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Archiv "Klinikalltag: Der Frust" (09.04.2010)

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A 658 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 14

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9. April 2010 Belange! Der Nachweis eines ein-

deutigen Nutzens für die Patienten im Sinne der Evidence based Medi- cine steht meines Wissens aus. In dieser Hinsicht ist die breite An- wendung der ICD-Codierung sogar abzulehnen!

In der Praxis erheben sich immer wieder Stolpersteine. So vermisse ich für die Vielzahl der dicken Kin- der und Jugendlichen die Möglich- keit, Adipositas zu verschlüsseln („ . . . nur für Patienten über 18 Jah- re . . . “). Und das Mammakarzinom beim Mann mit nachfolgendem Lymphödem mag zwar 100-mal sel- tener als bei der Frau sein („C50.9“

beziehungsweise „I97.2 üblicher- weise nur bei weiblichen Patienten abrechenbar“). Aber bei ca. vier bis 500 Neuerkrankungen/Jahr in Deutschland muss es weitaus häufi- ger codiert werden als zum Beispiel der Strahlenunfall (W91.9), die zehn Varianten einer Frambösie (A66.0 bis A66.9) oder einer moskitoüber- tragenen Enzephalitis (A83.0 bis A83.9) oder viele andere, hier prak- tisch nicht vorkommende Entitäten.

Dr. med. Andreas See, 35088 Battenberg-Dodenau

Weiterentwicklung oder Fehlentwicklung?

Graubner hinterfragt nicht die An- wendbarkeit in Deutschland ver- wendeter Diagnosen- und Prozedu- renklassifikationssysteme im Be- reich der hausärztlichen Versor- gung. Es gibt aber begründete Zweifel an der Reliabilität der ICD-10 im Bereich der hausärztli- chen Versorgung, und es existieren alternative Klassifikationssysteme (zum Beispiel International Classi- fication of Primary Care), die für die hausärztliche Versorgung teil- weise besser geeignet sind. Die Vergleichbarkeit von ICD-10-Dia- gnosen ist innerhalb der verschiede- nen Sektoren (stationär beziehungs- weise ambulant) des Gesundheits- systems ungenügend. Noch mehr dürften die Schweregrade der Er- krankung – bei gleichen ICD- 10-Diagnosen – über die verschie- denen Sektoren variieren. Die wei- tere Detaillierung der ICD-10 stellt unseres Erachtens eher eine Fehl-

entwicklung dar, da mit weiterer Detaillierung die Reliabilität der Codierung sinkt. Wegen geringerer Diagnosesicherheit als in anderen Fachgebieten gilt dies besonders für die hausärztliche Versorgung. Ein unzuverlässiges Klassifikationssys- tem kann nicht Werkzeug einer standardisierten Dokumentation oder einer leistungsgerechteren Ab- rechnung sein. Die morbiditätsab- hängige Vergütung wird alle (haus- ärztlich tätigen) Kollegen zu einer pekuniär-motivierten Pseudogenau- igkeit nötigen. Dies steht in keinem Zusammenhang mit der von Graub- ner postulierten verbesserten Co- dierqualität. Der Nutzen für die Pa- tienten ist unklar, wird doch die fünfstellige Codierung noch mehr Zeit kosten, die für die Behandlung des einzelnen Patienten fehlt. Dia - gnose bedeutet wörtlich übersetzt

„Durchforschung“ im Sinne von

„Unterscheidung“ oder „Entschei- dung“. Die Diagnose sollte also mehr sein als ein unreliabler Zah- lencode zur Rechtfertigung einer Vergütung oder einer medizinischen Leistung.

Literatur bei den Verfassern Dr. med. Thomas Frese, Dipl.-Psych. Kristin Herrmann, Prof. Dr. med. habil. Hagen Sandholzer, Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, 04103 Leipzig

KLINIKALLTAG

Eine Ärztin berichte- te über das Kochen für die Schwestern im Nachtdienst und andere Erfahrungen aus der Weiterbil- dungszeit (DÄ 5/

2010: „Cappuccinogeschichten“ von Anita Dumitrescu).

Der Frust

Beim Lesen dieses Artikels habe ich ganz deutlich den unerträgli- chen Frust gespürt, der aus den Zei- len der Kollegin Dumitrescu spricht. So wie mir wird es nahezu jedem vom deutschen Kranken- hausalltag gebeutelten Assistenzarzt beim Lesen der Zeilen gegangen sein. Das Traurige ist, dass es nicht die Verantwortung, Nacht- und

Wochenenddienste, Überstunden und Druck sind, die ihnen das be- rufliche Leben schwermachen.

Vielmehr sind es die unsäglichen Bürokratismen, nicht selten kolle- gialitätsschädlichen Hierarchien und das ständig über dem Assisten- ten schwebende Damoklesschwert, in Ungnade bei Schwestern und Pflegern zu fallen, die schon viele hochmotivierte Absolventen medi- zinischer Fakultäten, die voller Idealismus in den ärztlichen Beruf starteten, bitter enttäuscht haben.

Und „viele, viele“ ziehen die Kon- sequenzen, indem sie ins Ausland abwandern oder alternative Berufs- felder ergreifen. Wie viel fachliche Kompetenz, Empathie und vor al- lem Hinwendung zum Patienten ge- hen unseren Kliniken hierdurch ver- loren? Besser ist, man denkt hier - über nicht allzu lange nach . . .

Dr. med. Thomas Weber, 77749 Hohberg-Niederschopfheim

Demotivation auf vielen Ebenen

Danke, Frau Dumitrescu, für diesen mutigen und wahren Artikel über die Demotivierung von Ärzten in deutschen Kliniken. Als Klinikarzt mit Erfahrungen in verschiedenen Staaten, Fächern und Klinikgrößen kann ich Ihren Artikel voll bestäti- gen und noch um einige Demotiva- tionsfaktoren ergänzen.

Es gibt Kammern und KVen, die unrealistische Weiterbildungs-, Ab- rechnungs- und Niederlassungsvor- schriften erlassen und Kollegen bei dem Einstieg behindern.

Da gibt es einige Chefärzte, die Privatbehandlungen weitgehend ihren Assistenten überlassen, ohne Teaching und ohne Beteiligung.

Manche Weiterbildner verstehen von ihrem Fachgebiet nur noch den Teil, den sie erforscht haben oder in dem sie sich jahrelang technisch perfektioniert haben.

Pech für den Patienten, der ein an- deres Krankheitsbild aufweist oder der unter Nebenerkrankungen lei- det, Pech für den Weiterzubilden- den.

Immer mehr Klinikverwaltungen versuchen, das Pflegepersonal aus- zuquetschen wie Zitronen. Schlech- E

t f i a a d 2010: Cappuccinog

B R I E F E

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9. April 2010 A 659 te Bezahlung und Behandlung führt

zur Bewerbung minderqualifizierter und demotivierter Angestellter.

Wissen wird nicht überprüft. Pfle- gepersonal wehrt sich gegen die Übernahme von angeblich ärztli- chen Tätigkeiten, in Nachbarlän- dern Teil der Pflegeroutine . . . Es gäbe Abhilfen: externe Quali- tätssicherung, unangemeldete Kon- trollen durch qualifizierte Kommis- sionen. Entrümpelung der Weiter- bildungskataloge. Bessere Bezah- lung qualifizierter, langjähriger Mit- arbeiter, um sie zu halten. Rotatio- nen der Mitarbeiter zwischen ver- schiedenen Kliniken. Regelmäßige Prüfung aller Fachärzte etc.

Ich wurde ab den 80er Jahren aus- gebildet und habe hervorragende Kliniker und erfahrene Pflegekräfte kennengelernt, denen ich viel klini- sches Wissen und viele Kniffe zu verdanken habe. Leider werden die- se Spezies immer weniger. Auch deswegen, weil viele den Weg in das Ausland finden.

Dr. med. Andreas Eichler, F-57350 Schoeneck

Auf Augenhöhe?

Die Cappuccinogeschichten von Frau Dumitrescu haben mich sehr nachdenklich gemacht, denn sie hat mit allem recht, was sie schreibt.

Ich musste zwar nie nachts um drei Cappuccino servieren, aber als jun- ge Assistenten waren wir alle ab- hängig von erfahrenen Pflegekräf- ten. Denn schon damals – in den Achtzigerjahren des vorigen Jahr- hunderts – war nach schlechtem und praxisfernem Studium die Weiter- bildung eher autodidaktisches Lear- ning by Doing denn strukturierte Annäherung an eine der anspruchs- vollsten Tätigkeiten, die unsere Be- rufswelt zu bieten hat. Und auch heute sehe ich immer noch Berufs- anfänger, die sich nach wenigen Wochen klinischer Tätigkeit in Not- aufnahmen tummeln und Angst ha- ben, die Hintergrunddienste – welch ein Wort! – in Anspruch zu nehmen.

Heute glaube ich, gut mit der Pflege zusammenzuarbeiten, aber auf Au- genhöhe? Gibt es noch einen ande- ren Bereich in unserem Leben, wo die einen die anderen mit „Herr Doktor“ und die anderen die einen

mit dem Vornamen ansprechen?

Auch die Ausführungen zur Klinik- hierarchie und unserem Status als langjährige Fachärzte kann ich nur voll unterstreichen. Wer in den letz- ten 20 Jahren – warum auch immer – nicht Oberarzt geworden ist, der sieht sich in der Klinik heute im Niemandsland der „Nachgeordne- ten“, ohne klare Stellenbeschreibung und Tätigkeitsbereich. Ich werde diesen Artikel meinem Sohn (cand.

med. siebtes Semester) geben, damit er sich frühzeitig überlegt, ob er das alles auch mitmachen will.

Dr. Tamino Trübenbach, 77815 Bühl

Zweifelhaft

. . . Es ist die interessante Geschich- te ihres ganz speziellen Facharzt- werdens, zudem noch – wie mir scheint – unter Ausnahmebedingun- gen, die uns die jetzt in Oxford als Kinderärztin arbeitende Kollegin mitgeteilt hat. Abgesehen von der manchmal etwas zu saloppen Dikti- on ihres Beitrags, sind mir zwei Dinge aufgefallen, deretwegen es sich lohnen würde, genauer nachzu- fragen. Das wären zum einen die Nötigungen, denen Frau Dumitres- cu sich ausgesetzt fand, und die ihr widerfahrene himmelschreiende Handhabung von Vertragsgestaltun- gen mit unanständig kurz befriste- ten Arbeitsverträgen. Andererseits erschien mir die, in der Summe ab- schätzige Beurteilung der derzeiti- gen Weiterbildungssituation – so- wohl der der Pflegekräfte als auch der Ärzteschaft in Deutschland – so nicht zutreffend.

Ich selbst bin – nach Lektüre des Aufsatzes von Kollegin Dumitrescu und in der Rückschau auf mein ärzt- liches Berufsleben – nachgerade dankbar, dass mir das „Cappuccino- kochen um drei Uhr“ und andere im Beitrag geschilderten Unsäglichkei- ten erspart geblieben sind. Eigene Erfahrungen – das Fachgebiet Frau- enheilkunde und Geburtshilfe und beispielhaft die Situation im Land Brandenburg betreffend – stehen da- für, dass hier die durch die Ärzte- kammer bestellten Mitglieder der Fachkommissionen kompetente und individuelle Gespräche als Ab- schluss der Facharzt-Weiterbildung

und für das Anerkennen einer Sub- spezialisierung verantwortungsbe- wusst gegenüber den Kollegen und den Patienten durchführten. Insofern erscheinen mir, bei aller Berechti- gung, Kritikwürdiges zu monieren und dabei „den Finger in die Wun- de“ legen zu dürfen, manche Passa- gen des Artikels etwas zweifelhaft.

Dr. med. Dr. phil. Siegbert Rummler, 22527 Hamburg

CHARCOT-FUSS

Das Endstadium traumatischer Ske- lettverletzungen bei Diabetikern mit Po- lyneuropathie und fehlender Schmerz- reaktion lässt sich vermeiden (DÄ 7/2010: „Auf die frühe Diagnose kommt es an“ von Ludger Wil- helm Poll und Ernst Chantelau).

Aufklärend

Im selektionierten Patientengut un- seres diabetischen Fußzentrums liegt die Inzidenz der Charcot’schen Überlastungspodopathie inzwischen bei 8,3 Prozent (versus normal bis ein Prozent bei PNP). Die Zunahme an (früherer) Diagnostik ist um- fangreichen Fortbildungsaktivitäten und steter Hotline-Präsenz, aber auch aufklärenden Artikeln, wie dem der Kollegen Poll und Chante- lau, zu verdanken. Langfristig bes- sere Ergebnisse sehen wir intern- evaluiert entweder bei Gehstützen-/

Rollstuhlentlastung (Voraussetzun- gen: adäquate Wohnung, intensive Schulung), bei jüngeren Berufstäti- gen mittels komplett entlastenden und engmaschig kontrollierten 2-Schalen-Orthesen (pedale Hyper- keratosen?), die aber eine entspre- chende Compliance aller (Patient, Partner, Ärzte, Orthopädietechni- ker) erfordern! Der Unterschenkel- geh(verhinderungs)gips birgt nach unseren Zahlen bei jedem Zehnten die Gefahr von zu spät bemerkten Druckulcera und konsekutiver Pro- gredienz der DNOAP, wenn die me- chanische Überlastung nicht ausrei- chend eingeschränkt ist.

Dr. Gerhard Herzog, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Regensburg, 93049 Regensburg

C CO U

D t l D l f r vermeiden (DÄ 7/201

B R I E F E

Referenzen

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