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Archiv "Beschluß des OLG Frankfurt: Gebotenes Sterbenlassen" (10.09.1999)

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ei einer 85jährigen Patientin, die vor Monaten einen ausge- dehnten Hirninfarkt erlitten hatte und seither in bewußtlosem Zu- stand über eine PEG ernährt wird, ist nach ärztlichem Urteil „bei anhalten- dem Koma eine relevante Besserung (bewußtes und selbstbewußtes Le- ben) nicht mehr zu erwarten“. Die ge- setzliche Betreuerin, Tochter der Pati- entin, hatte die Einstellung der künst- lichen Ernährung verlangt, wozu die vormundschaftsgerichtliche Geneh- migung verweigert worden war (dazu DÄ 31–32/1998).

Ermittlung des

„mutmaßlichen Willens“

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt (Az.: 20 W 224/98) beurteilt den Fall aber nun im Gegensatz zum Vormundschaftsgericht (und auch zum Landgericht) nicht als eine

„gezielte Herbeiführung des Todes“.

Vielmehr geht es in einer etwas unge- wöhnlichen Wortwahl von einer „Hil- fe beim Sterben“ aus. Das Vormund- schaftsgericht muß jetzt erneut ent- scheiden und dazu aufklären, ob die Einstellung der künstlichen Ernäh- rung dem mutmaßlichen Willen der Patientin entspricht.

Der ethischen Vertretbarkeit ei- ner Einstellung ärztlicher Maßnah- men zur Lebenserhaltung steht scheinbar das Recht eines jeden auf Leben absolut entgegen. Dieses

„Recht auf Leben“ meint aber zu- nächst nur defensiv ein Recht, nicht getötet zu werden. Dem entspricht auf seiten der Gesellschaft das Tötungs- verbot. Eine Tötung durch Unterlas- sen, und hierzu kann auch das Been- den einer lebenserhaltenden Maß-

nahme gehören, ist aber nur dann ge- geben, wenn Handeln geschuldet ist.

Ein geschuldetes Handeln folgt aber niemals unmittelbar aus dem Tö- tungsverbot. Vielmehr resultiert aus dem Recht auf Leben über seinen de- fensiven Charakter hinaus ein An- spruch auf die Mittel zum Leben. Auf diesen Anspruch antwortet die Ge- sellschaft mit dem Gebot der Solida- rität, also des Füreinander-Einste- hens. Dieser Anspruch auf die Mittel zum Leben ist ein relativer, das heißt, es hängt von den Umständen ab, was er beinhaltet und wen er verpflichtet.

Zu den Umständen gehört ganz wesentlich, ob jemand in einer be- stimmten Situation einen solchen An- spruch überhaupt stellt. Damit ist man bei der auch rechtlich relevanten Frage angelangt, ob die seit Monaten ko- matöse Patientin überhaupt künstlich ernährt werden will. Wäre sie in der Lage, ihren Willen auszudrücken, dann wäre die Maßnahme gegen ihren erklärten Willen unzulässig. Im Falle

der Bewußtlosigkeit kann man nur von ihrem „mutmaßlichen Willen“ ausge- hen. Bei der Ermittlung des mutmaßli- chen Willens sind zwei generelle Ge- sichtspunkte zu berücksichtigen:

c Einmal sind es die Umstände, unter denen eine lebenserhaltende Maßnahme begonnen oder fortge- setzt werden soll. Im Falle der 85 Jah- re alten Patientin dürfte unmittelbar nach dem Hirninfarkt noch offen ge- wesen sein, ob und inwieweit der Schaden reversibel war. Die PEG wird dann in der Absicht gelegt wor- den sein, die Ernährung für eine Pha- se noch möglicher Erholung zu si- chern. Mit der Zeit verliert aber eine solche Absicht ihre anfänglich ver- nünftige Begründung, das heißt, ihre ursprüngliche Indikation entfällt. Oh- ne Indikation ist aber eine kalorische Ernährung mit „künstlichen“ (PEG) Mitteln ärztlich nicht zu rechtfertigen – oder ihre Fortsetzung ist durch den mutmaßlichen Willen der Patientin nicht mehr gedeckt, der zu Beginn

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Beschluß des OLG Frankfurt

Gebotenes Sterbenlassen

Während die einen befürchten, daß das Frankfurter Oberlandesgericht den Weg in die Euthanasie

eröffnet habe, erblicken andere darin gerade eine Absage an jede Form der Tötung „lebensunwerten“ Lebens.

Hans-Bernhard Wuermeling

B

Die Hospize versuchen, auch Schwerstkranken ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Foto: epd-bild/Lohnes

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noch als Ausdruck ihres Genesungs- willens anzunehmen war. Die Um- stände eines Falles ändern sich also, was dazu zwingt, Indikationen immer wieder erneut zu prüfen.

c Zum anderen darf man bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens davon ausgehen, daß jeder Patient sei- ne „Grundversorgung“ beansprucht, also Hygiene, Ernährung, Hydrie- rung, auch Schmerzbehandlung. Die Grundversorgung bedarf darum kei- nes besonderen Einverständnisses; es kann unterstellt werden. Ein Wider- spruch dagegen dürfte die extreme Ausnahme sein und könnte deshalb nur berücksichtigt werden, wenn dafür besondere Vorsorge getroffen worden wäre, etwa durch eine ent- sprechende Patientenverfügung.

Maßnahmen zur Lebenserhaltung

Dagegen sind alle ärztlichen Maßnahmen zur Lebenserhaltung zu- stimmungspflichtig, notfalls eben durch Mutmaßung. Daraus folgt, daß aus der Sicht ärztlicher Ethik die Ein- leitung oder die Fortsetzung einer lebenserhaltenden Maßnahme der (mutmaßlichen) Zustimmung des Pa- tienten bedarf. Dem muß allerdings die ärztliche Indikation für die betref- fende Maßnahme vorausgehen. Da- bei ist zu prüfen, was bei einem Be- wußtlosen über die reine Lebenser- haltung hinaus für ihn erwartet wer- den kann. Wo keine weitere Erwar- tung gerechtfertigt ist, entfällt die In- dikation.

Daraus folgt aber, daß bei feh- lender Indikation der Nichteinsatz oder der Abbruch ärztlicher lebens- erhaltender Maßnahmen keiner Zu- stimmung des Patienten bedarf. Da- mit wäre theoretisch eigentlich die ganze Frage nach der richtigen Indi- kation erledigt. Doch ist schon die Abgrenzung der Grundversorgung von den ärztlichen Maßnahmen zur Lebenserhaltung nicht leicht. So taucht bei der Ernährung die Frage auf, ob auch künstliche Ernährung zur Grundversorgung gehört, und, wenn ja, was denn in diesem Zusammen- hang „künstlich“ bedeuten soll. Die

„Grundsätze der Bundesärztekam- mer zur ärztlichen Sterbebegleitung“

(siehe DÄ, Heft 39/1998) sind gerade in dieser Frage noch strittig. Daraus folgt nun allerdings, daß bei der ärzt- lich-ethisch nicht ganz eindeutigen Lage dennoch nach einer (mutmaß- lichen) Zustimmung des Patienten zu einem Nichteinsatz oder einem Ab- bruch lebenserhaltender Maßnahmen zu fragen ist.

Mit dem 1992 eingeführten neuen Betreuungsgesetz wurde die Möglich- keit geschaffen, für eine Person, die in ihren Gesundheitsangelegenheiten nicht selbst entscheiden kann, einen gerichtlich bestellten Betreuer damit zu beauftragen. In besonderen Fällen, zum Beispiel bei Risikooperationen, bedarf dessen Zustimmung nach

§ 1904 BGB jedoch der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht.

Der Wortlaut des Gesetzes scheint eindeutig nur ein aktives Handeln des Arztes treffen zu wollen. Die Frage, ob § 1904 BGB auch in Fällen des Nichthandelns anzuwenden sei, war allerdings rechtlich strittig gewesen.

Die Rechtsprechung versteht aber jetzt das Gesetz in dem Sinne, daß die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle gerade auch in diesen Fällen vom Ge- setzgeber gewollt sei.

Doch war dies nicht die Frage, die dem Frankfurter Beschluß ein so großes öffentliches Interesse beschert hat. Es schien ja vielmehr darum zu gehen, ob ein Gericht über Leben oder Tod eines Patienten entscheiden dürfe. Das in dieser Sache tätige Vormundschaftsgericht hatte der Tochter und Betreuerin der Patientin die zum Abbruch der künstlichen Ernährung erforderliche Genehmi- gung verweigert. Es hielt einen sol- chen Abbruch nämlich für eine „ge- zielte Herbeiführung des Todes“.

Diese Auffassung, die auch das Landgericht geteilt hatte, wurde nun vom Frankfurter OLG als rechtsfeh- lerhaft bezeichnet. Zwar sehe § 1904 BGB in der Tat keine Genehmigung für eine „gezielte Herbeiführung des Todes“ vor. Die bei der Patientin be- absichtigte Maßnahme sei aber gar keine solche „gezielte Herbeiführung des Todes“, wie dies in den Vorinstan- zen – eben fälschlich – verstanden worden sei.

Hier hätte das OLG Frankfurt ausführen können, daß es tatsächlich mit dem Abbruch der künstlichen Er-

nährung nicht darum geht, den Tod

„gezielt herbeizuführen“, sondern daß vielmehr eine Maßnahme been- det wird, die der Patientin weder ge- schuldet noch (mutmaßlich) von ihr gewollt wird. Statt dessen hat das OLG den Abbruch einer lebenserhal- tenden Maßnahme recht unglücklich als „Hilfe zum Sterben“ bezeichnet.

Das mag geschehen sein, um zu kenn- zeichnen, daß hier nicht ein Vorgang

„beim Sterben“, also zeitlich verstan- den während der bereits eingetrete- nen Sterbephase, zur Beurteilung an- steht, sondern ein solcher, der in die Zeit vor der eigentlichen Sterbephase fällt. Da man gewöhnlich aber die

„Hilfe zum Sterben“ als eine zur Her- beiführung des Todes versteht, kam in der Presseberichterstattung über

das Frankfurter Urteil das Miß- verständnis auf, es sei nun „aktive Sterbehilfe“ erlaubt.

Doch richtet sich die ganze Rechtsprechung in diesem Fall ein- deutig gegen jedes Töten. Die Vor- instanzen hatten einem vermeintli- chen Töten die Genehmigung ver- weigert. Und das OLG Frankfurt hat versucht, ein unter Umständen ge- rechtfertigtes, ja sogar gebotenes Sterbenlassen von gesetzwidrigem Töten zu unterscheiden.

Gesetzlich nicht geregelt ist der Fall, in dem weder ein Betreuer be- stellt noch ein Bevollmächtigter vor- handen ist. Dann bleibt es nämlich nach wie vor Sache des Arztes, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erforschen und danach zu handeln.

Ob und wann es eine Pflicht für den Arzt gibt, die Bestellung eines Be- treuers zu veranlassen, muß offen-

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Entscheidende Bedeutung kommt dem (mutmaß- lichen) Willen des Patienten zu. Foto: DHS

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bleiben, doch sollte der Arzt das Vor- mundschaftsgericht mindestens dann einschalten, wenn ihm Konflikte von seiten der Angehörigen oder auch des Pflegepersonals drohen.

Der Wille des Patienten

Dem mutmaßlichen Willen des Patienten kommt nicht erst seit dem OLG-Beschluß entscheidende Be- deutung zu. Die zum Teil wütende Po- lemik gegen diesen Begriff übersieht schlicht, daß der Wille des Patienten, wo er denn nicht eindeutig erkennbar ist, gemutmaßt werden muß, denn dies ist die einzige Möglichkeit, dem Selbstbestimmungsrecht Rechnung zu tragen. Es geht ja gerade nicht dar- um, den Patienten einem fremden Willen zu unterwerfen, sondern im Gegenteil vielmehr darum, zu versu- chen, seinem Willen zu entsprechen.

In erster Linie ist eine Patienten- verfügung geeignet, den Willen des Patienten zum Ausdruck zu bringen.

Allerdings erfolgen Patientenverfü- gungen in der Regel ohne Kenntnis der jeweiligen Situation mit ihren kaum konkret voraussehbaren Risi- ken und Chancen. Diese würden, wenn der Patient noch entscheidungs- fähig wäre, möglicherweise zu einem anderen Willen führen. Das ist jeweils zu prüfen, damit ein mutmaßlich durch die konkrete Situation geänder- ter Wille beachtet werden kann. Wer diesen mit dem gleichsetzt, was „man“

ärztlich für richtig hält, versteht den mutmaßlichen Willen falsch. Dieser wird vielmehr aus der Sicht des jeweils in der Situation aufgeklärten Patien- ten verstanden.

Der Frankfurter Beschluß entla- stet den Arzt von der oftmals ange- nommenen Notwendigkeit, in dem Sinne eine „defensive Medizin“ zu be- treiben, als er sich vor den juristischen Folgen schützen möchte, die er be- fürchtet, wenn er nicht alles zur Erhal- tung des Lebens seines Patienten tut.

Auf diese Furcht ist ja schließlich jene Überbehandlung zurückzuführen, ge- gen die sich die Ablehnung einer „Le- benserhaltung um jeden Preis“ rich- tet. Solcher Überbehandlung bedarf es nicht, wenn man sich an den Frank- furter Beschluß hält. Er unterstellt, ohne dies ausdrücklich zu nennen, ein

Recht des Menschen darauf, an sei- nem Sterben nicht gehindert zu wer- den. Das ist etwas anderes als ein Recht auf den Tod, denn dieses könn- te man nirgends einklagen – es sei denn, man erlaube und gebiete das Töten.

Konkret folgt aus dem Frankfur- ter Beschluß, daß in entsprechenden Fällen die Einstellung einer künstli- chen Ernährung mittels PEG gerecht- fertigt sein kann, wenn es dem Willen des Patienten entspricht, und daß die- ser Wille durch einen gerichtlich be- stellten Betreuer eingebracht werden kann, dann allerdings der vormund- schaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf.

Wenn es nach dem Frankfurter Beschluß wirklich gelingen sollte, eine aus „defensiven“ Gründen erfolgende Überbehandlung zurückzudrängen und die diesbezüglichen Ängste in der Bevölkerung zu vermindern, dann wird das auch Auswirkungen auf die Euthanasiebewegung haben, die näm- lich zu einem nicht geringen Anteil auf solchen Ängsten beruht.

Die Gefahren, die darin gesehen werden, daß das Mutmaßen des Pati- entenwillens mißbraucht werden kön- ne, sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Aber gerade deswegen ist

für den Fall der Vertretung des Patien- ten durch einen gerichtlich bestellten Betreuer (und seit 1. Januar 1999 auch durch einen Bevollmächtigten) die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle eingerichtet worden.

In der Praxis wird es aber nicht immer leicht sein, der beschriebenen Rechtslage voll gerecht zu werden.

Das Gesetz hat nicht zwischen Ster- benden und noch nicht Sterbenden unterschieden. Theoretisch müßte al- so der Arzt in jedem Falle eines Ster- benden, für den ein gesetzlich bestell- ter Betreuer (oder seit 1. Januar 1999 auch ein Bevollmächtigter) vorhan- den ist, die Zustimmung dieses Be- treuers und die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes einholen, um eine lebenserhaltende Maßnahme abzubrechen oder auch nur eine mög- liche nicht einzusetzen.

Das wird nicht verwirklicht wer- den können, wie immer man das auch juristisch wird bezeichnen wollen.

Auf diese Weise verbleibt dem Arzt ein Beurteilungsspielraum. Ist aber ein Gesetz an einer Stelle nicht prakti- kabel, dann bildet diese Stelle ein Ein- fallstor für Praktiken, wie sie das Ge- setz gerade verhindern wollte. Das gilt insbesondere auch für Fälle, in denen die Sterbephase noch nicht begonnen

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Sterbehilfe: Kein Fall für Richter

Über lebensbeendende Maßnahmen haben Ärzte und Angehörige nach eige- ner Verantwortung zu entscheiden. Wenn die Maßnahme dem mutmaßlichen Wil- len des Betroffenen entspricht, hätten sie in der Regel nichts zu befürchten. Das hat vor kurzem das Landgericht München I entschieden (Az.: 13 T 478/99). Mit dem Urteil widersprach das Gericht dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

Im konkreten Fall ging es um einen 75jährigen Mann, der seit einem Schlagan- fall im Sommer vorigen Jahres im Koma lag. Der Betreuer – der Sohn des Betrof- fenen – hatte beantragt, seine Einwilligung, die Ernährung des Betroffenen ein- zustellen und die Flüssigkeitszufuhr auf ein Mindestmaß einzuschränken, vor- mundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Der Antrag wurde vom zuständigen Amtsgericht abgelehnt. Diese Entscheidung ist nach Auffassung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Ein genehmigungsfähiger Antrag des Betreuers habe des- halb nicht vorgelegen, weil der von ihm beabsichtigte Abbruch der Ernährung des Betroffenen mit dem Ziel des Todes nicht von seinem Aufgabenkreis als vorläufi- ger Betreuer gedeckt sei. Die Einstellung der Ernährung ist der Urteilsbegrün- dung zufolge eine aktive Maßnahme und nicht bloß ein Unterlassen; der Erhal- tung der Gesundheit diene sie ersichtlich nicht. Zudem handelt es sich nach Auf- fassung der Kammer bei der Entscheidung, sterben zu wollen, um eine „höchst- persönliche Angelegenheit“, die einem Betreuer ohnehin nicht übertragen wer- den könne, dies gebiete die Menschenwürde. Somit könne auch keine Entschei- dung des Vormundschaftsgerichtes erforderlich werden. Daß Angehörige und Ärzte „das Risiko einer ,Fehleinschätzung‘ des mutmaßlichen Willens des Betrof- fenen tragen“, sei nur folgerichtig und könne durch die Genehmigung ohnehin nicht beseitigt werden, heißt es in der Begründung. Kli

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hat und in denen es am Betreuer oder Bevollmächtigten fehlt. Dann ist näm- lich der Arzt nach wie vor auf seine Mutmaßung des Patientenwillens an- gewiesen und keiner Ex-ante-Kon- trolle unterworfen. Daß die Gefahr geringer geworden ist, ex post fälsch- lich wegen unterlassener Maßnahmen zur Lebenserhaltung zur Verantwor- tung gezogen zu werden, ist dem Frankfurter Beschluß sicher zu dan- ken. Die rechtliche Verurteilung gezielter Herbeiführung des Todes bleibt dagegen unangetastet.

Nachbemerkung

Die Tochter der Patientin zog ihren Antrag auf vormundschaftliche Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung bei ihrer Mut- ter wieder zurück. Damit war die An- gelegenheit – jedenfalls juristisch – er- ledigt. Der Tochter, so das Gericht, sei der Entscheidungsdruck zu groß ge- worden. Wenn damit der Druck der Öffentlichkeit gemeint ist, dann wäre dieser in dem Fall zu begrüßen, wenn die Tochter mit ihrem Antrag die ge- zielte Herbeiführung des Todes ihrer Mutter hätte bewirken wollen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wäre dann ein Fall von Euthanasie verhin- dert worden. Ebenso aber wäre sol- cher Druck der Öffentlichkeit zu be- klagen, wenn es der Tochter nur dar- um gegangen wäre, im Sinne ihrer Mutter eine von dieser abgelehnte Be- hinderung ihres Sterbens abzustellen.

Es wäre höchst bedauerlich, wenn öf- fentlicher Druck wegen der Unfähig- keit, zwischen Töten und Sterbenlas- sen zu unterscheiden, die Rücknahme des Antrages herbeigeführt hätte.

Aber gerade um dieser Unter- scheidung zu Verständnis und Akzep- tanz zu verhelfen, bleibt der Frankfur- ter Beschluß trotz letztlich unent- schiedener Sache von Bedeutung.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2205–2210 [Heft 36]

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med.

Hans-Bernhard Wuermeling Fichtestraße 5

91054 Erlangen

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/TAGUNGSBERICHT

er neuralgische Punkt in der Diskussion um die Telematik im Gesundheitswesen sei die Zusammenführung von Daten, spezi- ell die Sicherheit von persönlichen Pa- tientendaten, stellte Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer gleich zu Beginn ihres Vortrags anläßlich der ersten Plenumssitzung des Aktionsfo- rums Telematik im Gesundheitswesen (ATG) in Bonn fest. Zwar besteht Einigkeit darüber, daß für Arztpraxen und Krankenhäuser kein Weg an der Nutzung der modernen Informa- tions- und Kommunikationstechnolo- gien vorbeiführt und die zunehmende Vernetzung der Leistungserbringer, Vertragspartner und Patienten längst Realität ist. Doch die Möglichkeiten, die sich für Vernetzung und verbesser- te Kommunikation durch das Netz und erhöhte Kapazitäten der Daten-

verarbeitung bieten, würden nicht voll ausgeschöpft, betonte die Bundes- gesundheitsministerin. Zusammen- arbeit in der Gesundheitspolitik finde ihre Grenzen immer dort, wo Kon- kurrenz oder unterschiedliche Inter- essen ins Spiel kämen, denn „die Zusammenführung von Daten be- rührt auch Machtfragen“. Dennoch ist nach Fischer der Datenschutz kein

„Hilfsargument gegen Vernetzung“, wohl aber müsse er (in Form von mittlerweile verfügbaren Verschlüs- selungstechnologien) konzeptioneller Bestandteil jeder Vernetzungslösung sein.

Fischer hat die Schirmherrschaft über das ATG übernommen. Dies un- terstreicht die gesundheitspolitische Bedeutung, die der Weiterentwick- lung von Telemedizin und Telematik in Deutschland, wie auch mit Blick

Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen

(K)ein Glasperlenspiel für Intellektuelle

Die modernen Kommunikations- und Informations- technologien bringen für das Gesundheitswesen einen Paradigmenwechsel mit sich. Wie dieser praktisch zu bewältigen ist, war Thema der ersten öffentlichen Zusammenkunft des Aktionsforums.

D

ATG-Themenkomplexe

Vier Problemfelder geben die Grundstruktur der Inhalte für künftige Diskus- sionen in den Arbeitsgruppen des ATG vor:

l Allgemeine Rahmenbedingungen; politische, soziale, ethische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte. Hierzu gehört beispielsweise die umfassende Analyse der Auswirkungen der Telemedizin auf das Arzt-Patienten-Verhältnis.

l Anforderungen aus Anwendungen. Ein Beispiel für diesen Bereich ist die Diskussion des elektronischen Rezeptes, das als sogenanntes Schuhlöffelprojekt ei- ne technische Infrastruktur auch für andere Telematik-Anwendungen bereitstellt.

l Kernelemente einer technisch-organisatorischen Infrastruktur. Hierunter fällt zum Beispiel der elektronische Arztausweis (HPC – Health Professional Card) zur Authentifikation und Signatur im elektronischen Verkehr als Schlüsselelement der Telematik-Plattform für das Gesundheitswesen.

l Umgang mit Daten und Informationen (Syntax, Semantik, Schnittstellen, Rechteverwaltung, Informationsdarstellung). Dieses Thema beinhaltet die Diskus- sion um Kommunikationsschnittstellen und nationale und internationale Entwick- lungen und Standards. Jüngstes Beispiel ist die Nutzung des Internet-Standards XML (eXtensible Markup Language).

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auf europäische und außereuropäi- sche Zusammenhänge, beigemessen wird.

Interessengegensätze und Stillstand überwinden

Medienbrüche, Insellösungen, organisatorische und interessenpoli- tische Gegebenheiten stehen nach Ansicht von Dr. rer. nat. Peter Lange vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bislang ei- ner breiten Telematik-Einführung im Gesundheitswesen entgegen, auch wenn über die damit

erreichbaren Grob- ziele – Qualitätsver- besserung der me- dizinischen Versor- gung und Kosten- reduzierung – Einig- keit herrscht. Er for- derte die Partner der Selbstverwaltung auf, interessenpoliti- sche Belange zurück- zustellen und daran mitzuarbeiten, daß Deutschland im in- ternationalen Ver- gleich bei der Nut- zung von zukunfts- gerichteten Techno-

logien nicht noch weiter zurückfällt.

Als Beispiel für übergreifende Kooperationen führte er das von BMG und BMBF geförderte Med- Net-Projekt (Kompetenznetzwerke in der Medizin) an, in dem neun überregionale Netzwerke zu spezifi- schen Krankheitsbildern aufgebaut werden.

Eine allgemeine Kommunikati- onsplattform für Telematik-Anwen- dungen im Gesundheitsbereich, auf der organisatorische, rechtliche und technische Aspekte der Anwendung moderner Kommunikationstechnik zur Sprache kommen, war bis zur Bil- dung des ATG nicht vorhanden – da- her auch der Titel der Plenumsveran- staltung: „Erwartungen der Partner im Gesundheitswesen an eine moder- ne Infrastruktur“. Das ATG arbeitet unter dem neutralen Dach der Gesell- schaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG), Köln.

Die Leitung hat der ehemalige Abtei-

lungsleiter im BMG, Dr. jur. Manfred Zipperer, übernommen. Das Aktions- forum versteht sich als eine offene Konsensplattform mit der Aufgaben- stellung, Telematik-Anwender, Indu- strie, Forschung, Politik und Selbst- verwaltung zum Austausch und Kon- sens zusammenzubringen. Ziel ist es, in verschiedenen Arbeitsgruppen Empfehlungen zu erarbeiten, die als Orientierung für die Vertragspartner im Gesundheitswesen und die zustän- digen Ministerien dienen sollen (siehe Kasten). Die Empfehlungen der AGs werden dazu in den im November 1998 gegründeten ATG-Ausschuß

der GVG eingespeist. Dieser setzt sich aus Vertretern der Selbstverwal- tung zusammen und soll die Empfeh- lungen und Vorschläge in die Ent- scheidungsgremien der Selbstverwal- tung einbringen. Zipperer hob hervor, daß das Aktionsforum nicht dazu da sei, konkrete technische Standards und Normen zu kreieren, sondern vielmehr als Plattform genutzt wer- den solle, um Gesundheitspolitik zu machen.

Erneuerung versus Investitionsschutz

Inwiefern konsensorientierte Empfehlungen, die keine bindende Wirkung für die Entscheidungsgre- mien haben, ausreichen werden, um die Selbstregulierungsfähigkeit der beteiligten Akteure in diesem Be- reich zu fördern, muß sich noch zei- gen. Gegebenenfalls werde das Bun-

desgesundheitsministerium gesetzge- berisch flankierend tätig, erklärte Bundesgesundheitsministerin Fischer.

Als mögliche Anwendungsbeispie- le für den Einstieg in die Vernet- zung nannte sie das elektronische Rezept und die elektronische Patien- tenakte.

Ein Plädoyer für einen beschei- denen Ansatz hielt Herbert Rebscher vom Verband der Angestellten-Kran- kenkassen (VdAK), Siegburg. Er ver- wies darauf, daß bereits vorhandene Investitionen und Kapitalbindungen geschützt werden müßten, und warnte davor, Erwartungen zu wecken, die

„strukturell nicht bedient werden könnten“. Es sei naiv zu glauben, daß Eigeninteressen auf freiwilliger Basis zurückgestellt würden – dies wäre auf- grund von Bindungen in finanzieller und rechtlicher Hinsicht mittelfristig nicht möglich.

Datentransparenz

Zu einer optimistischeren Be- trachtung der Bemühungen um eine einheitliche Telematik-Plattform be- kannte sich der Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung, Dr. jur. Rainer Hess: Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken könne da- zu beitragen, durch die zeitgerechte Verfügbarkeit von Daten und Infor- mationen eine bessere Gesundheits- versorgung für Patienten und eine verbesserte Steuerung des Gesund- heitssystems zu erreichen. Telematik könne helfen, bestehende organisato- rische Lösungen zu optimieren oder neue Organisationsformen, wie sie beispielsweise in Praxisnetzen er- probt würden, zu finden. Vorausset- zungen für einheitliche Lösungen und standardisierte Versorgungsketten seien die Interoperabilität der Kom- munikationssysteme und die Nutzung einer gemeinsamen Infrastruktur.

Hess forderte alle Beteiligten dazu auf, mit „offenen Karten zu spielen“, über das Statement „Wer die Daten hat, hat die Macht“ hinauszugehen und eine Datentransparenz für alle zu schaffen. Heike E. Krüger-Brand Weitere Informationen zum Aktionsforum gibt es im Internet unter http://www.gvg- koeln.de/atg.html

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer auf dem Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen. Mehr als 250 Vertreter der Leistungserbringer, Institu- tionen und Industrie nahmen an der Plenumssitzung teil. Foto: GVG/Berheide

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