• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Individuelle Gesundheitsleistungen: Mehr Licht in einen grauen Markt" (05.04.2013)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Individuelle Gesundheitsleistungen: Mehr Licht in einen grauen Markt" (05.04.2013)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 14

|

5. April 2013 A 641 INDIVIDUELLE GESUNDHEITSLEISTUNGEN

Mehr Licht in einen grauen Markt

Das Bedürfnis der Patienten, mehr über Selbstzahlerleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erfahren, ist groß. Ein Informationsangebot der

Krankenkassen im Internet wird rege genutzt. Derweil wächst der Markt weiter.

R

und 900 000 Besucher haben sich in den zurückliegenden 14 Monaten auf dem Internetportal www.igel-monitor.de über Nutzen und Schaden von individuellen Ge- sundheitsleistungen (IGeL), die in Arztpraxen angeboten werden, in- formiert. Circa 2 800 Zuschriften sind bei dem Monitor-Team einge- gangen. „Diese große Resonanz zeigt, dass das Informationsbedürf- nis hoch ist und dass der IGeL-Mo- nitor die Versicherten erreicht“, ur- teilte Dr. Peter Pick Ende März in Berlin. Pick ist Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV- Spitzenverbandes (MDS), der das Portal seit Januar 2012 betreibt.

Wer die Homepage anklickt, fin- det zahlreiche Hinweise: allgemei- ne Informationen zu IGeL, Infor- mationen und Bewertungen zu ein- zelnen Leistungen, Verhaltenstipps für die Praxis und Erläuterungen zur Beurteilungsmethodik. Seit kur- zem gibt es den Monitor auch als App. Versicherte könnten erst dann eine eigenständige Entscheidung treffen, wenn sie Nutzen und mögli- chen Schaden einer Untersuchungs- methode oder einer Behandlung kennen würden, argumentierte Pick:

„Mit dem IGeL-Monitor bieten wir ihnen eine Entscheidungshilfe, die wissenschaftlich abgesichert, ver- ständlich und transparent ist.“ Die hohe Besucherzahl auf der Seite führte Dr. med. Monika Lelge- mann, Leiterin des Bereichs Evi- denzbasierte Medizin beim MDS, auch darauf zurück, „dass wir uns trauen, zu einem Fazit zu kommen“.

30 Bewertungen liegen vor Gestartet war der Monitor mit 24 Leistungsbewertungen. Inzwischen sind sechs weitere hinzugekom- men. Bei zwölf der untersuchten IGeL fällt die Bilanz negativ oder tendenziell negativ aus. Lediglich drei IGeL wurden mit „tendenziell positiv“ bewertet: Akupunktur zur Migräneprophylaxe, Laserbehand- lung von Varizen und Lichttherapie bei saisonaler Depression. Vier IGeL-Leistungen, wie zum Beispiel der Sport-Check, wurden nur be- schrieben, bei elf kommen die Wis- senschaftler zu dem Ergebnis „un- klar“. Das heißt: Für diese Leistun- gen liegen keine Informationen über den Nutzen und Schaden vor, oder beides hält sich die Waage.

Diese Beurteilung ist vielen offen-

bar schon zu schlecht. Die Studien- lage gebe aber häufig nicht mehr her, betonte Lelgemann.

Das gilt auch für die jüngste Be- urteilung, den Ultraschall der Brust.

Auch den Nutzen dieser IGeL hält das Monitor-Team für „unklar“.

Lelgemann wies aber darauf hin, dass man beachten müsse, für wen die Einschätzung gelte: In diesem Fall in erster Linie für Frauen unter 50 und über 69 Jahre. Die Beurtei- lung beziehe sich nicht auf eine Ul- traschalluntersuchung bei Frauen, bei denen ein unklarer Befund ab- geklärt werden solle, bei denen das Brustkrebsrisiko erhöht sei oder de- nen das Verfahren wegen ihrer gro- ßen Brustdichte empfohlen werde.

Dass die Studienlage keine klarere Empfehlung nahelege, findet Lel- gemann selbst bedauerlich. Man wünsche sich ja eher, dass Ultra- schall als schonendes Verfahren empfehlenswert sei, sagte sie.

Der Präsident der Bundesärzte- kammer (BÄK), Prof. Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery, hält die Bewertungskategorie für „unklar“

im IGeL-Monitor für problematisch:

„Zum einen ist eine unklare Studi- enlage gemeint, die keine eindeuti- ge Aussage zu Nutzen oder Scha- den einer IGeL erlaubt. Zum ande- ren bezieht sich diese Kategorie auf das Nutzen-Schaden-Verhältnis.“

Rechnung fehlt häufiger Es würden also zwei Sachverhalte mit dieser Bewertung beschrieben, die nicht miteinander zu verglei- chen seien: „Dies ist zumindest wissenschaftlich sehr fragwürdig.“

Montgomery fordert zudem mehr Transparenz bezüglich der Bewer- tung und des Teams: „Welche exter- nen Experten haben den Redakteur unterstützt? Wer war an der Recher- che und Bewertung beteiligt?“

Foto: iStockphoto

Den Ultraschall der Brust zur Krebs- früherkennung für

Frauen mit unbe- kannter Brustdichte

bewertet der IGeL- Monitor als „unklar“.

In Einzelfällen finde man sonst unerkann-

ten Brustkrebs. Es würden aber auch Tumoren aufgespürt, die etwa wegen ihres

langsamen Wachs- tums nicht hätten behandelt werden

müssen.

P O L I T I K

(2)

A 642 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 14

|

5. April 2013 Der BÄK-Präsident appelliert

aber auch nachdrücklich an alle Ärztinnen und Ärzte, verantwor- tungsvoll mit Selbstzahlerleistun- gen umzugehen und die Patienten unaufdringlich und sachlich zu be- raten. Das legen BÄK und Kassen- ärztliche Bundesvereinigung auch in ihrer überarbeiteten IGeL-Bro- schüre nahe, die im Rahmen der MDS-Veranstaltung vielfach gelobt wurde, so auch von Lelgemann:

Die Broschüre sei ein „wirklicher Fortschritt, weil sie sich an Ärzte und Patienten richtet und Muster- Behandlungsverträge enthält“.

Doch eine nicht zu vernachlässi- gende Zahl von Ärztinnen und Ärz- ten hält sich offenbar nicht an die Ratschläge ihrer Standesvertretun- gen. Der Markt sei grauer, als man es sich vorstellen könne, sagte Lel-

gemann. Was wirklich angeboten werde unter Stichwörtern wie Hochton- oder Bachblütentherapie, und selbst als Glaukomvorsorge, lasse sich nicht immer nachvollzie- hen. Ein schriftlicher Behandlungs- vertrag und eine Rechnung sind nach Auskunft von Versicherten ebenfalls nicht die Regel (Tabelle).

Das ist auch deshalb problema- tisch, weil der IGeL-Markt wächst, wie neue Daten des Wissen schaft - lichen Instituts der AOK (WIdO ) belegen. Das WIdO hat erneut Ver- sicherte nach ihren Erfahrungen mit den Selbstzahlerleistungen befragt.

An der Spitze liegen danach Ultra- schalluntersuchungen (21 Prozent), Leistungen im Rahmen der Glau-

komvorsorge (16 Prozent) und Blut- und Laboruntersuchungen (zwölf Prozent).

Der WIdO-Befragung zufolge bekamen 2012 dreimal so viele ge- setzlich Versicherte IGeL angebo- ten oder abgerechnet wie noch 2001 (30 Prozent gegenüber neun Pro- zent). Den Hochrechnungen zufol- ge wurden im vergangenen Jahr insgesamt 18,2 Millionen IGeL er- bracht. Bei durchschnittlichen Kos- ten von 70 Euro je Leistung um- fasste dieser Markt ein Volumen von 1,3 Milliarden Euro. Bei mehr als einem Viertel der angebotenen IGeL fühlten sich die Versicherten zeitlich unter Druck gesetzt.

Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, sprach sich denn auch zum wiederholten Mal für eine Einwilli-

gungssperrfrist aus. Sie verlangt, dass ein Patient, der eine IGeL in Anspruch nehmen möchte, nach ei- ner ausreichenden Bedenkzeit ein zweites Mal in die Praxis kommen sollte. Bei der SPD läuft Pfeiffer damit längst offene Türen ein. Die Sozialdemokraten scheiterten aller- dings 2012 mit einem entsprechen- den Vorstoß im Bundestag.

Anderer Auffassung war bei der MDS-Veranstaltung der Patienten- beauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU): Wenn der Patient eine IGeL wünsche, sei es unsinnig, ihn zweimal in die Praxis kommen zu lassen. Und wenn der Arzt die Leistung anbiete wie ein Kaufmann? Das sei nach geltendem

Recht unzulässig, betonte Zöller streng. Patienten könnten auf jeden Fall auf eine Bedenkzeit pochen.

Seriöses „Igeln“ möglich?

Aber ist ein seriöses „Igeln“ über- haupt möglich? „Ja, sofern die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden“, befand Prof. Dr. Klaus Ja- cobs, WIdO-Geschäftsführer. Er schob gleichwohl ein „Aber“ hin- terher: Für Patienten zögen Selbst- zahlerleistungen ein Vertrauenspro- blem nach sich. Einerseits sollten sie ihrem Arzt vertrauen, dass er ih- nen die richtigen Leistungen der so- lidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherung zukommen lasse, andererseits aber zusätzliche Leistungen einkaufen. Skeptischer äußerte sich Dr. Ilona Köster-Stei- nebach vom Verbraucherzentrale- Bundesverband. Sie kritisierte nicht nur manches fragwürdige Verhalten auf der Ärzteseite, sondern auch bei den Krankenkassen. Diese hebelten über Satzungsleistungen die Regeln des Solidarsystems aus.

Letzteres bestätigte der ehemali- ge Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dr. med.

Leonhard Hansen, der wieder als Hausarzt arbeitet: Die Kassen im Wettbewerb finanzierten mittler- weile etliche bisherige Selbstzah- lerleistungen, etwa osteopathische Behandlungen. Seriöses „Igeln“ sei schon möglich, befand Hansen, nur:

Ärztliches Tun im Alltag basiere auf dem Vertrauen des Patienten, dass er nicht betrogen werde. Durch die Selbstzahlerleistungen agierten Patienten aber in drei Rollen, neben der des Versicherten auch in der des Kunden. Dadurch könne man als Arzt in ethische Fallen laufen.

Ethische Fallen tun sich aber nicht nur in den Praxen auf, wie Köster-Steinebach berichtete. Denn das „Igeln“ erhöht offenbar im Ge- meinsamen Bundesausschuss die Neigung, Leistungen auf Kosten der Kassen auch dann einzuführen, wenn die Evidenzlage nicht eindeu- tig ist. Die Partner der Selbstver- waltung wollten so vermeiden, dass Leistungen als IGeL angeboten würden, weil deren Qualität dann kaum zu kontrollieren sei.

Jens Flintrop, Sabine Rieser TABELLE

Vertrag und Rechnung für erbrachte Selbstzahlerleistungen (Ja-Nennungen in Prozent der erbrachten Leistungen)

Quelle: WIdO-Monitor 2013, Basis: Versichertenbefragung Art der Leistung

Glaukomvorsorgeuntersuchungen kosmetische Leistungen

ergänzende Krebsfrüherkennungen bei Frauen Hautkrebsvorsorge

Ultraschall

Blutuntersuchungen/Laborleistungen PSA-Wert-Bestimmungen Knochendichtemessung

Schriftliche Vereinbarung 48,0 44,4 40,5 39,3 35,3 30,4 30,3 11,8

Rechnung erstellt 87,3 88,9 73,0 71,4 77,3 77,2 97,0 88,2

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nachsorgeprogramme und Überprüfungen effizienter Therapie- maßnahmen gehören nicht zum Auf- gabenspektrum eines epidemiologischen Krebsregisters, sondern bleiben alleine ei-

Die Desinfektionsmittel-Kom- mission sieht es daher mit größter Sorge, wenn durch derartige wissenschaftlich nicht begründete Publikatio- nen im renommierten DÄ mit der

Liegt nicht unter an- derem eine erhebliche Gefahr darin, dass diese Menschen, die eine derartig schwere Erkrankung durchgemacht ha- ben, langzeitig vor allem mit aufwendi- gen

Der Vertrag sollte also nicht nur die Informa- tion enthalten, dass der Patient eine privatärztli- che Behandlung wünscht, sondern auch, die Entscheidungsfindung des Patienten

Es muss selbstverständlich nicht immer so sein, aber: Wer viel liest, das phi- losophische Gespräch sucht und im Theater erfährt, dass ein Problem so gut wie immer aus mehreren

Ab 2008 (mit bereits absehbarer Verzögerung) soll eine elektronische Kartenvariante einge- führt werden, die durch die techni- sche Kommission der Verwaltungs- kommission für

Auf die Tatsache, dass es nicht immer einfach ist, eine genaue Grenze zu ziehen zwischen dem, was medizinisch notwen- dig ist, und dem, was von den Patienten als

Hoppe: „Es ist beispielsweise nicht in Ordnung, wenn eine Arzthelferin einen Kassenpatienten vor Beginn der Behandlung darüber in Kenntnis setzt, dass der Arzt ihn nur be- handelt,