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Toxizität von Wirkstoffen in der Krebstherapie

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Toxizität von Wirkstoffen in der Krebstherapie

Abschlussarbeit

Postgradualstudium Toxikologie der Universität Leipzig

Dipl. Chem. Nils Sunder–Plassmann

Leipzig, September 2004

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Inhalt

1. Einleitung...1

2. Krebs...2

3. Möglichkeiten der Krebstherapie 3.1 Bestrahlung...5

3.2 Chirurgische Onkologie...6

3.3 Chemotherapie...7

4. Platin–Medikamente...9

5. Alkylanzien... 16

6. Folsäureantagonisten... 25

7. Pyrimidin– und Purinantimetabolite... 29

8. Topoisomerasehemmer... 34

9. Vinca–Alkaloide und Taxane... 39

10. Asparaginase... 45

11. Zusammenfassung und Ausblick... 49

12. Anhang 12.1 Übliche Dosierungen und Nebenwirkungen (Tabelle)... 53

12.2 Abkürzungen... 56

12.3 Glossar... 59

12.4 Literatur...73

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1. Einleitung

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1. Einleitung

In den vergangenen Jahr zehnten gewann der Krebs als Todesursache zunehmend an Bedeutung. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister erkranken in Deutschland jährlich schätzungsweise 350 000 Menschen neu an Krebs;1 das statistische Bundesamt meldet für das Jahr 2001 rund 207 700 Todesfälle, die auf eine Tumorerkrankung zurückzuführen sind. Krebs ist damit nach den Herz–Kreislauf–

Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland.2

Diese Tatsache erklärt, warum in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten intensive Forschungsarbeit zur Entwicklung von Therapien gegen maligne Erkrankungen betrieben wurde. Die klinischen Untersuchungen in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit den in den Weltkriegen als Kampfgase eingesetzten Schwefel– und Stickstoff–Lost–Derivaten zählen zu den ersten Versuchen, Krebs mit Medikamenten zu bekämpfen. Seit dieser Zeit wurden viele unterschiedliche Wirkstoffe entwickelt, die eine hohe Aktivität gegen die Erkrankung mit gleichzeitig geringer Belastung für den Gesamtorganismus garantieren sollen.

Dabei ist eines der größten Probleme der medikamentösen Therapie von Krebs, eine Selektivität zwischen normalen, gesunden Zellen auf der einen und entarteten Krebszellen auf der anderen Seite zu erreichen. Diese Schwierigkeit führt zu den oftmals gravierenden und von den Betroffenen gefürchteten Nebenwirkungen.

Diese Arbeit gibt einen Überblick über die wichtigsten Klassen von Chemotherapeutika in der Krebstherapie unter besonderer Betrachtung ihrer toxischen Wirkungen auf den menschlichen Organismus.

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2. Krebs

Normalerweise unterliegen Körperzellen einer strikten Entwicklungskontrolle.

Sämtliche Prozesse wie Differenzierung und Vermehrung spielen sich bei der Entwicklung des Embryos in der richtigen räumlichen und zeitlichen Ebene ab. Mit einigen wenigen Ausnahmen (z. B. dem Darmepithel–

gewebe und dem blutbildenden Gewebe des Knochenmarks) teilen sich die Körperzellen eines erwachsenen Menschen nicht mehr; sie befinden sich in einer Ruhephase des Zellzyklus, der sog. G0–Phase. Alle eukaryontischen Zellen durchlaufen während ihres

Lebens die gleiche Sequenz von Ereignissen. Dieser sog. Zellzyklus kann in vier Phasen eingeteilt werden (Abb.1):

1. Die Mitose (Zellteilung) findet in der M–Phase statt.

2. Die anschließende G1–Phase hat eine sehr unterschiedliche Länge bei verschiedenen Zelltypen und kann bei sich nicht–teilenden Zellen in die endlose G0–Phase übergehen.

3. In der folgenden S–Phase wird neue DNA synthetisiert.

4. An die DNA–Synthese schließt sich die G2–Phase an, in der sich die Zelle auf die Mitose vorbereitet.

Der Anteil an Zellen, die sich stetig weiter teilen, wird Wachstumsfraktion genannt.

Die Wachstumsgeschwindigkeit eines Gewebes hängt in erster Linie von der Größe der Wachstumsfraktion und weniger von der Zeit zwischen zwei Mitosen (Generationszeit) ab.

Bei schnell wachsenden Tumoren ist die Wachstumsfraktion erheblich größer als bei langsam wachsenden Tumoren oder normalem Gewebe. Während sich die Dauer der M–, S– und G2– Phase bei Tumoren in der Regel nicht wesentlich von normalen Zellen unterscheidet, ist die Dauer der G1–Phase in normalem Gewebe oft deutlich länger und kann von einigen Tagen bis zu mehreren Jahren dauern.

Unter bestimmten Bedingungen geht der strenge Kontrollmechanismus der Zellteilung verloren, was zur übermäßigen Vermehrung von Zellen führt. Dabei können entweder gutartige (benigne) oder bösartige (maligne) Tumore entstehen. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Formen ist die Fähigkeit der malignen Zellen, in andere Gewebe einzuwachsen. Im Gegensatz zu diesem invasiven Wachstum ist das Wachstum

Abb.1 : Der Zellzyklus

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2. Krebs

3 benigner Tumore meist durch einfache Ausdehnung und Begrenzung durch eine Bindegewebsschicht gekennzeichnet. Überdies sind bösartige Tumore in der Lage, Zellen zu streuen, die entfernte Körperstellen über das Kreislauf– oder Lymphsystem erreichen und dort Metastasen bilden können.

Die Ursache der meisten Krebserkrankungen ist unbekannt. Mit abnormaler Zellvermehrung in Zusammenhang gebracht wurden allerdings Mutationen in der DNA–Sequenz, die entweder zu abnormer oder unregulierter Expression von proto–onkogenen führen oder zur Ausschaltung von Tumor–Suppressor–Genen (oder von beidem). Onkogene codieren für Rezeptoren von zellulären Wachstumsfaktoren, für Wachstumsfaktoren selbst oder für andere Regulatoren der Zellproliferation in Krebszellen. Tumor–Suppressor–Gene codieren für bestimmte regulatorische Proteine, die normalerweise die Zellteilung supprimieren. Krebs resultiert aus diesen oder anderen Mutationen, die durch Umwelteinflüsse, genetische Prädisposition oder Infektionen verursacht oder gefördert sind. Darüber hinaus spielen wahrscheinlich noch weitere Faktoren eine Rolle, die bislang nicht oder nur wenig erforscht sind. Die meisten Tumore weisen chromosomale Abnormalitäten wie Deletionen, Inversionen, Translokationen oder Duplikationen auf. Obwohl diese meist unspezifisch sind, gibt es doch einige genetische Veränderungen, die eng mit bestimmten Tumoren verbunden sind, so dass in manchen Fällen eine Prognose ermöglicht wird.3

Welche äußeren Einflüsse zu diesen genetischen Veränderungen führen können, ist prinzipiell zwar verstanden, im Einzelfall aber auf Grund der normalerweise sehr langen Latenzzeit und der schlecht dokumentierbaren Exposition schwer zu beurteilen.

Viele Krebserkrankungen werden vermutlich durch Agenzien ausgelöst, welche die DNA schädigen oder ihre Replikation bzw. Reparatur stören. Hierzu zählt eine Vielzahl natürlicher oder künstlich hergestellter Chemikalien (chemische Karzinogene) sowie elektromagnetische oder partikuläre Strahlung, vor allem dann, wenn sie energiereich genug ist, um chemische Bindungen – z. B. in der DNA – zu spalten. Daneben existieren Viren, die Onkogene tragen, durch die Kontrollmechanismen der befallenen Zelle außer Kraft gesetzt werden können.4

Zu den relativ gut erforschten Ursachen maligner Veränderungen gehören Abweichungen am Protein P53 bzw. dessen Gen. p53 löst u. A. den programmierten Zelltod (die Apoptose) aus, womit unkontrolliertes Zellwachstum reguliert werden kann. Außerdem hält p53 den Zellzyklus an, um die DNA–Reparatur zu ermöglichen, die ebenfalls von p53 initiiert wird. Mutationen in diesem Gen führen möglicherweise zum Verlust der Fähigkeit des entsprechenden Proteins, an die DNA zu binden und damit zum Verlust des suppressiven

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Effektes. p53 kann ebenso durch die Überexpression eines Onkogens inaktiviert werden, dessen entsprechendes Protein an normales p53 bindet.

Auch die Mitglieder der Bcl–2 Proteinfamilie sind für das Gleichgewicht zwischen Überleben und Sterben von Zellen verantwortlich. Dabei verhindern beispielsweise Bcl–2 und Bcl–XL die Apoptose, was bei ihrer Überexprimierung Krebszellen unter Umständen gegen Chemo– oder Strahlentherapie resistent macht.

Eine weitere bekannte Tatsache ist, dass in Krebszellen häufig eine verstärkte Telomerase–Aktivität zu beobachten ist. Telomere sind Gensequenzen an den Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden und somit Ausdruck des Alterns einer Zelle sind. Das Enzym Telomerase ist in der Lage, Telomere neu zu synthetisieren und so deren ständige Verkürzung zu verhindern. Vermutlich erreicht die Krebszelle ihre typische Unsterblichkeit zumindest teilweise durch eine übermäßige Telomerase–Aktivität.3

p53, Bc l–2 Proteine und Telomerasen sind nur drei Beispiele aus der großen Anzahl von Faktoren, die an der Entstehung von Krebs beteiligt sein können.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Entstehung und Entwicklung von Krebs ein komplizierter, mehrstufiger Vorgang ist, der die Anhäufung mehrerer genverändernder Ereignisse voraussetzt, und letztlich, oft Jahre nach der ersten erbgutverändernden Exposition, die endgültige Transformation der Zelle in eine Krebszelle bewirkt.

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3. Möglichkeiten der Krebstherapie

5

3. Möglichkeiten der Krebstherapie

3.1 Bestrahlung

Die Strahlenonkologie beschäftigt sich mit der Behandlung von benignen und malignen Erkrankungen mit Hilfe von ionisierender Strahlung. Schon bald nach der Entdeckung der Röntgen–Strahlung 1895 wurde die Strahlentherapie in der Behandlung einer Vielzahl von malignen Tumoren angewendet.Es wurde allerdings früh festgestellt, dass diese Strahlung unerwünschte Nebenwirkungen auf normales Gewebe hat. Auf Grund der erheblichen kutanen Toxizität der verfügbaren energiearmen Apparate besaß die Strahlentherapie nur eine eingeschränkte Anwendbarkeit bis in die 50er Jahre, als die Hochenergietherapie im Megavoltbereich eingeführt wurde. Damit wurde es möglich, tief liegende Tumore zu behandeln ohne eine allzu hohe Toxizität in Kauf nehmen zu müssen.

In den vergangenen 20 Jahren wurden enorme Fortschritte sowohl in bildgebenden Verfahren als auch in der Strahlenverabreichung erzielt, so dass die Therapie gezielter und schonender eingesetzt werden kann. Das heutige radiobiologische Wissen verringert überdies das Risiko von Folgekrankheiten bei gleichzeitiger Steigerung der Effektivität der Behandlung. Die Strahlentherapie nimmt heute einen wichtigen Platz in der Heilung benigner und maligner Krankheiten sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen ein und bietet ein effektives Hilfsmittel zur Linderung in unheilbaren Fällen.5

In der Strahlentherapie werden in erster Linie Photonen mit hoher Energie (Röntgen–

oder γ–Strahlung) und geladene Teilchen (Elektronen),5 seltener auch Neutronen6 oder Protonen7 verwendet. Um bei der Behandlung möglichst ausschließlich das Ziel zu bestrahlen und die Strahlendosis für das umliegende Gewebe so niedrig wie möglich zu halten, bedarf es einer sorgfältigen Planung. Dabei muss die Anatomie des Patienten, die Dichte des Gewebes und die Energie des Strahls im Bestrahlungsplan berücksichtigt werden. Auf Grund der häufig komplexen Geometrie des Tumors sind bildgebende drei–dimensionale Verfahren in der Planung wichtig.8

Die Strahlung, die gleichmäßig die ganze Krebszelle trifft, soll in erster Linie die DNA beschädigen, um die Zelle letztlich zu zerstören. Dabei werden Einzel– und Doppelstrangbrüche, Brüche im Phosphat–Rückgrat des DNA–Moleküls sowie „Cross–

Links“ zwischen DNA–Strängen und chromosomalen Proteinen erzeugt.9 Schäden an der Kernmembran spielen möglicherweise ebenfalls eine Rolle.5 Welcher Schaden tatsächlich auftritt, hängt wesentlich von der verwendeten Strahlung ab. Elektromagnetische Strahlung

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ionisiert indirekt über kurzlebige Hydroxylradikale, die durch Ionisierung von Zellwasser entstehen.10 Protonen und andere Partikel ionisieren und schädigen die DNA direkt.11

Strahlenschäden äußern sich in erster Linie durch den Verlust einer intakten zellulären Reproduktionsfähigkeit. Derart betroffene Zellen zeigen äußerlich keine morphologische Auffälligkeit bis sie versuchen, sich zu teilen. Einige Zellen sterben auch durch Auslösen der Apoptose, was aber häufig erst einige Generationen nach der Bestrahlung geschieht.12 Diese Tatsachen sind in sofern von klinischer Relevanz, als dass vor allem langsam proliferierende Tumore noch Monate nach der Therapie fortbestehen können und histologisch lebens– und entwicklungsfähig ersche inen. Bei einem Prostatakarzinom beispielsweise kann es im Anschluss an eine Strahlentherapie bis zu 24 Monate dauern, bis der Biopsiebefund wieder normal ist.13

In der sog. Brachytherapie wird eine radioaktive Quelle entweder in eine Körperhöhle in unmittelbarer Nähe eines Tumors (intrakavitär) oder direkt in den Tumor (interstitiell) platziert. Ursprünglich wurden hierfür natürlich vorkommende Strahlungsquellen wie Radium oder Radon verwendet. Mittlerweile benutzt man häufiger künstlich erzeugte radioaktive Isotope wie Cäsium 137, Iridium 198 oder Iod 125.14

In den kommenden Jahren wird sich der Trend zu kombinierten Behandlungsansätzen fortsetzen. So wird die Strahlentherapie zunehmend in Verbindung mit Hochdosis–

Chemotherapie und Stammzell–Programmen zum Einsatz kommen und so eine bessere Kontrolle über große und widerstandsfähige Tumore ermöglichen.15

3.2 Chirurgische Onkologie

Die chirurgische Entfernung ist die älteste Methode der Krebstherapie und bildet nach wie vor die Hauptstütze in der Behandlung von soliden Tumoren. Es gibt Hinweise, dass bereits 3000 v. Chr. operative Eingriffe zur Entfernung von Tumoren vorgenommen wurden.16 Ursprünglich wurde dabei lediglich die Läsion ganz grob entfernt. Dies führte allerdings zu einer inakzeptablen Rückfallsrate und folglich hoher Sterblichkeit, da trotz Entfernung des eigentlichen Tumors häufig mikroskopisch kleine Metastasen für ein erneutes Wachstum – möglicherweise an einer anderen Stelle im Körper – sorgen können. Heute kann man dieses Problem mit Hilfe von Kombinationstherapien erheblich einschränken. Dabei wird auf unterstützende Chemotherapie gegebenenfalls in Kombination mit Bestrahlung zurückgegriffen.

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3. Möglichkeiten der Krebstherapie

7 Die chirurgische Onkologie erzielt ihre besten Resultate in der Behandlung lokalisierter Primärtumore. Dabei wird versucht, sowohl makroskopische als auch mikroskopische Teile des Tumors in allen angrenzenden Gewebsschichten zu entfernen. Auch die Entfernung von Metastasen kann u. U. zu einer beträchtlichen Lebensverlängerung führen.17

In den letzten 20 Jahren haben Fortschritte sowohl im Bereich der Operationsmethoden als auch in der Anwendung von Kombinationstherapien die Morbidität und die Mortalität in Zusammenhang mit der operativen Entfernung von soliden Tumoren erheblich vermindert.

Die Tatsache, dass chirurgische Methoden zunehmend mit anderen Therapiearten kombiniert werden, erfordert bei der Planung der Behandlung den Einsatz einer multi–disziplinären Arbeitsgruppe, in der neben chirurgischen Onkologen auch Experten für Strahlen– und Chemotherapie vertreten sind.

3.3 Chemotherapie

Chemotherapie bedeutet im weitesten Sinne die Behandlung vermehrungsfähiger, krankheitserregender Mikroorganismen, Parasiten, Viren und Tumorzellen mit selektiv, strukturspezifisch angreifenden Pharmaka.18 Die medikamentöse Behandlung von Krebserkrankungen ist erst wenige Jahrzehnte alt. Lange Zeit waren die einzigen Möglichkeiten, Krebs zu behandeln, die chirurgische Entfernung oder die Bestrahlung des Tumors. Dabei war es unmöglich, nichtlokalisierte Tumore wie Leukämien oder Metastasen von Primärtumoren zu erreichen. Systemisch wirksame Arzneimittel stellen daher eine wesentliche Erweiterung der Möglichkeiten in der Krebstherapie dar.

Allerdings ist die Chemotherapie allein nur in wenigen Ausnahmefällen in der Lage, eine vollständige Genesung herbeizuführen. Zu diesen zählen akute Leukämien, Retinoblastom bei Kindern, Morbus Hodgkin und das testikuläre Karzinom. Bei einigen weiteren Erkrankungen (z. B. Ovar–, Endometrium– sowie Prostatakarzinom) kann eine deutliche Erhöhung der Lebenserwartung festgestellt werden, wohingegen bei vielen häufig vorkommenden Krebsarten wie metastasierenden Bronchial– oder Mammakarzinomen bislang lediglich eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden kann (palliative Tumortherapie). Die größte Bedeutung hat der postoperative Einsatz von Chemotherapeutika, um Tumorreste zu bekämpfen oder Metastasen zu erreichen (adjuvante Therapie).18

Im Verständnis der biologischen und biochemischen Grundlagen der Tumorentstehung und des Tumorwachstums wurden in den letzten Dekaden große Fortschritte gemacht. Diese Tatsache erlaubt es, die Wirksamkeit der in den meisten Fällen empirisch gefundenen Medikamente zu erklären und eröffnet die Möglichkeit zur Optimierung.

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Da sich Tumorzellen in erster Linie dadurch von normalen Zellen unterscheiden, dass sie sich der normalen Wachstumsregulation entzogen haben und es ansonsten keine essenziellen biochemischen Unterschiede gibt, ist der Einsatz von Chemotherapie im Sinne eines Eingreifens in spezifische Stoffwechselvorgänge – wie im Falle der Mikroorganismen – nicht möglich. Daher werden bei einer Chemotherapie neben den Krebszellen in der Regel auch gesunde Zellen mehr oder weniger angegriffen. Die dadurch auftretenden Nebenwirkungen bedeuten für den Patienten eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und können mitunter lebensbedrohend sein. Im Unterschied zu den meisten anderen Medikamenten wird bei Wirkstoffen zur Krebsbehandlung ein unerwünschter Effekt meist vor der gewünschten, therapeutischen Wirkung festgestellt. Die toxischen Nebenwirkungen können nach Kriterien wie Schweregrad, Dosis–Limitierung, akuter vs.

chronischer Toxizität, kumulativen Effekten und verabreichungsabhängigen Nebenwirkungen eingeteilt werden.19

Die in der chemotherapeutischen Behandlung von Krebs in der Regel verwendeten Zytostatika verhindern oder verzögern die Zellteilung durch unterschiedliche Beeinflussung des Zellstoffwechsels. Verschiedene Zytostatika greifen auch in verschiedenen Phasen des Zellzyklus an. Ein Ziel der Polychemotherapie ist es, unterschiedliche Medikamente so zu kombinieren, dass ein möglichst großer Anteil der Zellen erreicht wird.

Zellen in der G0– oder G1–Phase sind gegen viele Zytostatika unempfindlich.

Besonders empfindlich sind dagegen Zellen in der S–Phase. Für den Erfolg einer Therapie spielt es nun eine entscheidende Rolle, welcher Anteil der Tumor – Zellen empfindlich ist: in kleinen, schnellwachsenden Tumoren ist dieser deutlich größer als in großen, langsamwachsenden; entsprechend verhält sich der Therapieerfolg. Auch eine Dosiserhöhung würde bei einem geringen Anteil an empfindlichen Zellen keine signifikant bessere Wirkung erzielen. Große Bedeutung kommt der postoperativen Chemotherapie zu, bei der wenige verbliebene bzw. abgesiedelte Zellen eliminiert werden können.

Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die heutzutage üblicherweise in der Krebstherapie verwendeten Wirkstoffe, beschreibt in kurzen Zügen deren Wirkungsweise und fasst die toxischen Wirkungen auf den menschlichen Organismus zusammen. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, wurde dabei eine weitgehend qualitative Beschreibung gewählt. Eine Übersicht über übliche Dosierungen ist dem Anhang zu entnehmen.20

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4. Platin – Medikamente

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4. Platin – Medikamente

Grundlagen und Wirkungsweise

Anti–Tumor–Medikamente, die auf Platin–Komplexen beruhen, gehen starke chemische Bindungen mit Nukleophilen ein. Wenngleich viele derartige Interaktionsmöglichkeiten mit biologischen Molekülen bestehen, liegt die Hauptursache der Zytotoxizität dieser Klasse von Verbindungen in der Hemmung der DNA Replikation und der Zellteilung hervorgerufen durch die Reaktion

mit Stickstoffatomen der DNA.21,22

Die erste Anti–Tumor–Verbindung auf Platin–Basis wurde von Rosenberg bei der Untersuchung des Einflusses von elektrischem Strom auf das Bakterienwachstum gefunden.23 Die dabei gefundene Wachstumsinhibition war nicht, wie zunächst angenommen auf den elektrischen Strom, sondern auf den durch die Platinelektrode und die Elektrolytlösung

entstandenen Platin–Komplex mit Aminliganden und Chloridionen zurückzuführen. Von den dabei entdeckten Verbindungen war Cisplatin bei anschließenden Tests auf Wirksamkeit gegen Tumorzellen die aktivste (Abb. 2).24 Anfang der 70er Jahre wurde Cisplatin klinisch getestet und bald zum meistverwendeten Chemotherapeutikum in der Behandlung maligner Erkrankungen.25,26,27 Im Laufe der Jahre wurde Cisplatin intensiv untersucht und stellt damit den Platin–basierten Wirkstoff dar, über den mit weitem Abstand die meisten pharmakologischen Daten verfügbar sind. Die schweren vor allem nephro– und neurotoxischen Nebenwirkungen verlangten allerdings die Entwicklung von Analoga, deren Toxizität geringer war. Seitdem sind eine Reihe von Platin–Komplexen entwickelt worden, die hinsichtlich ihrer Eigenschaften immer weiter verbessert wurden.

Platinkomplexe besitzen entweder quadratisch–planare Geometrie, falls vier Liganden an das Platin binden oder hexagonale Geometrie, wobei sechs Liganden am Platinatom koordiniert sind. Die Oxidationsstufe des Platins ist im ersten Falle +2, im letzteren +4. Die Chlorid–Liganden können gegen Nukleophile, wie z. B. Stickstoffatome in der DNA, direkt ausgetauscht werden. Möglicherweise werden aber auch zunächst die Chlorid–Liganden abgespalten und durch Wassermoleküle ersetzt. Dies geschieht im Falle der quadratisch–

Pt H3N C l H3N C l

Pt H3N O H3N O

O

O

NH2 Pt NH2

C l

C l C l NH2 C l

Pt O

NH2 O

O

O

Cisplatin Carboplatin

Iproplatin Oxaliplatin

Abb. 2 : Platin–Medikamente

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planaren +2–Komplexe erheblich schneller als in den hexagonalen +4–Komplexen. Es wird angenommen, dass die +4–Komplexe in vivo zu den deutlich reaktiveren +2–Komplexen reduziert werden.28,29,30

Der Ligandenaustausch erfolgt in jedem Fall unter Retention der Konfiguration am Platin.31 Diese Tatsache trägt Rechnung für die Anti–Tumor–Aktivität, da die den cis–

Komplexen entsprechenden trans–Komplexe praktisch ohne Wirkung sind. Der Ersatz der Chlorid–Liganden mit Ester–Gruppierungen wie in Carboplatin und Oxaliplatin reduziert die Reaktivität und erlaubt es auf diese Weise, die Nephro– und Neurotoxizität zu senken.

Allerdings ist für den erwünschten zytotoxischen Effekt auch eine höhere Dosis nötig.

Derivatisierungen an den Amino–Funktionen verändern die Lipophilie und damit Aufnahme und Verteilung des Wirkstoffs.

Die bevorzugten Ziele für den elektrophilen Angriff der Cisplatin–

Verbindungen sind das Stickstoffatom N–7 in Deoxyguanin bzw. in Deoxyadenin. So können sog. intrastrand Crosslinks entstehen, bei denen in der Regel zwei

Deoxyguanineinheiten miteinander oder eine Deoxyguanineinheit mit einem Deoxyadeninrest innerhalb eines DNA–Stranges verbunden werden. Möglich ist außerdem ein interstrand Crosslink, welcher durch eine Verbrückung zweier DNA–Basen – in der Regel wiederum Deoxyguanine – komplementärer DNA–Stränge gekennzeichnet ist (Abb. 3). 21,32,33,34

Die genauen Zusammenhänge, in welcher Art und Weise die Bildung von Pt–DNA–

Addukten zytotoxische Effekte hervorrufen, sind bisher nur wenig verstanden. Es gibt allerdings Hinweise, wonach durch die Adduktbildung die Replikation der DNA inhibiert wird. Es konnte gezeigt werden, dass lediglich zwei Platin–Addukte pro Genom ausreichend sind, um die DNA–Replikation zu blockieren.35 Experimente von Sorensen und Eastman legen die Vermutung nahe, dass das beobachtete Anhalten des Zellzyklus in der G2–Phase damit zusammenhängt, dass die Zelle nicht in der Lage ist, die beschädigte DNA abzulesen und in mRNA zu transkribieren.36

Abb. 3 : Cisplatin /DNA intra– und interstrand Crosslinks.32

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4. Platin – Medikamente

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Toxizität

Nephrotoxizität

Die schwerste und oft dosislimitierende Toxizität im Falle von Cisplatin war lange Zeit Nephrotoxizität.37,38 Sie manifestiert sich klinisch in einem erhöhten Blut–Harnstoff–

Stickstoff–Wert (blood urea nitrogen, BUN), abgesenkten glomerulären Filtrationsraten und verringertem effektivem renalem Plasmafluss sowie einem höheren Kreatininspiegel. Bei andauernder Exposition mit Cisplatin sind kumulative Effekte zu erwarten; zusammen mit anderen Nephrotoxinen potenziert sich der Effekt.39 Ein Rückgang der Serum–

Elektrolytkonzentration, insbesondere Hypomagnesiämie, konnte mit renaler Platin–Toxizität in Verbindung gebracht werden.40 Der Mangel an Magnesium, aber auch an Calcium und Phosphor, kann in schweren Fällen zu Osteoporose führen.41,42,43,44

Die Überwachung der Elektrolyte, des BUN und des Kreatinins ist daher unerlässlich zur Kontrolle der nephrotoxischen Wirkungen von Cisplatin.

Bei den entstehenden Nierenschäden handelt es sich um Tubulinekrosen, Erweiterung der Nierentubuli, Verdickung der Tubuli–Basalmembran und epitheliale Atypie der Sammelrohre.45,46 Die Häufigkeit und die Schwere von nephrotoxischen Komplikationen kann durch hohe Flüssigkeitsaufnahme und forcierte Diurese reduziert werden. Das oft in Zusammenhang mit Cisplatin auftretende Erbrechen kann zu Dehydratisierung führen und sollte daher mit Hilfe von Antiemetika vermieden werden (s. u.). Hydration mit Mannitol oder hypertonischer Kochsalzlösung konnte in empirischen Beobachtungen die Platin–induzierten Beeinträchtigungen der Nierenfunktion vermindern.47,48 Die Anwesenheit von Chlorid–Ionen ist zudem günstig, da auf diese Weise die Konzentration des reaktiven Aqua–Komplexes kleiner ist und dieser somit weniger Einfluss auf die Nierenfunktion hat. Allerdings muss bei Hyperhydratation das erhöhte Risiko von Lungenödemen in Betracht gezogen werden.49

Systemische Gabe von Thiolen erwies sich im Tierversuch als geeignet, die Nephrotoxizität zu vermindern. Diethyldithiodicarbamat konnte bereits in klinischen Tests eingesetzt werden und war in der Lage die Nephrotoxizität ohne Beeinflussung der Ototoxizität und Myelosuppression (s. u.) zu senken.50

Die Anwendung von Amifostin, einem Aminothiol–Analogon, kann die Anzahl der Patienten mit einem um 40 % verringertem Kreatininspiegel von 30–40 % auf 10 % senken.

Dabei wird die Wirksamkeit der Therapie nicht beeinträchtigt.51,52,53

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Bei längerer Cisplatin–Anwendung kann es in Folge einer chronischen Niereninsuffizienz zur verminderten Produktion von Erythropoetin kommen.54 Die beschriebenen akuten, nephrotoxischen Folgen der Cisplatin–Anwendung normalisieren sich in aller Regel nach Beendigung der Therapie.46

Platin–Medikamente der zweiten Generation wie Carboplatin oder Iproplatin weisen eine erheblich geringere Nephrotoxizität als Cisplatin auf.55

Hämatotoxizität

Cisplatin führt nur bei 20–30 % der Patienten zu Myelosuppression, bei Carboplatin hingegen handelt es sich dabei um die dosislimitierende Toxizität, wobei die Symptome jeweils ähnlich sind. Die Vorläufer der Thrombozyten, die Megakaryozyten, sind besonders stark betroffen. Resultat ist eine ausgeprägte Thrombozytopenie, häufig werden auch Neutropenie und Anämie beobachtet. Die Einmalgabe von Carboplatin führt zu einem Nadir der Thrombozyten nach 17 bis 21 Tagen, die Erholungsphase ist für gewöhnlich mit dem 28sten Tag abgeschlossen. Auch wenn u. U Blutinfusionen verabreicht werden müssen, ist die Myelosuppression verglichen mit der anderer Antineoplastika eher mild.56,57,58

Neurotoxizität

Die im Falle von Cisplatin beobachtete Neurotoxizität ist dosisabhängig, besteht in erster Linie aus peripherer Neuropathie sowohl der oberen als auch der unteren Extremitäten und manifestiert sich in Form von Lähmungserscheinungen, Schwäche, Zittern und Verlust des Geschmacksinns, in seltenen Fällen mit Anfällen und Leukenzephalopathie.59,60,61,62

Weder Temperatur– noch Schmerzempfinden sind betroffen. Die Symptome können persistent sein und auch nach Beendigung der Behandlung fortbestehen.63 Über besonders schwere Fälle wird berichtet, wenn Cisplatin–Infusionen intraarteriell verabreicht wurden. So kam es bei intraarterieller Cisplatin Gabe zur Behandlung von Krebserkrankungen im Kopf–

und Nackenbereich zu kranialer Nervenlähmung.62,64 Schwere ZNS–Schäden konnten im Tierexperiment beobachtet werden, wenn vor der Cisplatin–Gabe Substanzen verabreicht wurden, die die Blut–Hirnschranke durchlässig machen. Die intracarotide Cisplatin–

Verabreichung führt zu Schäden an der Blut–Hirn–Schranke und schweren neurotoxischen Erscheinungen.65 Eine andere Studie berichtet allerdings von keiner schweren Neurotoxizität bei Patienten mit primären Hirntumoren, denen Cisplatin intracarotid verabreicht wurde.66 Die

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4. Platin – Medikamente

13 Neurotoxizität von Ifosfamid (siehe Alkylanzien) wird durch die vorherige Behandlung mit Cisplatin verstärkt.67

Verschiedene pharmakologische Maßnahmen sind heutzutage in der Lage, sowohl die durch Cisplatin hervorgerufenen nephrotoxischen Nebenwirkungen als auch Übelkeit und Erbrechen zu kontrollieren. Die dosislimitierende Toxizität ist daher in zunehmendem Maße die Neurotoxizität.68

Weder Carboplatin noch Iproplatin verursachen im Rahmen der üblichen Dosis in Verbindung mit Knochenmarkstransplantation erhebliche Neurotoxizität.69,70,71

Gastrointestinale Toxizität

Starke Übelkeit und Erbrechen sind für die Mehrzahl der mit Cisplatin behandelten Patienten ein erhebliches Problem.72 Bei Patienten, die noch keine Chemotherapie erhalten hatten, treten die ersten Symptome in der Regel ein bis zwei Stunden nach dem Beginn der Chemotherapie auf, im Falle von Carboplatin auch einige Stunden später.

Wenn die Symptome erst 20 oder mehr Stunden nach Verabreichung eintreten, spricht man von verzögertem Erbrechen. In der Mehrzahl der Fälle tritt dieses 48 bis 72 Stunden nach der Chemotherapie ein und kann mehrere Tage anhalten.73

Schließlich können Patienten, die bereits eine chemotherapeutische Behandlung hinter sich haben, an antizipatorischem Erbrechen leiden, vor allem, wenn die vorhergehenden Behandlungen mit starker Übelkeit oder Erbrechen einhergingen. Es handelt sich dabei um eine Konditionierung, die durch die Krankenhausumgebung oder andere mit der Chemotherapie in Verbindung stehende Umstände, ausgelöst werden kann. Auch die Gabe des Chemotherapeutikums kann antizipatorisches Erbrechen auslösen – in diesem Falle nicht auf Grund eines biochemischen Stimulus sondern als psychologischer Effekt.74

Die Gründe für Übelkeit und Erbrechen sind nicht mit letzter Sicherheit geklärt.

Untersuchungen an Tieren legen die Vermutung nahe, dass entweder 5–

Hydroxytryptaminrezeptoren an afferenten Nerven der Eingeweide oder Chemorezeptoren in der Area postrema eine Rolle spielen.75,76 Die vorherige oder gleichzeitige Anwendung des Dopamin–Antagonisten Metoclopramid wird erfolgreich zur Kontrolle der gastrointestinalen Nebenwirkungen von Cisplatin eingesetzt, z. T. in Kombination mit den Steroiden Dexamethason oder Methylprednisolon.77,78,79 Schließlich haben sich auch Antiserotoninanaloga wie Ondansetron und Granisetron als sehr effektiv erwiesen, um Übelkeit und Erbrechen zu begrenzen.

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Ebenso wie Erbrechen kann Cisplatin Diarrhoe auslösen und so zu Dehydratisierung und einem unausgeglichenen Elektrolythaushalt führen.80 Wie alle metabolisch aktiven Gewebe wird auch das Darmepithel von zytotoxischen Substanzen wie Cisplatin angegriffen.

Der Schaden an der Darmschleimhaut führt zu Flüssigkeitssekretion, die geschädigten Dünndarmzotten büßen Absorptionskapazität ein, was letztlich zu sekretorischer Diarrhoe führt.81 Diese ist bei oraler Aufnahme stärker ausgeprägt.

Die Toxizität für den Magen–Darm–Trakt ist bei Carboplatin und Iproplatin im Vergleich zu Cisplatin wiederum deutlich niedriger.

Ototoxizität

Die durch Cisplatin hervorgerufene Ototoxizität ist charakterisiert durch Tinnitus und Verlust des Gehörs, in der Regel im Bereich zwischen 4000 und 8000 Hz, aber auch in tieferen Bereichen, die in den Bereich der Sprechfrequenz hineinragen können. Nur in Einzelfällen wird auch der Vestibularapparat betroffen. Die durch Cisplatin hervorgerufene Ototoxizität ist dosisabhängig, bei wiederholter Gabe kommt es zu Kumulation.82 Bei vorheriger oder gleichzeitiger Bestrahlung wird die Toxizität verstärkt. Pathologisch ist die Cisplatin bedingte Ototoxizität durch selektive Schäden an den äußeren Haarzellen der Cochlea, Schädigungen des Corti–Organs, des Bogengangs und der Stria Vascularis gekennzeichnet.

Dermatologische Komplikationen

Da Cisplatin als Zytostatikum generell die Regeneration proliferierender Gewebe hemmt und nicht auf Tumorzellen beschränkt ist, sind sowohl die Haut als auch Hautanhangsgebilde von Nebenwirkungen betroffen. Darunter fallen Alopezie, Abnormitäten der Nägel und Hyperpigmentierung. Dabei handelt es sich in der Regel um kosmetische Probleme, die auf Grund ihrer eventuell auftretenden psychischen Auswirkungen auf den Patienten jedoch nicht unterschätzt werden dürfen.

Der Haarausfall ist nicht zwangsläufig vollständig, kann sich neben dem Haupthaar auch auf andere Regionen des Körpers erstrecken und ist meist reversibel. Allerdings können die nach Beendigung der Therapie nachwachsenden Haare Veränderungen in Farbe und Struktur aufweisen. Die Möglichkeiten der Prophylaxe und Therapie von Alopezie sind gering.83,84

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4. Platin – Medikamente

15 Die Veränderungen an den Nägeln sind durch vertikale oder horizontale Bänder sowie diffuse Hyperpigmentierung gekennzeichnet. In der Regel wachsen diese Veränderungen mit dem Nagel heraus und hinterlassen nach Beendigung der Therapie keine Folgeschäden.

Weitere Auswirkungen sind u. A. Beau–Reil–Querfurchen, Leukonychie (z. B. sog. Mees–

Streifen), Onycholysis und Onychodystrophie.85,86

Hyperpigmentierung kann bei Behandlung mit Cisplatin an der Mundschleimhaut, im Falle von Carboplatin an abgedeckten Hautregionen (z. B. unter Verbänden, Kleidung oder EKG–Pads) beobachtet werden.86

Auswirkungen auf Blutgefäße

Cisplatin kann – häufig in Kombination mit anderen Chemotherapeutika wie Vinblastin oder Bleomycin – das Raynaud–Syndrom auslösen.87 Dabei treten anfallsweise Ischämiezustände durch Vasokonstriktion auf. Meist sind die Arterien der Finger betroffen.88 Es ist umstritten, ob auch Ischämien in größeren Gefäßen z. B. des Herzens oder des Gehirns auftreten, die Infarkte oder Schlaganfälle nach sich ziehen.89,90,91

Andere

Da Cisplatin wie alle Zytostatika die Zellteilung sämtlicher proliferierender Gewebe hemmt, werden alle Zellen, die sich nicht in der G0–Phase befinden, durch die Behandlung in Mitleidenschaft gezogen. Dies sind neben den bereits besprochenen Zellen des blutbildenden Systems und der Haarwurzel auch die Gonaden.92,93,94,95

Außerdem wird das Risiko der Entwicklung eines Sekundärtumors durch die Behandlung mit Cisplatin deutlich erhöht.96

Allergische Reaktionen auf Cisplatin sind innerhalb der letzten 20 Jahre stark zurückgegangen. Dies ist möglicherweise auf die heutzutage übliche Prämedikation und die geringere Dosis zurückzuführen. Die einzige Ausnahme bildet interessanterweise die intravesikale Administration von Cisplatin bei Patienten mit Blasenkrebs, wo Allergien mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % auftreten.97

(18)

5. Alkylanzien

Grundlagen und Wirkungsweise

Die Entdeckung alkylierender Reagenzien zur Behandlung von Krebs geht kurioserweise auf deren Anwendung als chemische Waffen im ersten Weltkrieg zurück. Dort wurde

Senfgas (S–Lost, Gelbkreuz, Abb. 4) auf Grund seiner stark Haut reizenden, zu Blindheit und schweren Lungenschäden führenden Eigenschaften eingesetzt. Es wurde allerdings festgestellt, dass Menschen, die gegenüber Senfgas exponiert waren, Knochenmarksuppression und lymphoide Aplasien entwickelten. Diese Befunde führten zu ersten Untersuchungen von Senfgas auf Antitumor–Aktivität.98 Die später entwickelten, von Stickstoff–Lost abgeleiteten Derivate waren weniger toxisch und konnten 1946 zum ersten Mal erfolgreich gegen Lymphome eingesetzt werden.99,100,101

Ähnlich wie die Platin–basierten Wirkstoffe reagieren Alkylanzien mit nukleophilen Stellen in biologischen Molekülen. Dabei kann man eine Unterteilung in zwei Gruppen vornehmen: zu der einen Gruppe gehören Reagenzien, die mit einer Kinetik erster Ordnung reagieren, d. h. deren Reaktionsgeschwindigkeit nur von der Konzentration der alkylierenden Substanz abhängt (SN1) . Hierzu gehören unter anderem die Stickstoff–Lost–Derivate und Nitrosoharnstoffverbindungen. Die andere Gruppe besteht aus Molekülen, deren Reaktion einer Kinetik zweiter Ordnung folgt, deren Reaktionsgeschwindigkeit also von den Konzentrationen sowohl des Wirkstoffes als auch des Moleküls, mit dem er reagiert, abhängt.

In diese Kategorie fällt beispielsweise Busulfan.

Die zytotoxische Wirkung wird auch im Fall der Alkylanzien in erster Linie auf Reaktionen mit der DNA zurückgeführt. Die bevorzugten Stellen für den elektrophilen Angriff sind entsprechend der den Platinkomplexen ähnlichen Reaktivität die N7–Positionen in Deoxyguanin bzw. Deoxyadenin.102 Die Beobachtung, dass bifunktionelle Agenzien eine deutlich höhere Aktivität zeigen als monofunktionelle, führte zu der Annahme, dass die Bildung von interstrand Crosslinks verantwortlich für die Zunahme der zytotoxischen Wirkung bifunktioneller Alkylanzien ist.103,104,105

Ewig und Kohn konnten eine signifikante Korrelation zwischen der Zytotoxizität und der Bildung von interstrand Crosslinks nachweisen.106 Mittlerweile konnten Stickstoff–Lost induzierte interstrand Crosslinks zwischen Oligonucleotiden chemisch charakterisiert werden.107,108,109

Cl S Cl

Abb. 4 : S–Lost

(19)

5. Alkylanzien

17 Monofunktionale Alkylanzien wie Methyl-

nitrosoharnstoff oder Dacarbazin methylieren die DNA, vorzugsweise an O6 und N7 einer Guaninbase. Diese Schädigungen führen zu zytotoxischen Einzelstrangbrüchen.110,111 Möglicherweise wird die zytotoxische Wirkung der monofunktionellen Alkylanzien auch durch den mismatch–DNA Reparaturmechanismus vermittelt.112,113

Es gibt unterschiedliche Typen alkylierender Reagenzien, die im Folgenden kurz beschrieben sind.

Stickstoff–Lost–Derivate

Die am häufigsten verwendeten Alkylanzien sind Stickstoff–Lost–Derivate. Unter der Vielzahl von synthetisierten Verbindungen dieses Typs werden heutzutage nur fünf routinemäßig in der Krebstherapie eingesetzt. Außer dem ursprünglich als Stickstoff–Lost bezeichneten Mechlorethamin sind dies Cyclophosphamid, Ifosfamid, Melphalan und Chlorambucil (Abb.5). Charakteristisch für diese

Klasse von alkylierenden Wirkstoffen ist die Bischloroethylgruppe und die Reaktion über das Aziridiniumintermediat (Abb.6). Der Rest des Moleküls bestimmt weitgehend die physikalischen Eigenschaften des Wirkstoffs und somit Parameter wie Bioverfügbarkeit, Verteilungskoeffizienten und Reaktivität.

Aziridine und Epoxide

Eng verwandt mit den Stickstoff–Lost Derivaten sind Aziridine wie Thiotepa, Mitomycin C und Diaziquon (Abb.7). Sie ähneln stark den reaktive n Aziridinium–

übergangszuständen, sind aber ungeladen und weniger reaktiv.

Thiotepa wird durch hepatische Mikrosomen zu N,N',N''–Triethylenphosphoramid (TEPA) abgebaut, welches weniger zytotoxisch als Thiotepa ist.114,115 Bei niedrigen pH–

Werten ist die Wirksamkeit von Thiotepa erhöht, da dann der Aziridin–Ring protoniert wird

N

Cl Cl

Cl N Cl

NH2

O

H O

Cl N Cl

OH O

P

O NH

N

Cl Cl

O

P

O N

N

H Cl

O Cl Mechlorethamin

"N-Lost"

Melphalan Chlorambucil

Cyclophosphamid Ifosfamid

Abb. 5 : Stickstoff–Lost–Derivate

Cl N Cl

Cl N

Cl

R NH2

N Cl

NH

R H Cl

+ + -

+

Abb.6 : Mechanismus der Alkylierung durch N–Lost–Wirkstoffe

(20)

und reaktiver ist. Thiotepa wurde bislang vor allem zur Behandlung von Ovarial– und Brustkrebs eingesetzt.116,117

Mitomycin C ist ein Naturstoff, der seine zytotoxische Wirkung seiner Reduktion und der anschließenden Bildung von Crosslinks in der DNA verdankt. Das Kohlenstoffatom C–1 wird beispielsweise vom extracyclischen Stickstoff des Guanins angegriffen. Dieser Alkylierung folgt die Substitution der aktivierten Carbamat–Gruppe am Kohlenstoffatom C–10 durch eine Aminogruppe im komplementären Strang, was schließlich zu einem interstrand Crosslink führt.

Diaziquon wird in vivo am Chinonring reduziert, was die Protonierung eines Aziridinringes und somit gesteigerte Reaktivität mit sich bringt. Diaziquon wurde eigens für die Behandlung von Tumoren des ZNS konzipiert. Es ist lipophil genug, um die Blut–Hirn–

Schranke passieren zu können.118 In klinischen Tests konnte die Wirksamkeit gegen Hirntumoren, aber auch gegen andere solide Tumoren und Leukämie nachgewiesen werden.119,120

Epoxide wie Dianhydrogalactitol oder sein Pro–Pharmakon Dibromdulcitol reagieren nach dem gleichen Prinzip wie Aziridine (Abb.7). Sie alkylieren durch den Angriff eines nukleophilen Zentrums, z. B. eines Aminostickstoffs, an ein Epoxid–Kohlenstoffatom.121,122

Alkylsulfonate

Einer der ältesten alkylierenden Wirkstoffe zur Behandlung von Krebs ist Busulfan (Abb.8).123 Busulfan ist ein seltenes Beispiel für ein eindeutig nach SN2–Mechanismus reagierendes Alkylanz. Die selektive Toxizität für frühe Vorläufer von Knochenmarkszellen ist möglicherweise verantwortlich für die Aktivität gegen chronisch–myeloische

Leukämie (CML). Heutzutage haben die weniger toxischen Hydroxyharnstoffderivate Busulfan bei der Behandlung von CML verdrängt; gegenwärtig wird Busulfan in der Regel zur Vorbereitung von Knochenmarks– oder Stammzelltransplantationen verwendet.124,125

N N

N P S

N

N O

O NH O

NH O O

O

O

O N

H2 O NH2

O

N O

NH

O OH O

OH

OH OH Br Br

OH OH

Thiotepa Diaziquon (AZQ)

Mitomycin C

Dianhydrogalactitol Dibromdulcitol

1 10

Abb.7 : Aziridine und Epoxide

O O

S O O

S O O Abb.8 : Busulfan

(21)

5. Alkylanzien

19

Nitrosoharnstoff–Derivate

Nitrosoharnstoff–Derivate zerfallen unter physiologischen Bedingungen zu Alkylanzien.

Das in den meisten Fällen baseninduziert entstehende Chloroethylkation alkyliert die DNA an einer elektronenreichen Position.126,127,128

Carmustin konnte als erster Wirkstoff erfolgreich zur Behandlung von Hirntumoren eingesetzt werden (Abb.9).129,130 Einige Derivate zeigen erhöhte Aktivität gegen solide Tumore

und werden u. A. zur Behandlung von ZNS–Tumoren und Lymphomen (Lomustin) oder von gastrointestinalen Tumoren (Semustin) eingesetzt. Andere besitzen eine höhere Wasserlöslichkeit und werden intraarteriell oder intrathecal in der Be handlung von Tumoren des ZNS oder anderen soliden Tumoren eingesetzt (Nimustin).

Die z. T. gravierenden Nebenwirkungen wie hämatopoetische oder renale Toxizität (s. u.) führte zur Erforschung neuer Derivate wie Fotemustin,131 TCNU132 und HECNU.133 Triazene und Hydrazine

Verbindungen dieser Art können unter physiologischen Bedingungen spontan zu Alkyldiazonium–Zwischenstufen zerfallen und anschließend die DNA alkylieren.134 Beispiele für diese Klasse von Wirkstoffen sind Procarbazin und Dacarbazin, die beide in der Therapie von Morbus Hodgkin eingesetzt werden (Abb.10).135,136 Darüber hinaus findet Procarbazin Einsatz in der Behandlung von Hirntumoren,137 Dacarbazin wird für die Therapie von Melanomen verwendet.138,139

N O N

Cl N Cl

O

N O N

Cl N

O R

N O N

Cl N

O

N N NH2

CH3 Carmustin

R=H Lomustin R=CH3 Semustin

Nimustin

Abb.9 : Nitrosoharnstoff–Derivate

NH NH

O NH

N NH

NH2 O

N N N Procarbazin

Dacarbazin

Abb.10: Beispiele für Hydrazine und Triazene

(22)

Toxizität

Hämatotoxizität

Für Alkylanzien ist in aller Regel die die Blutbildung betreffende Toxizität dosislimitierend; betroffen ist dabei vor allem die Bildung von Granulozyten und Thrombozyten. Der Nadir der Granulozytensuppression nach der Behandlung mit alkylierenden Substanzen liegt gewöhnlich bei acht bis 16 Tagen; 20 Tage nach Verabreichen einer Einzeldosis erreicht die Granulozytenzahl wieder normale Werte.140

Cyclophosphamid und Ifosfamid weisen in der Reihe der Alkylanzien die geringste hämatopoetische Toxizität auf. Die Granulozytenzahl kehrt schneller wieder zum Ausgangswert zurück, die Thrombozyten sind weniger stark betroffen und die wiederholte Gabe führt nicht zu kumulativen Effekten oder dauerhaftem Schaden am blutbildenden System.

Im Gegensatz dazu verursachen Nitrosoharnstoff–Derivate schwerwiegende hämatopoetische Komplikationen. Der Beginn der Granulozyten– und Thrombozytensuppression ist verzögert, der Nadir liegt mitunter bei 45 Tagen.141,142

Busulfan weist ebenfalls eine starke hämatopoetische Toxizität auf, die selektiv auf frühe Vorläufer von Knochenmarkszellen wirkt.143,144

Um diese Nebenwirkungen möglichst einzuschränken, werden heute Wachstumsfaktoren wie der granulocyte–macrophage colony–stimulating factor (Sargramostim, GM–CSF) und der granulocyte colony–stimulating factor (Filgrastim, G–

CSF) eingesetzt. Diese stimulieren die Differentiation und Proliferation von unreifen Knochenmarkszellen und können so das Ausmaß und die Dauer der hämatopoetischen Suppression verringern.145,146,147,148

Eine andere Möglichkeit, das blutbildende System zu unterstützen, sind Knochenmarkstransplantationen.149,150

Die Entwicklung von Methoden, die die hämatopoetische Toxizität von Alkylanzien verringern, ist von besonderer Bedeutung, da auf diese Art und Weise die verabreichte Dosis erheblich gesteigert werden kann, bevor eine andere Toxizität die dosislimitierende Schwelle erreicht.

(23)

5. Alkylanzien

21 Kardiotoxizität

Für den Fall, dass die hämatopoetische Toxizität unter Kontrolle gebracht werden kann, ist die dosislimitierende Toxizität für Cyclophosphamid die Kardiotoxizität.151,152,153

Klinisch manifestiert sich das Syndrom im frühzeitigen Auftreten von schwerer Herzinsuffizienz, die nach zehn bis 14 Tagen zum Tode führt. Dies tritt meist bei Patienten auf, die zur Vorbereitung auf eine Knochenmarktransplantation eine größere Dosis als 200 mg/kg KG verabreicht bekommen. Das Herz solcher Patienten ist erweitert und weist interstitielle Blutungen, Ödeme und Nekrosen des Myokards auf.152 Bei der Verabreichung in Kombination mit anderen Alkylanzien wurden auch bei geringeren Cyclophosphamid–Dosen Kardiotoxizität und Kardiomegalie beobachtet. 154

Gastrointestinale Toxizität

Bei hohen Dosierungen von Alkylanzien kommt es häufig zu Schädigungen des Magen–Darm–Traktes. Mukositis, Stomatitis, Ösophagitis und Diarrhoe sind in vielen Fällen nach Verabreichung hoher Dosen zu beobachten; vor allem Melphalan und Thiotepa oder Kombinationspräparate, die diese Wirkstoffe enthalten, führen zu derartigen Nebenwirkungen.155,156,157

Cyclophosphamid und Ifosfamid dagegen rufen selbst bei hohen Dosen keine nennenswerte Mukositis hervor.

Übelkeit und Erbrechen sind häufige Erscheinungen bei der Therapie mit Alkylanzien.

Auch wenn es sich dabei selten um lebensbedrohende Nebenwirkungen handelt, führen sie doch zu erheblichen Einschränkungen und Unbehagen, die zu Verzögerung oder Abbruch der Therapie führen können. Daher ist es sehr wichtig, dass der Patient adäquat mit Antiemetika versorgt wird. Die Ursache für Übelkeit und Erbrechen liegt vermutlich weniger in einer direkten Wirkung auf den Magen–Darm–Trakt, sondern wird vielmehr durch das ZNS vermittelt.158,159 Das Ausmaß hängt von der Dosis ab und variiert stark von Patient zu Patient.

Hepatotoxizität

Rund ein Viertel der Patienten, die mit Cyclophosphamid und Busulfan oder Cyclophosphamid in Verbindung mit Ganzkörperbestrahlung behandelt wurden, entwickeln eine veno–okklusive Lebererkrankung. Diese ist gekennzeichnet durch Hepatomegalie, Schmerzen im rechten, oberen Quadranten, Ikterus, Aszites verbunden mit einer hohen

(24)

Sterblichkeit durch Leberversagen.160 Auch im Rahmen der Anwendung hoher Dosen anderer Alkylanzien wurde dieses Syndrom beobachtet.161,162 In einigen Fällen wurde eine Lebertransplantation durchgeführt.163,164

Gonadotoxizität

Eine weitere schwerwiegende Nebenwirkung von Alkylanzien ist die Schädigung der Gonaden. Bei Frauen handelt es sich dabei in der Regel um Amenorrhoe, verbunden mit dem Verlust von reifen oder primordialen Eizellen.165,166,167

Mit zunehmendem Lebensalter nimmt sowohl die Häufigkeit als auch die Irreversibilität dieser Symptome zu.

Die Depletion von Keimzellen unter Erhalt der Sertoli–Zellen ist die charakteristische Schädigung bei Männern. Mechlorethamin, Chlorambucil und Cyclophosphamid sind mit dieser Art Nebenwirkung in Verbindung gebracht worden.168,169 Die Folge ist oft Aspermie oder Oligospermie;170 die Spermatogenese und die Fruchtbarkeit können allerdings nach einigen Jahren wieder zurückkehren.171,172

Pulmonale Toxizität

Nahezu alle alkylierenden Anti–Tumor Medikamente können Lungenschäden in Form einer interstitiellen Pneumonie und daran anschließende Lungenfibrose auslösen. Vermutlich werden die Endothelzellen der Lunge direkt durch das alkylierende Reagenz geschädigt. Der Beginn dieser Komplikation ist typischerweise durch trockenen Husten und Dyspnoe gekennzeichnet. Letztere führt zu Tachypnoe und Zyanose, in schweren Fällen können eine schwere Lungeninsuffizienz und der Tod folgen. Erstmals wurde diese Nebenwirkung 1961 beim Einsatz von Busulfan beschrieben.173 Mittlerweile wurden auch Fälle beobachtet, wo Cyclophosphamid,174,175 Nitrosoharnstoffe,176,177 Melphalan,178 Chlorambucil179 und Mitomycin C180 für eine interstitielle Pneumonie verantwortlich gemacht wurden.

Nephrotoxizität

Nitrosoharnstoffe können erhebliche Nephrotoxizität aufweisen. So kann z. B. die Verabreichung von mehr als 1200 mg Carmustin zu Nierenversagen und Tod führen.

Klinische Hinweise auf eine Nierenschädigung wie ein erhöhter Serumkreatininspiegel sind u. U erst nach Beendigung der Therapie erkennbar. Histologisch gleicht die Niere eines

(25)

5. Alkylanzien

23 Patienten mit einer durch Nitrosoharnstoffe hervorgerufenen Schädigung einer Niere mit Strahlennephritis.181,182

Ifosfamid ist in der Lage, die Nierenkanälchen zu schädigen, was zum Debré–Toni–

Fanconi–Syndrom mit Azotämie, erhöhtem Serumkreatininspiegel und Enzymurie führen kann.183

Neurotoxizität

Bei den in der Klinik üblichen Dosierungen werden normalerweise keine schweren neurotoxischen Symptome beobachtet. Lediglich Schwindel und leichte Veränderungen im Bewusstsein wurden beschrieben.184 Mit Zunahme der Konzentration steigt auch die Neurotoxizität. Sie äußert sich bei Alkylanzien im Allgemeinen in Krämpfen,185 hohe Dosen Busulfan führen zu Anfällen, denen oft prophylaktisch mit Antikonvulsiva vorgebeugt wird.

Bei intracarotid verabreichtem Carmustin traten mitunter starke Schmerzen im Auge und Blindheit auf.186

Teratogenität

Praktisch alle alkylierenden Wirkstoffe haben sich in Studien in vivo und in Embryokulturen als potenziell teratogen erwiesen.187,188 Wahrscheinlich liegt die Ursache für den teratogenen Effekt in der gleichen zytotoxischen Wirkung auf die Zellen des Embryos wie auf die Zellen eines Tumors.189,190,191,192

Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass das Risiko, ein missgebildetes Kind zur Welt zu bringen, für eine Mutter, die im ersten Drittel der Schwangerschaft mit Alkylanzien behandelt wurde, stark erhöht ist.193,194,195

In einer retrospektiven Studie wurde bei den Föten von vier von 25 Frauen, die im ersten Drittel der Schwangerschaft mit alkylierenden Wirkstoffen behandelt wurden, eine Missbildung diagnostiziert.196 Die Verabreichung von Alkylanzien im zweiten und dritten Drittel der Schwangerschaft scheint dagegen nicht mit einem erhöhten Risiko von Missbildungen einher zu gehen.196,197,198

(26)

Andere

Cyclophosphamid und (häufiger) Ifosfamid erzeugen mitunter schwere hämorrhagische Zystitis.199,200 Diese wird hervorgerufen durch Metabolite der genannten Wirkstoffe, die über den Harn ausgeschieden werden. Dabei handelt es sich in der Hauptsache um Acrolein, wobei auch andere Verbindungen wie Chloracetaldehyd einen Beitrag leisten könnten.201 Zur Therapie werden Thiole wie z. B. 2–Mercaptoethansulfonat (MESNA) verwendet, da diese mit den Aldehydfunktionen von Acrolein und Chloracetaldehyd reagieren und ungefährliche Konjugate bilden.202

Ab einer Gabe von 50 mg/kg KG Cyclophosphamid ist mit einer antidiuretischen Wirkung zu rechnen.203,204 Sechs bis acht Stunden nach Verabreichung verringert sich die Harnmenge, die Serumosmolalität sowie die Natriumkonzentration fallen, während die Urinosmolalität und das Körpergewicht ansteigen. Es kann zu Perikard– oder Pleuraergüssen sowie zu Anfällen infolge Hyponatriämie kommen.205 Die Ursache dieses Syndroms liegt wahrscheinlich in der Beeinträchtigung der Funktionen der distalen Nierenkanä lchen durch verschiedene Metabolite des Cyclophosphamids. In aller Regel wird die überschüssige Flüssigkeit binnen zwölf Stunden wieder ausgeschieden, Furosemid beschleunigt diesen Vorgang.206

Alopezie wird bei der Anwendung von Alkylanzien häufig beobachtet.207 Vor allem Busulfan, Cyclophosphamid und Ifosfamid verursachen mitunter schwere Fälle von Alopezie, insbesondere in Kombination mit Vincristin oder Doxorubicin. Nach Beendigung der Therapie wachsen die Haare wieder nach, Farbe und Struktur können allerdings verändert sein.208

Gelegentlich treten bei der Verwendung von alkylierenden Wirkstoffen in der Krebstherapie allergische Reaktionen auf.209,210,211

Diese beschränken sich meist auf kutane Hypersensibilität, in seltenen Fällen kommt es zu anaphylaktischen Reaktionen.212 Darüber hinaus zeigt vor allem Cyclophosphamid eine starke immunsuppressive Wirkung, die man sich bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen zu Nutze macht.213,214,215,216

Eine nicht zu vernachlässigende Komplikation der Verwendung von Alkylanzien ist deren onkogenes Potenzial. Verschiedene Studien belegen für bestimmte Patienten eine um mindestens 10 % gesteigerte Wahrscheinlichkeit, an akuter Leukämie zu erkranken.217,218,219

Procarbazin und andere methylierende Reagenzien scheinen besonders aktiv zu sein,220 Melphalan verursacht häufiger akute Leukämien als Cyclophosphamid.221 Auch die Häufigkeit solider Tumoren ist bei der Verwendung von Alkylanzien erhöht.222,223

(27)

6. Folsäureantagonisten

25

6. Folsäureantagonisten

Grundlagen und Wirkungsweise

Antagonisten der Folsäure sind zytotoxische Wirkstoffe, die neben dem Einsatz in der Krebstherapie u. A. auch als antimikrobielle, entzündungs- hemmende oder immunosuppressive Wirkstoffe zum Einsatz kommen. Das bekannteste Medikament, dessen Wirkung auf der strukturellen Analogie zu Folsäure beruht, is t Methotrexat (MTX, Abb.11). Sein Einsatzgebiet ist

sehr weitläufig und umfasst die Therapie von akuter lymphatischer Leukämie, Lymphomen, Osteosarkomen, Brustkrebs, Chorionkarzinomen, Kopf–Hals–Tumoren ebenso wie die Behandlung nicht–maligner Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis und „graft versus host reactions“ („Transplantat–gegen–Wirt–Reaktionen“).224

Folsäureantagonisten greifen in eine oder mehrere Stufen des Metabolismus ein, bei denen Folsäure eine Rolle spielt.

Dabei sind theoretisch mehrere Möglichkeiten der Interaktion vorstellbar; allerdings scheint die überwiegende Anzahl der heute

verwendeten Folsäureantagonisten die Reduktion von Dihydrofolsäure (FH2) zu Tetrahydrofolsäure (FH4) zu inhibieren, indem sie die Dihydrofolatreduktase (DHFR) blockieren (Abb.12).225 Methotrexat (MTX) dringt dabei zunächst entweder über ein Carriersystem der reduzierten Folsäure (1) oder über das membrane folate binding protein (2) in die Zelle ein. Anschließend werden durch die Folypolyglutamatsynthase bis zu acht Glutamateinheiten angefügt (3). MTX – Polyglutamate (MTX (glu)n) sind potente Inhibitoren der DHFR (4). MTX (glu)n werden dann im Lysosom von der γ–Glutamylhydrolase (GGH) wieder zu Methotrexat hydrolysiert (5).225 Damit ist beispielsweise die Übertragung eines

Abb.12: Einfluss von MTX (Methotrexat) und MTX

Polyglutamaten auf den Folsäuremetabolismus.225

N N

N N N

H2

NH2

N

O NH O OH

OH O N

H N

N N N

H2

N

O NH

OH O

OH O

O

Folsäure

Methotrexat

Abb. 11: Strukturen von Folsäure und Methotrexat

(28)

Methylrestes auf Desoxyuridinmonophosphat (dUMP) verhindert; es entsteht kein Desoxythymidinmonophosphat (dTMP).226 Somit ist die DNA–Synthese inhibiert und infolgedessen auch die Zellteilung.227 Der Ersatz der Ketofunktion durch eine Aminogruppe an Position 4 des Heterocyclus führt zu einer Zunahme der Affinität zum Enzym um drei bis vier Größenordnungen im Vergleich zu Folsäure. Methotrexat wird daher als stöchiometrischer Inhibitor bezeichnet.228,229 Allerdings liegt der optimale pH–Wert für die Bindung im leicht Sauren, also unterhalb des physiologischen Wertes. Die infolge der Inhibition des Enzyms ansteigende Konzentration an Dihydrofolsäure macht es darüber hinaus notwendig, dass Methotrexat im molaren Überschuss vorliegen muss, um eine nahezu vollständige Inhibition zu erreichen.229

Toxizität

Hämatotoxizität

Alle sich teilende Gewebe des Körpers sind in Gefahr durch Folsäureantagonisten geschädigt zu werden. Im Falle des Knochenmarks tritt dabei hauptsächlich Neutropenie auf, eine Verminderung der Anzahl neutrophiler Granulozyten. Der Nadir wird in der Regel zehn Tage nach einmaligem Verabreichen des Medikaments erreicht. Bereits nach zwei bis drei Wochen ist mit einer vollständigen Erholung zu rechnen. Trotz einer nachgewiesenen Dosisabhängigkeit des Effekts gibt es beträchtliche interindividuelle Unterschiede.225

Gastrointestinale Toxizität

Eine häufige, meist nach drei bis fünf Tagen auftretende Komplikation bei der Therapie mit Methotrexat, ist eine Entzündung der Magen–Darm–Schleimhäute. Dies ist bereits ein erstes Anzeichen, das den Abbruch der Behandlung notwendig machen kann. Bei schwerwiegenderen Fällen kann es zu mitunter blutigen Durchfällen kommen, die – gerade in Kombination mit einer Neutropenie – das hohe Risiko einer Sepsis mit tödlichem Ausgang bergen. Auf diese Weise betroffene Patienten müssen stationär mit Antibiotika und gegebenenfalls mit Folsäure behandelt werden. Übelkeit und Erbrechen sind in aller Regel auf einem Niveau, das keine zusätzliche Medikation erfordert.225

(29)

6. Folsäureantagonisten

27 Nephrotoxizität

Bei der Verabreichung konventioneller Dosen wurde in einigen Fällen Nephrotoxizität beobachtet, vermutlich auf Grund einer direkten Schädigung der Epithelzellen der Nierentubuli.230

Im Rahmen von Hochdosis–Therapien kann die durch Methotrexat verursachte Nephrotoxizität zu einer verzögerten Clearance und dadurch zu schweren Schädigungen des Knochenmarks oder des Verdauungstraktes führen, teilweise – vor allem bei Erwachsenen – mit tödlichem Ausgang.231 Neben einer direkten Schädigung wird auch die Präzipitation des weniger löslichen Metaboliten 7–OH–Methotrexat in den Tubuli als Ursache diskutiert.232 Hohe Flüssigkeitszufuhr, osmotische Diurese und gesteigerte Methotrexat bzw. 7–OH–

Methotrexat–Löslichkeit durch Erhöhung des Harn–pH–Wertes werden heute zur Vermeidung dieser Komplikation eingesetzt.

Extrem hohe Plasmakonzentrationen an Methotrexat (> 10–3 M) sind auch mit der Gabe hoher Dosen von Folsäure schwer zu behandeln.233 Hämoperfusion an Kohle konnte in wenigen Fällen erfolgreich eingesetzt werden.234 Oral verabreichte Kohle und Cholestyraminpräparate binden Methotrexat im Darm und unterbrechen damit den enterohepatischen Kreislauf.235 Schließlich können auch Carboxypeptidasen, die die Peptidbindung in Methotrexat spalten, zur Behandlung von nephrotoxikologisch bedenklichen Überdosierungen verwendet werden.236,237

Hepatotoxizität

Bei der Langzeitbehandlung mit Methotrexat in niedrigen Dosen konnten Pfortaderfibrosen und gelegentlich auch Leberzirrhosen diagnostiziert werden.238 Die Ursachen sind nicht bekannt. Auf Alkohol und andere hepatotoxische Wirkstoffe sollte während der Therapie verzichtet werden. Behandlungen, die Pausen zwischen den Verabreichungen vorsehen, verringern das Risiko von Fibrosen und Zirrhosen.239

ZNS–Toxizität

Die intrathekale Gabe von Methotrexat bei der Behandlung von Meningeosis leucaemica führt oft unmittelbar zu schweren Kopfschmerzen, Fieber, meningealem

(30)

Syndrom, Erbrechen und Pleozytose. Ursache hierfür is t vermutlich eine chemisch induzierte Arachnoiditis.225

Bei fünf bis zehn Prozent der Patienten, die intrathekal mit Methotrexat behandelt wurden, traten nach zwei bis drei Wochen schwerwiegendere Symptome wie Lähmungserscheinungen der Extremitäten, kraniale Nervenlähmungen, Anfälle und komatöse Zustände auf. Allerdings ist die Differenzierung zwischen Auswirkungen der Therapie und Folgen der vorhandenen Schädigung der Hirn– oder Rückenmarkshaut häufig schwierig.240

Bei Kindern, die prophylaktisch intrathekal mit Methotrexat und kranialer Bestrahlung behandelt wurden, konnte mitunter eine schwere demyelinisierende Enzephalopathie festgestellt werden. Sie manifestiert sich in Demenz, Spasmen oder Koma und das u. U.

Monate oder Jahre nach der Behandlung.241

Die intravenöse Verabreichung von hohen Methotrexat–Dosen führt nur in seltenen Fällen zu Enzephalopathien. Akute, vorübergehende, zerebrale Dysfunktionen, die sich in Erschlaffungs– oder Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen oder Anfällen äußern, werden wenige Tage nach systemischer Methotrexat–Verabreichung beobachtet. Diese Symptome verschwinden in der Regel binnen zwei bis drei Tagen.

Andere

Bei der oralen Verabreichung von geringen Dosen Methotrexat zur Behandlung von rheumatoider Arthritis kommt es in seltenen Fällen zu pulmonaler Toxizität, die sich in Husten, Dyspnoe, Fieber und Hypoxämie äußert.242,243 Bei ca. einem Zehntel der mit Methotrexat behandelten Patienten traten dermatotoxische Symptome wie entzündliche und juckende Rötungen der Haut meist am Hals und Oberkörper auf. In der Regel handelt es sich um unbedeutende Ereignisse, die nach wenigen Tagen abklingen. Im Zusammenhang mit anderen, ernsten Anzeichen von Methotrexat–Toxizität kann es allerdings auch zur Abschuppung oder Ausbildung von Blasen kommen, wobei sonnenexponierte Körperstellen sensibler reagieren.244 Vor allem innerhalb des ersten Schwangerschaftsdrittels ist Methotrexat ein starkes Abortivum. Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass Methotrexat mutagene oder kanzerogene Wirkungen hätte. So zeigen die Föten von mit Methotrexat behandelten Frauen keine höhere Missbildungsrate; ebenso wenig konnte eine höhere Inzidenz von sekundären Malignitäten festgestellt werden.245 In Einzelfällen wurden nach Methotrexat–Gabe Osteoporose,246 Wiederauftreten von phototoxischen oder von Bestrahlung herrührenden Symptomen sowie Überempfindlichkeitsreaktionen247 beobachtet.

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