Antikör- per gebildet hat. Nach Reinfektio-

nen, die zur Boosterung der vorhan-

denen Antikörper führen, wurden keine intrauterinen Schädigungen beobachtet. Nur Erstinfektionen sind für das Ungeborene gefährlich.

Da im letzten Trimenon mütterliche Antikörper vom Typ Immunglobulin G die Plazenta passieren, ist ein möglichst breites Antikörperspek- trum im mütterlichen Blut von gro- ßer Bedeutung. Bei der Geburt be- sitzt das Neugeborene einen lgG-An- tikörperspiegel gleicher Quantität und Qualität wie die Mutter. Diese

"Leihimmunität" schützt den Säug-

ling in den ersten Lebensmonaten, bis die Entwicklung einer eigenen spezifischen Immunität erfolgt.

Aus dem Gesagten wird deutlich, daß eine gute Durchimmunisierung der Schwangeren für sie selbst und für Embryo, Fet und Neugeborenes die beste Prophylaxe gegen Infektio- nen darstellt.

ln der Schwangerschaft ge- hen von Infektionen zahlrei- che Gefahren für Mutter und Kind aus, besonders von Virusinfektionen. Dargestellt wird, welche Schutzimpfun- gen durchführbar sind, wel- che kontraindiziert sind und welche Möglichkeiten durch Prophylaxe beziehungsweise

Therapie mit humanen lm-

munglobulinpräparaten wäh- rend der Gravidität gegeben sind.

Der Idealfall, daß eine Gravide eige- ne Antikörper gegen alle in Frage kommenden Infektionen besitzt, wird kaum vorkommen.

ln der Praxis wird sich immer wieder die Notwendigkeit ergeben, einen Schutz vor befürchteten oder gera- de erfolgten Infektionen aufzu- bauen.

Für die Infektionsprophylaxe stehen im wesentlichen vier Methoden zur Verfügung:

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Expositionsprophylaxe

f) Aktive Immunisierung =Schutz- impfung

6) Passive Immunisierung mit Im- munglobulinen

0

Chemoprophylaxe (auf diese Form soll im Rahmen unserer Arbeit nicht eingegangen werden).

Expositionsprophylaxe

Jede Schwangere muß nicht nur be- kannte Infektionsquellen meiden, sondern sollte sich auch möglichen Infektionsgefahren nicht aussetzen;

sie sollte:

~ keine Besuche von infektiös Kranken durchführen,

~ keine unnotigen Reisen in Infek- tionsgebiete unternehmen. C>

DEUTSCHES ARZTEBLATT l>left 44 vom 30. Oktober 1980 2605

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Aktive Immunisierungen

Bei Schutzimpfungen in der Schwangerschaft sind neben den allgemeinen Kontraindikationen (zum Beispiel akute und chronisch- eitrige Erkrankungen, Allergien) be- sondere Einschränkungen zu be- achten. Die nach Impfung mit Virus- Lebendvakzinen meist auftretende Virämie kann zum diaplazentaren

Übertritt der Impfviren und zur Schä- digung der Frucht führen. Bei Imp- fungen mit inaktivierten Impfstoffen oder Toxoiden gewinnen allgemeine oder lokale Reaktionen ein stärkeres Gewicht als bei Impfungen außer- halb der Gravidität.

Es gilt also jeweils das individuelle Risiko der Schwangeren zu ermit- teln und die Notwendigkeit einer

Tabelle 1: Aktive Immunisierungen in der Schwangerschaft

(Gravidität)

1. Trimenon 2. Trimenon 3. Trimenon ..,.. Lebendimpfstoffe

Gelbfieber (+) (+) (+)

Masern -

- -

Mumps -

- -

Pocken:

Erstimmunisierung -

- -

Wiederimpfung (+) (+) (+)

MVA (+) (+) (+)

Poliomyelitis (Sabin) + + +

Röteln -

- -

Tuberkulose -

- -

..,.. inaktivierte Impf- stoffe oder Toxoide

Cholera (+) (+) (+)

Diphtherie (+) (+) (+)

Influenza + + +

Meningokokken + + +

Pocken + + +

(Vakzine-Antigen)

Tetanus + + +

Typhus-Paratyphus (+) (+) (+)

Tollwut (HOC-Vakzine) + + +

Zeckenenzephalitis (+) ( +) (+)

(FSME)

+ = unbedenklich

(+) = strenge Indikationsstellung

- = kontraindiziert

Impfung zu überprüfen. Allgemein gilt für Schwangere:

..,.. So wenig wie möglich und nur so viel wie nötig impfen!

Auf die Beachtung der erforderli- chen Mindestabstände zwischen Impfungen sei besonders hingewie- sen. Zwischen Impfungen mit Le- bendimpfstoffen ist ein Mindestab- stand von vier Wochen einzuhalten.

Bei Verwendung von Impfstoffen aus inaktivierten Erregern oder To-

xoidimpfstoffen ist dagegen kein

Abstand zu anderen Impfungen er- forderlich (2)*).

Die Gefahr einer _Erkrankung Schwangerer durch Ubertragung von Impfviren vakzinierter Personen besteht bei folgenden Lebendimp- fungen nicht: Mumps, Masern, Rö- teln und Gelbfieber. Dagegen wur- den Infektionen und Erkrankungen nichtimmuner Schwangerer durch übertragene Pockenimpfviren (Vak- zinia-Virus) beschrieben.

ln Tabelle 1 sind die aktiven Immuni- sierungen in d.er Schwangerschaft getrennt nach Art der Impfstoffe und nach Schwangerschaftsalter ange- führt. Im Textteil wird bei den einzel- nen Impfungen nur auf die für die Schwangerschaft wichtigen Ge- sichtspunkte eingegangen. Die Durchführung einer möglichen Imp- fung weicht nicht von dem empfoh- lenen Impfschema ab (1, 2).

Impfungen

mit Lebendimpfstoffen

Gelbfieberimpfung

Obwohl bei der Gelbfieberimpfung Schwangerer bisher keine Schäden beobachtet werden konnten, ist die Indikation, besonders im ersten Tri- menon, streng zu stellen. Die Gültig- keit der Impfung beginnt 10 Tage nach der Injektion des Lebendimpf- stoffes; die Schutzdauer beträgt 10 Jahre. Diese Impfung darf nur von besonders ermächtigten Ärzten durchgeführt werden. [>

") Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis.

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Masern-Mumps-Impfung

Die Notwendigkeit, Erwachsene zu impfen, ergibt sich bei uns selten.

Obwohl auch bei Wildvirusinfektio- nen bisher keine Embryopathien oder Fetopathien bekannt wurden, sollte vorerst keine aktive Impfung gegen Masern oder Mumps in der Schwangerschaft durchgeführt wer- den. Möglichkeiten der passiven Im- munisierung sind vorhanden (siehe Passive Immunisierungen).

Pockenimpfung

Wie bei der Pockenerkrankung kommt es auch bei der erstmaligen Pockenimpfung regelmäßig zur Vir- ämie. Ein diaplazentarer Übertritt des Impfvirus verursacht nach den bisherigen Erfahrungen immer schwere Fruchtschädigungen, die zu Fruchttod mit Abort oder Totge- burt führen. Auch die Übertragung des Impfvirus von frischgeimpften Kontaktpersonen auf nichtimmune Schwangere kann eine sogenannte Vaccinia translata hervorrufen, die die Frucht schwer schädigen kann.

In der heutigen Pockensituation — die Welt gilt als „pockenfrei" — ist es nicht mehr gerechtfertigt, Schwan- gere gegen Pocken zu impfen. Das gilt sowohl für die gefährlichere erstmalige Pockenimpfung als auch für die Wiederimpfung. Auch bei Reisen in heute noch impfpflichtige Länder ist eine Schwangere auf je- den Fall auch von der Pockenwie- derimpfung zurückzustellen. Verse- hentlich in der Frühschwanger- schaft durchgeführte Pockenwie- derimpfungen stellen keine Indika- tion zur Interruptio dar.

Poliomyelitis-Schluckimpfung Noch vor einigen Jahren wurde die Poliomyelitis-Schluckimpfung in der Schwangerschaft als kontraindiziert angesehen. Aufgrund der bisher ge- wonnenen Erfahrungen kann gesagt werden, daß eine Schwangerschaft keine Gegenindikation für die orale Polioimpfung darstellt, wenn sich ih- re Notwendigkeit oder Zweckmäßig- keit ergibt. Kinder, in deren Milieu

Schwangere leben, können unbe- denklich geimpft werden.

Rötelnschutzimpfung

Eine Rötelnschutzimpfung (aktive Immunsierung) darf während der Schwangerschaft nicht durchge- führt werden. Die Teratogenität des Rötelnimpfvirus ist umstritten. Ein- deutige, der Röteln-Embryopathie vergleichbare Mißbildungen sind nach Impfungen bisher nicht be- schrieben. Eine Interruptio nach ver- sehentlicher Impfung in der Früh- schwangerschaft ist nach heutigen Erfahrungen nicht berechtigt.

Rötelnschutzimpfung im Wochenbett

Die Rötelnimpfung sero-negativer Frauen im Wochenbett wird heute empfohlen. Eine Ansteckungsgefahr für das Neugeborene besteht nicht, und die Impfung ist auch kein Still- hindernis. Die Serokonversion tritt etwas später als üblich ein (10 bis 12 Wochen nach der Impfung) und ist in jedem Fall dann zu überprüfen, wenn eine Anti-D-Prophylaxe erfolg- te oder wenn in den letzten drei Mo- naten vor der Impfung Bluttransfu- sionen oder Verabreichungen von Plasma oder Immunglobulinen vor- genommen wurden.

Tuberkuloseimpfung

Eine Impfung gegen Tuberkulose sollte in der Schwangerschaft nicht durchgeführt werden. Bei einer Ex- position besteht heute die Möglich- keit der Chemoprophylaxe.

Impfungen mit inaktivierten Impfstoffen oder Toxoiden

Choleraimpfung

Die Choleraimpfung gehört zu den Impfungen, die gelegentlich stärke- re lokale und allgemeine Nebenreak- tionen verursachen können, beson- ders im Wiederholungsfall. Daher ist eine strenge Indikationsstellung in

der Schwangerschaft angebracht.

Die Impfung gewährt keinen absolu- ten Schutz vor Infektion oder Er- krankung. Letztere verläuft jedoch nach Impfung leichter. Wichtig ist die Beachtung einer peinlichen Hy- giene bei Genuß von Trinkwasser und Nahrungsmitteln.

Diphtherieimpfung

Die Diphtherieimpfung Erwachsener ist fast immer mit erheblichen Ne- benreaktionen verbunden, auch bei Verwendung der empfohlenen redu- zierten Impfstoffdosis (siehe Ge- brauchsanweisung). Daher ist diese Impfung nur bei einer drohenden Epidemie zu erwägen, und eine er- forderliche Prophylaxe ist vorzugs- weise mit Antibiotika (Penicilline hochdosiert) durchzuführen (1).

Influenzaimpfung

Da eine Influenzaerkrankung in der Schwangerschaft sowohl für die Mutter als auch für den Embryo be- ziehungsweise Feten eine erhöhte Gefahr bedeutet, ist eine Impfung bei entsprechender Indikation gege- ben. Mit den zugelassenen Impfstof- fen aus inaktivierten Krankheitserre- gern sind keine wesentlichen Ne- benwirkungen bekannt.

Meningokokkenimpfung

Eine aktive Immunisierung gegen Meningokokkeninfektionen ist bis- her nur für die Serotypen A und C möglich. Diese beiden Formen kom- men bei uns nur sporadisch vor, tre- ten dagegen gehäuft in einigen Ge- bieten von Afrika und Brasilien auf.

Bei unaufschiebbaren Reisen in ge- fährdete Gebiete ist auch eine Imp- fung in der Schwangerschaft mög- lich (2).

Pestimpfung

Die Indikation zur Durchführung die- ser nicht gut verträglichen Impfung wird sich kaum einmal ergeben. Zu- dem ist ein Pestimpfstoff zur Zeit in DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2607

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der Bundesrepublik Deutschland nicht verfügbar. Bei längerem Auf- enthalt in Endemiegebieten (Süd- indien, Korea, Abessinien, Mada- gaskar) ist eine Impfprophylaxe außerhalb der Schwangerschaft zu empfehlen.

Poliomyelitisimpfung (Salk) Der inaktivierte Salkimpfstoff steht wieder zur Verfügung und kann bei gegebener Indikation sowohl zur Erst- als auch Auffrischimpfung während der ganzen Schwanger- schaft benutzt werden.

Tetanusimpfung

Eine gute Tetanusimmunität ist als Schutz für Mutter und Kind (Tetanus neonatorum!) erwünscht. Die Schutzimpfung mit Tetanustoxoid wird von Schwangeren gut vertra- gen. Soll eine Grundimmunisierung bei einer Graviden durchgeführt werden, empfiehlt es sich, die Imp- fung in den Anfang der zweiten Schwangerschaftshälfte zu legen.

Im Verletzungsfalle kann in jedem Abschnitt der Schwangerschaft je nach vorliegendem Impfstatus eine Auffrischimpfung mit Tetanustoxoid oder die Simultanimpfung (Tetanus- toxoid und Tetanusimmunglobulin) vorgenommen werden.

Lediglich beim Vorliegen einer aku- ten oder chronisch-eitrigen Erkran- kung ist die Impfung mit Tetanusto- xoid zurückzustellen und die Teta- nus-Prophylaxe allein mit Tetanus- immunglobulin durchzuführen.

Tollwutimpfung

(Wutschutzbehandlung)

Die Tollwutschutzimpfung wird vor- wiegend postexpositionell einge- setzt. Sie muß bei gegebener Indika- tion in jedem Fall, also auch in der Schwangerschaft, durchgeführt werden. Der heute in der Bundesre- publik zugelassene Impfstoff (Toll- wut-HDC-Vakzine) ist sehr gut ver- träglich.

Typhusimpfung

Die parenterale Impfung mit dem TAB-Impfstoff ist auch außerhalb der Schwangerschaft mit Komplika- tionen behaftet. Sie wird nur bei au- ßergewöhnlicher Exposition emp- fohlen (2). Die orale Impfung mit inaktivierter Vakzine ist in der Schwangerschaft durchführbar und gut verträglich. Allerdings ist ein oraler Typhusimpfstoff zur Zeit bei uns (Bundesrepublik) nicht im Han- del (2).

Impfung gegen Zeckenenzephalitis (Frühsommer-

Meningo-Enzephalitis)

Die Frühsommer-Meningo-Enzepha- litis (FSME) wird in den letzten Jah- ren gehäuft in Österreich, Jugosla- wien, vereinzelt auch in Südbaden, Franken, im Bayerischen Wald, im Elsaß und in Oldenburg beobachtet.

Das Virus wird durch infizierte Zek- ken übertragen. Ein inaktivierter Impfstoff wird zur Zeit in Österreich hergestellt (2). Bis größere Erfahrun- gen bei Impfungen in der Gravidität vorliegen, sollte bei Infektionsgefahr der passiven Immunisierung der Vorzug gegeben werden (siehe unten).

Passive Immunisierungen Die Entwicklung von humanen Anti- körperpräparationen hat in den letz- ten Jahren die Erweiterung der pas- siven Infektionsprophylaxe in der Schwangerschaft ermöglicht. Die in- tramuskuläre oder intravenöse Zu- fuhr von Immunglobulinen hat zum Ziel, eine Antikörperbarriere im müt- terlichen Organismus aufzubauen.

Die Wirkung setzt sofort ein. Für die Effektivität der passiven Immunisie- rung sind Anwendungszeitpunkt und ausreichende Dosierung von großer Bedeutung. Gerade bei Virusinfektionen muß das Immun- globulin in den ersten Inkubations- tagen und vor Einsetzen der Virämie appliziert werden. Für die Dosierung ist der spezifische Antikörpergehalt des jeweiligen Präparates aus-

schlaggebend. Deshalb sind die Do- sierungsangaben in den Gebrauchs- anweisungen der einzelnen Präpara- te unbedingt zu beachten, um Unter- dosierungen zu vermeiden.

In der Regel stellt die passive Pro- phylaxe eine einmalige Maßnahme dar.

Bei fortbestehender Infektionsge- fahr sollte die Immunglobulingabe in etwa vierwöchentlichen Abstän- den wiederholt werden, da die zuge- führten Antikörper abgebaut werden und der Antikörperspiegel nach Ab- lauf von vier Wochen unter die schützende Höhe sinkt. Ein absolut sicherer Schutz ist nicht immer zu erreichen.

Die Verträglichkeit von humanen Im- munglobulinen ist im allgemeinen gut, wenn die technisch richtige Durchführung beachtet wird: Auf Körpertemperatur erwärmen, lang- sam tief intragluteal injizieren, Ein- zeldepot nicht über 5 ml, Aspira- tionsprobe zur Vermeidung verse- hentlich intravasaler Injektion. Ganz selten sind Temperaturanstieg und Hautreaktionen zu beobachten.

Kontraindikationen gibt es praktisch nicht, und die Verabfolgung huma- ner Immunglobuline ist in jedem Schwangerschaftsabschnitt mög- lich. Sensibilisierungen gegen ho- mologe Immunglobuline treten äu- ßerst selten auf. Sie werden bei Per- sonen mit selektivem Immunglobu- lin-A-Mangel oder nach mehrfachen Gaben von Vollblut, Plasma oder Serum beobachtet.

Die Anwendung von Antitoxinen tie- rischer Konvenienz ist wegen der Gefahr eines anaphylaktischen Schocks und der Serumkrankheit nur bei vitaler Indikation gerechtfer- tigt, wie zum Beispiel bei Erkrankun- gen an Diphtherie, Gasbrand, Botu- lismus und bei Schlangenbissen.

Tabelle 2 enthält eine Aufstellung der Infektionen, für die uns heute bereits humane Immunglobuline (polyvalente oder spezielle) zur pas- siven Prophylaxe zur Verfügung stehen.

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Diphtherie

In der Bundesrepublik steht zur Zeit für Prophylaxe und Therapie nur noch das Fermo-Serum vom Pferd zur Verfügung. Bei Erkrankungsver- dacht beziehungsweise sicherer Er- krankung ist die Anwendung unter den für tierische Seren erforderli- chen Vorsichtsmaßnahmen indi- ziert. Bei Diphtherieexposition ist die Prophylaxe mit Antibiotika gebo- ten (2). Ein spezielles humanes Diphtherie-Immunglobulin für die Prophylaxe ist in Vorbereitung.

Masern

Die Indikation für eine passive Ma- sernprophylaxe in der Schwanger- schaft wird sich in unseren Breiten kaum einmal stellen, da praktisch jede konzeptionsfähige Frau aktiv erworbene Masernantikörper be- sitzt. Bei begründetem Verdacht auf fehlende Masernimmunität ist bei Exposition die Prophylaxe zu emp- fehlen (Tabelle 2). Hierfür eignet sich aufgrund des hohen Gehalts an Masernantikörpern das 16prozenti- ge Standardimmunglobulin.

Mumps (Parotitis epidemica) Nach den bisherigen Kenntnissen ist das Mumpsvirus nicht teratogen.

Mumpsinfektionen verlaufen in der Gravidität häufig schwer. Bei hoch- fieberhaftem Verlauf oder Anzei- chen von Komplikationen kann der therapeutische Einsatz von Mumps- immunglobulin versucht werden. Da das spezifische Immunglobulin nur in begrenzter Menge verfügbar ist, kann bei dringender Indikation auch das 16prozentige Standard-Immun- globulin in doppelter Dosis oder ein i. v. applizierbares Immunglobulin verabfolgt werden.

Röteln

Bei im Rötelntest negativen Schwangeren beziehungsweise bei nicht geklärtem Immunstatus ist die Applikation von speziellem Röteln- immunglobulin so früh wie möglich

nach der Exposition erforderlich.

Dabei ist es wichtig, ein Präparat mit dem höchsterreichbaren Titer (in der Bundesrepublik zur Zeit 1:6000) in der ausreichenden Dosierung von 0,3 ml/kg KG, mindestens aber 15 ml einzusetzen. Bei verspäteter Prophy- laxe (5. bis 7. Inkubationstag) ist ne- ben dem speziellen Rötelnimmun- globulin ein intravenös applizierba- res Immunglobulin mit angegebe- nem Rötelnantikörpertiter zu verab- reichen. Das genaue Vorgehen ist den Gebrauchsanweisungen zu ent- nehmen.

Auch nach ausreichender Verabrei- chung von Rötelnimmunglobulin

und Ausbleiben von klinischen Rö- telnsymptomen bei einer exponier- ten empfänglichen Schwangeren sollte der Rötelnantikörpertiter nach etwa vier Wochen mit noch 1- bis 2maliger Wiederholung überprüft werden. Besonderer Wert ist auf den Nachweis von rötelnspezifischen IgM-Antikörpern zu legen, da ihr Auftreten eine trotz passiver Immu- nisierung stattgefundene Rötelnin- fektion beweist.

Sind Röteln-IgM-Antikörper erhöht vorhanden, so muß unter Berück- sichtigung des Schwangerschafts- alters ein Abbruch der Schwanger- schaft erwogen werden.

Tabelle 2: Prophylaxe mit humanen Immunglobulinen in der Schwangerschaft

Infektion Präparat Dosis/kg KG Indikation Virus-Hepatitis A IG i. m. 0,1-0,2 ml Exposition;

vor Reisen Virus-Hepatitis B SIG i. m. Exposition

siehe Angabe des Herstellers;

eventuell Wiederholung

Masern IG i. m. 0,2-0,4 ml Exposition Mumps SIG i. m. 0,1-0,2 ml (Exposition)

IG i. m. 0,2-0,4 ml

Pockenimpfung SIG i. m. 0,04 ml Simultanimpfung (= 20 IE)

Röteln SIG i. m. 0,3 ml Exposition 1. bis 7.

Inkubationstag Tetanus SIG i. m. 250-500 IE Simultanimpfung

Gesamtdosis

Tollwut SIG i. m. 20 IE Vor Impf beginn Varizellen/Zoster SIG i. m. 0,1-0,2 ml Exposition Zecken- SIG i. m. 0,1-0,2 ml Exposition enzephalitis

Zur Therapie sind höhere Dosierungen erforderlich (siehe Gebrauchs- anweisungen)

IG = Standard-Immunglobulin SIG = Spezielles Immunglobulin IE = Internationale Einheiten

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2609

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Die Prophylaxe mit 250 IE homolo- gem Tetanusantitoxin ist bei jeder nicht oder nicht vollständig geimpf- ten Schwangeren bei Verletzungen durchzuführen. Auch bei fehlender Impfdokumentation muß die Pro- phylaxe erfolgen. Stets ist die Form der Simultanimpfung zu wählen, um die aktive Immunisierung einzulei- ten beziehungsweise zu komplettie- ren. Eine höhere Dosis von 500 IE Tetanusantitoxin ist erforderlich bei vernachlässigten oder chirurgisch schwer versorgbaren Verletzungen, bei verspäteter Prophylaxe (nach 48 Stunden) und bei ausgedehnten Verbrennungen (Plasmaverlust).

Tollwut (Rabies)

Bei der Wutschutzbehandlung in der Schwangerschaft ist heute dem hu- manen Rabiesimmunglobulin unbe- dingt der Vorzug zu geben. Bei ent- sprechender Indikation wird es vor Beginn der Impfung verabfolgt, und zwar laut Empfehlung der WHO in der einmaligen Dosis von 20 IE/kg KG. Die Immunglobulingabe kann die Impfung mit der Tollwut-HDC- Vakzine nicht ersetzen; sie ist ledig- lich eine zusätzliche Sicherheits- maßnahme.

Varizellen/Zoster

Seit kurzer Zeit steht ein spezielles Varizellen/Zosterimmunglobulin in begrenztem Umfang zur Verfügung.

Eine Indikation hierfür besteht bei Zostererkrankungen in der Schwan- gerschaft, da der Zoster schwer ab- heilt, die Gravide stark belastet und in etwa 20 Prozent zu einer Zoster- neuritis führen kann. Auch bei Vari- zellen-Exposition in der Frühgravidi- tät und unklarem Immunstatus der Schwangeren ist der Versuch einer Immunglobulinprophylaxe möglich.

Da das spezielle Immunglobulin nicht immer zu erhalten ist, kann auch Standardimmunglobulin ver- wendet werden. Es enthält, wenn auch mit niedrigerem Titer, spezielle Varizellenantikörper. Dagegen ist bei manifester Varizellenerkran-

den führen kann, von einer Immun- globulintherapie nicht viel zu erwar- ten. Hier kann sich in der Früh- schwangerschaft die Indikation zur Interruptio ergeben.

Virushepatitis A (VHA)

Bei der Virushepatitis A (Hepatitis epidemica) hat sich das 16prozenti- ge Standard-Immunglobulin, in dem hohe Antikörpertiter gegen dieses Hepatitisvirus enthalten sind, bei rechtzeitiger Applikation in situa- tionsgerechter Dosierung bewährt.

Bei der präexpositionellen Prophy- laxe, zum Beispiel der sogenannten Reiseprophylaxe, verleihen 5 ml (bei Körpergewicht über 80 kg 7 ml) in der Schwangerschaft einen etwa 8 bis 10 Wochen anhaltenden Schutz mit einer Schutzrate von 80 bis 90 Prozent. Für die postexpositionelle Prophylaxe, zum Beispiel als Umge- bungsprophylaxe, ist eine höhere Dosis von 0,1 bis 0,2 ml/kg KG so früh wie möglich nach Exposition zu verabfolgen. Beide Prophylaxefor- men sollten in der Schwangerschaft unbedingt durchgeführt werden.

Virushepatitis B (VHB)

Für die prä- beziehungsweise post- expositionelle Prophylaxe dieser He- patitisform steht jetzt ein hochtitri- ges spezielles humanes Immunglo- bulin zur Verfügung, das nach den Empfehlungen der WHO einen Min- desttiter von 1:100 000 anti-HB s auf- weisen soll. Auch in der Gravidität kann nach den bisher vorliegenden Empfehlungen vorgegangen wer- den, zum Beispiel bei beruflicher Ex- position oder bei Inokulationskon- takt (4). Weder das Hepatitis-A- noch das Hepatitis-B-Virus sind terato- gen. Dagegen wird in den letzten Jahren bei Schwangeren mit Hepati- tis-B-Erkrankung oder bei symptom- losen HBs-Antigen-Trägerinnen eine peripartale Infektion des Kindes, (vertikale Transmission) häufiger be- obachtet. Bei diesen Neugeborenen wird heute eine sofortige Prophyla- xe mit Hepatitis-B-Immunglobulin empfohlen (4).

Meningo-Enzephalitis [FSME]) Zur Prophylaxe dieser Erkrankung steht seit einiger Zeit ein speziel- les menschliches Immunglobulin (FSME-Immunglobulin) zur Verfü- gung. Für die Prophylaxe vor Expo- sition und in den ersten zwei Tagen nach Zeckenbiß werden 0,1 ml/kg KG und ab dem dritten Tag nach Zeckenbiß 0,2 ml/kg KG empfohlen.

Intravenöse

Immunglobulin-Präparate

Bei Virusinfektionen und schweren bakteriellen Erkrankungen der Schwangeren sind intravenöse Im- munglobulin-Präparate zur Unter- stützung der antibiotischen Thera- pie indiziert. Ihre Verträglichkeit ist gut; sie können in hoher Dosierung angewendet werden. Der Einsatz hu- maner Immunglobuline ist praktisch gefahrlos. Das darf aber nicht dazu verleiten, sie kritiklos und ungezielt anzuwenden und allgemeine Maß- nahmen des Infektionsschutzes (Ex- positionsprophylaxe; rechtzeitige Schutzimpfungen vorder Gravidität) zu vernachlässigen.

Literatur

(1) Bösel, B.; Hartung, K.: Praktikum des In- fektions- und Impfschutzes (5. Aufl.), Verlag:

Hildegard Hoffmann, Berlin (1979) (2) Holz- ner, A.; Stickl, H.: Infektionsprophylaxe in der Touristik-Medizin (Möglichkeiten, Indikatio- nen, Kontraindikationen und Terminplanung), Dt. Ärztebi. 8 (1980) 457-466 — (3) Niesen, M.;

Scheier, R.: Infektionsschutz in der Schwan- gerschaft (Aktive und passive Immunisierun- gen), Gynäkologe, 10 (1977) 211-221 — (4) Scheiermann, N.; Kuwert, E. K.: Zur passiven Immunisierung gegen Hepatitis B (Stand der Entwicklung, Schlußfolgerungen und Empfeh- lungen für die Praxis), Fortschr. d. Med. 98, (1980) 39-45 — (5) Viruslebendimpfungen un- ter Berücksichtigung der Schwangerschaft.

Bericht der Tagung der Deutschen Vereini- gung zur Bekämpfung der Kinderlähmung und anderer Viruskrankheiten e. V. in Verbindung mit dem Deutschen Grünen Kreuz am 12. und 13. Mai 1975 in München, Hrsg.: Marburg:

Deutsches Grünes Kreuz (1976)

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Mathilde Niesen Akademische Oberrätin Universitäts-Frauenklinik 5300 Bonn-Venusberg Dr. med. Renate Scheier Goethestraße 40

5632 Wermelskirchen 1

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