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Archiv "Sichelzellerkrankungen in Deutschland: Verlaufsbeobachtungen über zehn Jahre" (26.06.1998)

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Academic year: 2022

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(1)

ichelzellerkrankungen haben seit der in den sechziger Jah- ren begonnenen Einwande- rung aus Südeuropa und der Aufnah- me von Asylanten aus Afrika in den letzten Jahren einen festen Platz im Krankheitsspektrum unseres Landes.

Von den 7,3 Millionen Einwanderern (Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Dezember 1996) kommen zirka vier Millionen aus Ländern, in denen Hä- moglobinerkrankungen wie Thalass- ämien und Hämoglobinopathien häu- fig sind (Tabelle 1).

Zur Zeit leben etwa 300 bis 350 Kinder und Erwachsene mit Sichel- zellerkrankungen in Deutschland.

Ein großer Teil dieser Patienten ist in einer seit 1987 bestehenden Langzeit- verlaufsstudie registriert und wird in Kliniken und Praxen betreut, die über die Studienzentrale sowohl Richtlinien zur Behandlung als auch aktuelle Informationen über die Er- krankung erhalten. Wir berichten über die Erfahrungen, die in zehn Jahren mit diesem Patientenkollektiv

gesammelt wurden. Die Ausgangsda- ten sind 1990 bereits veröffentlicht worden (4).

Studienaufbau und Ziele

Mitte 1987 wurde an deutschen Kinderkliniken/-abteilungen eine Umfrage durchgeführt über die Zahl der dort betreuten Sichelzellpatien- ten. Alle pädiatrischen Abteilungen wurden zur Teilnahme an einer Studie eingeladen, die zum Ziel hat, demo- graphische und klinische Daten der in Deutschland lebenden Sichelzellpati- enten zu erheben, Information über die Erkrankung zu vermitteln und die

Behandlung von Sichelzellpatienten in Deutschland einheitlich internatio- nalem Standard anzupassen. Patien- tendaten werden über Fragebögen eingeholt, die alle sechs Monate an die Studienteilnehmer versandt wer- den. Von 1991 bis 1995 wurde die Stu- die gefördert vom Bundesministeri- um für Forschung und Technologie.

Studienteilnehmer erhielten ein Stu- dienprotokoll mit einem Leitfaden zur Behandlung der verschiedenen Krankheitsmanifestationen.

Während der Förderphase schick- te das Hämoglobinlabor in Ulm die Studienunterlagen an alle Einsender von Hämoglobin-Analysen, bei denen eine Sichelzellerkrankung festgestellt wurde. Dazu fehlen jetzt leider die Mittel.

Demographische Daten

Während der zehnjährigen Lauf- zeit der Studie wurden 265 Sichelzell- patienten, 131 männlich, 134 weiblich,

Sichelzellerkrankungen in Deutschland

Verlaufsbeobachtungen über zehn Jahre Roswitha Dickerhoff

1

Alexander von Rücker

2

Elisabeth Kohne

3

Stichwörter: Hämoglobinerkrankungen, Sichelzellerkran- kungen, Schmerztherapie, Knochenmarktransplantation In Deutschland gibt es etwa 350 Kinder und Erwachsene mit Sichelzellerkrankungen, überwiegend in den alten Bundesländern. Sichelzellerkrankungen sind schwere Er- krankungen mit Manifestationen an fast allen Organsyste- men und vielfältigen psychosozialen Problemen. Die Le- bensqualität betroffener Individuen ist erheblich einge- schränkt und die Lebenserwartung deutlich verkürzt. Im Rahmen der Sichelzellstudie ist es in den letzten zehn Jah- ren gelungen, 265 Sichelzellpatienten in Deutschland zu

registrieren, ihren klinischen Verlauf zu verfolgen und betreuenden Ärzten

durch Beratung zu mehr Sicherheit im Umgang mit dieser für uns relativ neuen Erkrankung zu verhelfen. Die Thera- pie der Studienpatienten wird gemäß international aner- kannter Richtlinien durchgeführt: Schmerztherapie nach dem WHO-Dreistufen-Plan, Transfusionen nach strenger Indikation, Knochenmarktransplantation gemäß strikter Kriterien, Hydroxyharnstoff-Therapie ausgewählter Pati- enten. Damit konnte die Lebensqualität merklich gestei- gert werden.

ZUSAMMENFASSUNG

Key words: Hemoglobin disorder, sickle cell disease, analgesia, bone marrow transplantation

About 350 children and adults with sickle cell disease cur- rently live in Germany, predominantly in former West Ger- many. Sickle-cell disease is a severe disease with manifesta- tions in almost all organ systems and a multitude of psy- chosocial problems. Quality of life is considerably reduced and life expectancy of patients shortened. During the past ten years, 265 patients were registered in the German Sick- le Cell Surveillance Study, and their clinical course was

documented. Physicians acquired confidence in dealing with this relatively new disease in

Germany through information and consultation. Study patients are being treated according to internationally accepted management guidelines: analgesia according to the 3-step WHO plan, transfusions when strictly necessary, bone marrow transplant according to defined eligibility criteria, hydroxyurea treatment for selected patients. By adhering to these principles, quality of life of the study patients markedly improved.

SUMMARY

S

1 Johanniter Kinderklinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Klaus von Schnakenburg), Akademi- sches Lehrkrankenhaus der Universität Bonn, St. Augustin

2 Institut für Klinische Biochemie (Direktor:

Prof. Dr. Dr. med. Frank Bidlingmaier), Rhei- nische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

3 Universitäts-Kinderklinik (Direktor: Prof. Dr.

Dr. med. Klaus-Michael Debatin), Ulm

(2)

aus 97 verschiedenen Kliniken oder Praxen gemeldet (Grafik 1). Diese 265 Patienten wurden über 1 056 Pati- entenjahre beobachtet. Die individu- elle Beobachtungszeit für die ein- zelnen Patienten reicht von wenigen

Monaten bis zehn Jahre. Die Her- kunft der Patienten ist aus Grafik 2 er- sichtlich. Während in den Anfangs- jahren der Studie die Mehrzahl der Patienten aus der Türkei kam, hat die Zuwanderung von Asylanten aus den Bürgerkriegsländern Schwarz- afrikas, in denen die Prävalenz der Trägerschaft für das Hämoglobin S sehr hoch ist, zu einer erheblichen Veränderung im ethni-

schen Spektrum unserer Patienten geführt.

Im Juli 1997 waren noch 168 Patienten an der Studie beteiligt. Da- von sind 20 Patienten seit Beginn, das heißt seit zehn Jahren, in der Stu- die. Sechs Patienten sind an ihrer Erkrankung ver- storben, 32 in ihre Hei- mat zurückgekehrt und 59 sind aus verschiede- nen Gründen aus der Studie ausgeschieden:

der Arbeitsaufwand der Verlaufsbögen erschien den betreuenden Kolle- gen zu hoch; neue Be- treuer waren nicht inter- essiert an der Studie bei Wechsel der Patienten aus der Pädiatrie in inter- nistische Klinik/Praxis;

Patienten waren mit un- bekannter Adresse ver- zogen. An der Studie be-

teiligt sind derzeit 74 pädiatrische und 15 internistische Kliniken oder Pra- xen.

Das Alter der jetzt noch an der Studie beteiligten Patienten reicht von wenigen Wochen bis 36 Jahre. 48 Patienten sind Kleinkinder, das heißt jünger als fünf Jahre. Zirka ein Drittel der Patienten ist älter als 15, und etwa ein Viertel ist älter als 18 Jahre.

Phänotyp und Genotyp der Studienpatienten

Die Phänotypen der 265 Studien- patienten sind aus Tabelle 2 ersicht- lich. Die meisten Patienten waren homozygot für HbS. Alle Patienten aus dem Mittelmeerraum und West- afrika sind, bis auf eine Ausnahme (Benin/Senegal), homozygot für den Haplotyp Benin (9). Alle unsere Pati- enten aus Zentralafrika (Angola, Uganda, Kongo, Zaire) haben den Haplotyp Bantu/Bantu. Da unsere Bantu-Patienten wesentlich jünger waren und kürzere Zeit an der Studie teilnahmen als die Benin-Patienten, konnten Unterschiede in der Schwere der Erkrankung nicht objektiviert werden. Ob gleichzeitig eine Form der

a-Thalassämie vorliegt, wurde nur bei einem kleinen Teil der Patienten un- tersucht.

Diagnose

Bei den in Deutschland diagno- stizierten Studienpatienten wurde die Diagnose gestellt, entweder

a) weil bei einer aus verschiede- nen Gründen veranlaßten Blutunter- suchung eine Anämie festgestellt wur- de,

b) weil bei einem krankheitsspe- zifischen Ereignis wie Schmerzkrise, Milzsequestration, ZNS-Infarkt an

die Möglichkeit der Sichelzellerkran- kung gedacht wurde,

c) weil ein Geschwister bereits er- krankt war.

Die Blutfarbstoffanalysen wur- den zum größten Teil im Hämoglobin- labor der Universitäts-Kinderklinik Ulm durchgeführt.

Klinische Manifestationen

Von den 265 Studienpatienten hatten 41 zu keinem Zeitpunkt der Beobachtungszeit Symptome. Es han- delte sich bei diesen Patienten aller- dings ausschließlich um Säuglinge und junge Kleinkinder oder um Patienten, die nur sehr kurze Zeit an der Studie teilnahmen. Alle anderen Patienten hatten eine oder mehrere Krankheits- manifestationen (Tabelle 3). Alle bei Sichelzellpatienten beschriebenen Komplikationen traten bei unseren Patienten auf (3, 12).

Die häufigsten Ereignisse waren Schmerzkrisen (11). 184 der 265 Studi- enpatienten hatten 1 362 Schmerzkri- sen während des Beobachtungszeit- raumes von 1 056 Patientenjahren. 782 Infektionen wurden bei 172 Patienten

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Tabelle 1

Einwanderer aus Risikoländern für Hämo-

globinerkrankungen

Griechenland 362 539

Italien 599 429

Türkei 2 049 060

Afrika 298 643

Asien 743 468

Summe 4 053 139

Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden Dezember 1996

Tabelle 2

Phänotyp von 265 in Deutschland lebenden Sichelzellpatienten

HbSS 196

HbSThal 47

HbSC 14

HbSD 3

HbSOArab 3

HbSLepore 2

Grafik 1

Dargestellt sind 97 Kliniken und Praxen in Deutschland, die Teilnehmer der Sichelzellstudie betreuten oder noch betreuen.

(3)

im gleichen Zeitraum dokumentiert.

Die meisten dieser Infektionen waren Infekte der oberen und unteren Luft- wege. Pneumokokkensepsis wurde einmal, Sepsis mit anderen Erregern wurde siebenmal dokumentiert. Drei Patienten hatten eine Malaria tropica, acht eine Osteomyelitis. Bei 39 aplasti- schen Krisen wurde achtmal Parvovi- rus B19 nachgewiesen (16). Leider wurde nicht in allen Fällen von aplasti- scher Krise nach Parvoviren gesucht.

Schwere, potentiell lebensbe- drohliche Ereignisse wie ZNS-Infark- te oder Blutungen, akute Thorax- Syndrome oder große Milzsequestra- tionen beobachteten wir bei 48 Pati- enten (10, 12, 18, 19). Von den 49 Pati- enten, die älter als 15 Jahre sind, ha- ben 37 chronische Organschäden be- ziehungsweise chronische Beschwer- den. Sechs der Studienpatienten, vier Kinder und zwei Erwachsene, verstar- ben im Beobachtungszeitraum an Komplikationen der Erkrankung.

Prophylaxe

Die Penicillinprophylaxe, die ab dem dritten Lebensmonat bis minde- stens zum fünften Lebensjahr not- wendig ist zur Vermeidung fulminan- ter Pneumokokkensepsen, erhielten 24 von 33 Kindern, die jünger als fünf Jahre waren (7). Die Pneumovaximp- fung, die ab dem zweiten Lebensjahr indiziert ist, haben 128 der 265 Pati- enten bekommen. Kein Studienpati- ent verstarb an einer Pneumokok- kensepsis. Pränatale Diagnostik wur- de von 15 Familien, die bereits ein be- troffenes Kind hatten, gewünscht und bei ihnen durchgeführt (8).

Therapie

Da die einzige kurative Thera- pie, die Knochenmarktransplantation (KMT), nur für wenige Patienten mög- lich ist, beschränkt sich die Behand- lung der meisten Patienten auf sympto- matische Maßnahmen wie Analgetika und Hydrierung bei Schmerzkrisen be- ziehungsweise Transfusionen bei be- stimmten Indikationen.

1 symptomatische Therapie:

Allen Studienteilnehmern wur- den Leitlinien für die Behandlung der

bei Sichelzellpatienten zu erwarten- den Komplikationen zur Verfügung gestellt. Diese Leitlinien wurden stän- dig überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Die neueste Version ist von Mai 1997.

Die Basis der Therapie von Schmerzkrisen ist nach wie vor ausrei- chende Hydrierung und eine Analge- sie, die der Intensität der Schmerzen angepaßt ist (1, 3). Die hierfür gelten- den Richtlinien wurden inzwischen re- vidiert und neuen Er- kenntnissen angepaßt (6) (Tabelle 4). Befürchtun- gen, durch gelegentliche Opiatgabe zur Beherr- schung stärkster Schmer- zen Abhängigkeit zu er- zeugen, sind unbegründet (1). Patienten mit starken Schmerzen dürfen und müssen Opiate bekom- men, allerdings unter strengster Überwachung der Vitalparameter, um Hypoventilation und Hy- poxie zu vermeiden.

Transfusionen sind nur in einigen wenigen Si- tuationen streng indiziert (Tabelle 5). Sie haben kei- nen Platz in der Therapie der akuten Schmerzkrise.

Partielle Austauschtrans- fusionen dagegen haben ein wesentlich breiteres Indikationsspektrum und sind lebensrettend bei akutem Organversagen verschiedenster Ursache (10, 14, 20, 22).

Beeinflußt durch die Studienarbeit hat die Zahl der Transfusionen bei Sichelzellpatienten in Deutschland in den letz- ten zehn Jahren erheb- lich abgenommen, das heißt die Indikationen werden wesentlich stren- ger gestellt. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 14 Pa- tienten auf einem chro- nischen Transfusionspro- gramm aus folgenden Gründen: fünfmal ZNS- Infarkt, dreimal rezidi- vierende akute Tho- rax-Syndrome, sechsmal schwere rezidivierende Schmerzkrisen.

Bei acht Patienten, die chronisch transfun- diert wurden ohne stren- ge Indikation, wurde nach Subsaharisches Afrika 114

Südamerika 3 Arabische Länder 27

Asien 4 Türkei 95 Griechenland 8 Italien 14 Herkunft von 265 Sichelzellpatienten in Deutschland Grafik 2

Tabelle 3

Klinische Ereignisse bei 265 Sichelzellpatienten während 1 056 Patientenjahren

Diagnosen Betroffene Anzahl der

Patienten Ereignisse

Milzsequestration 37 50

Splenektomie 31 –

Cholelithiasis 46

Cholezystektomie 22 –

Akutes Thorax-Syndrom 30 44

Aseptische

Knochennekrose 19 22

Endoprothesen 2 3

Hämaturie 11 12

ZNS-Infarkt 8 9

ZNS-Blutung 2 2

Priapismus 5 12

Unterschenkel-Ulzera 5 6

Prolif. Retinopathie 5 –

Nephrotisches Syndrom 1 –

Ulcus duodeni 1 2

Todesfälle 6 –

(4)

Konsultation mit der Studienzentrale auf weitere Transfusionen verzichtet.

1 Knochenmarktransplantation:

Seit 1993 ist die Studienleitung Mitglied einer internationalen Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Indikationen zur KMT bei Kin- dern und Erwachsenen mit Sichelzell- erkrankungen zu erarbeiten, spezielle KMT-Protokolle für diese Patienten- gruppe aufzustellen und den Verlauf transplantierter Patienten kritisch zu verfolgen. Bei drei Studienpatienten wurde wegen schwerer rezidivierender akuter Thorax-Syndrome eine alloge- ne KMT von einem Familienspender durchgeführt (Brüssel, Tübingen, Ber- lin). Bei einem der transplantierten Kinder kam es sechs Monate nach KMT zu einer Abstoßung und Restitu- tion des eigenen Knochenmarkes. Die beiden anderen Kinder (fünf und zwei- einhalb Jahre nach Transplantation) sind jetzt symptomfrei und können als geheilt betrachtet werden (5, 13, 21).

1 Hydroxyharnstoff-Therapie:

Seit einigen Jahren ist bekannt, daß Sichelzellpatienten mit häufigen schweren Schmerzkrisen oder rezidi- vierendem akutem Thorax-Syndrom eine klinische Besserung erfahren durch Einnahme von Hydroxyharn- stoff (HU) (2, 15, 17). Die Substanz, ein Zytostatikum, führt bei den mei- sten Sichelzellpatienten zu einem An- stieg des HbF-Spiegels, aber auch zu Veränderungen der Erythrozyten- eigenschaften. Im Rahmen unserer Studie werden seit 1995 einzelne, aus- gesuchte Patienten mit besonders schwerem Verlauf mit HU behandelt, wenn eine Reihe von Voraussetzun- gen erfüllt sind: Kontinuität der ärztli- chen Betreuung, Compliance des Pa- tienten mit regelmäßigen Laborkon- trollen, Antikonzeption bei jungen Frauen, gesicherte Dokumentation des klinischen und laborchemischen Verlaufes. Zur Zeit erhalten 17 Studi- enpatienten HU, davon sechs seit mehr als zwei Jahren, sieben seit mehr als einem Jahr, die übrigen vier seit weniger als einem Jahr. Von den eva- luierbaren Patienten (HU über ein Jahr) sind zwei völlig beschwerdefrei geworden, bei den restlichen elf Pati- enten treten Schmerzkrisen weniger häufig auf. Bei sechs Patienten stieg der HbF-Wert auf über 20 Prozent, bei vier Patienten auf 10 bis 14 Pro-

zent. Keinen oder einen sehr geringen HbF-Anstieg hatten drei Patienten.

Psychosoziale Situation der Sichelzellpatienten

Patienten beziehungsweise El- tern von Sichelzellpatienten in Deutschland leiden nicht nur unter den Auswirkungen einer chronischen, schweren, die Lebenserwartung er- heblich einschränkenden Erkran- kung, sie sind auch durch ihren Min- derheitenstatus einer Reihe von zu- sätzlichen Schwierigkeiten ausgesetzt.

Viele Familien, besonders Asylanten, haben große Sprachprobleme, die die Patient/Arzt-Beziehung erschweren und oft verhindern, daß die Patienten

ausführlich über die Natur der Er- krankung, notwendige Verhaltens- maßnahmen und mögliche Krank- heitsmanifestationen aufgeklärt wer- den. Sprachschwierigkeiten können auch die manchmal dringend notwen- dige psychologische Beratung oder Therapie unmöglich machen. Psycho- logisch geschulte Fachkräfte aus den Ländern, aus denen die meisten unse- rer Sichelzellpatienten kommen (Tür- kei, Zentralafrika), gibt es so gut wie nicht.

Immer wiederkehrende Schmerz- krisen gefährden Schul- und Berufs- ausbildung. Etliche unserer jungen Erwachsenen mußten ihre Lehre ab- brechen wegen häufiger Schmerzkri- sen und Fehlen am Arbeitsplatz.

Beim Versuch, den Schwerbehinder- tenausweis für Sichelzellpatienten zu beantragen, um ihnen zumindest ei- nen gewissen Kündigungsschutz zu geben, stößt man immer wieder auf Unverständnis und Ablehnung der Behörden, selbst bei ausführlicher Darlegung des Krankheitsbildes.

Als größtes Problem wird von vielen Patienten und Eltern die Isolie- rung empfunden, in der sie leben. Da in den meisten Kliniken oder Praxen nur ein bis zwei Sichelzellpatienten betreut werden, gibt es für die meisten

Betroffenen keine Möglichkeit, sich zu Selbsthilfegruppen zusammenzu- schließen. An den wenigen Kliniken mit mehr als zehn Patienten verhin- dern die unterschiedlichen Sprachen Erfahrungsaustausch oder gemeinsa- me Aktionen.

Von 114 afrikanischen Sichelzell- patienten kamen 44 aus Asylantenfa- milien, meist aus Zaire oder Angola.

Zu den sprachlichen Hürden kommen bei dieser Gruppe noch weitere Schwierigkeiten: zerbrochene Famili-

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Tabelle 4

Empfohlene Analgetika bei Schmerzkrisen

Dosis Applikation Intervall mg/kg/Dosis

A) leichte Schmerzen

Paracetamol 15 oral alle 4 h

Acetylsalicylsäure 15 oral alle 4 h

Metamizol 15 oral alle 4 h

Ibuprofen 5 oral alle 8–12 h

B) stärkere Schmerzen

eines der unter A) aufgelisteten Analgetika plus

Codein 1 oral alle 4 h

C) starke Schmerzen

eines der unter A) aufgelisteten Analgetika plus

Morphin 0,1–0,15 Bolus-Injektion

dann

0,1–0,15 i. v. alle 1–2 h

oder

0,4–0,6 Dauerinfusion

mg/kg/8 h oder PCA

(5)

en, schlechte Wohnverhältnisse, Trans- portschwierigkeiten, häufiger Wechsel der Unterkunft, also auch der ärztli- chen Betreuung.

Beratungsfunktion der Studienleitung

Neben der aktuellen Information über alle Bereiche der Sichelzeller- krankung, die an die Studienteilneh-

mer weitergegeben wird, steht die Studienleitung für Beratung bei aku- ten Komplikationen der Erkrankung zur Verfügung. Diese Beratung wird lebhaft genutzt, sowohl von Studien- teilnehmern als auch von Institutio- nen, die ihre Patienten nicht in die Studie gemeldet haben. Bei der Mehr- zahl der schweren Komplikationen wurde die Studienleitung konsultiert.

In den letzten zehn Jahren wurden von der Studienleitung neun Schwan-

gerschaften bei acht Studienpatientin- nen mitbetreut.

Von der Studienzentrale kann Patienten-Informationsmaterial an- gefordert werden in den Mutterspra- chen unserer Patienten: Türkisch, Griechisch, Italienisch, Arabisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch.

Aus der besonderen Situation in Deutschland – wenige Patienten ver- teilt auf sehr viele Ärzte – ergibt es sich, daß Patienten und Eltern sich di- rekt zur Konsultation an die Studien- zentrale wenden. 35 Patienten/Famili- en haben die Studienzentrale aufge- sucht zu einem persönlichen Ge- spräch, viele Patienten und Eltern fra- gen telefonisch um Rat, vor allem wenn es um spezielle Fragestellungen geht, wie zum Beispiel Schwanger- schaft oder Knochenmarktransplan- tation.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1675–1679 [Heft 26]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Roswitha Dickerhoff Johanniter Kinderklinik Arnold-Janßen-Straße 29 53754 St. Augustin Tabelle 5

Hauptindikationen für Transfusionen beziehungsweise partielle Austauschtransfusion

Art der Transfusion meistens Transfusion manchmal

Transfusion notwendig bei notwendig bei

einmalige Transfusion l Aplastische Krise l Lebersequestration l Milzsequestration l gesteigerte Hämolyse l Akutes l Blutung (z. B. Hämaturie, Thorax-Syndrom GI-Trakt)

Austausch-Transfusion l ZNS-Infarkt/Blutung l Thorax-Syndrom l schwere Infektionen l Girdle-Syndrom l Multiorganversagen

l vor größeren chirur- gischen Eingriffen l vor Angiographie

chronische Transfusion l nach ZNS-Ereignis l Unterschenkel-Ulzera l chronische, renale, l schwerste, durch starke pulmonale oder kardiale Analgetika, nicht zu beein- Probleme flussende Schmerzkrisen

Die Autoren berichten, daß die Inzidenz des Erythema migrans in Deutschland auf zwei bis 32 pro 100 000 geschätzt wird. Wenn ich aus meiner kleinen Allgemeinpraxis Rückschlüsse ziehen darf, würde ich die Inzidenz noch leicht eine Zehner- potenz höher schätzen, als hier der obere Wert angibt, was vielleicht durch eine besondere Häufung im Großraum München bedingt sein könnte. Bemerkenswert und dringend

diskussionsbedürftig scheint mir die Feststellung, daß sich nur etwa ein Drittel aller Patienten mit Lyme-Ar- thritis an einen Zeckenstich erinnern können, was sich

mit meiner Erfah- rung deckt. Da ei- ne Zecke in der Regel ihren Saugakt erst dann spontan beendet, wenn sie satt ist, bis dahin aber ei-

ne Größe erreicht hat, die kaum über- sehen werden kann, ist es höchst un- wahrscheinlich, daß zwei Drittel der

Zeckenstiche unbemerkt bleiben. So darf man wohl die Frage stellen, ob nicht auch noch andere Infektionswe- ge möglich sind. Jeder, der Tiere in der Natur beobach- tet, wird bemer- ken, daß auch sie, sogar häufiger als der Mensch, von Zecken befallen werden. Selbst wenn diese Tiere keine deutlichen Krankheitserscheinungen erkennen lassen, muß damit gerechnet werden, daß Wild- und Geflügelfleisch mit

Die Lyme-Arthritis

Andere Infektionswege möglich

Zu dem Beitrag von Dr. med. Thomas Kamradt

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Krause Dr. med. Susanne Priem und

Prof. Dr. med. Gerd-Rüdiger Burmester in Heft 5/1998

(6)

Borrelia burgdorferi infiziert sein kann. Es ist denkbar, daß auch der Kontakt mit diesen Fleischprodukten, dem ja viele Personen auf dem Weg zum Verbraucher ausgesetzt sind, ein möglicher Infektionsweg sein könnte.

Weiter stellen die Autoren fest, daß ein positiver serologischer Befund alleine die Diagnose einer Lyme- Borreliose nicht sichern kann. Mit die- ser Feststellung ist gesagt, daß auch Fälle bekannt sein müssen, bei wel- chen es ohne Infektion zu einer Bil- dung von spezifischen Antikörpern gekommen ist. Auch wenn die Erreger in infiziertem Wild und Geflügel durch Erhitzen abgetötet worden sind, kön- nen Antigene persistieren. Warum sollte die Aufnahme solcher Antigene nicht eine mögliche Antikörperbil- dung erklären oder sogar das Vorkom- men von Erkrankungen, welche man- gels lebender Erreger primär antibio- tikaresistent sind? Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß der Bo- tulismus die einzige nichtinfektiöse alimentäre Erregertoxikose sein muß.

Bei der Behandlung von Patienten, welche nicht oder nicht mehr auf eine antibiotische Therapie ansprechen, und bei solchen mit einem „Post- Lyme-Syndrom“ hat sich in meiner Praxis die Behandlung mit der Nosode Borrelia bewährt. Bei nichtinfektiösen alimentären Erregertoxikosen kann aus den konjugierten Antigenen der polysaccharidartige Haptenanteil im Verdauungstrakt enzymatisch zerstört werden. Die Anbindung der damit frei gewordenen Carrier an die T-Zell-Re- zeptoren induziert zwar eine Immun- reaktion, die Bindung an die B-Zell- Rezeptoren mit Bildung von Antikör- pern bleibt aber aus. Daraus resultie- rende Beschwerden müssen primär antibiotikaresistent sein; nur mit einer parenteralen Zufuhr von entsprechen- den Haptenen kann hier kausal thera- piert werden.

Literatur

Cornelius P: Haptentherapie in der Schulme- dizin und EAV. RegulationsMedizin 1997; 3:

77–84.

Cornelius P: Nosoden und Begleittherapie.

Pflaum-Verlag, München.

Peter Cornelius

Arzt für Allgemeinmedizin Wiesenstraße 4

82269 Geltendorf

Ergänzend zu dem Aufsatz mit umfassenden Aspekten und neuen Er- kenntnissen soll das psychische Mo- ment der Borrelieninfektion hinzuge- fügt werden: Gerade bei Infektion be- ziehungsweise Schädigung von Ner- vengewebe treten häufig zwar schwer faßbare, aber dem sorgfältigen Betreu- er auffallende Wesensveränderungen auf, welche im Sinne einer depressiven Verstimmung dem Kranken und seiner Umgebung deutlich zu schaffen ma- chen und bis zu drei Jahre anhalten.

Dr. med. Ottmar Bengert Thomasweg 5

21244 Buchholz

Zum Beitrag von Herrn Cornelius

Bezüglich der epidemiologischen Daten beziehen wir uns auf sorgfältig durchgeführte, gut dokumentierte Stu- dien. Daß sich nur etwa ein Drittel aller Patienten mit gesicherter Neuroborre- liose an einen Zeckenstich erinnert, wurde von verschiedenen Beobachtern gefunden. Epidemiologisch besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Zecken-Exposition und dem Vorkom- men der Lyme-Borreliose, so daß am Übertragungsweg keine Zweifel beste- hen (1). Insbesondere besteht nicht der geringste Anlaß zu der Vermutung, die Borreliose könne auch durch Nah- rungsmittel übertragen werden.

Die Tatsache, daß ein positiver se- rologischer Befund alleine die Diagno- se einer Lyme-Borreliose nicht sichern kann, besagt nicht, daß es auch ohne Infektion zur Bildung spezifischer An- tikörper kommen kann. Dies ist kein Spezifikum der Lyme-Borreliose, son- dern gilt für die meisten Infektions- krankheiten: Auch der Nachweis von Antikörpern, beispielsweise gegen Masern, ist nicht gleichbedeutend mit einer akuten Erkrankung, setzt aber sehr wohl die früher stattgefundene In- fektion mit dem Masern-Virus voraus.

Darüber hinaus ist ebenso wie bei allen anderen Infektionskrankheiten auch

bei der Borreliose das Vorkommen kreuzreaktiver Antikörper möglich.

Außer bei Nahrungsmittelallergi- en sind keine Fälle bekannt, in denen pathophysiologisch relevante Antikör- per gegen Nahrungsmittel gebildet werden. In der Tat ist das Ausbleiben einer Immunreaktion gegen Nahrungs- mittel eines der Charakteristika des Im- munsystems der Wirbeltiere. Aller- gieähnliche Symptome der Borreliose sind nicht bekannt. Das Genom von B.

burgdorferi ist komplett sequenziert; B.

burgdorferi bildet keine Toxine (2).

Die „Nosode Borrelia“ ist in der medi- zinischen Literatur unbekannt, es gibt keinen Wirkungsnachweis, und wir können keinesfalls zu derartigen Be- handlungen raten. Freie Antigene – gleich welcher Art – binden B-Zell-Re- zeptoren, nicht aber T-Zell-Rezepto- ren. Insgesamt steht der letzte Absatz des Leserbriefes in deutlichem Gegen- satz zum immunologischen Kenntnis- stand; ein stringentes Argument, gar ei- ne Basis für kausale Therapie, ist nicht erkennbar. Die parenterale Zufuhr von Haptenen ist rational nicht begründbar.

Zum Beitrag von Dr. Bengert In unserer Übersicht haben wir uns bewußt auf die Lyme-Arthritis konzentriert. Es ist bekannt, daß eine geringgradige Enzephalopathie nach durchgemachter Neuroborreliose zu- rückbleiben kann. Sehr gute Übersich- ten zur akuten Neuroborreliose sowie möglichen Spätkomplikationen finden sich in (3, 4).

Literatur

1. Barbour AG, Fish D: The biological and so- cial phenomenon of Lyme disease. Science 1993; 260: 1610–1616.

2. Fraser C, Casjens S, Huang W et al.: Geno- mic sequence of a Lyme disease spiro- chaete, Borrelia burgdorferi. Nature 1997;

390: 580–586.

3. Halperin J, Logigian E, Finkel M, Pearl R:

Practice parameters for the diagnosis of pa- tients with nervous system Lyme borreliosis (Lyme disease). Quality Standards Sub- Committee of the American Academy of Neurology. Neurology 1996; 46: 619–627.

4. Logigian EL, Kaplan RF, Steere AC: Chro- nic neurologic manifestations of Lyme dis- ease. N Engl J Med 1990; 323: 1438–1444.

Dr. med. Thomas Kamradt Prof. Dr. med.

Gerd-Rüdiger Burmester

Deutsches Rheumaforschungszentrum Immunologie und Molekularbiologie Monbijoustraße 2 · 10117 Berlin

M E D I Z I N DISKUSSION

Psychisches Moment

Schlußwort

Referenzen

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