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Archiv "Jeder Bürger muß erkennen, was in den Regierungsplänen steckt" (24.03.1977)

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Die Information:

Bericht und Meinung

NACHRICHTEN

„Allen,

die darauf lauern, ob und wann ich umfalle, möchte ich sagen:

Ich denke gar nicht daran umzufal- len. Solange Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, es wollen, daß ich un- sere gemeinsamen Anliegen vertre- te, werde ich dies so nachdrücklich tun wie bisher." Lang anhaltender Beifall von etwa 1300 Ärztinnen und Ärzten im überfüllten Großen Saal des Badgasteiner Kongreßzentrums galt diesen bekenntnishaften Sät- zen, die Professor Dr. Hans. J. Sewe- ring an den Anfang seines berufspo- litischen Referats am 9. März beim XXII. Internationalen Fortbildungs- kongreß der Bundesärztekammer stellte.

Mit demonstrativem Beifall hatte das Auditorium bereits das Erscheinen des Präsidenten der Bundesärzte- kammer und des Deutschen Ärzteta- ges bedacht, den Prof. Dr. Alken, das „Spiegel"-Magazin apostro- phierend, als „ersten Arzt im Staat"

begrüßte, der von Amts wegen der- zeit auch „der_ Prügelknabe Nr. 1"

aller politischen Feinde der Ärzte- schaft ist. „Er ist es nicht allein! Wir alle sind die Prügelknaben" — Zwi- schenrufe wie diese ließen erken- nen, wie auch die Diskussionsbe- merkungen beim anschließenden Colloquium, daß die Ärzteschaft als Ganzes sehr wohl erkannt hat, wie zukunftsentscheidend für jeden ein- zelnen Arzt in Praxis und Klinik so- wie für das gesamte deutsche Ge- sundheitswesen die derzeitige ge- sundheits-, sozial- und gesell- schaftspolitische Auseinanderset- zung ist.

„Kostenfrage" an die Regierung:

Zum Beispiel Tumornachsorge Am Beispiel der Tumornachsorge machte Sewering deutlich, wie sehr

eine Verwirklichung der radikal-re- striktiven „Austerity"-Pläne aus dem Bundesarbeitsministerium eine fort- schrittliche Versorgung der Patien- tinnen und Patienten hemmen oder gar verhindern würde. Eine energi- sche Verbesserung der Tumornach- sorge ist dringend erforderlich, wie es die Wissenschaft einhellig fordert und wie es Prof. Dr. Sewering be- reits am 7. März in seinem Festvor- trag bei der Eröffnung des „Jubi- läumskongresses" der Bundesärzte- kammer in Davos dargelegt hatte (referiert in Heft 11, Seite 713, des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES; im Wortlaut publiziert im April-Heft der

„Monatskurse für die ärztliche Fort- bildung", Deutscher Ärzte-Verlag, Dieselstraße 2, 5 Köln 40). Der nie- dergelassenen Ärzteschaft — und zwar in Zusammenarbeit aller in Frage kommenden Gebiete! — ist mit der ambulanten Tumornachsorge nach der Entlassung des Patienten aus der Klinik bzw. aus der Nachsor- ge-Klinik eine geradezu klassische Aufgabe gestellt. Eine programmier- te, zeitlich und inhaltlich klar defi- nierte Nachsorge (Modell-Program- me wurden von Dr. Leonhardt, Ober- audorf/Bad Trißl, entwickelt und vorgestellt) wirft selbstverständlich gewichtige Kostenfragen auf:

„Wenn man auf der einen Seite den Willen hat, den medizinischen Fort- schritt in die Praxis zu tragen, dann muß auf der anderen Seite die Frage beantwortet werden, wer das wie fi- nanzieren will."

Sewering: Das Problem läßt sich nicht einfach durch politische Erklä- rungen aus der Welt schaffen, das

„selbstverständlich der Fortschritt erhalten" bleibe, während in Wirk- lichkeit im Gesamtetat der sozialen Krankenversicherung viele Milliar- den „eingespart" werden sollen. An die Politiker wie an alle an der sozia-

len Krankenversicherung Beteiligten richtete Sewering die Aufforderung:

„Wir sollten uns zusammensetzen und vernünftige Wege suchen, um den Fortschritt in der Medizin mit den Finanzierungsmöglichkeiten in Einklang zu bringen!"

Zwei Tage vor der Sitzung des Bun- desrates, der sich am 11. März als erstes gesetzgeberisches Gremium mit den Regierungsentwürfen über die künftige Finanzierung der Ren- tenversicherung sowie über Struk- turveränderungen und Einsparun- gen in der Krankenversicherung be- faßte, kam diesen Ausführungen Se- werings besondere Aktualität zu.

Zum Zeitpunkt des Erscheinens die- ses Berichtes sind sie gewiß noch gültig als Kommentar zu der inzwi- schen beschlossenen Stellungnah- me des Bundesrats, wenn auch die bei Redaktionsschluß dieses Heftes noch bevorstehende 1. Lesung im Deutschen Bundestag (17. März) mittlerweile erwiesen haben sollte, daß die Bonner Regierungskoalition weiterhin an ihrem übereilt und ohne ausreichend sachliche Abstim- mung mit allen Beteiligten aus Schubladen-Entwürfen zusammen- geschusterten Paragraphenwerk festhält.

Sachgerechte Lösung

in einer „konzertierten Aktion"

Übereinstimmend mit der Resolu- tion des Bundesrates vertrat Prof.

Sewering für die Ärzteschaft die Auf- fassung, daß die Begrenzung des Kostenwachstums im Gesundheits- wesen den hohen Standard der me- dizinischen Betreuung unserer Be- völkerung nicht beeinträchtigen dürfe. Die Kassenärzte würden auch in Zukunft in wirtschaftlichen Not- zeiten bereit sein, entsprechende fi- nanzielle Opfer durch eine Begren- zung ihrer Honorare zu bringen, was sie ja anerkanntermaßen bereits für die Jahre 1976 und 1977 in vertragli- chen Vereinbarungen mit den Kran- kenkassen getan haben. Dabei müßte aber neben rein wirtschaftli- chen Kriterien, welche die Ärzte- schaft selbstverständlich auch be- rücksichtigen wolle, die Entwick-

Jeder Bürger muß erkennen, was in den Regierungsplänen steckt

Prof. Dr. Sewering beim berufspolitischen Colloquium

des Badgasteiner Fortbildungskongresses der Bundesärztekammer

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 12 vom 24. März 1977

773

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Die Information:

Bericht und Meinung

Berufspolitisches Colloquium in Badgastein

lung des medizinisch-wissenschaft- lichen Fortschritts und damit auch der Leistungsumfang der Kassen- ärzteschaft weiterhin ein wesentli- ches Kriterium für die Bemessung der kassenärztlichen Vergütung bleiben.

Die im Gesetzentwurf der Bundesre- gierung vorgesehene Regelung für die Festlegung des Wachtums der ärztlichen Gesamtvergütung vorran- gig nach wirtschaftlichen Kriterien ohne Berücksichtigung des Bedarfs an ärztlicher Leistung und ohne Be- rücksichtigung der medizinischen Entwicklung wird, wie Sewering un- ter dem Beifall der versammelten Ärzte und Ärztinnen betonte, von der Ärzteschaft weiterhin entschieden abgelehnt: „Wir fühlen uns durch die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung durch den Bundesrat hinsichtlich der Festle- gung des Wachstums voll bestätigt."

Die Stellungnahme des Bundesrats, die letztlich auf eine Abkoppelung des Gesetzentwurfs über die „Ko- stendämpfung" zielt, verbunden mit der Empfehlung, alle Beteiligten an der Krankenversicherung — also Krankenkassen auf der einen Seite,

Ärzte und Zahnärzte, Krankenhaus- träger, Apotheker, Pharmaindustrie auf der anderen Seite — auf der Grundlage des derzeit geltenden Krankenversicherungsrechts zu Ver- einbarungen über die Begrenzung des Kostenwachstums zu veranlas- sen, bezeichnete Sewering als sach- gerecht. Mit einem solchen Vor- schlag hat der Bündesrat, wie Sewe- ring unterstrich, zugleich bestätigt, daß das derzeit geltende Kranken- versicherungs- und Kassenarzt- recht, das ja erst zum 1. Januar 1977 novelliert worden ist, völlig ausreicht, um die Kostenentwick- lung der jeweiligen wirtschaftlichen Lage der Krankenkassen anzupas- sen, und daß es derzeit überhaupt keinen sachlichen Anlaß zu gesetz- geberischen Eingriffen in die Kran- kenversicherung gibt.

Über Maßnahmen

der Kostendisziplin sachlich reden Die Kassenärzteschaft werde, wie dies die Kassenärztliche Bundesver- einigung bereits zugesichert hat (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 11, Seite 708 ff.), auch für die Folge- jahre bereit sein, die in freier Verein- barung zwischen den Selbstverwal-

tungen der Ärzte und Krankenkas- sen erreichte und durch den Gesetz- entwurf der Bundesregierung mas- siv bedrohte Beitragsstabilität si- chern zu helfen. Über die Einzelhei- ten entsprechender Maßnahmen der Kostendiziplin könne sachlich und nüchtern geredet werden!

Besonders begrüßte Sewering auch die Ablehnung der Festsetzung ei- ner Höchstgrenze für Arzneiverord- nungen mit einer Rückkoppelung an die kassenärztliche Gesamtvergü- tung: Die bereits in der Begründung der entsprechenden Stellungnahme des Bundesratsausschusses für Ar- beit und Sozialpolitik formulierten Bedenken hinsichtlich der Einen- gung der Therapiefreiheit der Ärzte und hinsichtlich der begründeten Besorgnis der Versicherten, ihre Versorgung mit Arzneimitteln sei bei Verwirklichung dieser Bestimmun- gen des Regierungsentwurfs nicht mehr optimal, werden von der Ärzte- schaft geteilt.

Im übrigen hat aber, wie Sewering bedauerte, auch der Bundesrat bzw.

dessen Ausschuß für Arbeit und So- zialpolitik bezüglich der Arzneiver- ordnungen in der Praxis keine be-

Die österreichische Gesundheitsministerin Prim. Dr. med. Ingrid Leodolter (Foto rechts), flankiert von den Herren der Kongreßleitung während der Begrüßung der Kongreßteilnehmer in Badgastein durch den Beauftragten der Bundesärztekam- mer, Dr. Franz-Carl Loch (am Pult)

774 Heft

12 vom

24. März

1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Die Information:

Bericht und Meinung

Blick in den Großen Saal des Kongreßzentrums in Badgastein bei der Eröffnung des XXII. Internationalen Fortbildungskongres-

ses der Bundesärztekammer Fotos (4): Gastuna

friedigende Lösung vorgeschlagen.

So soll die Entscheidung darüber, ob gewisse Arzneimittel, Verbände oder Heilmittel zu Lasten der Kran- kenkasse oder aber des Patienten verordnet werden können, dem ein- zelnen Arzt zugeschoben werden, weil ja das „Vorliegen besonderer Voraussetzungen" immer nur am Einzelfall beurteilt werden könnte.

Damit wird, worauf Sewering kri- tisch hinwies, zwangsläufig eine Konfliktsituation zwischen dem Arzt und dem Patienten aufgebaut.

Betrachtet man schließlich die Arz- neikostenbeteiligung der Versicher- ten in Höhe von maximal 3,50 DM unter Berücksichtigung der im Re- gierungsentwurf vorgesehenen Aus- nahmeregelungen, die der Bundes- rat sogar noch erweitert sehen möchte, dann müsse damit gerech- net werden, daß der finanzielle Er- trag für die Krankenversicherung noch geringer sein werde als bei der derzeitigen Regelung. Ein Beitrag zur „Kostendämpfung" in der Kran- kenversicherung, so betonte Sewe- ring, sei auch diese Gesetzesrege- lung nicht!

Dem Votum des Bundesratsaus- schusses für Arbeit und Sozialpolitik zur Ablehnung einer vorstationären Diagnostik und einer nach- stationären Behandlung durch die Institution Krankenhaus mißt Sewe- ring eine besondere Bedeutung zu, weil gerade in diesem Gremium die mit dem Krankenhauswesen und mit der Bedarfsplanung befaßten Fach-

leute der Bundesländer vertreten sind.

Prof. Sewering wies noch einmal darauf hin, wie dies die Ärzteschaft schon wiederholt einmütig und nachdrücklich getan hat, daß die Einschaltung der Krankenhäuser in die Voruntersuchung und Nachbe- handlung von Patienten nichts mit Kostendämpfung zu tun hat, son- dern geeignet ist, eine Entwicklung einzuleiten, die letztlich im Kranken- hausambulatorium endet.

Prof. Dr. Sewering machte diese hier zusammengefaßten aktuellen Aus- führungen im Rahmen einer ebenso umfassenden wie gründlichen Dar- stellung des gesamten Gesetzesvor- habens der Bundesregierung zur Renten- und Krankenversicherung in einem — an zahlreichen Stellen von Beifall bekräftigten — Vortrag, dem es nicht an Deutlichkeit fehlte, der aber in jedem Satz die Sachlich- keit wahrte. Auf weitere Einzelheiten wie auch auf die Diskussion kom- men wir in einer späteren Ausgabe zurück; hier seien noch die Schluß- bemerkungen Professor Sewerings referiert:

Geschlagen werden die Ärzte, getroffen auch die Patienten

„Der Streik — nicht zu verwechseln mit legitimen Protestaktionen — ist kein Mittel unseres Abwehrkampfes, auch wenn es um diesen Gesetzent- wurf geht. Wir sollen uns nicht ins

Unrecht setzen lassen, gerade nicht vor unseren Patienten, deren Ver- sorgung wir sicherstellen müssen und wollen. Geben wir auch Splitter- gruppen keine Chance, die Hirnge- spinsten nachhängen und unseren Gegnern geradezu in die Hand ar- beiten!

• Handeln wir weiter so wie von Anfang an: Tragen wir allen Politi- kern unsere Bedenken und unseren Protest vor, unterrichten wir weiter- hin und noch verstärkt die Öffent- lichkeit! Jeder Bürger draußen im Land muß erkennen und wissen, was in und hinter den Regierungs- vorhaben wirklich steckt. Wer heute noch schadenfroh ist, daß ,die Ärzte mal rasiert' werden, dem wird dann klar werden: Geschlagen werden zwar die Ärzte, aber ,es wird der Sack getroffen, in dem die Patienten stecken' — auch jene, die jetzt viel- leicht selbst noch schadenfroh sind.

• Fahren wir fort, Einsicht zu wek- ken und Freunde, Verbündete zu ge- winnen. Laßt uns eine Front aufbau- en und gemeinsam dafür sorgen, daß vernünftige Regelungen getrof- fen werden, die uns in die Lage ver- setzen, auch künftig unsere Patien- ten so zu versorgen, wie sie es von ihren Ärzten im sozialen Rechtsstaat erwarten dürfen."

Mit minutenlangem Beifall drückte das Auditorium seine Zustimmung zu den Ausführungen Sewerings aus. DÄ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 12 vom 24. März 1977

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Referenzen

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