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Zusammenfassung und Ausblick

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11. Zusammenfassung und Ausblick

Noch vor wenigen Jahrzehnten bedeutete die Diagnose Krebs für den Patienten den Tod binnen kurzer Zeit, u. U. verbunden mit starken Schmerzen und einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität. Heutzutage stehen der Medizin zahlreiche Möglichkeiten zur erfolgreichen Behandlung von Krebs zur Verfügung. Die Einführung von Cisplatin in Kombinationspräparaten bei der Behandlung von Hodenkrebs hat beispielsweise die 5–

Jahres–Überlebensrate von 65 % auf über 90 % in den vergangenen 25 Jahren angehoben.

Insgesamt ist die Überlebenswahrscheinlichkeit für Krebserkrankte in den vergangenen 20 Jahren erheblich gestiegen.1 Nichtsdestotrotz gewinnt Krebs als Todesursache in allen Industrienationen zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt auf Grund der stetig wachsenden Lebenserwartung. Nach wie vor stellt sowohl die Krebserkrankung selbst als auch deren Behandlung eine erhebliche physische und psychische Belastung für den Patienten dar.

Die überwiegende Anzahl der Krebsmedikamente wirkt als Zytostatika. Die starken Nebenwirkungen beruhen auf der Tatsache, dass eine selektive Hemmung der Krebszellproliferation bzw. eine selektive Apoptoseinduktion von Krebszellen schwer zu erreichen ist. Um die Beeinträchtigung der gesunden Zellen zu minimieren oder gar ganz zu vermeiden, wurden eine Reihe von neuen Ansätzen entwickelt.

Es ist seit langem bekannt, dass es Tumore gibt, die vom Hormonspiegel des Patienten abhängen. Androgene beispielsweise fördern das Prostata– und Östrogene das Mammawachstum und sind demzufolge potenzielle Kanzerogene. Eine Hormonbehandlung kann daher indiziert sein. Wie erfolgreich sie im Einzelfalle ist, hängt davon ab, ob das Tumorgewebe über die entsprechenden Rezeptoren verfügt. Nur Tumore, die über solche Rezeptoren verfügen, können durch chirurgisches Entfernen der entsprechenden Drüsen und Verabreichung von Hormon–Antagonisten (z. B. Tamoxifen, Fulvestrant) oder Inhibitoren der hormonellen Biosynthese (z. B. Aromatase–Hemmer) therapiert werden. Ein Nachweis über die Hormonabhängigkeit des Tumorwachstums wird heutzutage standardmäßig durchgeführt.402

Zur Therapie von Prostatakarzinomen aber auch androgenabhängiger Mammakarzinome werden die gegengeschlechtlichen Östrogene oder Analoga verabreicht, z. B. Diethylstilbestrol–Diphosphat. Eine Heilung ist auf diese Weise nicht zu erwarten, die Lebenserwartung und das Wohlbefinden des Patienten kann aber deutlich erhöht werden. Die Nebenwirkungen sind in der Regel auf die zu erwartenden hormonbedingten Veränderungen

beschränkt, wobei im Falle des Diethylstilbestrols die kanzerogene Wirkung auf weibliche Nachkommen schwangerer Patientinnen berücksichtigt werden muss. In der Regel werden Östrogene bei Frauen erst fünf Jahre nach der Menopause eingesetzt.18

Im Gegensatz dazu werden inoperable aber hormonabhängige Brusttumore mit Androgenen wie Drostanolon–Propionat und Testolacton behandelt, bei denen die hormonbedingten Nebenwirkungen verhältnismäßig gering sind. Antiöstrogene wie Tamoxifen binden an die Östrogenrezeptoren und senken damit die Östrogeneffektivität. Dies führt zu typischen klimakterischen Nebenwirkungen wie Hitzewallungen und Übelkeit.

Aminoglutethimid hemmt einerseits die Biosynthese von Steroidhormonen, andererseits aber auch diejenige von Cortisol, das daher im Verlauf der Therapie substituiert werden muss.

Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Übelkeit und Exantheme.18

Ein vielversprechendes Konzept zur Entwicklung einer nebenwirkungsarmen Krebstherapie wurde Anfang der 70er Jahre von Judah Folkman entwickelt. Er stellte die Hypothese auf, dass entstehende Tumore zunächst als Mikrotumore vorliegen, als welche sie weder detektiert werden können noch eine direkte Gefahr für den Organismus darstellen. Das Wachstum neuer und durch Nährstoffmangel bedingtes Absterben alter Zellen halten sich die Waage. Ein größerer Tumor kann nur entstehen, wenn die Nährstoffzufuhr für alle Zellen gewährleistet ist. Ab einem kritischen Punkt erlangen jedoch einige dieser „stillen“

Mikrotumore die Fähigkeit, die sog. Angiogenese zu stimulieren („angiogenic switch“), d. h.

neue Blutgefäße zu entwickeln, um sich an die Nährstoffversorgung durch den allgemeinen Blutkreislauf anzuschließen.403 Nun beginnt der Tumor unkontrolliert zu wachsen und ist darüber hinaus in der Lage, über den Kreislauf Metastasen in entferntere Körperregionen zu entsenden.404

Die Angiogenese spielt beim gesunden erwachsenen Menschen nur eine untergeordnete Rolle, beispielsweise bei der Wundheilung oder beim Aufbau der Gebärmutterschleimhaut. Daher wäre die Inhibition der Angiogenese und damit eine Hemmung des Tumorwachstums eine vielversprechende Möglichkeit den Krebs mit minimalen Nebenwirkungen zu bekämpfen.405

Mittlerweile sind knapp 50 anti–angiogene Wirkstoffe bekannt.405 Der erste in klinischen Tests eingesetzte Inhibitor der Angiogenese war TNP–470, ein semisynthetisches Analogon des Naturstoffs Fumagillin. Die beobachteten Nebenwirkungen waren in erster Linie neurotoxischer Natur und äußerten sich in Form von Schwindel, Benommenheit, Ataxie, Konzentrationsverlust, Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, Verwirrungs–

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51 und Angstzuständen sowie Depressionen. Alle diese Symptome waren dosisabhängig und reversibel, verschlimmerten sich aber im Lauf der Behandlung.406,407 Auch wenn durchschlagende Erfolge bisher ausblieben, gib t es doch Anzeichen dafür, dass der Einsatz von Angiogenese – Hemmstoffen in Kombination mit konventionellen Zytostatika in Zukunft erfolgreich sein könnte.405,408 Allerdings findet in der Fachwelt eine lebhafte Debatte statt, ob die Blockierung der Angiogenese und die dadurch entstehende Hypoxie nicht im Gegenteil zu aggressiverem Tumorwachstum führen kann. 409,410

Damit sich eine Zelle im Rahmen der Mitose teilen kann, müssen die Chromosomen korrekt am sog. Spindelapparat aufgereiht sein. Dieser besteht aus kleinen Röhren, den Mikrotubuli, die wiederum aus dem Protein Tubulin aufgebaut sind. Wirkstoffe, die den Aufbau des Spindelapparates stören, werden seit längerer Zeit in der Tumortherapie eingesetzt (s. Kapitel 9).411 Allerdings laufen in der Zelle auch zahlreiche Prozesse ab, die ebenfalls Mikrotubuli–abhängig sind und deren Beeinträchtigung zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.

Eine Gruppe von Motorproteinen, die Kinesine, bieten u. U. die Möglichkeit diese Schwierigkeiten zu umgehen. Es handelt sich dabei um Proteine, welche die durch ATP–

Hydrolyse entstehende Energie in mechanische Arbeit umwandeln können. Sie sind an einer Vielzahl von Transportprozessen innerhalb der Zelle beteiligt. Es sind über 100 unterschiedliche Kinesine bekannt, die jeweils sehr spezielle Aufgaben wahrnehmen.

Besonders interessant für die Wirkstoffforschung sind die mitotischen Kinesine, die direkt an der Zellteilung beteiligt sind. Deren Inhibition würde ausschließlich die Zellteilung behindern und alle anderen Mikrotubuli–abhängigen Prozesse unberührt lassen. Ein solches Kinesin ist HsEg5, für das mittlerweile mehrere Inhibitoren zur Verfügung stehen. Die Forschung steckt diesbezüglich allerdings noch in den Kinderschuhen, verspricht aber ein neues erfolgreiches Konzept der Therapie maligner Erkrankungen.412

Statistisch gesehen wird in den westlichen Industrienationen jede dritte Frau und jeder zweite Mann im Verlaufe des Lebens an einer Form von Krebs erkranken. Auf kaum einem anderen Forschungsgebiet werden vergleichbare Anstrengungen unternommen wie in der Entwicklung von neuen Therapiemöglichkeiten für Krebs. Neben dem operativen Eingriff und der Bestrahlungstherapie stellt dabei die Chemotherapie nach wie vor die dritte Säule der Behandlung von Krebserkrankten dar. In dieser Arbeit wurden die wichtigsten Gruppen von Chemotherapeutika und deren toxische Auswirkungen auf den Organismus zusammengefasst.

Eine vollständige Auflistung der auf dem Markt befindlichen Wirkstoffe und solcher, die sich in klinischen Tests befinden, würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Keine Erwähnung fanden z. B. Epothilone,413,414 Stimulanzien des Immunsystems, wie z. B. Interferone,415,416 die darüber hinaus die Angiogenese hemmen,417 gentherapeutische Ansätze418,419 und Inhibitoren der Signaltransduktion, z. B. Gleevec.420

Die Inhibition von Protein–Protein–Wechselwirkungen ist ein Beispiel dafür, dass die Möglichkeiten, neue Konzepte zu entwickeln, nach wie vor nicht erschöpft sind. Noch vor wenigen Jahren wurde die Wahrscheinlichkeit für sehr gering gehalten, in Protein–Protein–

Wechselwirkungen mit kleinen, „drug–like“ Molekülen eingreifen zu können. Mittlerweile sind derartige Wirkstoffe in klinischen Tests oder bereits auf dem Markt.421 Die Inhibition der Wechselwirkung zwischen dem zentralen Tumorsuppressor–Protein p53 und seinem negativen Regulator Mdm2 erscheint dabei als einer der vielversprechendsten Ansätze für zukünftige Therapiekonzepte.422

Schließlich sind die Möglichkeiten enorm, die durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Rahmen des „Human Genome Project“ für die Erforschung von Krebsmedikamenten entstanden sind. Auch wenn bei weitem noch nicht allen Genen eine Funktion zugeordnet werden konnte, ist die Zahl der potenziellen Targets für einen Wirkstoff sprunghaft angestiegen. Die Identifizierung von Patienten mit einem hohem Risiko an Krebs zu erkranken und deren individuelle, maßgeschneiderte Therapie scheint nun ebenfalls im Bereich des Möglichen.423 Die ersten Schritte in dieser Richtung sind bereits gemacht. 424

Die Belastung einer Chemotherapie für den Patienten konnte in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verringert werden. Durch die genannten neuartigen Therapieansätze und die anhaltende intensive Forschung auf diesem Gebiet besteht die Hoffnung, dass nicht nur das Leben von Menschen, die an Krebs erkrankt sind, verlängert sondern auch deren Lebensqualität beträchtlich erhöht werden kann.