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Beschämender Umgang Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Migranten muss verbessert werden

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Bayerisches Ärzteblatt 6/2014

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Ein kleiner Junge stirbt beinahe, weil er viel zu spät medizinisch behandelt wird. Er ver- liert mehrere Fingerglieder und Teile eines Fußes, sein Gesicht ist von Narben und Hauttransplantationen entstellt; eine Me- ningokokken-Infektion ist bei ihm beinahe übersehen worden. Der Name des kleinen Jungen: Leonardo – ein Flüchtlingskind, das in der Aufnahmestelle für Asylbewerber im mittelfränkischen Zirndorf mit seinen El- tern Zuflucht gefunden hatte und für das Mitten in der Nacht keiner der Bediens- teten Hilfe holen wollte.

Der Fall Leonardo sorgte vor einigen Monaten für Schlagzeilen, die Verantwortlichen sind inzwischen wegen unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung zu Geldstrafen verur- teilt worden. Juristisch mag der Vorgang damit aufgearbeitet sein, die dem Problem zugrunde liegenden Systemfehler hingegen sind es nicht.

Denn Deutschland, einer der reichsten Staa- ten der Welt, leistet sich bei der medizinischen Versorgung einen beschämenden Umgang mit Flüchtlingen und Migranten. Das liegt nicht an den Ärzten: Sie haben mehrfach betont, die Be- handlung in Einrichtungen wie der in Zirndorf verbessern zu wollen. Es liegt vielmehr am Ge- setzgeber und dessen Unwillen anzuerkennen, dass Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen, die vor Krieg und Not fliehen und in den allermeisten Fällen weder Deutsch noch Englisch sprechen, einer speziellen Betreu- ung bedürfen, die bislang mit dem Sozialgesetz- buch V nicht immer in Einklang zu bringen ist.

Doch genau das muss das Ziel sein: Eine Be- handlung, die den besonderen Bedarf von Asylbewerbern und Migranten berücksichtigt, muss Regelleistung der gesetzlichen Kranken- versicherung werden. Damit sich der Fall Leo- nardo nicht mehr wiederholt.

Das fängt bei Sprache an. Sicher, von einem Zuwanderer, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, muss man verlangen dürfen, dass er sich bei einem Routinebesuch beim Arzt leidlich auf Deutsch verständigen kann – was leider nicht immer der Fall ist. Aber wenn es um komplizier- tere Behandlungen geht, zum Beispiel eine Psy- chotherapie, bei der ein hohes Maß an Verba-

lisierungsfähigkeit gefragt ist, kommt man an Dolmetscherdiensten oder muttersprachlichen Angeboten nicht vorbei.

Das gilt erst recht für Flüchtlinge, die das Schicksal gerade erst nach Deutschland ge- spült hat und die natürlich noch kein Deutsch können. Sie sind ohne Dolmetscher aufge- schmissen – ebenso ihr Arzt, der sich nie sicher sein kann, ob seine Therapieanweisungen auch wirklich verstanden wurden und umgesetzt werden. Für beide Seiten wäre ein Übersetzer ein Segen – ordentlich, aus Steuermitteln ho- noriert, als Regelleistung der Sozialversiche- rung. Und nicht, wie es derzeit oft der Fall ist, als nur unregelmäßig verfügbares, ehrenamt- liches Angebot einiger privater Initiativen.

In diesem Zusammenhang muss auch die Frage gestellt werden, ob über das Niederlassungs- recht nicht eine bessere muttersprachliche me- dizinische Versorgung erreicht werden könnte.

Warum nicht einem Arzt (oder einem Psycho- therapeuten), der Türkisch oder Russisch spricht, die Niederlassung in einem eigentlich gesperr- ten Zulassungsbezirk erleichtern, wenn es ent- sprechend viele Muttersprachler dort gibt?

Keine Sorge, das Risiko, dass unter einem sol- chen Angebot die sprachliche Integration der Betroffenen leidet, dürfte sich in Grenzen hal- ten. Jedenfalls dann, wenn es außerhalb der Arztpraxis genügend Anreize und Angebote zum Deutschlernen gibt.

Noch grundsätzlicher muss an die Verbesse- rung der medizinischen Versorgung von Asyl- bewerbern herangegangen werden. Denn das für sie maßgebliche Asylbewerberleistungsge- setz – das eigentlich ein Flüchtlings-Abschre- ckungsgesetz ist – sieht nur einen beschränk- ten Zugang zum Gesundheitssystem vor. Und manchmal entscheiden medizinisch völlig un- gebildete Mitarbeiter der Aufnahmeeinrich- tungen (wie im Fall Leonardo), ob ein Hilfesu- chender überhaupt einen Arzt aufsuchen darf.

Mediziner und Krankenhäuser wissen zudem oft nicht, ob sie eine Behandlung durchfüh- ren und damit auch abrechnen dürfen. Die fatale Folge: Asylbewerber werden teils zu spät versorgt, in Hannover soll das Baby einer Asylsuchenden im April an Atemwegsproble-

men gestorben sein, weil sie angeblich in der Kinderklinik nicht die nötigen Dokumente für die Kostenübernahmen vorweisen konnte. Die Staatsanwaltschaft untersuchte den Fall bei Redaktionsschluss noch.

Leonardo war vermutlich also kein Einzelfall und die beinahe tödliche Verschleppung seiner Behandlung nicht nur die Folge individuellen Versagens. Leonardo ist vielmehr das Opfer ei- ner Gesetzgebung, die diskriminierend ist, weil sie einer bestimmten Personengruppe medizi- nische Versorgung teils vorenthält, obwohl die- se problemlos verfügbar wäre.

Das Asylbewerberleistungsgesetz muss daher dringend überarbeitet werden. Flüchtlinge brauchen den gleichen ungehinderten Zugang zu medizinischen Leistungen, wie er für gesetz- lich Versicherte selbstverständlich ist. Das Land Bremen hat vorgemacht, wie es geht und mit der AOK einen entsprechenden Rahmenvertrag abgeschlossen.

Und ebenso wie beim Dolmetscherdienst für Zu- wanderer muss hier gelten: Am Geld darf es nicht scheitern. Das Vorurteil, dass Menschen nur nach Deutschland kommen, um unsere Sozialsysteme auszunutzen, gehört endlich in die politische Mottenkiste – auch wenn es von einer nicht ganz unbedeutenden Partei in Bayern gerade vor Wahlen immer wieder gerne gepflegt wird.

Autor

Beschämender Umgang

Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen und Migranten muss verbessert werden

Armin Jelenik, stellvertretender Leiter der politi- schen Redaktion der „Nürnberger Nachrichten“

Anmerkung der Redaktion: Die Bayerische Landes- ärztekammer hat zur Thematik „Patientinnen und Pati- enten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis“ ein Faltblatt aufgelegt, das im Internet unter www.blaek.de  Service  Downloads herun- tergeladen werden kann. Gedruckte Exemplare kön- nen bei der Redaktion, Telefon 089 4147-181, E-Mail:

aerzteblatt@blaek.de, kostenfrei angefordert werden.

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