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Pyrimidin– und Purinantimetabolite

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7. Pyrimidin– und Purinantimetabolite

Grundlagen und Wirkungsweise

Die Erkenntnis, dass Nukleinsäuren an der Wachstumskontrolle von Zellen beteiligt sind, führte früh zu der Annahme, dass Purin– oder Pyrimidinanaloga nützlich in der Bekämpfung von Krebs sein könnten. Die 5–halogensubstituierten Pyrimidine wurden als erste untersucht, wenn auch zunächst als Nukleinsäurenanaloga, die in die RNA oder DNA von Bakterien inkorporiert werden sollten.248 Die dabei gewonnen Erkenntnisse halfen dabei, das Verständnis der biochemischen Zusammenhänge bei der Biosynthese von RNA– und DNA–Vorstufen zu vervollständigen.249 Die überwiegende Anzahl der Purin– und Pyrimidinanaloga wird erst durch metabolische Aktivierung in eine Form gebracht, die entweder eingebaut wird oder natürliche Effektoren der entsprechenden Signalwege antagonisiert.

Pyrimidin – Analoga

Neben einer Reihe von 5–Fluorpyrimidinen wurde Mitte der 50er Jahre 5–Fluoruracil synthetisiert (Abb.13). Nach entsprechender metabolischer Aktivierung zu Fluordesoxyuridylat ist es in der Lage, die Umwandlung des Uracilnukleotids in Thymidin zu inhibieren. Da diese Umwandlung aber ein entscheidender Schritt in der DNA–Synthese ist, kann auf diese Art und Weise eine Wachstumsinhibition erreicht werden.250 Die Wirkung kann durch Substanzen, welche die natürliche Konzentration von Uracil herabsetzen, gesteigert werden, z. B. 5–

Ethynyluracil, Brequinar, Phosphonacetyl–L–

Aspartat oder Allopurinol.251,252,253

Vor allem bei hämatologischen Krebsarten wird seit 1963 erfolgreich das Desoxycytidin–Analogon Cytosin–Arabinosid (ara–C) eingesetzt (Abb.13).254 Dabei werden drei verschiedene Wege der Wirkungsweise diskutiert: Erstens der Einbau von Cytosin–

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Abb. 13: Pyrimidin – Analoga

Arabinose–Einheiten in DNA–Primer, der die Initiation der DNA–Replikation blockiert.255 Zweitens wird durch den Einbau die DNA–Kettenverlängerung verzögert256,257 und drittens wird – möglicherweise nur bei Gabe hoher Dosen von Cytosin–Arabinosid – die DNA–

Primase inhibiert.258

Andere Pyrimidin–Analoga sind 5–Azacytidin und 2’,2’–Difluor–2’–deoxycytidin, die ebenfalls beide auf unterschiedlichen Wegen die DNA– und/oder RNA–Synthese verhindern (Abb.13).

Purin – Analoga

Basierend auf ähnlichen Einschätzungen wie bei den Pyrimidinanaloga wurden in den 50er Jahren auch Purinanaloga synthetisiert und in die klinische Anwendung gebracht. Der Austausch der Hydroxy–Gruppe im Hypoxanthin durch eine Thiol–

Gruppe führte zum ersten Medikament diesen Typs: 1953 wurde 6–Mercaptopurin (und wenig später das entsprechende Guanin)

klinisch getestet (Abb.14).259,260 Auch im Falle des 6–Mercaptopurins erfolgt die Aktivierung durch den Metabolismus. Das entstehende Thioinosin–Monophosphat blockiert wahrscheinlich hauptsächlich den ersten Schritt der Purin–Biosynthese dadurch, dass es im Rahmen einer Feedback–Schleife Adenosin– oder Guanidin–Monophosphate imitiert.261,262,263

Anders als 6–Mercaptopurin wirkt 6–Thioguanin nach Bildung der entsprechenden Di– und Triphosphate durch Einbau in die RNA. Die Umwandlung in Desoxythioguanidin – Triphosphat macht auch den Einbau in DNA möglich.264 Dieser Einbau ist vermutlich für die zytotoxische Wirkung verantwortlich.265

Das bereits erwähnte Allopurinol wird oft als Zusatz in der Behandlung maligner Erkrankungen eingesetzt. Allopurinol selbst und sein Metabolit Oxypurinol sind starke Inhibitoren der Xanthin–Oxidase.266,267 Als solche vermindern sie die Bildung von Harnsäure aus Purinen. Darüber hinaus ist Allopurinol in der Lage, die Purin–Biosynthese mittels einer

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31 Feedback–Inhibition zu blockieren. Auf diese Weise sorgt Allopurinol offenbar für die verringerte Toxizität von 5–Fluoruracil in einigen normalen Geweben.268

Als besonders starker Inhibitor der Adenosin–Deaminase wurde 1974 Desoxycoformycin (Pentostatin) identifiziert (Abb.14). Es handelt sich dabei um ein Übergangszustandsanalogon des Adenosin–Enzym–Komplexes.269 Die Blockade des Adenosin–Katabolismus führt zu einer Anreiche rung von Adenosin–Derivaten, die zytotoxisch sein kann.270 Möglicherweise wird auch die Adenosyl–Homocystein–Hydrolase inhibiert, was zu einer eingeschränkten Fähigkeit zur Transmethylierung, einer wichtigen Reaktion in verschiedenen makromolekularen Vorgängen, führt.271

Bei der Suche nach einem dem ara–C entsprechenden Purin–Analogon wurde 1982 das 2–Fluoradenin–arabinosid–5‘–Phosphat (Fludara IV) erstmals in der Klinik eingesetzt (Abb.14). In der Behandlung von chronischer lymphatischer Leukämie ist es das bislang aktivste eingesetzte Medikament. Auch bei der Behandlung von anderen Krebserkrankungen wurde es seither mit Erfolg verwendet.272,273,274,275,276

Hydroxyharnstoff (Abb. 14), dessen strukturelle Verwandtschaft mit den Purinen sich erst auf den zweiten Blick offenbart, ist ein seit langem bekanntes Molekül (1869), dessen antiproliferative Wirkung aber erst sehr viel später erkannt wurde. Es inhibiert die Ribonukleotid–Reduktase, ein Schlüsselenzym der Desoxynukleotid–Synthese.277

Toxizität

Hämatotoxizität

Die dosislimitierende Toxizität ist bei allen Pyrimidin– und Purinanaloga in der Regel hämatologischer Art. 5–Fluoruracil führt bei einer Dosierung von 400–600 mg/m2 i. v. über einen Monat und fünf Gaben verteilt im Allgemeinen zu Myelosuppression.278 Bei kontinuierlicher Gabe muss die Dosis zwar erhöht werden, die Myelosuppression geht aber zurück, so dass das Dosislimit meist durch die auftretende Mukositis bestimmt wird.279,280,281

Bei sehr langer kontinuierlicher Gabe (300 mg/m2 täglich) über einen Zeitraum von zwölf Wochen wurde eine weitere Verbesserung sowohl im Anschlagen der Therapie als auch in der Verträglichkeit festgestellt.282 In diesem Fall trat in erster Linie ein reversibles Hand–Fuß–

Syndrom auf.283 Es wird vermutet, dass die Berücksichtigung des circadianen Metabolismus zu einer weiteren Verringerung der toxischen Nebenwirkungen führen kann. Die programmierte Infusion von 5–Fluoruracil, so dass das Konzentrationsmaximum gegen 21

Uhr erreicht wird, führte in verschiedenen Studien zu einer signifikant verringerten Toxizität.284,285,286

Auch ara–C und 2’,2’–Difluor–2’–Deoxycytidin führen in erster Linie zu genereller Myelosuppression, bei 5–Azacytidin stehen Leukopenie und in geringerem Maße Thrombopenie im Vordergrund.287 2’,2’–Difluor–2’–Deoxycytidin führt in seltenen Fällen zum hämolytisch–urämischen Syndrom.288,289,290

Auch die Purin–Analoga zeigen überwiegend toxische Nebenwirkungen, die das Knochenmark betreffen. 6–Mercaptopurin löst Myelosuppression aus, die nach Absetzen der Therapie oder Dosisreduktion rasch nachlässt, allerdings sämtliche gebildeten Zelltypen (Thrombozyten, Granulozyten und Erythrozyten) betrifft.291,292 Fludara IV zeigte gleichermaßen Myelosuppression und Leukopenie. Die Hemmung von DNA–Synthese im Knochenmark durch Hydroxyharnstoff führt ebenso zu Myelosuppression. Sie setzt drei bis fünf Tage nach Behandlungsbeginn ein und dauert nach Therapieende nur kurze Zeit an.293 Gastrointestinale Toxizität

Die meisten Pyrimidin– und Purinanaloga führen in der Anwendung zu Störungen des Magen–Darm–Traktes. So löst je nach Dosierung und Zeitplan der Verabreichung von 5–

Fluoruracil der schleimhautentzündende Effekt die Myelosuppression als dosislimitierende Toxizität ab.278,279 Neben Myelosuppression ist die Schädigung des gastrointestinalen Epithels die häufigste Nebenwirkung von ara–C.294 2’,2’–Difluor–2’–Deoxycytidin löst lediglich leichte Übelkeit, Erbrechen sowie grippeähnliche Symptome aus.295

Rund 25 % der Patienten, die mit dem Purin–Antimetaboliten 6–Mercaptopurin behandelt werden, leiden unter Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit, wobei Schleimhautentzündungen des Magen–Darm–Traktes und des Mundraums wenig ausgeprägt sind.296 Bei der Therapie mit Allopurinol treten Störungen des Verdauungstraktes sehr häufig auf, was allerdings selten einen Abbruch der Behandlung erfordert.297 Fludara IV und Hydroxyharnstoff führen ebenfalls zu schwacher bis mittlerer Übelkeit mit Erbrechen.293,298 Bei Verwendung der üblichen Dosierungen ist aber auch hier ein Abbruch der Therapie in der Regel nicht notwendig.

7. Pyrimidin– und Purinantimetabolite

33 Hepatotoxizität

Nach intrahepatischer Gabe hoher Dosen von 5–Fluoruracil werden toxische Wirkungen auf die Galle beobachtet, was vermutlich auf die Bildung von Chenodesoxycholat–Konjugaten zurückzuführen ist. An isolierten Rattenlebern führt dieses Konjugat zu Cholestase.299 Auch ara–C erzeugt bei Hochdosis–Therapien häufig eine intrahepatische Cholestase.287 Bei Patienten, deren Leberfunktion schon vor Beginn der Behandlung eingeschränkt ist, werden auch bei der Behandlung mit 5–Azacytidin häufig hepatotoxische Auswirkungen beobachtet.294 Selten hingegen sind derartige Befunde bei Patienten, die mit 6–Mercaptopurin300 behandelt wurden. Die Transmethylase–Inhibition von Desoxycoformycin ist möglicherweise für dessen Lebertoxizität verantwortlich.301

Andere

Die Verabreichung hoher Dosen von ara–C führt neben den bereits erwähnten Auswirkungen auf das Knochenmark, den Gastrointestinaltrakt und die Leber bei 10–25 % der Patienten zu toxischen Symptomen des zentralen Nervensystems, meist in Form von panzerebellarer Dysfunktion.287,302 Diese beginnt einige Tage nach Therapiebeginn und verschlimmert sich während der folgenden Tage. Nach zwei Wochen setzt in der Regel die Rückkehr zum Normalzustand ein, wobei ca. 20 % der Patienten bleibende Schäden in Form von Purkinje–Zellen– und Neuronenverlust zurück behalten. Enzephalopathien und Anfälle wurden ebenfalls beobachtet.303

Das Desoxycytidin–Analogon 2’,2’–Difluor–2’–Deoxycytidin kann dermatologische Komplikationen in Form von Hautausschlägen und Alopezie verursachen.289 Auch Allopurinol löst, vor allem bei gleichzeitiger Gabe von Ampicillin Ausschläge aus, die aber selten einen Therapieabbruch erfordern.297 Schwere Fälle von Fieber, Vaskulitis sowie Dyskrasie im Sinne einer hypersensitiven Reaktion konnten in Einzelfällen beobachtet werden.304

Desoxycoformycin zeigt eine beträchtliche interindividuelle Spanne an toxischen Reaktionen. So werden Immunosuppression, Störungen des ZNS, Nierenfunktionsstörungen, Konjunktivitis sowie Muskel– und Gliederschmerz beobachtet.305,306

Fludara IV schließlich bewirkt bei vielen Patienten Immunsuppression, verzögert einsetzende Neurotoxizität und Somnolenz sowie in seltenen Fällen interstitielle Pneumonie.298,307,308,309