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Archiv "Fehler und Grenzverletzungen in der Psychotherapie: Ziel – Standards und Transparenz" (05.01.2015)

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A 16 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 112

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Heft 1–2

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5. Januar 2015

FEHLER UND GRENZVERLETZUNGEN IN DER PSYCHOTHERAPIE

Ziel: Standards und Transparenz

Jede Psychotherapie ist eine künstliche Beziehung mit einem strukturellen Machtgefälle. Allein dadurch ist Abstinenz absolut zwingend. Bei einer Tagung wurden die Probleme, die sich aus Verstößen ergeben, interdisziplinär beleuchtet.

D

ie Vertuschung von Fehlern ist eine Sünde“ – mit diesem Zitat des Philosophen Karl Popper führte die Vorsitzende des Ethikver- eins, Dr. med. Veronika Hillebrand, in die Tagung über ethische Stan- dards in der Psychotherapie Anfang November in München ein. Ihr Fa- zit aus mehr als 400 Beratungen des Ethikvereins (Kasten): Die Betrof- fenen versuchten Gehör und Ver- ständnis zu finden und ihre Ent- scheidungs- und Handlungsfähig- keit zurückzugewinnen, oft nach langer Zeit und fern der schädigen- den Behandlung.

Erschütterte Vertrauensbasis und verzerrte Wahrnehmung Für die Lehre ethischer Standards für angehende Psychotherapeuten und Ärzte schon während des Studiums plädierten entschieden Dr. med. Ingrid Rothe-Kirchberger, Bundesärztekammer, und Dr. phil.

Dietrich Munz, Bundespsychothe- rapeutenkammer. Auch die Verlän- gerung der Verjährungsfrist für be- rufsrechtliche Verstöße von drei auf nun fünf Jahre, zumindest in Bayern, begrüßten beide sehr.

Die Schwierigkeiten von Folge- behandlungen nach gravierenden Grenzverletzungen beleuchteten die Psychoanalytikerinnen Dr. phil. El- ke Fietzek und Dr. jur. Giulietta Tibone. Nicht nur massive Schuld- und Schamgefühle, die erschütter- te Vertrauensbasis und Verzerrun- gen in Wahrnehmung und Den- ken, die iatrogen durch die trauma- tisierende Vorbehandlung bedingt sind, erschwerten eine heilende Ent- wicklung.

Die Mitbegründerin des Verbän- detreffens gegen sexuellen Miss- brauch in Psychotherapie und Bera- tung, Dipl.-Psych. Monika Bormann, begründete die Notwendigkeit der

Abstinenz – vor, während und nach der Behandlung – auch in einer Ver- haltenstherapie: Schließlich stelle je- de Psychotherapie eine künstliche Beziehung mit einem strukturellen Machtgefälle dar, in der sich der Pa- tient in seiner Schwäche offenbart und der Psychotherapeut wegen sei- ner Kompetenz aufgesucht wird.

Als Expertin für posttraumati- sche und dissoziative Störungen wies Priv. Doz. Dr. med. Ursula Gast auf die besondere Vulnerabili- tät dieser Patienten hin. Der Schutz- mechanismus der Dissoziation mit zum Beispiel Amnesien und Wahr- nehmungsstörungen sei Ausdruck der Aufspaltung der Persönlichkeit, wenn die psychische Integrationsfä- higkeit in traumatischen Situationen nicht ausreiche. In der Folge führten ein fehlendes selbstbeobachtendes Ich, Selbstbestrafungsneigung, Er- starrung und reduzierte Mentalisie- rung zur Einschränkung von Selbst- schutz und der Möglichkeit, über das Geschehene zu sprechen.

Der Psychoanalytiker Dr. med.

Heribert Blaß unterschied zwischen systematischen Fehlern und akzi- dentiellen Fehlern. Für letztere be- dürfe es einer positiven Fehler - kultur ohne gegenseitige kollegiale Beschämung und mit dem Recht auf Irrtum. Gegenüber strukturel-

len, systematischen Vergehen seien jedoch eine klare, sanktionierende Haltung und Standards erforderlich, da eine Psychotherapie ebenso wie jede medizinische Behandlung ei- nen Eingriff darstelle. Verbände, In- stitute und Kammern erfüllten hier- bei eine wichtige triadische und tri- angulierende Funktion.

Strafrecht als „stumpfes Schwert“

Aus juristischer Sicht berichtete Prof. Dr. Thomas Gutmann, Müns- ter, dass seit Verabschiedung des

§ 174 c StGB, der sexuellen Miss- brauch in Psychotherapie und Bera- tung unter Strafe stellt, nur drei bis vier Strafverfahren pro Jahr zustande kommen. Die Verfolgung von weni- ger als ein Prozent der 600 Fälle, die realistischerweise zugrunde gelegt werden müssten, zeige das Strafrecht als ein „stumpfes Schwert“. Aus Sicht der Opfer sei das Strafrecht dysfunktional, vergangenheitsbezo- gen und oft retraumatisierend. Auch zivilrechtliche Verfahren seien auf- grund ihrer jahrelangen Dauer dys- funktional für die Geschädigten. Pro- blematisch sei auch die Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs zum

§ 174 c (2011). Der Schutz für Pa- tienten gilt nur bei Psychotherapeu- ten im Sinne des Psychotherapeuten-

Der Ethikverein bietet bundesweit, kostenlos, unabhängig und professio- nell eine niedrigschwellige, vertrauli- che Beratung für Patienten, Ausbil- dungskandidaten, psychotherapeuti- sche Kollegen und ihre Institutionen an. Das Beraterteam aus Ärzten, Psy- chologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychothe-

rapeuten aller Verfahren beantwortet Fragen zu Standards in der Psycho- therapie und erarbeitet eine Klärung in ethisch und rechtlich schwierigen Be- handlungssituationen gemeinsam mit den Anfragenden. Die Beratungsdaten werden anonymisiert wissenschaftlich quantitativ und qualitativ ausgewertet (www.ethikverein.de).

ETHIKVEREIN

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5. Januar 2015 A 17 gesetzes und nur bei Anwendung

eines wissenschaftlich anerkannten Verfahrens. Demzufolge sind Pa - tienten von Ausbildungskandidaten, Heilpraktikern, in Ehe- und Famili- enberatungsstellen und bei nichtwis- senschaftlich anerkannten Verfahren nicht geschützt. Da Straf- und Zivil- recht wenig hilfreich seien, wachse den Ärzte- und Psychotherapeuten- kammern aufgrund ihres öffentli- chen Auftrags und aus moralischer Sicht eine Schutzpflicht für die Pa- tienten zu. Insbesondere fehle in der Berufsordnung der Ärzte eine Be- stimmung zur Abstinenz und Karenz im Hinblick auf psychotherapeuti- sche Behandlungen.

Den Blick auf mögliche Schritte in der Prävention warf der Psycho- analytiker Dr. phil. Jürgen Thor- wart. Notwendig seien eine kolle- giale Kultur, in der klinische Pra- xis und Theorie offen diskutiert werden, transparente Strukturen in der Ausbildung, Ombudsstellen für Ausbildungskandidaten, Auseinan- dersetzung mit ethischen Fragen, rechtliche und berufsrechtliche Rahmenbedingungen. Auch die Untersuchung gescheiterter Be- handlungen, der Psychodynamik von Grenzverletzungen, schwieri- ger Therapiesituationen, wieder- holte Selbsterfahrung und ein akti- ves Vorgehen in der Supervision wirkten präventiv.

Abschließend wurde diskutiert, wie kritische Punkte im Hinblick auf Grenzverletzungen für die Aus- und Weiterbildung operationalisiert wer- den könnten. Hier sind hierfür soge- nannte yellow und red flags (1), die aus Literatur und Beratungen des Ethikvereins kritische Konstellatio- nen zusammenfassen. Als wün- schenswert wurde der Austausch zwischen Juristen, Ärzten und Psy- chotherapeuten in diesem schwieri- gen Feld angemahnt und eine Ta- gung mit Vertretern aller Kammern und ihrer Justiziare zur konstruktiven Weiterentwicklung gefordert.

Dr. med. Andrea Schleu Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, stellvertretende Vorsitzende des Ethikvereins

LITERATUR

1. Schleu A: Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie – Prävention, Beratung und Lösungsansätze. PID 1, 2014: 54–7.

W

eiblich, angestellt, teilzeitbe- schäftigt, kooperativ: Glaubt man Umfragen unter Medizinstudie- renden, sieht so die Zukunft der am- bulanten Versorgung aus. Jedes die- ser Merkmale ist zweifellos relevant.

Die Ergebnisse werden aber in der Debatte um die Generationen X oder Y überinterpretiert. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat die Daten ihres Arztregisters genauer analysiert, um herauszufinden: Was ist dran an den meist plakativen Aussagen?

„Die Alten arbeiten mehr als die Jungen“ – das stimmt nur zum Teil.

Der durchschnittliche Tätigkeitsum- fang der „Generation X“ (Jahrgänge 1966–1985) ist zwar geringer als bei den Älteren. Treffender wäre aber: Alle Altersklassen nutzen die neu gewon- nene Flexibilität der Arbeitsformen.

Vor 2008 war eine Niederlassung in Teilzeit nicht möglich. Niemand kann deshalb sagen, wie viele Ärzte und vor allem Ärztinnen sich sonst für diese Variante entschieden hätten.

Heute wählen auch immer mehr ältere Mediziner ein Teilzeitmodell – für ihren Übergang in den Ruhestand.

„Frauen arbeiten lieber in Teilzeit“

– das stimmt schon deshalb nur teil- weise. Frauen arbeiten eher in der Fa- milienphase Teilzeit, Männer am Be- rufsende. Im Vergleich arbeiten heute zwar tatsächlich mehr Ärztinnen als Ärzte in Teilzeit. Insgesamt bevorzugt aber die große Mehrheit eine Vollzeit- beschäftigung (90 Prozent der Frauen und 94 Prozent der Männer). Offen ist, wie sich das durch die „Generation Y“

ändern wird, die jetzt in die ambulante Versorgung einsteigt.

„Junge Hausärzte zieht es in die Städte“– das stimmt nicht. Ob eine Gemeinde attraktiv für eine Niederlas- sung ist, hat weniger mit ihrer Größe

als mit ihrer Lage und anderen Stand- ortfaktoren zu tun. Orte mit weniger als 50 000 Einwohnern sind sogar leicht im Vorteil: 27 Prozent der Älte- ren, aber 30 Prozent der Jüngeren praktizieren dort. Die häufige Vermu- tung, junge Mediziner ziehe es dahin, wo „etwas los ist“, also in Großstädte, trifft zumindest für junge Hausärztin- nen und -ärzte in Nordrhein nicht zu.

Die Daten für alle drei Beispiele lassen Zweifel an den vermeintlich typischen Präferenzen der verschiede- nen Altersklassen aufkommen. Das liegt daran, dass Generationen „Pseu-

dogruppen“ sind: Ihr gemeinsamer Nenner ist kleiner als Unterschiede innerhalb der Gruppe.

Für alle, die Anreize zur Niederlas- sung setzen wollen, heißt das: Sie sollten sich nicht von zu klischeehaf- ten Vorstellungen über die „Generation Y“ leiten lassen. Vieles, was ihr zuge- schrieben wird, trifft auch auf andere Altersklassen zu – und umgekehrt. Ein gutes Einkommen ist auch Mittdreißi- gern wichtig, spätestens, sobald es ei- ne Familie zu ernähren und einen Kre- dit zu tilgen gilt. Kooperation findet nicht nur im jungen Team eines Medi- zinischen Versorgungszentrums statt, sondern auch in Einzelpraxen: mit dem Praxisteam, mit Kollegen und weiteren Berufsgruppen.

Es sind vor allem zwei Dinge, die der Suche nach medizinischem Pra- xisnachwuchs positive Impulse verlei- hen: Erstens der Abbau gesetzlicher Restriktionen. Nach der Aufhebung der Altersgrenze und der Lockerung der Residenzpflicht wäre es jetzt an der Zeit, die Verordnungsregresse abzu- schaffen. Zweitens sollte man die neuen, individuellen Optionen der Berufsausübung weiterentwickeln – für jüngere und ältere Ärzte.

KOMMENTAR

Miguel Tamayo, Referent, KV Nordrhein

GENERATION X, Y, Z . . .

Viel zu viel Klischee

P O L I T I K

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