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Archiv "Managed Care in den USA: Übermacht der Versicherungen" (24.12.2001)

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M

anaged Care ist eine Form der Krankenversorgung in den USA, in der die Versicherungs- träger ihre Leistung unter vorwiegend ökonomischen Aspekten erbringen.

Die Kostenträger, die als Health Main- tenance Organizations (HMO) oder Managed Care Organizations (MCO) bezeichnet werden, verfolgen das Ziel der Kostenbegrenzung, indem sie das Verhalten von Ärzten und Patienten di- rekt beeinflussen. In der Regel sind HMOs private Versicherungsgesell- schaften, die nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit eines freien Unter- nehmens arbeiten. Sie sind mit Blick auf wirtschaftliche Betriebsführung mit privaten deutschen Krankenversiche- rungen vergleichbar.

Das Konzept einer HMO ist in den USA nicht neu. Seit Mitte der 60er-Jah- re sind die Kosten im US-Gesundheits- wesen rasant bis zum Dreifachen der jährlichen Inflationsrate gestiegen. Oh- ne finanzielle Mitverantwortung waren die Patienten, in den USA auch con- sumersgenannt, der Meinung, dass ein Mehr an Versorgung gleichbedeutend mit besserer medizinischer Versorgung sei. Die Ärzte teilten diese Ansicht, denn ein Mehr an Leistungen in der Ära leistungsbezogener Vergütung be- deutete auch ein höheres Einkommen, gerade für die Niedergelassenen. Um dieser Kostenexplosion entgegenzuwir- ken, haben die HMOs ihr eigenes Kon- zept zur Kostenbegrenzung entwickelt.

In den USA gibt es weder eine soli- darisch organisierte Krankenversiche- rung noch eine Krankenversicherungs- pflicht für Arbeitnehmer. Der einzelne Arbeitnehmer oder Selbstständige hat es in der Hand, für sich und seine Fami- lie Versicherungsschutz günstig zu er- werben. Der Versicherungsmarkt ist hart umkämpft. Bei Selbsteinkauf gibt es keinen Arbeitgeberzuschuss. Einige Arbeitgeber, insbesondere Universitä-

ten, Schulen und der öffentliche Dienst, bieten ihren Angestellten jedoch als Teil des benefit packageeine bis zu 100 Prozent vom Arbeitgeber bezahlte Ba- siskrankenversicherung an. Viele dieser Versicherungsträger sind große HMOs oder MCOs. Sonderleistungen können im Bausteinsystem zusätzlich abgesi- chert werden. Zahnmedizinische Lei- stungen sind von den übrigen medizini- schen Leistungen in der Regel getrennt und zusätzlich zu versichern. Wenn man bedenkt, dass 1998 das US Census Bu- reau die Zahl der unversicherten US- Bürger auf 44,3 Millionen oder 16,3 Prozent schätzte, so ist für viele Ameri- kaner eine bezahlbare oder eine freie Krankenversorgung ein echtes Privileg (2). Der Ruf nach einer umfassenden

Krankenversicherung für alle Bürger wird immer lauter (3).

Viele Arbeitgeber haben aufgrund der hohen Zahl ihrer Angestellten zu erheblich vergünstigten Preisen Grup- penverträge mit Krankenversicherun- gen abgeschlossen. Große Arbeitgeber mit vielen Mitarbeitern haben somit bei Neuverhandlungen über Prämien und

Verträge ein Druckmittel gegenüber den Versicherungsgesellschaften. Um die Versicherungsprämien gering zu halten und konkurrenzfähig zu bleiben, sind die HMOs in den 90er-Jahren neue Wege gegangen. Sie identifizierten zwei Hauptpunkte der effizienten Mittel- steuerung: Qualität und Kosten (1).

Die Versicherungen versuchten, die Qualität der medizinischen Versorgung zu definieren und zu messen. Zugleich sollten die Kosten über eine Selbstbe- teiligung der Patienten und Zugangsbe- schränkungen zu medizinischen Lei- stungen (gate keeper function)begrenzt werden. Zugangsbeschränkungen zum Spezialisten und zur Notaufnahme sind wichtige Instrumente der Kostenkon- trolle der HMOs.

Große Arbeitgeber und Versiche- rungen haben zusammen ein monu- mentales System einheitlicher Qua- litätskontrolle ausgearbeitet, das auch der Information der Patienten und Ar- beitnehmer dient und ihnen die Aus- wahl ihrer Versicherung erleichtern soll (1). Ärztliche Leistungen beurteilen die Versicherungsgesellschaften anhand von T H E M E N D E R Z E I T

A

A3428 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001

Managed Care in den USA

Übermacht der Versicherungen

Werden die Rechte der Versicherungsgesellschaften einseitig gestärkt, können Versorgungsprobleme und finanzielle Härten die Folge sein.

Im Rahmen landesweiter Aktionen protestierten im letzten Jahr in Los Angeles Ärzte, Pfle- gepersonal und Patienten gegen HMO-Willkür.

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Datenerhebungen. Gemessen werden unter anderem die Qualität der Versor- gung, Wirtschaftlichkeit, der Zugang zur Versorgung und die Patientenzu- friedenheit. Begutachtungen von Kran- kenakten und Patientenbefragungen sind gängige Mittel der Qualitätskon- trolle durch HMOs. Qualitätsmerkma- le spielen bei Neuverhandlungen über Verträge eine erhebliche Rolle.

Die HMOs schließen Gruppenver- träge mit Ärzten und Krankenhäusern ihrer Wahl. Die Patienten genießen nur den vollen Versicherungsschutz, wenn sie sich im Netzwerk ihrer Krankenver- sicherung behandeln lassen. Für elekti- ve Leistungen außerhalb des Netzwer- kes kommt der Versicherungsträger nur teilweise oder gar nicht auf. Ärzte und Kliniken können jedoch Angebote und Verträge ablehnen oder kündigen. Dies gilt auch für die HMOs. Durch Wechsel der Vertragspartner oder Kündigung eines Versicherungsvertrags kann ein Patient seinen vertrauten Arzt oder sein HMO-Vertragskrankenhaus ver- lieren. Die Folgen gerade für ältere, chronisch Kranke sind schlimm, weil langjährige Arzt-Patienten-Beziehun- gen unterbrochen werden. Größere elektive Eingriffe oder diagnostische Maßnahmen muss die HMO zuvor ge- nehmigen. Die freie Arztwahl ist in der Regel nur innerhalb des Netzwerkes möglich. Besuche beim Primärarzt sind mit einer Zusatzgebühr von zehn Dollar belegt. Auch für Krankentrans- porte und Krankenhausaufnahmen wird eine zusätzliche Gebühr verlangt.

In Notfällen wird die Klinik oder Notaufnahme außerhalb des Netzwer- kes eine Zahlungsgarantie über eine 24- stündige Hotline einholen. Die HMOs verlangen gerade bei Notfällen auch von den Patienten selbst, die Hotline oder ihren persönlichen Netzwerk-Arzt anzurufen, um eine Genehmigung für die Behandlung zu erhalten. Diese Pra- xis hat zu großen Problemen geführt, weil zum Teil Behandlungen unterblie- ben. Die MCOs lassen den Anrufer häu- fig in Endlosschleifen warten, und ein zeitgerechter Kontakt ist oft nicht mög- lich. Wird der Patient trotzdem in der Notfallaufnahme behandelt, so kann ei- ne Ablehnung der Kostenübernahme sogar retrospektiv erfolgen, obwohl ein Notfall vorlag. Der Patient erhält eine

Krankenhausrechnung und keine Rück- erstattung von der Kasse.

Ein weiteres Problem ist, dass die MCOs auch Nicht-Ärzte für die telefo- nische Autorisierung beschäftigen. Im Fall eines achtjährigen Mädchens, das 1995 in New York mit Fieber und Kopf-

schmerzen ins Krankenhaus eingewie- sen wurde (4), versagte die HMO zu- nächst die Kostenübernahme für die

„Notfallbehandlung“. Die Ärzte haben das Kind trotzdem untersucht und be- handelt. Diagnose: Meningokokken- Meningitis. Solche und andere MCO- Missstände sind Dauerthema in der me- dizinischen Fachpresse und der öffentli- chen Diskussion (6, 7).

Rechte der Patienten stärken

Ein Hauptproblem im amerikanischen HMO-System ist die Mitverantwor- tung. Das System, von den Versiche- rungsgesellschaften mit dem guten Vor- satz der Kostenkontrolle erdacht, scheint derzeit nur einseitig zu funktio- nieren. Kommt es zu Behandlungsfeh- lern oder Unterlassungen, weil Ko- stenübernahmen verweigert werden, lehnen es die HMOs in der Regel ab, die Haftung für Schäden zu überneh- men. Der consumer muss vor Gericht ziehen. Begründung: Die Kostenüber- nahme ist keine ärztliche Handlung und kann somit nicht mit dem Arztrecht ge- messen werden. Ärzten und Patienten stehe es frei, sich trotz einer Ablehnung der Kostenübernahme für die Behand- lung zu entscheiden. Nur eine Ände- rung im Versicherungsrecht kann die- sem HMO-Unwesen ein Ende bereiten.

In den USA gibt es keine Institution,

die ähnlich den deutschen Kassenärztli- chen Vereinigungen zwischen Arzt und Versicherungen vermittelt. Lediglich in Kalifornien wurde eine HMO-Regulie- rungsbehörde eingerichtet.

Nach Jahren des Streits der Ärzte und Patienten mit den Versicherungsge- sellschaften hat das Thema auch Washington erreicht.

Ein Gesetzentwurf, der überwiegend von den De- mokraten unterstützt wird, sieht vor, die Mitverant- wortlichkeiten der Versi- cherungsgesellschaften zu definieren und die Rechte der Patienten gegenüber den HMOs zu stärken (7).

Patienten sollen mehr Mög- lichkeiten erhalten, HMOs wegen Verzögerungen oder der Ablehnung von medizi- nischer Behandlung zu verklagen. Präsi- dent George W. Bush kritisiert das Ge- setzesvorhaben, weil er befürchtet, es könne eine Welle von Klagen auf die Versicherer zukommen und damit die Versicherungsprämien in die Höhe trei- ben. Lohnnebenkosten sind auch in den USA ein heikles Thema. Es bleibt abzu- warten, wie Repräsentantenhaus, Senat und Präsident entscheiden.

Im Rahmen der Diskussion um die Zukunft des deutschen Gesundheitswe- sens ist es interessant, die amerikani- schen Erfahrungen aus den 90er-Jahren zu berücksichtigen. In den USA hat sich gezeigt, dass Rationierung im Gesund- heitswesen dann zu erheblichen Proble- men führt, wenn die Rechte der Versi- cherungsgesellschaften gegenüber Pati- enten und Ärzten einseitig gestärkt wer- den. Das HMO-Modell zeigt, dass bei unkontrollierten Machtverschiebungen zugunsten der Versicherungsgesellschaf- ten Versorgungsprobleme und finanziel- le Härten entstehen können, die dann nachträglich auf politischem Wege ge- löst werden müssen.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis im Internet (www.aerzteblatt.de).

Tareg Bey, MD, FACEP, ABMT Associate Clinical Professor Department of Emergency Medicine University of California, Irvine (UCI) 101 The City Drive South Orange, CA 92686, USA T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001 AA3429

In Notfällen holt die Klinik außerhalb des Netzwerkes eine Zah- lungsgarantie bei der HMO ein. Fotos: ap

Referenzen

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