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Archiv "Versorgungsqualität bei Typ-1-Diabetes-mellitus" (30.10.1998)

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Academic year: 2022

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ie WHO stellte gemeinsam mit der International Diabetes Fe- deration im Rahmen der St.- Vincent-Deklaration von 1989 konkre- te Forderungen zur Verbesserung der Diabetes-Therapie auf; alle europäi- schen Gesundheitsminister machten sich im September 1991 diese Forde- rungen zu eigen (2). Trotzdem liegen zur Versorgungsqualität bei Typ-1- Diabetes in Deutschland kaum Infor- mationen vor (21). Auch international beziehen sich Daten zur Qualität der medizinischen Betreuung von Typ-1- Diabetikern (von wenigen Ausnah- men abgesehen; 5, 7, 10) lediglich auf selektionierte Kohorten, zum Beispiel durch ein bestimmtes Diabetes-Zen- trum oder in einem bestimmten Sektor des Gesundheitswesens betreute Pati- enten. Mit der vorliegenden Untersu- chung konnte erstmals eine versor- gungsepidemiologische Dokumentati- on zur Behandlungsqualität von er- wachsenen Typ-1-Diabetikern vorge-

legt werden, wobei neben medizinisch- somatischen Parametern der Prozeß- und Ergebnisqualität und deren Risi- kofaktoren auch Lebensqualität und Therapiezufriedenheit sowie sozialme- dizinische Charakteristika erfaßt wur- den. Trotz der strengen Bedingun- gen des gesetzlichen Datenschutzes in der Bundesrepublik Deutschland ist es im Rahmen dieser Studie gelungen, ei- ne (nicht-selektioniert-)repräsentative Population von Typ-1-Diabetikern zu rekrutieren.

Die Studienresultate weisen in bezug auf verschiedene prozeß- und ergebnisanalytische Zielsetzungen der Sekundärprävention (zum Beispiel Stoffwechseleinstellung; Häufigkeit von diabetesspezifischen Vorsorgeun-

tersuchungen) vergleichsweise ausge- zeichnete Ergebnisse aus (12). Hin- sichtlich der Tertiärprävention, das heißt der Betreuung von Patienten, bei denen es bereits zu Folgeschäden des Diabetes gekommen ist, bestehen al- lerdings Defizite. Entsprechend der Studienhypothese ist die Ergebnisqua- lität der medizinischen Versorgung he- terogen und folgt einem deutlichen so- zialen Gradienten. Bei Typ-1-Diabeti- kern, die niedrigeren sozialen Schich- ten angehören, wurden höhere Raten von diabetischen Folgeschäden festge- stellt; dies konnte durch den Nachweis nachteiliger Befunde für die Risiko- faktoren (HbA1c, Blutdruck, Raucher- status) teilweise erklärt werden. Das Angebot des Gesundheitssystems be- züglich moderner effektiver Verfahren in Diagnostik und Therapie war dabei unabhängig von Sozialschichten; diese Angebote wurden jedoch schichtenab- hängig in unterschiedlichem Ausmaß wahrgenommen.

Versorgungsqualität bei Typ-1-Diabetes-mellitus

Eine Bevölkerungserhebung im Ärztekammerbezirk Nordrhein Michael Berger

Ingrid Mühlhauser Viktor Jörgens

Die Behandlungsqualität bei Typ-1-Diabetes-mellitus ist im Kammerbereich Nordrhein im Vergleich zu internationalen Erhebungen erfreulich gut. Von 684 repräsentativ ausge- wählten Patienten mit Typ-1-Diabetes führten 79 Prozent eine intensivierte Insulintherapie durch, 62 Prozent hatten an einem strukturierten Therapie- und Schulungspro- gramm teilgenommen, 80 Prozent hatten innerhalb der letzten 12 Monate eine augenärztliche Untersuchung der Retina; der mittlere HbA1cwar 8,0 ± 1,5 Prozent, die Inzi- denz schwerer Unterzuckerung betrug 0,21 Fälle pro Pati- ent und Jahr. In folgenden Bereichen bestehen Defizite:

Folgeschäden des Diabetes werden bei Typ-1-Diabetes

nicht in ausreichendem Maße erkannt und einer effektiven Therapie zuge-

führt. Die Einführung einer jährlichen Vorsorgeuntersu- chung zur Früherkennung von Folgeschäden des Diabetes mit strukturierten Vorgaben für die Dokumentation der Be- funde könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Für Typ-1-Diabetiker mit Folgeschäden ist das Betreuungsan- gebot in der ambulanten Versorgung, besonders in bezug auf Spezialambulanzen (für das diabetische Fußsyndrom, Nephrologie, Ophthalmologie), zu verbessern.

Schlüsselwörter: Typ-1-Diabetes-mellitus, HbA1c, schwere Unterzuckerung, Diabetes-Folgeschäden, Therapiequalität

ZUSAMMENFASSUNG

Quality of Care in Patients with Type 1 Diabetes

mellitus: A Population Based Study within the Northrhine Chamber of Physicians’ Area

Compared with international surveys, the overall quality of care for type 1 diabetes mellitus in the district of Northrhine appears to be quite satisfactory. On the basis of a comprehen- sive examination of 684 representative patients with type 1 diabetes, 79 per cent of patients were on intensified insulin therapy, 80 per cent had been seen by an ophthalmologist within the past twelve months, and 62 per cent of the patients had participated in a structured treatment and teaching

programme for self-treatment of their disease. The mean HbA1c-level was 8.0 ± 1.5 per cent and the

incidence of severe hypoglycaemia was 0,21 cases per patient per year. However, there were significant deficits with regard to the processes for early detection and treatment of microangio- pathic late complications of the disease. For type 1 diabetic patients with late complications, it is important to improve medical care by making specialized and quality-controlled outpatient clinics available throughout the whole country.

Key words: Type 1 diabetes mellitus, HbA1c, severe hypo- glycaemia, diabetes secondary sickness, quality of therapy

SUMMARY

Klinik für Stoffwechselkrankheiten und Er- nährung, WHO Collaborating Center for Diabetes (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h.c.

mult. Michael Berger), Heinrich-Heine-Uni- versität Düsseldorf

D

(2)

Durchführung der Studie

Rekrutierung der

repräsentativen Stichprobe Entscheidende Voraussetzung für die Validität der Studie war die Rekrutierung einer repräsentativen Population von Patienten mit Typ-1- Diabetes (12). Nach einem biometri- schen Stichprobenverfahren (rando- misierte Computerlisten) durch die Ärztekammer Nordrhein standen 630 primärärztlich ausgerichtete Pra- xen (Praktische Ärzte, Ärzte für Allgemeinmedizin, Internisten) für die Untersuchung zur Verfügung, wobei in 86 Prozent auswertbare Da- ten erhoben werden konnten. Die methodischen Einzelheiten sind an anderer Stelle dargestellt worden (12). Nach Zusendung der Projekt- unterlagen wurden alle Praxen tele- fonisch durch eine ärztliche Mitar- beiterin des Projektes kontaktiert.

Die Ärzte wurden gebeten, alle Typ- 1-Diabetiker, die die Einschlußkrite- rien erfüllten (über 18 Jahre alte Diabetiker, bei denen vor dem 31.

Lebensjahr eine Insulintherapie er-

forderlich wurde; ohne Ausschluß- kriterien; einschließlich Behinder- ten, Dauerhospitalisierten, Gastar- beitern und anderen) und die in ihrer Praxis betreut wurden (mindestens ein Praxiskontakt innerhalb des letzten Jahres), in eine Liste einzutragen (wofür pro Patient eine Aufwandsent- schädigung von 50 DM vergütet wurde) und jeden dieser Patienten zu bitten, auf einem Formblatt sein Ein- verständnis dazu zu dokumentieren, daß ihm ein Informationsschreiben über das Projekt zugesandt werden dürfe. Im Mittel wurden ein bis zwei Patienten pro Praxis betreut, was dem Erwartungswert aufgrund der Präva- lenz des Typ-1-Diabetes-mellitus ent- spricht. Nach Zusendung eines weite- ren Informationsschreibens an dieje- nigen Patienten, die ihr Einverständ- nis erklärt hatten, wurde seitens der Projektleitung mit den Patienten zwecks ihrer Einwilligung zur Teilnah- me an dem Projekt Kontakt aufge- nommen und gegebenenfalls ein Un- tersuchungstermin vereinbart. Insge- samt erfüllten 932 Patienten die Ein- schlußkriterien; von diesen nahmen 684 (73 Prozent) an der Studie teil.

Untersuchung der Typ-1-Diabetiker

Die Patienten wurden in einem Untersuchungsbus (Diabetes-Mobil, welches für diese Studie dankenswer- terweise von der Firma Boehringer Mannheim zur Verfügung gestellt wurde) an ihrem Wohnsitz in der Zeit von November 1995 bis Juli 1996 un- tersucht, gehbehinderte Patienten in ihrer Wohnung. Die Untersuchung be- inhaltete strukturierte Befragungen zur Anamnese, zu diabetesbezogenen Kenntnissen und Einstellungen, ver- schiedenen Aspekten der Lebensqua- lität und Therapiezufriedenheit, die Erhebung von psychosozialen und so- zialmedizinischen Charakteristika, ei- ne klinische Untersuchung, die Durch- führung einer Infrarot-Augenhinter- grunds-Photographie sowie eine labor- medizinische Untersuchung von Blut- und Urinproben sowie eine Überprü- fung der Qualität, mit der die Patien- ten ihre Blutzuckerselbstmessungen durchführten. Die entsprechende Me- thodik und ihre Evaluation wurden

früher von uns beschrieben (10). Die Erhebungen zur Diabetes-spezifi- schen Lebensqualität und Therapiezu- friedenheit erfolgten mit Hilfe der neuentwickelten DSQUOL-Methode (3). Die Untersuchung eines Patienten erforderte einen Zeitraum von 90 bis 120 Minuten. Alle Patienten und ihre Hausärzte wurden unmittelbar nach der Untersuchung schriftlich über die erhobenen Befunde unterrichtet. An- fang 1997 wurden alle Patienten und ihre Hausärzte mit einer 20seitigen Broschüre über die Ergebnisse der Untersuchung informiert.

Hinsichtlich der Hypothesenbil- dung sowie der Definition und Diffe- renzierung der Sozialklassen erfolgte im Rahmen des NRW-Forschungsver- bundes Public Health eine Koopera- tion mit dem Institut für Medizin- soziologie der Heinrich-Heine-Uni- versität Düsseldorf. Die Klassifika- tion des Sozialstatus erfolgte nach ei- nem in Deutschland entwickelten Sy- stem, welches Schulabschluß, berufli- che Stellung und Einkommen berück- sichtigt und das Untersuchungskollek-

tiv entsprechend in Quintilen (I = höchste, V = niedrigste soziale Klasse) einteilt. Eine eingehende Darstellung hinsichtlich der Sozialklassen-Eintei- lung und der Analyse der Abhängig- keit der Behandlungsqualität vom So- zialstatus der Patienten wurde an an- derer Stelle publiziert (13).

Ergebnisse

Das mittlere Alter der 684 unter- suchten Patienten betrug 36 (11) Jahre (Mittelwert [Standardabweichung]), die Diabetesdauer 18 (11) Jahre; 59 Prozent der Patienten waren Männer;

87 Prozent der Patienten waren C- Peptid-negativ.

Die prozeßanalytischen Daten wiesen einen hohen Standard der Be- treuungsqualität für die Patienten mit Typ-1-Diabetes-mellitus im Kammer- bezirk Nordrhein aus: Fast 80 Prozent der Patienten wurden mit einer intensi- vierten Insulintherapie behandelt; 62 Prozent der Patienten hatten an einem strukturierten Therapie- und Schu- lungsprogramm zur Intensivierung der Insulintherapie (entsprechend den Vorgaben der Deutschen Diabetes- Gesellschaft) teilgenommen; 96 Pro- zent der Patienten führten Blutzucker- selbstkontrollen durch, 88 Prozent be- saßen ein eigenes Blutzuckermeßgerät, und 78 Prozent paßten ihre Insulindo- sis selbständig an (ein Verhalten der Selbsttherapie, welches vor 20 Jahren von den führenden diabetologischen Meinungsbildnern in Deutschland noch strikt abgelehnt wurde). Bei 91 Prozent der Patienten war im Verlauf der vergangenen zwölf Monate eine Bestimmung des Glykohämoglobins (HbA1c) vorgenommen worden (bei 61 Prozent der Patienten mindestens dreimal im vergangenen Jahr). Bei 80 Prozent der Patienten war im vergan- genen Jahr eine Untersuchung des Au- genhintergrundes vorgenommen wor- den; bei 81 Prozent der Patienten war der Blutdruck durch den Hausarzt im vergangenen Jahr mindestens einmal (bei 30 Prozent > viermal) gemessen worden, und bei 81 Prozent der Patien- ten war schon einmal eine Pallästhe- sie-Prüfung mit Hilfe der Rydel-Seif- ferschen-Stimmgabel vorgenommen worden. Bestimmte Verhaltensweisen wurden im Rahmen der Untersuchung

(3)

unmittelbar geprüft: 85 Prozent der Patienten trugen sogenannte Notkoh- lenhydrate (zur Behandlung/Abwen- dung einer Unterzuckerung) bei sich;

86 Prozent der Patienten erzielten bei einer kontrollierten Blutzuckerselbst- messung ein akzeptables Ergebnis (Abweichung gegenüber der simultan durchgeführten Labormethode < 20 Prozent). – Enttäuschend war der mit 42 Prozent hohe Anteil der Raucher unter den Patienten.

Einige Befunde wiesen entspre- chend einem Sozialgradienten abge-

stufte Unterschiede innerhalb des untersuchten Patientenkollektivs auf.

Angehörige höherer sozialer Klassen führten häufiger eine intensivierte In- sulintherapie und selbständige Insu- lindosisanpassungen durch, hatten häufiger ihre Diät liberalisiert und hatten häufiger an einem stationären strukturierten Therapie- und Schu- lungsprogramm teilgenommen; sie hatten weniger häufig Kontakte mit ihren Hausärzten und waren weniger häufig stationär behandelt worden, suchten aber häufiger eine Diabetes- Ambulanz auf und waren häufiger Mitglied in einer Patienten-Selbsthil- fe-Gruppe beziehungsweise -Vereini- gung. Dieser Sozialgradient war je- doch nicht auf eine unterschiedliche primärärztliche Betreuung zurückzu- führen: die Angaben der Patienten, nach denen ihnen die Teilnahme an aufwendigeren Therapieverfahren seitens ihrer Hausärzte empfohlen worden war, wiesen keine Sozial- schichtenabhängigkeit auf.

Wesentliche Parameter der Ergeb- nisqualität der Therapie im Hinblick auf die Sekundärprävention (Verhin- derung mikroangiopathischer diabeti- scher Folgeschäden) sind in Tabelle 1 zusammengefaßt. Sie stellen ein, im in- ternationalen Vergleich gesehen, her- vorragendes Zeugnis für das Gesund- heitssystem in NRW und die hier be- treuten Patienten aus. Die diabetische Ketoazidose konnte im Kammerbezirk Nordrhein praktisch eradiziert werden.

Trotz dieses insgesamt positiven Ge- samtbildes zeichnete sich jedoch ein

deutlicher Sozialgradient mit abgestuft besseren Befunden bei den Angehöri- gen höherer Sozialklassen ab.

So erreichten die Patienten der nach Quintilen definierten höchsten sozialen Klasse I (n = 131) einen mitt- leren HbA1cvon 7,6 (1,2) Prozent und die 130 Patienten der Klasse V le- diglich 8,4 (1,7) Prozent. Auch die In- zidenz der Ketoazidose war entspre- chend diesem Sozialgradienten abge- stuft (keiner der Patienten in Gruppe I hatte im vergangenen Jahr eine Ke- toazidose, während fünf Prozent der Patienten in Gruppe V eine Ketoazi- dose erlitten hatten), während sich für das relative Körpergewicht ebenso wie für den Besitz eines Blutzucker- meßgeräts und die Genauigkeit der Selbstmessung keine derartigen Ab- hängigkeiten ergaben. Die sozialen Unterschiede in der Häufigkeit des Zigarettenrauchens, die aus der Ge- samtbevölkerung bekannt sind, spie- gelten sich auch hier (26 Prozent ge- genüber 48 Prozent Raucher) wider.

Als eine Konsequenz aus dem So- zialgradienten für die Qualität der Stoffwechseleinstellung ergab sich in dieser Querschnittserhebung eine ent- sprechende Abhängigkeit der Präva- lenz der Folgeschäden vom Sozialsta- tus der Patienten. Im Gesamtkollektiv waren 67 Prozent der Patienten ohne irgendwelche Anzeichen für eine Nie- renschädigung, bei 21 Prozent ergaben sich Anzeichen für eine inzipiente Nephropathie (Mikroproteinurie), und bei 12 Prozent lag eine klinisch mani- feste diabetische Nephropathie vor.

Dabei war die Prävalenz der diabeti- schen Nephropathie in der höchsten Sozialklasse I mit 7 Prozent deutlich niedriger als in der niedrigsten Sozial- klasse V mit 20 Prozent. Ähnlich war bei einer Prävalenz für das Gesamtkol- lektiv von 48 Prozent die Häufigkeit der diabetischen Retinopathie in der Klasse I mit 45 Prozent niedriger als in der Klasse V mit 57 Prozent. Schließ- lich war auch die Prävalenz von Fuß- komplikationen in der Klasse V (11 Prozent) mehr als doppelt so hoch als im Gesamtkollektiv (5 Prozent).

Im Hinblick auf die Ergebnis- Qualität der Betreuung des Typ-1- Diabetikers zur Tertiärprävention (Verhinderung des Fortschreitens be- reits eingetretener Folgeschäden) er- geben sich in dieser Untersuchung Defizite.

Nur 69 Prozent der Patienten meinten, daß bei ihnen irgendwann einmal eine Bestimmung der Protein- urie/Albuminurie durchgeführt wor- den sei; nur 42 Prozent der Patienten mit einer Diabetesdauer von mehr als zehn Jahren hatten in den letzten zwölf Monaten vor dieser Erhebung eine Fußuntersuchung; und 51 Prozent der Patienten konnten sich nicht daran er- innern, jemals außerhalb eines sta- tionären Aufenthalts eine Fußuntersu- chung bekommen zu haben.

Bei 21 Prozent der Patienten war eine arterielle Hypertonie bekannt; da- von führten 65 Prozent Blutdruck- selbstkontrollen durch, aber nur 80 Prozent wurden medikamentös anti- hypertensiv behandelt. Von den 147 Patienten mit bekannter arterieller Hypertonie hatten nur 20 Prozent nor- male Blutdruckwerte <140/90 mmHg, und bei 56 Prozent war der Blutdruck mit >160/95 mmHg erfolglos behan- delt (uncontrolled) (Tabelle 2). Zwar Tabelle 1

Parameter der Therapie-Ergebnisqualität (Sekundärprävention) bei 684 repräsentativ ausge- wählten Patienten mit Typ-1-Diabetes im Kammerbezirk Nordrhein

Variable Mittelwert (Standardabweichung)

HbA1c 8,0 (1,5)

(HPLC-Methode;

Referenzbereich bis 6,1%)

Inzidenz der Ketoazidose 0,03

(Fälle pro Patient im letzten Jahr) Schwere Hypoglykämie in den

letzten 12 Monaten bei % der Patienten 13%

Inzidenz pro Patient pro Jahr 0,21

Bodymass-Index kg x m-2 24,6 (3,4)

(4)

wurde der Blutdruck bei den hyperten- siven Patienten vom Hausarzt in der Klasse V häufiger gemessen, die Qua- lität der Blutdruckeinstellung war aber deutlich schlechter als in den höheren sozialen Klassen. Dementsprechend ergaben sich auch für alle in Tabelle 2 aufgeführten Endzustände mikroan- giopathischer Komplikationen eindeu- tige soziale Gradienten zuungunsten der niedrigen Sozialklassen. Schließ- lich zeigten die hier nicht dargestellten umfangreichen Erhebungen zur Le- bensqualität und zu den individuellen Erwartungen an die und der Zufrie- denheit mit der Therapie ebenfalls deutliche soziale Gradienten (3, 13).

Kommentar der

Untersuchungsergebnisse

Das Projekt belegt, daß trotz der rigiden Vorschriften des individuel- len Datenschutzes mit entsprechend großem Aufwand systematische ver- sorgungsepidemiologische Untersu- chungen zur Qualität der medizini- schen Betreuung chronisch Kranker durchgeführt werden können.

Im Kammerbezirk Nordrhein führen die Patienten mit Typ-1-Diabe- tes zu 79 Prozent die intensivierte In- sulintherapie durch und weisen im in- ternationalen Vergleich sehr gute Er- gebnisse hinsichtlich der Stoffwechsel- einstellung (HbA1c, Inzidenz akuter Komplikationen) aus. Trotz der Emp- fehlungen, die die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft aufgrund des Diabetes Control and Complication Trial (1) gegeben hat, wird der Anteil der Typ-1-Diabetiker, die in den USA eine intensivierte Insulintherapie durchführen, derzeit auf lediglich zir- ka zwölf Prozent geschätzt. Im Ver- gleich zu dem hier festgestellten mitt- leren HbA1c-Wert von 8,0 Prozent lag der HbA1c in einer Populationsstudie in den USA im Zeitraum 1990 bis 1992 bei im Mittel 9,4 Prozent (7).

Dieser Erfolg ist im wesentlichen auf die Teilnahme der Patienten an strukturierten Therapie- und Schu- lungsprogrammen im Rahmen von kurzfristigen stationären Behandlun- gen (fünf bis zehn Tage) zurückzu- führen. Effektivität und Sicherheit die- ser Form der intensivierten Insulinthe- rapie sind nicht nur in einer Vielzahl

von klinischen Studien (11), sondern auch durch laufende Qualitätskon- trollen der der Arbeitsgemeinschaft für Strukturierte Diabetes-Therapie (ASD) der Deutschen Diabetes-Ge- sellschaft angehörenden Kliniken nachgewiesen (14). Dabei konnte auf- grund von Nachuntersuchungen ein Jahr nach dem stationären Therapie- und Schulungsprogramm kürzlich bei 1 103 Patienten ein mittlerer HbA1c- Wert äquivalent von 7,4 Prozent doku- mentiert werden (14). In diesem Zu- sammenhang ist es bemerkenswert,

daß der Kammerbezirk Nordrhein (mit 9,5 Millionen Einwohnern) sicher inso- fern nicht repräsentativ für die Bundes- republik Deutschland (82 Millionen Einwohner) ist, als hier 12 von 57 Mitgliedseinrichtungen der ASD orts- ansässig sind und damit deren Dichte fast doppelt so groß ist wie bundesweit.

Eine Verbesserung der Betreu- ung der Typ-1-Diabetiker ist aller- dings dringlich geboten, wenn es um die systematische Früherkennung von mikroangiopathischen Folgeschäden des Typ-1-Diabetes und um die Ver- hinderung ihrer Progredienz geht.

Die Frequenz der ophthalmolo- gischen Untersuchungen zur Früher- kennung und eventuellen Laserthera- pie der diabetischen Retinopathie

kommt in prozeßanalytischer Sicht den offiziellen Anforderungen (16) erfreulich nahe; es besteht aber der- zeit leider noch keine Möglichkeit, die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen der Augenärzte einer Qualitätskontrolle zu unterziehen.

Der gemeinsam von Augenärzten und Diabetologen erarbeitete „Augenfach- ärztliche Untersuchungsbogen“ stellt einen ersten Ansatz in dieser Rich- tung dar (8).

Die entscheidende Maßnahme zur Verbesserung der Prognose bei bereits

eingetretener diabetischer Nephropa- thie ist – neben der Optimierung der Blutzuckereinstellung und der Zigaret- tenabstinenz sowie der Früherkennung von Mikroproteinurie und Blut- druckerhöhung – vor allem die konse- quente medikamentöse Therapie des erhöhten Blutdrucks. Diesbezüglich er- geben sich in der vorliegenden versor- gungsepidemiologischen Analyse er- hebliche Defizite. Den derzeit im we- sentlichen für die Langzeitbetreuung der Patienten verantwortlichen Haus- ärzten gelingt es nicht in ausreichen- dem Maße, den arteriellen Hypertonus bei Typ-1-Diabetikern mit Nephropa- thie erfolgreich zu behandeln. Die Ein- stellung der Hypertonie bei diesen Pati- enten ist aufwendig und schwierig: ei- Tabelle 2

Parameter der Therapie-Ergebnisqualität (Tertiärprävention) bei 684 repräsentativ ausgewähl- ten Patienten mit Typ-1-Diabetes im Kammerbezirk Nordrhein

Variable aus einer Kohorte Prävalenz

von n in Prozent

Arterieller Blutdruck

Hypertonie bekannt 684 21

Hypertonie unbekannt, aber 684 5,4

RR > 160/96 mmHg Bei bekannter Hypertonie (n = 147)

RR < 140/90 mmHg 147 20

RR erfolglos behandelt 147 56

(> 160/95 mmHg) Zigarettenrauchen

Männer 402 46

Frauen 282 35

Endzustände mikroangiopathischer Folgeschäden

Erblindung auf mindestens einem Auge 684 5

Nierenersatztherapie 684 3

Fußkomplikationen 684 5

(ulcera, Amputation)

(5)

nerseits bestehen besondere Akzep- tanzprobleme, und andererseits beste- hen komplizierend zumeist noch ande- re Folgeschäden wie die autonome Neuropathie oder periphere und ko- ronare Durchblutungsstörungen oder Visuseinschränkungen. Zur Verbesse- rung der Behandlungserfolge wurde daher für diese Patienten ein spezielles Hypertonie-Therapie- und Schulungs- programm entwickelt (9). Wir haben kürzlich zeigen können, daß durch die Betreuung in einer Spezialambulanz die Mortalität und die Inzidenz des ter- minalen Nierenversagens bei Typ-1- Diabetikern mit diabetischer Nephro- pathie erheblich verbessert werden können (19). Im Rahmen dieser Spezi- alambulanz ist es sogar möglich, auch bei blinden Patienten eine gute Einstel- lung von Blutzucker und Blutdruck zu erzielen (18); bei einer größeren Grup- pe von Patienten mit Typ-1-Diabetes und diabetischer Nephropathie konnte im Rahmen einer derartigen Spezialbe- treuung sogar für mindestens zwei Jah- re eine Arretierung der Nierenschädi- gung (Verhinderung des Abfalls der glomerulären Filtrationsrate) erreicht werden (20). Diese Möglichkeiten der Optimierung der Therapie (Tertiär- prävention) bei Typ-1-Diabetikern mit diabetischer Nephropathie (und mikroangiopathischem Spätsyndrom) durch eine Diabetes-Spezialambulanz stehen im Kontrast zu der Qualität der gegenwärtigen Regelbetreuung unse- res Gesundheitssystems, wie es sich auch in dieser Studie dargestellt hat.

In entsprechender Weise deckt diese Studie Defizite hinsichtlich der Früherkennung sowie der entsprechen- den Patienteninstruktionen und Thera- pie des Syndroms des diabetischen Fußes auf. Auch diesbezüglich ist die besondere Effektivität von spezieller Betreuung (sogenannte Fußambulan- zen) für den diabetischen Fuß insofern gesichert, als dadurch eine massive Ver- ringerung der Beinamputationen er- reicht werden kann (4, 15).

Der Erfolg der lebenslangen me- dizinischen Betreuung des Typ-1-Dia- betes (Vermeidung mikroangiopathi- scher Folgeschäden und akuter Stoff- wechselentgleisungen sowie eine mög- lichst geringgradige Einschränkung der Lebensqualität durch die Erkran- kung) ist von der Effektivität des trian- gualen Systems aus primärärztlich täti-

gem Hausarzt, Krankenhaus-Spezial- abteilung, Diabetes-Spezialambulanz (und/oder gegebenenfalls Diabetes- Schwerpunktpraxis) abhängig. Alle diese Einrichtungen sind einer lau- fenden Qualitätskontrolle von Prozeß und Ergebnis zu unterziehen. Ihre Aufgaben stellen sich wie folgt dar:

aufgrund der Teilnahme an einem strukturierten (im Rahmen des ASD laufend qualitätsgesicherten) statio- nären Therapie- und Schulungspro- gramm wird die intensive Insulinthera- pie eingeführt, und der Patient erlernt

die Grundlagen für eine weitgehend ei- genständige Selbsttherapie; darin wird er nachfolgend von seinem Hausarzt unterstützt, der zusätzlich in regel- mäßigen Abständen Kontroll- und Früherkennungsuntersuchungen vor- nimmt. Die Durchführung dieser Kon- trollfunktionen kann durch spezielle Erhebungsinstrumente qualitätsgesi- chert werden (6, 17), die sich aber leider noch nicht durchgesetzt haben.

Im Rahmen des Shared-care-Konzep- tes wird empfohlen, Typ-1-Diabetiker auch ohne spezielle Probleme etwa einmal pro Jahr in einer Diabetesam- bulanz (oder gegebenenfalls in einer Diabetes-Schwerpunktpraxis) vorzu- stellen; hier ist auch die fortlaufende Durchführung einer adäquaten Qua- litätskontrolle aus institutionellen Gründen einfacher.

Ist bei dem Patienten ein Spät- syndrom mikroangiopathischer Fol- geschäden aufgetreten, bedarf es ei- ner (Mit-)Betreuung in Spezialam- bulanzen/Sprechstunden (Diabetes- ambulanz; Spezialambulanz für das diabetische Spätsyndrom, Spezialam- bulanz für den diabetischen Fuß;

ophthalmologische Spezialsprech- stunde). Die vorliegende Untersu- chung zeigt, daß die Versorgung der Minderheit des Patientenkollektivs, bei der bereits Folgeschäden des Dia- betes eingetreten sind, gravierende

Defizite aufweist. Diese Mängel zeig- ten sich insbesondere bezüglich der prognostisch so extrem bedeutsamen medikamentösen Normalisierung des Hypertonus sowie auch hinsichtlich der Diagnostik und Therapie des dia- betischen Fußsyndroms. Gerade auf diesen Gebieten sind durch die Ein- richtung von Spezialambulanzen große Erfolge erzielt worden (4, 15, 19). Ein Beleg dazu, daß diese Spezi- alaufgaben auch von Diabetes- Schwerpunktpraxen übernommen werden können, steht bislang aus. Der Nachweis der Betreuungsdefizite in dieser Studie macht die Forderung nach der Einrichtung von Diabetes- Spezialambulanzen, die sich einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle unterziehen, zu einer dringlichen Vor- aussetzung dafür, die Forderungen der WHO, der Internationalen Dia- betes Federation und des deutschen Bundesgesundheitsministers nach ei- ner Verbesserung der Betreuungsqua- lität bei Diabetes mellitus (2) in unse- rem Lande zu erfüllen. Diabetes- Schwerpunktpraxen könnten eben- falls einen wichtigen Beitrag zur qua- lifizierten Betreuung dieser Patienten leisten. Eine kontinuierliche Erhe- bung von Daten zur Prozeß- und Er- gebnisqualität bei allen Typ-1-Dia- betikern sollte in beiden Bereichen (Ambulanz und Schwerpunktpraxis) die Voraussetzung einer Vergütung der Behandlung von Typ-1-Diabeti- kern darstellen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-2770–2774 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult.

Michael Berger

Klinik für Stoffwechselkrankheiten und Ernährung

WHO Collaborating Center for Diabetes Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Die Arbeit wurde gefördert durch den For-

schungsverbund Public Health NRW (Projekt II- C-7); eine enge Zusammenarbeit erfolgte mit der Ärztekammer Nordrhein (Präs. Prof. Dr.

Hoppe) und der Projektgeschäftsstelle Qua- litätssicherung bei der Ärztekammer Nord- rhein, Düsseldorf (Dr. K. V. Josten, Dr. H.-G.

Huber) sowie mit Prof. Dr. J. Siegrist (Institut für Medizinsoziologie der Universität Düsseldorf).

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