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Archiv "Sterbehilfe: Kein Fall für Richter" (10.09.1999)

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bleiben, doch sollte der Arzt das Vor- mundschaftsgericht mindestens dann einschalten, wenn ihm Konflikte von seiten der Angehörigen oder auch des Pflegepersonals drohen.

Der Wille des Patienten

Dem mutmaßlichen Willen des Patienten kommt nicht erst seit dem OLG-Beschluß entscheidende Be- deutung zu. Die zum Teil wütende Po- lemik gegen diesen Begriff übersieht schlicht, daß der Wille des Patienten, wo er denn nicht eindeutig erkennbar ist, gemutmaßt werden muß, denn dies ist die einzige Möglichkeit, dem Selbstbestimmungsrecht Rechnung zu tragen. Es geht ja gerade nicht dar- um, den Patienten einem fremden Willen zu unterwerfen, sondern im Gegenteil vielmehr darum, zu versu- chen, seinem Willen zu entsprechen.

In erster Linie ist eine Patienten- verfügung geeignet, den Willen des Patienten zum Ausdruck zu bringen.

Allerdings erfolgen Patientenverfü- gungen in der Regel ohne Kenntnis der jeweiligen Situation mit ihren kaum konkret voraussehbaren Risi- ken und Chancen. Diese würden, wenn der Patient noch entscheidungs- fähig wäre, möglicherweise zu einem anderen Willen führen. Das ist jeweils zu prüfen, damit ein mutmaßlich durch die konkrete Situation geänder- ter Wille beachtet werden kann. Wer diesen mit dem gleichsetzt, was „man“

ärztlich für richtig hält, versteht den mutmaßlichen Willen falsch. Dieser wird vielmehr aus der Sicht des jeweils in der Situation aufgeklärten Patien- ten verstanden.

Der Frankfurter Beschluß entla- stet den Arzt von der oftmals ange- nommenen Notwendigkeit, in dem Sinne eine „defensive Medizin“ zu be- treiben, als er sich vor den juristischen Folgen schützen möchte, die er be- fürchtet, wenn er nicht alles zur Erhal- tung des Lebens seines Patienten tut.

Auf diese Furcht ist ja schließlich jene Überbehandlung zurückzuführen, ge- gen die sich die Ablehnung einer „Le- benserhaltung um jeden Preis“ rich- tet. Solcher Überbehandlung bedarf es nicht, wenn man sich an den Frank- furter Beschluß hält. Er unterstellt, ohne dies ausdrücklich zu nennen, ein

Recht des Menschen darauf, an sei- nem Sterben nicht gehindert zu wer- den. Das ist etwas anderes als ein Recht auf den Tod, denn dieses könn- te man nirgends einklagen – es sei denn, man erlaube und gebiete das Töten.

Konkret folgt aus dem Frankfur- ter Beschluß, daß in entsprechenden Fällen die Einstellung einer künstli- chen Ernährung mittels PEG gerecht- fertigt sein kann, wenn es dem Willen des Patienten entspricht, und daß die- ser Wille durch einen gerichtlich be- stellten Betreuer eingebracht werden kann, dann allerdings der vormund- schaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf.

Wenn es nach dem Frankfurter Beschluß wirklich gelingen sollte, eine aus „defensiven“ Gründen erfolgende Überbehandlung zurückzudrängen und die diesbezüglichen Ängste in der Bevölkerung zu vermindern, dann wird das auch Auswirkungen auf die Euthanasiebewegung haben, die näm- lich zu einem nicht geringen Anteil auf solchen Ängsten beruht.

Die Gefahren, die darin gesehen werden, daß das Mutmaßen des Pati- entenwillens mißbraucht werden kön- ne, sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Aber gerade deswegen ist

für den Fall der Vertretung des Patien- ten durch einen gerichtlich bestellten Betreuer (und seit 1. Januar 1999 auch durch einen Bevollmächtigten) die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle eingerichtet worden.

In der Praxis wird es aber nicht immer leicht sein, der beschriebenen Rechtslage voll gerecht zu werden.

Das Gesetz hat nicht zwischen Ster- benden und noch nicht Sterbenden unterschieden. Theoretisch müßte al- so der Arzt in jedem Falle eines Ster- benden, für den ein gesetzlich bestell- ter Betreuer (oder seit 1. Januar 1999 auch ein Bevollmächtigter) vorhan- den ist, die Zustimmung dieses Be- treuers und die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes einholen, um eine lebenserhaltende Maßnahme abzubrechen oder auch nur eine mög- liche nicht einzusetzen.

Das wird nicht verwirklicht wer- den können, wie immer man das auch juristisch wird bezeichnen wollen.

Auf diese Weise verbleibt dem Arzt ein Beurteilungsspielraum. Ist aber ein Gesetz an einer Stelle nicht prakti- kabel, dann bildet diese Stelle ein Ein- fallstor für Praktiken, wie sie das Ge- setz gerade verhindern wollte. Das gilt insbesondere auch für Fälle, in denen die Sterbephase noch nicht begonnen

A-2208 (36) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 36, 10. September 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Sterbehilfe: Kein Fall für Richter

Über lebensbeendende Maßnahmen haben Ärzte und Angehörige nach eige- ner Verantwortung zu entscheiden. Wenn die Maßnahme dem mutmaßlichen Wil- len des Betroffenen entspricht, hätten sie in der Regel nichts zu befürchten. Das hat vor kurzem das Landgericht München I entschieden (Az.: 13 T 478/99). Mit dem Urteil widersprach das Gericht dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

Im konkreten Fall ging es um einen 75jährigen Mann, der seit einem Schlagan- fall im Sommer vorigen Jahres im Koma lag. Der Betreuer – der Sohn des Betrof- fenen – hatte beantragt, seine Einwilligung, die Ernährung des Betroffenen ein- zustellen und die Flüssigkeitszufuhr auf ein Mindestmaß einzuschränken, vor- mundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Der Antrag wurde vom zuständigen Amtsgericht abgelehnt. Diese Entscheidung ist nach Auffassung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Ein genehmigungsfähiger Antrag des Betreuers habe des- halb nicht vorgelegen, weil der von ihm beabsichtigte Abbruch der Ernährung des Betroffenen mit dem Ziel des Todes nicht von seinem Aufgabenkreis als vorläufi- ger Betreuer gedeckt sei. Die Einstellung der Ernährung ist der Urteilsbegrün- dung zufolge eine aktive Maßnahme und nicht bloß ein Unterlassen; der Erhal- tung der Gesundheit diene sie ersichtlich nicht. Zudem handelt es sich nach Auf- fassung der Kammer bei der Entscheidung, sterben zu wollen, um eine „höchst- persönliche Angelegenheit“, die einem Betreuer ohnehin nicht übertragen wer- den könne, dies gebiete die Menschenwürde. Somit könne auch keine Entschei- dung des Vormundschaftsgerichtes erforderlich werden. Daß Angehörige und Ärzte „das Risiko einer ,Fehleinschätzung‘ des mutmaßlichen Willens des Betrof- fenen tragen“, sei nur folgerichtig und könne durch die Genehmigung ohnehin nicht beseitigt werden, heißt es in der Begründung. Kli

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