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Archiv "Über den persönlichen Umgang mit dem Patienten" (01.10.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Über den persönlichen Umgang mit dem Patienten

Wenn ein Mensch er- Vi krankt, zum Beispiel an einer eitrigen Angina, einer Herzrhythmusstörung oder einem Diabetes, dann hat er bestimmte Beschwerden und Symptome, er hat Blut-, Röntgen- und andere Befun- de. Und er ist krank. Dieser letzte Satz ist nicht selbstver- ständlich. Der Arzt sieht zu- nächst darauf, was der Pa- tient hat. Er tut gut daran, diese objektivierende und or- ganbezogene Vorgehenswei- se anzuwenden, um diagno- stische Erkenntnisse zu ge- winnen und dem Patienten medizinisch zu helfen.

Zugleich steht er einem Men- schen gegenüber, der krank

ist: er ist schwach und fühlt sich elend, leidet an Schmer- zen und Ausfällen, sorgt sich um seine Gesundheit und seine Angehörigen, ist mögli- cherweise deprimiert und verzweifelt. Vieles verändert sich mit dem Kranksein. Das gilt für alle ernsthaften Krankheiten. Es wäre nun falsch zu sagen, der Mensch habe auch eine Psyche, wel- che in die Krankheit einbezo- gen werde. Denn es gibt nicht eine Psyche, die man im Sinne des organbezoge- nen Denkens in eine Reihe mit Leber, Kreislauf, Lunge usw. stellen kann. Vielmehr handelt es sich bei den ge- nannten Reaktionen eines Menschen auf seine Krank- heit um ihn selbst, um seine Person. Er hat nicht nur ein Leiden (im Sinne einer Krankheit), sondern er leidet.

Er hat nicht Sorgen oder Ver- zweiflung, sondern er ist be- sorgt und verzweifelt. Auch hiermit wird der Arzt kon- frontiert, nicht nur mit der Organstörung. Er muß sich der Krankheit und zugleich

dem kranken Menschen stel- len. Nun werden viele Leser denken: das ist selbstver- ständlich. Sie haben recht.

Die persönliche Begegnung mit dem kranken Menschen ist, medizin-historisch gese- hen, älter als die objektivie- rende, organbezogene Vor- gehensweise. Zitiert sei Hein- roth (1825): „Der Zielpunkt des Arztes ist unter allen Um- ständen die Person, das Ich des Kranken, ... die Zurück- führung der Kranken zu sich selbst ...".

Allerdings muß man anmer- ken, daß es zur Zeit Hein- roths medizinische Kenntnis- se und Maßnahmen, wie wir sie heute verstehen, prak- tisch noch gar nicht gab, al- so auch kaum jene Polarität zwischen objektivierend-or- ganbezogener und persona- ler, patientbezogener Vorge- hensweise entstehen konnte.

Heute müssen wir uns beina- he schon zurückbesinnen auf eine patientbezogene ärzt- liche Einstellung, die durch den Fortschritt der naturwis- senschaftlich-technischen Medizin lange Zeit fast ganz verstellt war. Wie schwer es ist, sich erneut auch auf den kranken Menschen als Per- son einzustellen, war in den letzten Jahrzehnten zu erken- nen. Seit der Wiederentdek- kung der Subjektivität in der Medizin durch den Interni- sten V. von Weizsäcker sind bereits Jahrzehnte vergan- gen, ohne daß sich diese Ein- stellung allgemein durchge- setzt hätte.

Die Schwierigkeiten für den Arzt liegen vor allem darin, daß er nicht etwa objektivie- rend- diagnostisches sowie organbezogen-therapeuti-

sches Handeln und anderer- seits personbezogenen Um- gang mit dem Kranken ne- beneinander stellen kann, sondern daß er beides zu- gleich, sozusagen in einem Arbeitsgang vollziehen muß, um dem Menschen mit seiner Krankheit gerecht zu werden.

Was hier mit persönlichem Umgang, personaler Einstel- lung, ärztlichem Basisverhal- ten (diese Formulierungen besagen im wesentlichen das gleiche) gemeint ist und in den folgenden Abschnitten erklärt wird, darf keinesfalls gleichgesetzt werden mit Freundlichkeit, Zuwendung, Wärme, also Menschlichkeit im allgemeinen Sinn. Das sind Voraussetzungen des ärztlichen Handelns, nicht weniger und nicht mehr. Sie machen noch nicht das We- sentliche des ärztlichen Ba- sisverhaltens aus. Hierzu sind bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen notwendig. Mit einfachen Worten gesagt:

D

er Arzt muß viel vom menschlichen Leben, von biographischen und situati- ven Problemen wissen, und er muß im Umgang mit Men- schen in schwierigen Le- benssituationen (wie sie auch Krankheiten darstellen) erfah- ren sein. Diese Kenntnisse und Erfahrungen wurden von der Psychologie und insbe- sondere der ärztlichen Psy- chotherapie erarbeitet. Jeder Arzt sollte dieses Wissen nut- zen, auch wenn er nicht psy- chotherapeutisch tätig sein will. Denn es geht zunächst nicht um die Anwendung be- stimmter psychotherapeuti- scher Methoden, sondern um das Nutzbarmachen gewisser psychotherapeutischer Erfah- rungen für das ärztliche Ba- sisverhalten.

Was hierzu gehört, kann an dieser Stelle nur in Stichwor- ten angedeutet werden: etwa

2694 (54) Heft 40 vom 1. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL neben der Krankheit auch

den Leidenszustand des Pa- tienten zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn keine objektiven Befunde vorliegen, wie bei manchen Schmerzsyndromen, psycho- somatischen und psychi- schen Beschwerden. Der Arzt wird die Lebenssituation des

Erkrankten bedenken, die durch die Krankheit entstan- denen Sorgen und Probleme ebenso wie die nun aktuali- sierten älteren Konflikte. Er soll versuchen, die Situation des Patienten auch auf dem Hintergrund seiner Lebens- geschichte zu verstehen. Er wird bedenken, wie dieser Mensch geartet ist, wie seine Persönlichkeit geworden ist.

Er muß gewisse Kenntnisse der Tiefenperson, der unbe- wußten Reaktion und der Triebdynamik haben, um

manche Einstellungen und Reaktionen seines Patienten richtig zu verstehen.

Dieses Vorgehen zielt darauf ab, den Leidenszustand des Patienten zu erfassen, mög- liche Zusammenhänge zwi- schen Erkrankung, Konflikten der Lebenssituation und pro- blematischen Verhaltenswei- sen zu erkennen, den Stel- lenwert der jetzigen Krank- heit richtig abzuschätzen im Hinblick auf Ängste und Sor- gen, aber auch auf mög- lichen Krankheitsgewinn (was kann der Patient durch seine Krankheit im familiä- ren, beruflichen oder sozia- len Bereich erreichen?).

Der Weg zu diesen Zielen ist das ärztliche Gespräch, des- sen Regeln hier nur ange- deutet werden können: viel zuhören und nachdenken, weniger selbst sprechen;

häufig zurückfragen, aber nicht suggestiv; dabei kurze Fragen formulieren, ohne ei- gene Meinungen mit auszu- drücken; nicht nur das dia- gnostische Interesse verfol- gen, sondern zugleich dem

Kranken helfen, daß er selbst Sinnzusammenhänge er- kennt. Immer ist zu beden- ken, daß das ärztliche Ge- spräch zugleich Diagnostik und Behandlung ist, daß Er- kennen und Verstehen be- reits therapeutisch wirksam sein können.

Wenn ein solches ärzt- liches Gespräch zustan- de kommt, wird der Arzt re- gelmäßig auch persönlich in diese Vorgänge einbezogen.

Es ist wichtig, daß der Arzt das weiß und richtig reagiert.

Zum Beispiel muß er sich fra- gen, warum er bei einem be- stimmten Patienten leicht un- geduldig und ärgerlich wird, warum ihm das Gespräch mit einem anderen Patienten eher Genugtuung verschafft, warum er in bestimmten Si- tuationen mehr selbst zu sprechen beginnt, als er es eigentlich für richtig hält und so weiter.

Das Verhalten des Patienten fordert also auch persönliche Reaktionen des Arztes her- aus. In der Fachsprache wird das Übertragen und Gegen- übertragen genannt. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß Übertragung und Gegen- übertragung nur durch be- stimmte Psychotherapiever- fahren hergestellt werden.

Richtig ist, daß sich diese zwischenmenschlichen Phä- nomene immer dann einstel- len, wenn zwei Personen sich ernsthaft miteinander befas- sen, also auch in der Patient- Arzt-Beziehung. Der Arzt tut gut daran, hiermit zu rech- nen, um schwierige Situatio- nen im Umgang mit seinen Patienten erkennen und be- wältigen zu können.

Das ist nicht einfach und will gelernt sein. Aber man muß hierzu nicht Psychotherapeut werden. Die beste Schulung

ist die Teilnahme an einer Balint-Gruppe. Viele Ärzte,

unter ihnen gerade Nicht- Psychotherapeuten, haben auf diese Weise wichtige Er- fahrungen für den Umgang mit ihren Patienten gewon- nen. In einer Gruppe von Ärz- ten werden unter Anleitung eines psychotherapeutisch geschulten Kollegen Erfah- rungen aus der täglichen Praxis ausgetauscht. Wenn einer der Teilnehmer über ei- nen problematischen Patien- ten berichtet, werden seine eigenen Reaktionen mit deut- lich, und sie können in die- sem Kreis erörtert werden.

Dabei handelt es sich also nicht schon um eine Psy- chotherapie-Weiterbildung, sondern um eine günstige Gelegenheit, Erfahrungen für den persönlich orientierten Umgang mit dem Kranken zu gewinnen. Der Arzt sollte die- se Möglichkeit nicht unge- nutzt lassen. Sie wird sich zum Vorteil seiner Patienten auswirken und zugleich ihn selbst von manchen Schwie- rigkeiten und Ärgernissen entlasten.

A

bschließend soll auch auf Verhaltensweisen hinge- wiesen werden, die nicht im Sinne des ärztlichen Basis- verhaltens (das man auch psychotherapeutische Grund- einstellung nennen kann) lie- gen. Der Arzt sollte im allge- meinen davon Abstand neh- men, schulterklopfend zu er- mutigen, bagatellisierend zu trösten, unbedacht mit dem Schicksal anderer Patienten oder gar mit eigenen Erfah- rungen zu argumentieren, vorschnell Ratschläge zu ge- ben, noch bevor er den Pa- tienten und seine Lebenssi- tuation richtig kennengelernt hat. Solche Reaktionen hat der Patient bereits vielfach erfahren, vom Arzt erwartet er mehr. Der Arzt muß sich hüten, jene objektivierende und kausalgenetische Vorge- hensweise, die ihm vertraut

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 40 vom 1. Oktober 1986 (55) 2695

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EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KONGRESS-BERICHT

nie Angiologie ist ein multidis- D ie Wissenschaftsge- bäude, das allen eine Heimat bie- tet, die sich in Diagnostik, konser- vativer Therapie, Gefäßchirurgie oder Grundlagenforschung mit den Problemen der Kreislaufer- krankungen beschäftigen. Mit die- sen Worten eröffnete Prof. Dr. P.

C. Maurer, Kongreßpräsident, den diesjährigen Angiologen-Kongreß in München. Aus den zahlreichen Referaten, die in München gehal- ten wurden, seien einige kurz skiz- ziert, die von allgemeinen Interes- sen sein könnten.

Arterielle Verschlußkrankheit Es ist bekannt, daß Patienten, die an arterieller Verschlußkrankheit leiden, ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen tra- gen. Wie L. Widmer, Basel, berich- tete, gelte dieses Risiko selbst für jene Patienten, bei denen die Ver- schlußkrankheit zu einem sehr frü- hen Zeitpunkt entdeckt und be- handelt würde. Im Rahmen der so- genannten „Basel-Studie" waren in den Jahren 1959 und 1972 mehr als 6000 scheinbar gesunde Ange- stellte und Arbeiter pharmazeuti- scher Unternehmen in Basel un- tersucht worden. Dabei entdeck- ten die Wissenschaftler 239 Män- ner mit arterieller Verschlußkrank- heit. Elf Jahre später untersuchten die Baseler Forscher nach. Resul- tat: Während in der Gruppe mit ge- sunden Personen 12,6 Prozent verstorben waren, lag die Letali- tätsrate in der Gruppe mit arteriel- ler Verschlußkrankheit dreimal so hoch. Auch starben diese Patien- ten im Durchschnitt fünf Jahre frü- her, nämlich mit 66 Jahren, als die gesunden Personen.

Interessant ist auch, daß soge- nannte Kalzium-Antagonisten, Arzneimittel, die bereits seit länge- rer Zeit zur Behandlung von Herz- Kreislauf-Erkrankungen einge- setzt werden, die Arterienwände gegen Einlagerung von Kalk und Beschädigung ihrer Struktur schützen. Wie M. Frey, Freiburg, berichtete, hätten Untersuchun- gen an gesunden Ratten gezeigt, daß Risikofaktoren für Herz-Kreis- lauf-Erkrankungen (wie fortge- schrittenes Alter, Bluthochdruck und Nikotin) den Einbau von Kalzi- um in die Arterienwände förder- ten. Dieser Einbau — so vermuten die Freiburger Wissenschaftler — ist ein entscheidend wichtiger Faktor bei der Entstehung von Ar- teriosklerose. Kommen mehrere solcher Risikofaktoren zusam- men, steigt der Kalzium-Einbau sprunghaft an.

Setzten die Wissenschaftler die Versuchstiere beispielsweise Ni- kotin und anderen Risikofaktoren aus und fütterten gleichzeitig Kal- zium-Antagonisten, konnte der Kalzium-Einbau um 90 Prozent verringert werden. Dadurch ver- hinderten die Kalzium-Antagoni- sten die Strukturveränderungen in den Arterienwänden.

Therapie mit Laser

Wichtig sei auch die Mitteilung, daß amerikanische und englische Wissenschaftler die Eröffnung ver- engter Blutgefäße mit Hilfe eines Laserstrahles weiterentwickelten.

Ein Sprecher beider Arbeitsgrup- pen berichtete, daß eine neue La- ser-Fiber mit einer Metallspitze, im Fachjargon „Laser-Probe" ge- nannt, eingesetzt würde. An der ist, auch auf die persönlichen

Lebenszusammenhänge des Patienten anwenden zu wol- len. Vielmehr geht es darum, den Patienten zu verstehen und diesem zum Verständnis seiner selbst zu verhelfen.

Der Arzt wird die psycho- therapeutische Fachsprache meiden, um nicht in Gefahr zu geraten, mit dem Patien- ten in abstrakter Weise zu diskutieren, sondern er wird ihn immer wieder zu den kon- kreten Problemen seiner indi- viduellen Person hinführen.

S

chließlich soll sich der Arzt auch davor hüten, über die persönlichen Bemü- hungen um den Patienten das objektivierend-medizini- sche Vorgehen zu vernach- lässigen (wenn auch der um- gekehrte Fehler der häufige- re ist). Zu Recht erwartet der Patient, daß der Arzt zugleich seine Krankheit und seine Person ernst nimmt. Die Er- fahrung lehrt, daß sehr oft medizinische Befunde über- sehen werden, weil aus- schließlich psychotherapeu- tisch gedacht und vorgegan- gen wird. Psychiater und Psychotherapeuten ist es ge- läufig, daß sie bei der Unter- suchung ihrer Patienten nicht selten auf lange beste- hende, bisher unentdeckt ge- bliebene körperliche Befunde stoßen (ein amerikanischer Autor spricht von 25 Pro- zent). Auch diese Erfahrun- gen lehren, daß man medizi- nisches und personales Vor- gehen, objektivierende und subjektbezogene Einstellung nicht voneinander trennen darf und nicht etwa verschie- denen Berufsgruppen über- lassen sollte. Der Arzt muß sich um beides bemühen.

Professor Dr. med.

Rainer Tölle

Klinik für Psychiatrie Albert-Schweitzer-Straße 11 4400 Münster

Laser-Fiber

in der Angiologie

Kurzbericht vom 14. Weltkongreß der Angiologen in München, 1986

2696 (56) Heft 40 vom 1. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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