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Archiv "Ärzte in ärmeren Stadtteilen: Ich bleib’ dann mal hier" (07.11.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 105⏐Heft 45⏐7. November 2008 A2377

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heoretisch bin ich jetzt zu- ständig für 300 000 Leute“, sagt Dr. med. Jörg Fischer. Der 53- Jährige schaut aus einem Fenster seiner Augenarztpraxis im dritten Stock eines Klinkerneubaus nahe dem Hamburger S-Bahnhof Stern- schanze. „Ich sitze hier im europa- weit am dichtesten besiedelten Ge- biet“, erläutert Fischer. Soll heißen:

Hier gibt es für Augenärzte eine Menge zu tun. Doch Fischer ist der Einzige weit und breit. In den letz- ten Jahren haben acht Kollegen rundherum ihre Praxen geschlossen.

Mittlerweile stehen 50 000 Na- men in Fischers Patientenkartei.

Wenn einer kommt und sagt, er sei doch schon mal da gewesen, fühlt sich der Hamburger verpflichtet, ihn zu behandeln. Der Doktor mit den grauen kurzen Haaren arbeitet mon- tags bis donnerstags von morgens neun bis abends 19 Uhr, freitags

operiert er in einer Klinik in der Nähe. „Es reicht mir schon“, seufzt er. „Permanenter Druck, auch auf meine Damen vorn am Empfangs- tresen, permant die Praxis voll.“

Fischer ist auf seinem augenärzt- lichen Posten mitten im Hambur- ger Problembezirk Schanzenviertel zwar allein, aber kein Einzelfall in Deutschland. Da, wo es viel zu tun gibt und wenig Geld, wollen viele weg – und kaum einer hin. „Kein Augenarzt, kein Hautarzt, kein Or- thopäde: Weil es in anderen Stadttei- len mehr zu verdienen gibt, kehren immer mehr Fachärzte Frankfurt-Fe- chenheim den Rücken“, beschrieb vor einer Weile die „Frankfurter Rundschau“ die Misere in einem Kleine-Leute-Stadtteil der hessi- schen Großstadt.

Statistisch gesehen arbeiten in Deutschland eine Menge niederge- lassene Ärztinnen und Ärzte aller

Fachrichtungen. Insgesamt sind es derzeit rund 140 000. Doch sie sind längst schlecht verteilt.

Während sich in den Innenstädten die Praxen knubbeln, muss man sie am Stadtrand und auf dem Land im- mer häufiger suchen. Dazu kommt:

Ärzte ziehen von ärmeren in reiche- re Stadtviertel. Dort können sie in der Regel etliche Privatpatienten be- handeln, die besser bezahlen und mehr Leistungen in Anspruch neh- men. Außerdem kommen häufiger Kassenpatienten, die aus der eigenen Tasche medizinische Extras bezah- len. Für die Ärzte heißt das: mehr Geld verdienen und weniger arbeiten.

Von Fischers acht verflossenen Kollegen im Hamburger Schanzen- viertel sind sieben in den Ruhestand gegangen und fanden keinen Nach- folger. „Die jungen Kollegen gehen eben ins Ausland, nach England oder Skandinavien“, erläutert er. Dort ÄRZTE IN ÄRMEREN STADTTEILEN

Ich bleib’ dann mal hier

In großen Städten wie Hamburg und Berlin ziehen Ärzte weg von ärmeren in reichere Bezirke. Sie arbeiten lieber dort, wo es mehr zu verdienen gibt. Andere hören auf, weil sie alt sind, und finden keinen Nachfolger. Zurück bleiben überlastete Kollegen.

Und Patienten, die diesen die Schuld an der Warterei auf eine Behandlung geben.

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Foto:Fotolia,vario images [m]

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locken bessere Gehälter, geregelte Arbeitszeiten und interessante Fort- bildungsangebote. „Der Rest, der es lieber etwas beamtenmäßig mag, geht in ein MVZ.“ So wie der achte Kollege, der nicht in den Ruhestand, sondern in ein Medizinisches Ver- sorgungszentrum (MVZ) in Ham- burgs Zentrum gegangen ist.

Einzelkämpfer Fischer kann den abtrünnigen Kollegen verstehen.

Der hat die ellenlangen Arbeitstage in seiner Praxis mit vielen Rentnern, Hartz-IV-Empfängern und Migran- ten aus aller Welt gegen ein geregel- tes Arbeitsleben mit einem vernünf- tigen Gehalt in einer wohlhabende- ren Gegend getauscht.

Die jungen Ärztinnen und Ärzte lassen sich erst gar nicht auf eine Praxis in schwieriger Lage ein.

„Das Vertrauen in die Verlässlich- keit der Politik ist so gebrochen, dass keiner mehr in eine Praxis investieren will“, weiß Fischer.

„Wenn Bäcker Kamps seine Filia- len verkauft, will er seine Investi- tionen herausholen und Gewinn machen. Das finden die Leute in Ordnung. Aber dass ein Arzt Si- cherheit braucht, wenn er eine Pra- xis aufmacht, und sein Geld am En- de wieder herausholen will, das ist heute nicht mehr erwünscht.“

Fischer hat sich vor 18 Jahren nie- dergelassen und will bleiben, trotz

des ganzen Stresses. Er fühlt sich verantwortlich für seine Patienten:

„Wenn ich heute sage, ich mache das nicht mehr, dann würde sich keiner mehr finden für meine Praxis, die doch eigentlich bestens läuft.“

Wie viele Patienten er in diesem Quartal schon behandelt hat? „Da kann ich gleich nachsehen“, sagt er und tippt ein paar Mal auf seine PC- Tastatur. „Bis heute waren es 2 522“, antwortet er kurz darauf, „bis

das Quartal zu Ende ist, werden es wohl 2 700 sein.“

Für 2 200 von ihnen bekommt er ein normales Honorar, im Durch- schnitt 25 Euro pro Quartal, für alle übrigen nur noch einen Bruchteil davon. „18 000 Euro zahlt mir die Kassenärztliche Vereinigung monat-

lich als Abschlag. Das hört sich viel an, aber die Hälfte sind ja schon Kosten“, rechnet Fischer weiter vor.

Und dann? „Der verdient 9 000 Euro pro Monat, heißt es dann“, ärgert sich der Augenarzt. „Dabei gehen noch 3 000 bis 4 000 Euro für Kredite drauf, und Arbeitgeberzuschüsse für meine Sozialversicherung kriege ich ja auch nicht. Am Ende arbeite ich auf der Gehaltsebene meiner Arzt- helferinnen. Das will von den Jungen doch keiner.“

Fischers Probleme kann der Hamburger Allgemeinmediziner Norbert Eckhardt (47) gut nachvoll-

ziehen. Auch bei ihm im Süden der Stadt, in Fischbek, fehlt es mittler- weile an Hausärzten. Wer am S- Bahnhof aussteigt und zur Praxis läuft, findet es hier draußen gar nicht so übel. An der Durchgangs- straße liegen alle Geschäfte, die man braucht, ordentliche Klinker- bauten prägen das Stadtteilbild.

Bloß: Unter Einkommensgesichts- punkten betrachtet ist der Bezirk ein Problemfall.

Eckhardt ist ein freundlicher Mann mit flinken Augen hinter der Hornbrille. Er arbeitet immer noch gern, betont er, aber: „Hier draußen muss man sein Geld sauer ver- dienen.“ Längere Zeit hatte er vie- le türkischstämmige Patienten, jetzt überwiegen die Russlanddeutschen.

Mit denen kann er sich besser ver- ständigen, aber mehr Geld bekommt er auch nicht. Pro Patient sind es im

Quartal 35 bis 40 Euro. „Ich weiß gar nicht, wie viele Privatpatienten ich eigentlich habe“, sagt er. „Aber die Kollegen in Eppendorf oder Winterhude kommen leicht auf 25 Prozent.“

Eckhardts Praxis liegt in einer ru- higen Seitenstraße, in einem einla- denden Haus unter alten Bäumen.

Er teilt sich die Arbeit mit einem Kollegen, unter demselben Dach haben sich noch ein Frauenarzt, eine Physiotherapeutin und ein Psycho- loge niedergelassen. Alles sehr schön, aber wenn der Allgemeinme- diziner von seinen Kollegen rund- herum spricht, die in den letzten Jahren weggegan- gen sind, klingt es, als ob ein alter Mann von seinem vergreisten Freundeskreis erzählt: „Lauenstein ist weg, Schmidt ist gegan- gen, vier Kollegen sind über 60 und werden auch nicht mehr lange da sein.“

Dafür bleiben die Pa- tienten da – und damit viel Arbeit. Eckhardt schleust rund 1 200 pro Quartal durch, sein Kolle- ge noch einmal so viel. Seit einer Weile ist ein Allgemeinmediziner in der Nähe häufiger krank. Aber Eck- hardt und sein Kollege schaffen es nicht, regelmäßig noch mehr Patien- ten zu versorgen. Vor zwei Monaten haben sie deshalb einen Annahme- stopp verhängt.

„Nun irrlichtern die Patienten bei unterschiedlichen Kollegen her-

Wenn ich heute sage, ich mache das nicht mehr, würde sich keiner finden für meine Praxis, die doch bestens läuft.

Dr. med. Jörg Fischer, Augenarzt im Schanzenviertel

Ich habe schon Phasen, in denen

ich schwer durchhänge. Ich

hoffe, das schlägt bei

den Patienten nicht durch.

Norbert Eckhardt, Hausarzt in Fischbek

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um, die weiter weg praktizieren“, berichtet Eckhardt. Er ist aber nun mal kein hilfloser Helfer, der sich überfordert. Mehr als zehn Jahre lang hat Eckhardt sich der Selbstre- flexion in Balintgruppen gewidmet.

Er macht eine lange Mittagspause, isst mit seiner Familie, hält ein Nickerchen und kontrolliert die Hausaufgaben seiner drei Kinder.

Seine Praxis hat er mithilfe von konsequentem Qualitätsmanagement wohl organisiert: „Meine Helferin-

nen sind geschult und wissen die Patienten zu sortieren. Wer Schmer- zen hat oder etwas Akutes, der kommt noch am selben Tag dran.

Dafür halten wir auch die Hälfte der Sprechstundenzeit frei. Die an- deren müssen rund drei Wochen warten.“

Und doch setzt es dem Allge- meinmediziner zu, dass immer mehr Kollegen gehen und keine jungen nachkommen: „Ich habe schon Pha- sen, in denen ich schwer durchhän-

ge. Ich hoffe, das schlägt bei den Pa- tienten nicht durch.“

Ganz schlimm sehe es mittler- weile aber bei den Fachärzten aus, findet Eckhardt. „Wenn Sie in Ham- burg beim Neurologen innerhalb von drei Monaten einen Termin be- kommen, sind Sie ein glücklicher Mensch.“ Dass er einen Kollegen anruft und drängelt, bringt auch nichts, sagt Eckhardt: „Das geht, wenn es wirklich sehr dringend ist.

Sonst dürfen Sie die Kollegen nicht überstrapazieren.“

Dass einzelne Fachärzte 2 000 Patienten oder mehr behandeln pro Quartal, hält er für Wahnsinn: „Das ist den Kollegen nicht mehr zumut- bar.“ Warum aber tun sie es dann?

„Es gibt eben Ärzte, die von dem Gedanken beseelt sind zu helfen“, glaubt Eckhardt. „Das Geld kann es nicht sein. Ich weiß von Kollegen, dass sie je Fall 25, 30 Euro bekom- men. Die fühlen sich moralisch ver- pflichtet, so viel zu arbeiten. Sie wis- sen: Wenn sie es nicht tun, werden die Patienten nicht mehr versorgt.“

Warum er in Fischbek bleibt?

Allzu viel scheint er sich aus Geld nicht zu machen, und außerdem ist ein bisschen davon in der Familie vorhanden, lässt er durchblicken.

Ihn halten, wie viele Kollegen in ähnlicher Situation, die Patienten.

Man glaubt es, wenn man einmal bei ihm am Schreibtisch gesessen hat.

Neben dem PC liegen viele bunte Steine. Zu jedem gehört eine Ge- schichte und das Gesicht eines Pati- enten. Einer ist ein rot-brauner Jas- pis, ein Handschmeichler. „Das war der erste Stein, den mir eine Patien- tin mitgebracht hat“, erinnert sich Eckhardt lächelnd. „Er sollte mir Glück bringen.“ Daneben liegen ein braunes Tigerauge, ein grauer Feuer- stein, einige sattgelbe Bernsteine, weiß-grüne Amazoniten. Der Dok- tor hat offensichtlich bei seinen Pa- tienten einen Stein im Brett.

Doch übervolle Praxen, Termin- druck und abgehetzte Ärzte zehren an der besten Arzt-Patient-Bezie- hung. Das erlebt zumindest Augen- arzt Fischer im Schanzenviertel re- gelmäßig. „Die Leute machen uns schon öfters unschöne Szenen am Tresen, wenn wir ihnen erst in ein paar Monaten einen Termin geben

BERLIN: „SCHLECHTER GEWORDEN“

„Beschwerden über zu lange Wartezei- ten und fehlende Fachärzte häufen sich in Marzahn-Hellersdorf, Lichten- berg und Hohenschönhausen“, hat die Patientenbeauftragte für Berlin, Karin Stötzner, in ihrem jüngsten Tätigkeits- bericht geschrieben – also vor allem im Osten der Stadt. Stötzner kritisiert darin auch die heutige Bedarfspla- nung: „Wenn, was immer häufiger vor- kommt, am Ende des Quartals eine Praxis geschlossen wird, weil deren Budget ,erschöpft‘ ist, zählt zwar die Praxis als vorhanden, das Angebot fehlt aber.“

KV Berlin: Statistik gut, Versorgung weniger

„Statistisch betrachtet ist die Lage nir- gendwo dramatisch. Es ist keine echte Unterversorgung festzustellen“, betont KV-Sprecherin Annette Kurth. „Aber wir nehmen die Sorgen ernst. Denn faktisch ist die Situation schlechter ge- worden, zumindest für ältere Men- schen, die nicht mobil sind.“

Die KV kann Ärzte allerdings nicht davon abhalten, in reichere Bezirke zu

ziehen. Seit 2003 gilt Berlin wie andere Großstädte auch als ein Planungsbezirk.

Vorher zählte noch jeder der zwölf Groß- bezirke als ein Planungsbereich. Dies war, als die Bedarfsplanung eingeführt wurde, ein Zugeständnis an die jahre- lange Ost-West-Trennung, erläutert Kurth: „Berlin wäre sonst auf dem Pa- pier durchgängig überversorgt mit Ärz- ten gewesen, ohne dass man im Osten eine adäquate Facharztversorgung hätte aufbauen können.“ 2003 wurde die Trennung aufgehoben – nicht zuletzt, weil die Kassen gedrängt hatten, weite- re Niederlassungen einzuschränken.

In Zukunft: flexiblere Planung, gleiche Punktwerte

Theoretisch ließen sich Ungleichgewich- te zwischen Bezirken demnächst einfa- cher ausgleichen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Bedarfspla- nung im Sommer überarbeitet. Nun können Kassen und KVen in überver- sorgten Planungsgebieten unterversorg- te Bereiche identifizieren und stützen.

Ob die Krankenkassen allerdings nächs- tes Jahr Geld für Sicherstellungszu- schläge aufbringen wollen, wenn ihnen der Gesundheitsfonds und der einheitli- che Beitragssatz zusetzen, ist ungewiss.

Die KV Berlin hofft aber auch auf positive Effekte der Honorarreform 2009. Tendenziell werden nämlich Ärzte in ärmeren Stadtteilen mehr ver- dienen können als bisher. Dort sind re- lativ viele Menschen bei Primärkassen krankenversichert. Diese Tatsache be- scherte ihren behandelnden Ärzten bislang niedrigere Punktwerte. Solche kassenspezifischen Unterschiede ent- fallen vom nächsten Jahr an.

Foto:Caro

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können“, erzählt er. Unlängst muss- te er sogar die Polizei rufen. Ein Pa- tient, den Fischer schon außer der Reihe drangenommen hatte, flippte aus, weil für eine bestimmte Unter- suchung keine Zeit mehr war. „Der hätte sich am liebsten mit mir ge- schlagen“, erzählt Fischer.

Warum machen die Patienten die- se ganze Warterei mit? Tja, warum?

Darüber grübelt der Facharzt kurz nach. „Die Politik vermittelt ihnen doch noch immer: ,Sie kriegen im Krankheitsfall alles, was sie brau- chen‘“, findet er. „Wenn Patienten dann lange auf einen Termin warten müssen, halten sie das für mein Ver- sagen. Die können sich nicht vorstel- len, dass eine Ausdünnung der Pra- xen politisch gewollt ist. Wenn ich denen von sinkenden Arzthonoraren erzähle, heißt es: ,Da würden die Ärzte doch pleitegehen, das wollen die Politiker doch nicht.‘“

Einen Beleg für Fischers Vermu- tung findet man direkt an der Pra- xistür. Waldemar M. (75) hat an diesem Morgen zwei Stunden im Wartezimmer gesessen. Er habe aber auch keinen Termin gehabt, schränkt er ein. Aber: „Die sind

nicht in der Lage, ihre Praxis so zu organisieren, dass es läuft. Da muss man doch Zeitpuffer einbauen für Leute, die mal spontan kommen, weil sie was haben.“

Auch bei seiner Hausärztin müs- se er oft schon 14 Tage auf einen Termin warten, kritisiert der Rent- ner. „Ich wünschte mir manchmal schon, dass es schneller ginge, gera- de wenn es einem schlecht geht“, sagt er leise. „ Aber die Sprechstun- denhilfen wimmeln einen eben ab, wenn die Praxis erst mal läuft und so gut ausgelastet ist, dass man sich das leisten kann.“

Patient Jörg D.: „Die kriegen ja kein Geld für nichts.“

Auch Jörg D. (45) seufzt, als er aus der Augenarztpraxis kommt.

Um 9.30 Uhr war er bestellt, nun ist es 11.15 Uhr. Dabei hat der Hand- werker den Termin schon vor gut ei- nem Vierteljahr vereinbart. „Wenn ich um neun Uhr bei Kunden ange- meldet bin und komme um 9.15 Uhr, sind die schon sauer“, ver- gleicht er. „Klar ärgert es mich, wenn ich hier in der Praxis so lange warten muss.“ Woran es liegen

könnte? „Das Praxismanagement müsste besser sein“, findet Jörg D.

„Bei vereinbarten Terminen kann man doch nicht so sehr ausbrechen.“

Gleichzeitig hat er Verständnis für Fischer und andere Ärzte: Deren Praxen seien voll, aber „die kriegen ja kein Geld für nichts, das weiß ich von Freunden. Wenn man deren Sät- ze hört – nee!“ „Dr. Fischer be- kommt pro Patient und Vierteljahr 25 Euro. Bekommen Sie mehr?“ „Ja klar“, lacht D., „zwischen 30 und 40 Euro die Stunde. Vor allem: Wenn es bei mir länger dauert, kriege ich das auch bezahlt. Wenn der Arzt eine Oma im Behandlungszimmer hat, die quatschen will, dann dauert das, aber mehr Geld gibt es deswegen nicht.“

Wer aber kennt die Lösung für diese Versorgungsmisere? Die be- troffenen Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen) winken ab, vor allem, weil die Versorgung in Großstädten insgesamt immer noch gut ist. Dazu kommt: Ist die ganze Stadt ein ein- ziger Planungsbezirk, wie unter an- derem in Hamburg, können Ärzte grundsätzlich ungehindert von ei- nem Bezirk in den nächsten ziehen.

Allerdings darf der Zulassungs- ausschuss von KV und Krankenkas- sen solche Umzüge aus Sicherstel- lungsgründen verweigern. Und er kann bei der Vergabe von Praxissit- zen Bewerber bevorzugen, die in schlecht versorgten Gebieten arbei- ten wollen.

Allgemeinmediziner Eckhardt, der im Fachausschuss Hausärzte seiner KV sitzt, würde sich eine kla- rere Steuerung wünschen. Darüber hinaus lotet der Hamburger andere Lösungen aus. Demnächst fährt er in die Schweiz und studiert, was Kollegen dort auf die Beine gestellt haben. Sie haben die Versorgung für eine Region übernommen, zahlen sich ein Gehalt und stecken das, was übrig bleibt, in ihre Praxen, damit es noch besser läuft. „Ein Gehalt wür- de bedeuten, dass Ärzte keinen An- reiz haben, sich in reicheren Gegen- den niederzulassen“, meint Eck- hardt. „Das könnte man hier ebenso machen. Auch wenn mir einige für diese Ansicht am liebsten den Schä- del einschlagen würden.“ I Sabine Rieser Herr Plassmann, offenbar

ziehen Ärzte in Großstädten vermehrt von ärmeren in rei- chere Bezirke. Ist das auch in Hamburg so?

Plassmann:Ja, aber das ist kein Trend. Es gab bei uns aller- dings einige spektakuläre Fälle, und die findet man dann in den Medien. Betroffen sind Bezirke wie Wilhelmsburg, Finkenwer- der und Gegenden südlich der Elbe, also vor allem alte Arbei- terviertel und Bereiche mit vie- len Migranten. Da sieht es tra- ditionell etwas dünner aus.

Die KV hat die ambulante Versorgung sicherzustellen.

Falls die Verteilung von Ärz- ten in einer Stadt wie Ham-

burg immer ungleicher aus- fiele – wann müssten Sie darauf reagieren?

Plassmann:Wichtig ist: Ham- burg ist von einer Unterversor- gung meilenweit entfernt. Wir haben zwar stellenweise Pro- bleme und diskutieren darüber auch mit Krankenkassen und der Politik. Aber mit Engpässen wie in Mecklenburg-Vorpom- mern zum Beispiel kann man das nicht vergleichen. Trotzdem ist es natürlich hart, wenn, wie unlängst in Finkenwerder ge- schehen, ein Hausarzt Knall auf Fall weggeht und seine Patien- ten so schnell keinen anderen finden. Wir haben uns in die- sem Fall aber aktiv und erfolg- reich bemüht, Ersatz zu finden.

Was tut die KV für Ärzte, die eine Vielzahl von Patienten versorgen, weil sich Kollegen in andere Bezirke verab- schieden?

Plassmann:Hamburg ist ein einziger Planungsbezirk. Ver- hindern können wir Umzüge nicht. Wenn aber ein Arzt sei- nen bisherigen Bezirk verlässt und sich kein Nachfolger fin- det, bekommen die verblei- benden Kollegen ein erhöhtes Budget. Wir bemühen uns auch, tatkräftig Ärzte zu bera- ten, die sich in ausgedünnten Bezirken niederlassen wollen.

Wir finanzieren dann schon mal einen Businessplan, um ihnen finanzielle Sicherheit zu geben.

3 FRAGEN AN…

Walter Plassmann, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg

Foto:KV-Hamburg

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