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Archiv "Künstliche Ernährung: Sterben und Überleben mit der PEG-Sonde" (21.09.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

scheidungen müssen nachvollziehbar sein. Die Ärzteschaft wird sich an die- sem Prozess beteiligen. Weiterent- wicklung von Leitlinien, Therapie- empfehlungen, die den Anforderun- gen der evidence based medicine ge- recht werden, Qualitätssicherung, das ist der richtige Weg.

Die vorhandenen und zu erwarten- den Ressourcen müssen effizient ein- gesetzt werden. Weitere Ressourcen müssen erschlossen werden, beispiels- weise durch Rückführung politischer Entscheidungen der Mitfinanzierung anderer Sparten durch die GKV (Bei- spiel Krankenkassenbeitrag der Ren- tenversicherung, Arbeitslosenversi- cherung, Sozialhilfeempfänger). Nach dem Konsens in der Rentenversiche- rung ist der Aufbau eines zweiten, pri- vatfinanzierten Versicherungssystems denkbar. Der Weg „Kostenerstattung mit Selbstbeteiligung“ sollte erprobt werden.

Die Definition des medizinisch Not- wendigen als Grundlage für einen ein- heitlichen, kassenübergreifenden Lei- stungskatalog ist erforderlich. Der Lei- stungskatalog der Kassen gehört auf den Prüfstand, versicherungsfremde Leistungen sind zu streichen. Die Kluft zwischen medizinisch Sinnvollem und infolge Ressourcenknappheit nicht zu finanzierenden Leistungen wird ohne grundsätzliche Reform größer. Die Po- litik muss handeln, hat sie doch durch eine Folge von Gesetzen wesentlich zu den Problemen beigetragen. Der Arzt in seiner Praxis, am Krankenbett, muss frei von unerträglichen Zwängen und mit Würde seinen ohnehin psychisch und physisch belastenden Beruf aus- üben können.

Der Konflikt zwischen ethischer Ver- antwortung und ökonomischen Rah- menbedingungen ist nicht ein unauflös- liches Spannungsfeld. Es bedarf nur ei- ner eingehenden Diagnostik, des Mutes der Beteiligten und des entschlossenen Willens aller, um die richtige Therapie einzuleiten.

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 38½½½½21. September 2001 AA2409

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 2406–2409 [Heft 38]

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Ingrid Hasselblatt-Diedrich Thorwaldsenstraße 39

60596 Frankfurt/Main

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in häufiger medizinischer Eingriff mit etwa 140 000 Fällen pro Jahr in Deutschland ist die künstliche Ernährung mithilfe einer perkutanen endoskopisch kontrollierten Gastrosto- mie (PEG-Sonde). 70 Prozent der so Ernährten sind Heimbewohner. Von diesen leidet die Hälfte an einer psychi- schen Krankheit, meistens einer De- menz. Häufig wird gezögert, mit einer künstlichen Ernährung per Magenson-

de zu beginnen, wenn mit keiner Besse- rung des Zustands zu rechnen ist.

Um den Behandelnden eine Orien- tierungshilfe zur Anwendung der PEG- Sonde zu bieten, hat der „Arbeitskreis für medizinische Ethik“ der Evangeli- schen Kirche im Rheinland eine Stel- lungnahme erarbeitet. An der Erklä- rung mitgewirkt haben der Kirchenbe- auftragte für Fragen der Ethik in Biolo- gie und Medizin, Pfarrer Prof. Dr. theol.

Ulrich Eibach, der Präsident der Deut- schen Gesellschaft für Geronto- psychiatrie, Prof. Dr. med. Dr. Rolf Hirsch, sowie Dr. med. Helge Gülden- zoph und Prof. Dr. med. Klaus Zwirner.

Bei schwerstpflegebedürftigen Men- schen, zum Beispiel Patienten mit Hirn- ausfall infolge Unfall, Schlaganfall oder Demenz, kann eine langfristige künstli- che Ernährung erforderlich sein. Einem Verzicht darauf mit oder ohne Einwilli- gung des Patienten, wie von Kritikern gefordert, wollen die Autoren nicht be- fürworten. Sie weisen aber auf die Pro- blematik eines möglichen Konflikts zwischen Patientenwillen, dem ärztli- chen und pflegerischen Standes- ethos und Gewissensüberzeugun- gen der Therapeuten hin.

Das Leben umfasse mehr als nur die empirische Autonomie und die bewussten Interessen. Ar- tikel 2 des Grundgesetzes formu- liere das Recht auf Leben, nicht nur den Schutz autonomer Inter- essen. Kein Mensch dürfe ein Ur- teil über sein eigenes und erst recht nicht über das Leben ande- rer fällen. „Menschenunwürdiges Leben“ gebe es nicht, sehr wohl jedoch eine menschenunwürdige Behandlung. Verzicht auf künstli- che Ernährung dürfe nie mit einer Infragestellung der Menschen- würde und des Lebenswerts begründet werden.

In den Grundsätzen der Bundesärz- tekammer zur ärztlichen Sterbebeglei- tung (DÄ, Heft 39/1998) wird als ein Element der Basisbetreuung Sterben- der das Stillen von Hunger und Durst genannt. Schwerstkranke und Sterben- de empfinden und äußern diese Bedürf- nisse oft nicht mehr. Die Gruppe um Eibach fasst die Basisbetreuung weiter:

Die Nahrungszufuhr bedeute eine grundsätzliche pflegerische Maßnah- me, auch wenn sie den Einsatz einer PEG-Sonde voraussetze. Entscheidend sei, ob mit dem Vorenthalten von Nah-

Künstliche Ernährung

Sterben und Überleben mit der PEG-Sonde

Vor der Entscheidung für eine perkutane Gastrostomie kann für den Arzt eine ethische Orientierung notwendig sein.

Patienten im Wachkoma bedürfen einer PEG-Sonde.

Abb.: DÄ-Titelbild 11/1997

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A2410 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 38½½½½21. September 2001

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onsequenzen, die sich aus der „EG- Richtlinie 2001/20 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvor- schriften zur Durchführung der guten klinischen Praxis bei klinischen Studien“

ergeben, waren zentrales Thema der Sommertagung des Arbeitskreises medi- zinischer Ethikkommissionen in Mainz (LÄK Rheinland-Pfalz). Diese Richtli- nie 2001/20/EG wurde am 4. April 2001 verabschiedet. Bis Ende 2003 sind zahl- reiche Einzelbestimmungen in nationa- les Recht zu implementieren, ab Mai 2004 müssen diese auch angewandt wer- den. Somit muss das Arzneimittelgesetz (AMG) in einer Vielzahl von Bestim- mungen revidiert und eine neue Rechts- verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit erlassen werden.

Ministerialrat Hans-Peter Hofmann, Bundesgesundheitsministerium, stellte die einzelnen Punkte dar, die sich aus der Umsetzung der Richtlinie ergeben. So würde im novellierten AMG eine Rei- he von weiteren Begriffen definiert. Es wurde bedauert, dass die in Deutschland etablierte und bewährte Einrichtung des Leiters der klinischen Prüfung, ebenso wie die dazu vorgeschriebene Qualifika- tion (Arzt/Ärztin mit mindestens zwei- jähriger Erfahrung in der Durchführung klinischer Versuche) in der EG-Richtli- nie nicht enthalten ist. Somit könnte auch ein Biologe, Chemiker oder Phar- mazeut eine klinische Studie leiten.

Die Tagungsteilnehmer stimmten darin überein, dass dies ein nicht zu ak- zeptierender Qualitätsverlust sei. Das Gesundheitsministerium wurde aufge- fordert, in der Novellierung des AMG beziehungsweise in der Rechtsverord- nung vorzuschreiben, dass nur ein Arzt mit entsprechender Qualifikation eine klinische Prüfung leiten und vorneh- men könne. Konkret wurde der Vor-

schlag unterbreitet, den neu im AMG aufzunehmenden Begriff „Hauptprü- fer“ im Sinne der bisherigen Qualifika- tion und Funktion des Leiters der klini- schen Prüfung zu definieren.

Außerdem würden in das novellierte AMG Berichtspflichten für Todesfälle und schwerwiegende Zwischenfälle auf- genommen, denen Sponsoren unter Ein- haltung einer der Dringlichkeit ange- messenen Frist nachkommen müssten, erläuterte Hofmann. Die §§ 40 und 41 würden gravierend geändert. Für AMG- Studien werde das Antragsverfahren bei der Behörde eingeführt, bei der Antrag- stellung sollte das befürwortende Votum der Ethikkommission bereits vorliegen.

Bei internationalen Multicenterstudien werde pro Mitgliedstaat nur ein Votum zugelassen, die Verfahrensweisen in- nerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten regelten diese eigenverantwortlich.

Kontaktstelle

Die Beratungsfrist für Ethikkommis- sionen betrage 60 Tage. Das bedeute, dass bei Multicenterstudien der gesam- te Beratungsvorgang durch die erstbe- fasste sowie die lokalen Kommissionen in 60 Tagen abgeschlossen sein müsse.

Aufgaben und Stellung der Ethikkom- missionen werden durch die EG-Richt- linie ausgeweitet, das Votum erhält ei- nen stärkeren Rechtscharakter. Außer- dem sei im AMG oder in der Rechts- verordnung vorgesehen, dass eine Kon- taktstelle für Probanden/Patienten ein- gerichtet werden soll.

Ethikkommissionen seien auch für ei- ne inhaltliche Beurteilung der präklini- schen Daten verantwortlich. Darauf wies Prof. Dr. med. Gottfried Kreutz, Bundesinstitut für Arzneimittel und Me- rung das Tötungsverbot berührt wird.

Deshalb müsse der Arzt abwägen, ob oder ob nicht der Tod eines Patienten bald und unausweichlich eintreten wer- de. Im ersten Fall sei der Verzicht auf Krankheitsbekämpfung und künstliche Ernährung legitim. Bei alten, hirnorga- nisch beeinträchtigten oder multimor- biden Patienten sei diese Einschätzung oft sehr schwierig. Weder Anfang noch Ende der langen Phasen des Sterbens seien genau absehbar. Durch Vorent- halten von Nahrung werde das Sterben nicht in jedem Fall beschleunigt.

Die Autoren betonen, dass die An- wendung einer PEG-Sonde immer einer medizinischen Indikation bedarf. In der Geriatrie und Gerontopsychiatrie sei sie als Ultima Ratio anzusehen. Nahrungs- verweigerung könne auch ein stummer Ruf nach mehr Zuwendung sein.

Lebenserhaltend und lindernd

Eine PEG-Sonde sei oft als palliative, aber auch als lebenserhaltende Maß- nahme notwendig, um Mangelernäh- rungen und deren erhebliche negative Folgen bei neurologischen Erkrankun- gen wie Schlaganfall oder Morbus Par- kinson zu vermeiden. Menschen mit ei-

ner psychischen Erkrankung, etwa einer Depression oder Magersucht, müssten von der krankheitsbedingten Notwen- digkeit einer künstlichen Ernährung, gegebenenfalls auch einer PEG-Sonde, überzeugt werden und ohne deren Zu- stimmung künstlich ernährt werden, falls dies notwendig ist. Bei entschei- dungsfähigen Patienten sollte eine künstliche Ernährung nicht gegen deren Willen erfolgen. Ein schwieriges Urteil werde von den Betreuern bei einem nicht mehr entscheidungsfähigen, noch nicht sterbenden Menschen verlangt.

Dann müsse der mutmaßliche Wille des Betroffenen eruiert werden. Für die Zeit des Sterbens könne die palliative Anlage einer PEG-Sonde geboten sein.

An sozialen Kontakten und mitmensch- licher Zuwendung dürfe es jedoch nie fehlen. Dr. med. Peter Bartmann

EG-Richtlinie Good Clinical Practice

Erhebliche Verantwortung für Ethikkommissionen

Bis 2003 sind zahlreiche Bestimmungen

der Richtlinie in nationales Recht zu überführen.

Vollständige Fassung der „ethischen Orientie- rung“ im Internet unter www.aerzteblatt.de, Ru- brik „Extra“

Referenzen

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