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Archiv "Hamburger „Strahlenskandal“: Schlusstrich – nach 14 Jahren" (23.11.2007)

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A3234 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 4723. November 2007

M E D I Z I N R E P O R T

D

er Vorstand des Universitäts- klinikums Hamburg-Eppen- dorf (UKE) und Prof. Dr. Dr. med.

Klaus-Henning Hübener haben ver- gangene Woche eine Vereinbarung unterzeichnet, mit der das seit 1993 laufende Disziplinarverfahren ge- gen den ehemaligen Leiter der Strahlentherapie am UKE nunmehr ein Ende findet. In der Übereinkunft verpflichtet sich Hübener, fortan nicht mehr als Arzt tätig zu sein.

Auch in seiner Tätigkeit als Hoch- schullehrer wird der Mediziner nicht ans UKE zurückkehren. Zu- dem wird Hübener auf alle Entschä- digungsforderungen gegenüber dem Klinikum verzichten.

Rückblick: Im Juni 1993 berich- tete die „Hamburger Morgenpost“, dass zahlreiche Patienten mit fort- geschrittenem Rektumkarzinom, die zwischen 1986 und 1990 an der UKE bestrahlt worden waren, schwerste radiogene Komplikatio- nen erlitten haben sollen. Die Be- troffenen waren nach dem „Sand- wich-Verfahren“ behandelt wor- den, welches eine Bestrahlung sowohl vor als auch nach dem chirurgischen Ein- griff vorsah (DÄ, Heft 37/

1993). Hübener wurde aufgrund der Vorwürfe vom Dienst suspendiert.

Bundesgerichtshof 2006: Strafrechtlich freigesprochen

Den Ereignissen folgte eine außergewöhnliche Medienkampagne, die als

„Hamburger Strahlenskandal“

bundesweit Aufsehen erregte – auch in Fachkreisen. Denn in den 70er- und 80er-Jahren war man von einer „Standardtherapie“

des fortgeschrittenen Rektum- karzinoms weit entfernt.

Vielmehr gab es eine Fülle unter- schiedlicher – teilweise sich wider- sprechender – Therapieansätze. In der Fachdiskussion standen damals Fragen nach der „optimalen“ Strah- lendosis pro Fraktion, der Gesamt- behandlungszeit und der Split- course-Technik.

Ursprünglich forderten 326 Pati- enten Schadensersatz. Unzählige Gutachter wälzten Berge von Akten, sodass sich die eingeleiteten Unter- suchungen auf behördlicher und ge- richtlicher Ebene hinschleppten. In den Folgejahren wurden mehr als 200 strafrechtliche Ermittlungs- verfahren gegen Hübener geführt, die zugunsten des Angeklagten ent-

schieden worden sind.

Am 16. August 1999 (also sechs Jahre nach Beginn) wa- ren alle Ermitt- lungsverfahren rechtskräftig ein- gestellt worden.

Nur in einem Fall kam es zur Ankla- ge mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung einer Darmkrebspatientin, die 1988 bestrahlt worden und 1999 gestorben war. Am 7. Dezem- ber 2005 sprach das Hamburger Landgericht den Radioonkologen frei (Urteil: 606 KLs 21/03). Ein Jahr später (13. Dezember 2006) bestätigte der Bundesgerichts- hof das Urteil (5 StR 211/06).

Beide Gerichte waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die am UKE praktizierte Sand- wich-Methode „eine nach dem Stand der medizinischen Wis- senschaft im Jahre 1988 vertretbare Heilmetho- de war, die den Re- geln der ärztlichen Kunst entsprach“.

Man sprach auch von einem vertret- baren Versuch in einer Zeit „wissen- schaftlicher Orientierungslosigkeit“.

Die strafrechtliche Aufarbeitung des

„Strahlenskandals“ war damit zwar zu Ende, doch der Streit unter den Be- teiligten ging unvermindert weiter.

Hübeners Anwälte forderten auf- grund des Freispruchs, die seit mehr als 13 Jahren dauernde Suspen- dierung des Mediziners von seinem Amt als Ärztlicher Direktor der UKE-Strahlentherapie aufzuheben.

Prof. Dr. med. Jörg Debatin wies als Ärztlicher Direktor und Vorstands- vorsitzender des UKE Hübeners Ansprüche im Dezember 2006 je- doch entschieden zurück. Der Vor- stand berief sich darauf, dass das Strafgericht lediglich einen „Einzel- fall“ verhandelt habe. Durch zivil- rechtliche Entscheidungen sei das UKE aber im Fall von 128 anderen geschädigten Patienten dazu ver- pflichtet worden, Entschädigungen in Höhe von insgesamt 22 Millionen Euro zu zahlen. Und so ließ das UKE ein Disziplinarverfahren ge- gen Hübener, das während des lau- fenden Strafverfahrens geruht hatte, wieder aufnehmen.

Debatin hatte immer wieder be- tont, dass er die Rückkehr des Strah- lentherapeuten an das Klinikum ver- hindern wolle, auch wenn der Arzt strafrechtlich freigesprochen wor- den sei. Für den Ärztlichen Direktor des UKE bleibt die Behandlungsme- thode, auch auf der Basis von Gut- achten, nicht akzeptabel. Die jetzt getroffene Einigung zwischen dem UKE und Hübener sei auch not- wendig, um eine Neubesetzung der Chefarztposition zu ermöglichen, die wegen der Verfahren vakant war.

„Für Herrn Hübener ist das ein bitteres Endergebnis“, kommentiert sein Rechtsanwalt, Wolf Römmig (Hamburg), gegenüber dem Deut-

HAMBURGER „STRAHLENSKANDAL“

Schlusstrich – nach 14 Jahren

Der Vorstand des UKE und Prof. Dr. Dr. med. Klaus-Henning Hübener haben eine Vereinbarung getroffen, mit der das laufende Disziplinarverfahren gegen den

langjährigen Leiter der Strahlentherapie beendet wurde. Chronologie eines Debakels

Foto:

KEYSTONE

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Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 4723. November 2007 A3235

M E D I Z I N R E P O R T

schen Ärzteblatt die Übereinkunft:

„Nach der Bestätigung des freispre- chenden Urteils des Bundesgerichts- hofs vom 13. Dezember 2006 hatten wir dem Disziplinarverfahren gelas- sen entgegengesehen. Dennoch ha- ben wir unserem Mandanten nun zu dieser Einigung geraten, damit er nach Jahren der Belastung zur Ruhe kommt. Irgendwann sind für jeden die Grenzen erreicht.“ Aus Alters- gründen habe Hübener – er wird im Frühjahr 65 Jahre alt – zudem keine Absicht mehr zu praktizieren.

Für Debatin hingegen ist es ge- lungen, „ein schwieriges Kapitel in der Geschichte des UKE zu einem konstruktiven Ende zu bringen“.

Und: Man werde den Verpflichtun- gen den geschädigten Patienten ge- genüber auch weiterhin nachkom- men. Das Klinikum habe mittler- weile rund 25 Millionen Euro Ent- schädigungen gezahlt. Für 40 Fälle stehe eine Regelung noch aus. Zu- dem habe Hübeners Versicherung rund 1,5 Millionen Euro an das UKE zurückgezahlt.

Nicht nur für Außenstehende, sondern auch für geschädigte Pa- tienten und den beschuldigten Arzt ist es nahezu unvorstellbar, dass die juristische und disziplinarische Klärung des Sachverhalts mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch ge- nommen hat. Wie konnte es dazu kommen?

Das Disziplinarverfahren und die damit verbundene vorläufige Sus- pendierung konnten so lange ausge- setzt werden, wie strafrechtliche Er- mittlungen anhängig waren. Zudem verhinderte Hübeners Beamtensta- tus, dass er zwischenzeitlich als Arzt tätig sein konnte; die Weiterzahlung des Grundgehaltes und die Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Dienstherren ließen ihm – im Gegen- satz zur fristlosen Kündigung eines angestellten Arztes in dieser Position – keinen Weg offen, das Recht auf Arbeit als Arzt oder aber die Entlas- sung ohne Schuldeingeständnis in angemessener Zeit durchzusetzen.

Ende Januar 2007 reichte der Vorstand des UKE eine umfassende Disziplinarklage gegen Hübener ein, in der anhand von etwa 40 Be- handlungsfällen der Antrag auf Ab- erkennung des Beamtenstatus und

der Versorgungsbezüge beantragt wurde. Die zuständige Kammer deutete daraufhin an, dass sie für jeden vorgelegten Einzelfall neue medizinische Gutachten in Auftrag geben müsse. Dies hätte eine Ver- fahrensdauer von weiteren zehn bis 15 Jahren zur Folge gehabt. „Da ein solcher Instanzenweg zwar vom UKE in Kauf genommen – und be- zahlt – worden wäre, von uns indes weder gewünscht war noch hätte fi- nanziell durchgestanden werden können, haben wir die Disziplinar- kammer gebeten, einen Erörte- rungstermin anzuberaumen, um die Sach- und Rechtslage auszuloten“, so Hübener gegenüber dem DÄ.

Technische Fortschritte und höhere Qualitätsstandards

So belastend die Ereignisse am Hamburger UKE für alle Beteiligten gewesen sein mögen, sie haben letztlich auch einen positiven Effekt gehabt, von dem das Fachgebiet und die Patienten heute profitieren. Im vergangenen Zeitraum ist die Strah- lentherapie deutlichen Veränderun- gen unterzogen worden – gekenn- zeichnet durch technische Fort- schritte und verbesserte Qualitäts- standards, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen:

cDurch die Einführung der drei- dimensionalen Bestrahlungspla- nung, bei der Tumoren mit umlie- genden Organen in Schnittbildern dargestellt werden und die Strahlen- dosis individuell jeweiligen Er- fordernissen angepasst wird, er- reicht man eine bessere Zielgenau- igkeit; gesundes Gewebe wird eher geschont.

cEnorme technische Fortschritte wurden bei der Weiterentwicklung moderner Linearbeschleuniger er- zielt, die heute eine millimeterge- naue Einstellung der berechneten Bestrahlungsfelder ermöglichen.

cEine wesentliche Verbesserung stellt die intensitätsmodulierte Strah- lentherapie dar, bei der sich die Konturen des Bestrahlungsfeldes während der laufenden Strahlenthe- rapie in berechneter Weise verän- dern. Dies geschieht, indem sich schmale Bleilamellen im Strahler- kopf vor und zurück bewegen und so verschiedene Formungen des Be-

strahlungsfeldes hervorrufen. Da- mit soll eine noch präzisere Anpas- sung des Bestrahlungsvolumens an die individuelle Form des Tumorge- biets erreicht werden, was ebenfalls zur Schonung von Normalgewebe beiträgt.

cDie Deutsche Gesellschaft für medizinische Physik hat eine Fülle von Richtlinien zur kontinuierli- chen Qualitätssicherung entwickelt.

So wird jedes Bestrahlungsgerät täglich einem Check unterzogen, bei dem eine Fülle definierter tech- nischer Parameter nachgemessen wird. Außerdem wird jeder Bestrah- lungsvorgang minutiös dokumen- tiert. So können eventuelle Berech- nungsfehler jederzeit nachvollzo- gen werden.

cAußerdem verfügen moderne Beschleuniger über eine Reihe von

„Sicherheitsbremsen“: Stimmen die Daten von Planung und Geräteein- stellung nicht überein, wird die Be- strahlung nicht von den Geräten freigegeben. So wird das Risiko von

„Fehlbestrahlungen“ auf ein Mini- mum reduziert.

cEinen wichtigen Schritt stellte die Gründung einer eigenen Fach- gesellschaft dar (Deutsche Gesell- schaft für Radioonkologie/DEGRO), die sich 1995 von der „Muttergesell- schaft“ der Radiologen löste und sich seitdem ausschließlich den Belan- gen der Strahlentherapie widmet.

cSo hat die DEGRO – in inter- disziplinärer Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften – für die meisten Karzinome inzwischen Leitlinien erstellt, die Angaben zur Strahlendosis und zur Behandlungs- technik enthalten.

cEinen weiteren Beitrag zur Sicherung der Behandlungsqualität stellt die Ausarbeitung von und die Teilnahme an medizinischen Stu- dien dar.

cDa Strahlenfolgen mitunter noch nach Jahren auftreten, sollte jeder Patient mindestens einmal jährlich von einem Strahlenthera- peuten nachuntersucht werden. Nur so ist es möglich, langfristige Aus- sagen über die Qualität eines Be- handlungsverfahrens zu treffen und dieses – wenn nötig – entsprechend

zu verändern. n

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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