• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Abnorm, aber nicht geisteskrank" (26.04.1979)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Abnorm, aber nicht geisteskrank" (26.04.1979)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FORUM

Abnorm, aber nicht geisteskrank

Zu dem Artikel von Dr. med. Adolf von Liebermann

über die Leiden Ludwigs II. von Bayern, Heft 43/1978, Seite 2535 ff.

te, höchst unchristliche Freude ge- habt hat, zu merken, daß sein Quäler seinem Schicksal nicht entgangen ist." — So hofft der Regierungsmedi- zinalrat a. D. Dr. med. Adolf von Lie- -

bermann im Jahre 1978. Und er scheut sich nicht, diese seine Hoff- nung zu publizieren im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT.

Glaubensbekenntnis

Dieser Artikel ist in Ihrer Zeitschrift unter der Rubrik „Geschichte der Medizin" erschienen. Meines Erach- tens zu Unrecht, denn er trägt nichts zu deren Aufhellung bei, sondern er- schöpft sich in Glaubenssätzen, per- sönlicher Meinung und ein paar Re- miniszenzen des Verfassers („be glad, you are neurotic"). Auf das Wesentliche reduziert lautet der Von-Liebermannsche Beitrag zur Geschichte der Medizin wie folgt:

Ludwig II. war abnorm, denn er war bausüchtig und menschenscheu, a) gegen Männer, weil Richard Wagner ihn enttäuscht hat, b) ge- gen Frauen, weil er an einer selbst- erworbenen Syphilis erkrankt gewe- sen sei. Von Liebermann: „Ich glau- be, daß die vermutete oder effektive Untreue des besten Freundes und Idols, eventuell verbunden mit ei- nem Frauenerlebnis, den König zum Misanthropen gemacht hat."

Ludwig II. war abnorm, aber nicht geisteskrank. v. Liebermanns erster Beweis: Die Erkrankung seines Bru- ders, König Ottos, „läßt an Schizo- phrenie denken . . . Die verschiede- ne Stärke der Symptome bei den kö- niglichen Brüdern braucht" — so v.

Liebermann — „nicht gegen die glei- che Erkrankung zu sprechen" . Die Mutter der beiden Brüder war gesund, ebenso ihr Vater und Groß- vater, König Friedrich Wilhelm II.

„Dessen ältester Sohn allerdings, Friedrich Wilhelm III., dürfte . nicht absolut auf geistiger Höhe ge- standen haben. Bei seinem Sohn, Friedrich Wilhelm IV., brach in höhe- rem Alter eine Gemütskrankheit aus, die zur Regierungsunfähigkeit führ- te. ... Die Familienanamnese läßt also einen Schluß auf ererbte Gei- steskrankheit König Ludwigs II.

nicht zu." (Sic!)

Dann läßt von Liebermann einige anekdotisch gefärbte Betrachtun- gen über Syphilis folgen. Sie schlie- ßen wie folgt: „ . . . ob einige der be- haupteten Charakterveränderungen des Königs auf eine beginnende Pa- ralyse schließen lassen, wird sich nicht mehr klarstellen lassen. Jeden- falls war Ludwig zur Zeit seiner In- ternierung nicht geisteskrank."

(Sic!) Das war der zweite Beweis!

Der König war also nicht geistes- krank, sondern abnorm. Aber — so v.

Liebermann — „daß Ludwig nicht mehr regierungsfähig war, wohl auch nicht regierungswillig, ist an- zunehmen."

Und nun wird von Liebermann belei- digend. Beleidigend gegen Gudden, den Arzt, der immerhin in Erfüllung seiner ärztlichen Pflicht mit dem Kö- nig zusammen gestorben ist. Daß er ihm mangelnden Takt und Subalter- nität vorwirft, ist noch das Gering- ste. Sein Vorwurf lautet viel schlim- mer: Der Arzt (in Anführungszeichen gesetzt!) habe den König lediglich auf Befehl des Ministers als geistes- krank bezeichnet — ohne Untersu- chung. Ärztliche Moral, Eid des Hip- pokrates, Freiheitsberaubung — nichts ist für Liebermann zu hoch gegriffen, um Gudden zu schmähen.

Auch an die Hintergründe des ge- meinsamen Todes von Arzt und Pa- tient, welch letzterer über viele Jahre immer wieder schon Suizidneigun- gen und -absichten hatte erkennen lassen, wird bei von Liebermann

„kaum noch geglaubt". Statt dessen erwärmt er sich an abenteuerlichen Fluchtvermutungen, für die noch nie und von keiner Seite irgendein Be- weis erbracht werden konnte. Von Liebermann versteigt sich, kaum ein Jahr nach der bundesweiten Diskus- sion über den sogenannten Buback- Nachruf zu folgendem Satz: „Es ist zu hoffen, daß Ludwig noch die letz-

In Bekenntnisform schließt er seinen Artikel: „Ich glaube, König Ludwig II.

war neurotisch, vielleicht erblich im Sinne einer Schizophrenie leicht be- lastet ... syphilitische Infektion möglich ... mit möglichen Hirn- schäden im Sinne des frühesten Sta- diums einer sich entwickelnden Pa- ralyse. Er war abnorm und kaum re- gierungsfähig, in keiner Weise aber geisteskrank . " und im letzten Satz nutzt er noch die Gelegenheit, um Gudden anläßlich seines Ster- bens einen „Gefängniswärter" zu nennen.

Nun — über die medizinische und historische Qualifikation von Herrn Dr. med. Adolf von Liebermann mag sich nach seinem Artikel jeder sein eigenes Urteil bilden. Mir als einem Nichtmediziner und Nichthistoriker, wohl aber Nachfahren des Oberme- dizinalrates Professor Dr. med.

Bernhard von Gudden sei nur der Hinweis auf zwei Punkte gestattet:

C) Das Gutachten, in welchem beim König „Paranoia" festgestellt wor- den ist, stammte nicht von Gudden allein, sondern war von den drei Psychiatrie-Ordinarien der damals drei bayerischen Landesuniversitä- ten gemeinsam erstellt worden (Gudden, München; Grashey, Würz- burg; Hubrich, Erlangen), nachdem von der Regierung und dem Hause Wittelsbach eine Regentschaft für den kranken König beschlossen worden war.

e

Es ist richtig, daß dieses Gutach- ten „ohne Untersuchung" des Kö- nigs erstellt worden ist.

Wie stellen sich, bitte, die Kritiker dieses Umstandes eine Untersu- chung des hohen Patienten zur da- maligen Zeit vor, gerade in Anbe- tracht seines zur Untersuchung An-

1194 Heft 17 vom 26. April 1979

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

ein Glas warme Milch mit Honig.

Oder sprechen Sie einmal

mit uns über die Vorteile einer Bankverbindung in der Schweiz.

Schlaflosigkeit kann die verschiedensten Ursachen haben: starker Kaffee, Vollmond oder ganz einfach Sorgen.

Machen Sie sich manchmal Sorgen um das, was Sie besitzen, was Sie erarbeitet haben? Dann können wir Ihnen helfen. Wir sind Experten für sichere, stabile Kapital- und Wertanlagen.

Zu unseren Kunden zählen sowohl Privatpersonen als auch Geschäftsleute. Kleine, grosse und ganz grosse.

Denn immer mehr Schweizer und Ausländer setzen auf die

Schweizerische Volksbank.

Wenn Sie also das nächste Mal in der Schweiz skifahren, bergsteigen oder Geschäftsfreunde treffen, sprechen Sie mit uns. Wir sind eine der fünf Schweizer Grossbanken mit einer Bilanzsumme von über 12 Milliarden Schweizer Fran- ken. Wir haben in jeder grösseren Ortschaft eine Geschäfts- stelle mit hochqualifizierten Mitarbeitern, die Sie gut beraten.

Denn schliesslich wollen auch wir ruhig schlafen.

Schweizerische Volksbank

(3)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die Leiden Ludwigs II. von Bayern

laß gebenden Gemüts- und Geistes- zustandes und seiner Lebensweise?

Eben wegen der Unmöglichkeit ei- ner persönlichen Untersuchung oder gar einer klinischen Diagnose mußte das Gutachten auf „Akten"

und „Aussagen" und sonst evidente Merkmale gestützt werden. Eine spätere Untersuchung war wegen des Todes nicht mehr möglich. (Der König befand sich erst seit dem Vor- tag seines Todes in ärztlicher Obhut.)

Das ist weder neu noch unbekannt.

Die ernst zu nehmende Literatur über Ereignis und Personen ist um- fangreich, auch aus medizinischer Sicht (angefangen bei Grashey und Kraepeling über Rehm, Spatz, Kolle bzw. Grünthal oder Leibbrand-Wett- ley, um nur einige zu nennen, bis zu Biermann 1973). Es ist schade, daß auf eine so umfangreiche und sorg- fältig fundierte Arbeit wie die von Christoph Biermann (mit 122 Litera- turnummern! DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT 1973) zu diesem Gegenstand nichts anderes folgte als die Mei- nung des Dr. med. v. Liebermann.

Dr. phil. nat. Helmut Gudden Koblenzer Straße 16

8000 München 50

Bayerisches Märchen

Da ich kein Psychiater bin, will ich auf die medizinische Seite der Darle- gungen von Herrn Dr. von Lieber- mann nicht eingehen. Ganz un- glaublich ist es aber, den damaligen Ordinarius für Psychiatrie und Neu- rologie, Bernhard von Gudden (1824 bis 1886), in dem Schlußabschnitt des Artikels als „Gefängniswärter Gudden" zu bezeichnen. Literatur anzugeben hat Herr Dr. von Lieber- mann nicht nötig. Die Schriftleitung des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES, die unverständlicherweise diesen Lapsus übersehen hat, verweise ich unter anderem auf den Artikel von Prof. Dr. med. Ernst Grünthal, Psychiatrische Universitätsklinik, Bern-Waldau „Bernhard von Gud- den" in Große Ärzte, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1956. ... Im Baye- rischen Volk wird das Märchen, daß

König Ludwig II. nicht geisteskrank war und daß er von Prof. von Gud- den im Starnberger See ertränkt wurde, nicht auszurotten sein. Ge- bildete Ärzte sollte man aber nicht mit Märchenerzählungen, wie die von Herrn Dr. von Liebermann, be- schäftigen.

Prof. Dr. med. R. Zenker Chirurgische Klinik Dr. Rinecker Isartalstraße 82

8000 München 70

Ehrenrettung für Gudden

Im Grunde geht es um die Ausle- gung des Krankheitsbegriffes, ein immer wieder anregendes Thema.

Im konkreten Fall des Königs Lud- wig II. von Bayern besteht jedoch kein Zweifel, daß auch von Lieber- mann den Bayerischen König nicht für gesund hielt. Neue Klassifikatio- nen und Einsichten ändern an den Tatsachen nichts und berechtigen in keinem Falle zu unsachlicher und diffamierender Kritik an Ärzten die- ser Zeit. Von Liebermann setzt im konkreten Fall zu einem Rundum- schlag gegen einen der bedeutend- sten deutschen Ärzte, Obermedizi- nalrat Prof. Dr. med. Bernhard von Gudden (1824 bis 1886), an:

„Takt . . . war nicht vorhanden, nicht bei der Regierung und nicht bei Gudden".,,... der König ist als gei- steskrank zu bezeichnen, und der Arzt' geht hin und setzt ihn fest, ohne Untersuchung". „Gudden ver- suchte, die Flucht zu verhin- dern . " „Es ist zu hoffen, daß Ludwig noch die letzte, höchst un- christliche Freude gehabt hat, zu merken, daß sein Quäler seinem Schicksal nicht entgangen ist".

„ ... wurde dabei von seinem Ge- fängniswärter Gudden gehindert und kam im Kampfe mit diesem ums Leben".

Über Bernhard von Gudden existiert eine umfangreiche Literatur. Aus den übereinstimmenden Darstellun- gen der Schüler Guddens ergibt sich das Bild einer harmonischen Per- sönlichkeit. „ . . . Vorbildlich war die schonende Art, wie er mit den Kran- ken umging, wie er es verstand, ihr

Vertrauen zu gewinnen . " (Gan- ser). Womit von Liebermann Profes- sor von Gudden fehlenden Takt un- terstellen möchte, ist mir unerklär- lich.

Im Auftrage der Bayerischen Regie- rung und des Hauses Wittelsbach wurde von den Ordinarien, den Pro- fessoren Grashey (Würzburg), von Gudden (München) und Hubrich (Erlangen) ein Akten-Gutachten über den König Ludwig II. von Bay- ern mit der bekannten Diagnose

„Paranoia" erarbeitet. Akten-Gut- achten werden auch heute noch er- stellt. Niemand kommt auf den Ge- danken, einem solchen Kollegen ei- nen Widerspruch zur ärztlichen Mo- ral, dem Eid des Hippokrates und einen Verstoß gegen die Gesetze über Freiheitsberaubung zu unter- stellen.

Zum Kapitel „höchst unchristliche Freude gehabt hat . . . " gab es gera- de in jüngster Zeit gerichtliche Pro- zesse im Zusammenhang mit dem sogenannten Buback-Nachruf. Ab- schließend sei Hugo Spatz zitiert (Max-Planck-Institut für Hirnfor- schung Gießen), der 1961 zur 75. Wiederkehr des Todestages von Bernhard von Gudden, diesen gro- ßen deutschen Arzt würdigte, und auch eingeht auf die immer wieder ausgesprochene und auch von von Liebermann unterstellte Vermutung, daß Ludwig II. König von Bayern flie- hen wollte, und sich dazu versteigt, das Wort „Gefängniswärter" für die- sen bedeutenden Nervenarzt und Neuropathologen zu verwenden:

„Bernhard von Gudden, der am 13.

Juni 1886 zusammen mit dem gei- steskranken König Ludwig II. von Bayern im Starnberger See den Tod gefunden hat, erwarb sich die größ- ten Verdienste um die konsequente Durchführung der Befreiung der Geisteskranken vom mechanischen Zwang (no-restraint) in Deutsch- land. Er war eine überragende, faszi- nierende Persönlichkeit. Als Gehirn- forscher hat er in der Gudden'schen Methode, d. i. der systematischen Exstirpation von Nerven- und Hirn- teilen bei neugeborenen Tieren, ei- nen auch heute noch bedeutsamen Führer durch das Labyrinth der

1196 Heft 17 vom 26. April 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(4)

Zentren und Bahnen des Gehirns entdeckt. Viele elementare Tatsa- chen der Neuroanatomie gehen auf die Forschungen Guddens zurück, so z. B. die Klärung der partiellen Sehnervenkreuzung. Gudden war einer der entschiedensten Vorkämp- fer für die humane, freiheitliche Ir- renbehandlung in Deutschland, ei- ner der bedeutendsten Hirnforscher und eine ungewöhnliche, faszinie- rende Persönlichkeit."

Aufgrund der Angaben des Nachfol- gers von von Gudden, H. Grashey, wurde von Prof. Dr. med. Dr. h. c.

Hugo Spatz noch einmal eine Dar- stellung des tragischen Todes von Bernhard von Gudden zusammen mit seinem König gegeben: „Nach unseren heutigen Vorstellungen litt Otto an der katatonen, Ludwig an der paranoiden Form der Schizo- phrenie. — Nachdem der König zu- nächst die Kommission, die ihn auf Schloß Neuschwanstein aufsuchen wollte, von seinen Getreuen verhaf- ten ließ, gelang es Gudden 3 Tage später, nachdem ein Suizidversuch verhindert worden war, den König zu beruhigen und es scheint, daß er sein Vertrauen gewonnen hat. Die Überführung von Neuschwanstein nach Schloß Berg am Starnberger See verlief reibungslos. Alles Denk- bare geschah, um die Gefühle des kranken Königs zu schonen. Am 13.

Juni fand vormittags ein Spazier- gang Guddens mit dem König im Park statt; der König war völlig ru- hig. Nachmittags wurde der Spazier- gang auf Guddens Anregung wie- derholt. Hierbei kehrten die Pfleger ins Schloß zurück mit der Angabe, sie seien zurückgeschickt worden.

Einige Stunden später wurden der König und Gudden, ertrunken im See nahe beim Ufer, gefunden. Aus den Spuren im Sand und aus dem Leichenbefund läßt sich der Vor- gang nach Grashey wie folgt rekon- struieren: Der König war mit Gudden auf dem Fußpfad nahe bis an das Ende des Parkes gegangen. Von hier aus sprang er — vielleicht einer plötzlichen Eingebung gehorchend

— raschen Laufes gegen das Ufer des hier seichten Sees, zweifellos in der Absicht, sich das Leben zu nehmen.

Gudden machte einige Schritte zu- rück, offenbar um die Wärter heran- zurufen. Dann lief er ebenfalls schnellen Laufes gegen den See zu und hinein, holte da den König ein und hielt ihn an beiden Röcken, die dieser trug, fest. Der König schlüpfte aus den Röcken und rang, wie die Fußspuren im See bewiesen, mit Gudden; er faßte ihn mit der rechten Hand im Nacken, seinen Finger tief in die rechte Halsseite eindrückend, versetzte ihm mit der linken Faust einen Schlag auf die rechte Stirnsei- te, wo eine Kontusion nachweisbar war, und hielt ihn offenbar so lange unter Wasser, bis er das Bewußtsein verlor. Der König, ein sehr großer und muskelstarker Mann im 41. Le- bensjahr, war dem 62jährigen Gud- den an Körperkraft überlegen. — Dann ging der König so weit in das Wasser hinaus, bis er sich sinken lassen konnte und ertrank. Nichts spricht dafür, daß er versucht haben sollte, schwimmend das andere Ufer des Sees zu erreichen. — Das Rätsel, das immer ungelöst bleiben wird, ist: Wie war es möglich, daß sich Gudden mit dem geisteskranken Kö- nig, dessen suizidale Absichten ihm bekannt waren, allein im Park be- fand? ... Wir neigen zu der Mei- nung von Grashey, daß ein fast un- begreifliches Mißverständnis vorge- legen haben muß. Beim Verlassen des Schlosses folgte ein Pfleger un- mittelbar dem König. Dies beanstan- dete Gudden, weil er wußte, daß am Vormittag die Nähe des Pflegers den König beunruhigt hatte und dies ver- anlaßte ihn offenbar zu der Äuße- rung, es darf kein Pfleger mitge- hen'. Schon beim Spaziergang am Vormittag waren die Pfleger zu dicht beim König gewesen, damals aber hatten sie einen Wink von Gudden richtig verstanden, und waren im Abstand gefolgt. Wie es dazu kam, daß sie dies am Nachmittag unterlie- ßen, wird sich nie ganz aufklären lassen. Der Pflicht getreu, ist Gud- den seinem kranken König gefolgt, um den verzweifelten Versuch zu machen, ihn von seinem Vorsatz, sich das Leben zu nehmen, zurück- zuhalten. Er mag in diesen Minuten sein Schicksal geahnt haben. — Gud- den starb als Opfer seiner Pflichter- füllung. Deutschlands Ärzte werden

seiner immer in Ehrfurcht gedenken.

Sein wissenschaftliches Werk wurde vor der Zeit abgebrochen; trotzdem wird sein Name in der Hirnforschung immer weiterleben. Er wird allzeit das Vorbild eines exakten Wahr- heitssuchers in der Wissenschaft bleiben."

Zwei der bedeutendsten Schüler von Bernhard von Gudden waren der be- rühmte Psychiater B. Kraepelin und auf dem Gebiet der Hirnforschung Franz Nissl.

Dr. med. Ulrich Bonk

Zentralkrankenhaus Bremen-Nord Institut für Pathologie

Hammersbecker Straße 228 2820 Bremen 70

Keine Argumente

Der nötige Takt sei bei der Regie-.

rung und bei Gudden nicht vorhan- den gewesen. Wie könne der Univer- sitätsprofessor Gudden so subaltern sein, aus lauter Angst um seine Posi- tion auf Befehl des Ministers den König ohne Untersuchuhg als gei- steskrank zu bezeichnen und ihn festzusetzen. Das widerspreche je- der ärztlichen Moral, dem Eid des Hippokrates und sei Freiheitsberau- bung, selbst wenn Gudden an die Geisteskrankheit des Königs ge- glaubt hätte. Die Version von Selbst- mordabsichten des Königs werde kaum noch geglaubt; der König hät- te „in Wirklichkeit" mit Hilfe der Be- völkerung usw. fliehen wollen. Es sei zu hoffen, daß Ludwig noch die Freude gehabt habe zu merken, daß der Quäler und Gefängniswärter Dr.

Gudden seinem Schicksal nicht ent- gangen ist.

Mit solchen Behauptungen und sol- cher Gesinnung disqualifiziert sich Liebermann selbst. Er verschweigt zumindest,

I> daß eine Untersuchung des mis- anthropen Monarchen unter den da- maligen Umständen unmöglich war,

> daß das Gutachten über die Gei- steskrankheit des Königs von den drei Psychiatrie-Ordinarien der drei

(5)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die Leiden Ludwigs II. von Bayern

damaligen bayerischen Landesuni- versitäten gemeinsam erstellt wurde (Gudden, München, Grashey, Würz- burg und Hubrich, Erlangen),

> daß für die Fluchtabsicht des Kö- nigs zu keiner Zeit auch nur ein halbwegs einleuchtender Beweis er- bracht wurde, und

I> daß der König wiederholt Suizid- neigungen und -absichten hatte er- kennen lassen.

Für die diskriminierenden Behaup- tungen über Gudden (Angst um Po- sition, fehlende Überzeugung von der Geisteskrankheit usw.) versucht Liebermann nicht einmal, Argumen- te oder Beweise anzuführen.

Liebermann hat keinen Beitrag zur Geschichte der Medizin gelei- stet.

Dr. Rudolf Gudden Notar

Lingstraße 12/1 8960 Kempten

Schlußwort

Auf meine Äußerungen über Leiden und Tod König Ludwigs II. von Bay- ern sind mir viele Briefe von Ärzten und Nichtärzten zugegangen, zu- stimmende (meist an mich) und ab- lehnende (meist an die Redaktion gerichtet). Ich werde versuchen, das Schlußwort so kurz wie möglich zu halten.

Die Versuche, postmortale Dia gnosen zu stellen, wie es unter an- derem bei Hölderlin, Nietzsche, Mo- zart, ja sogar aus Knochen und Mu- mien aus der Zeit Tut-anch-amons erfolgt ist, scheinen mir nicht erfolg- reich zu sein. Bei Ludwig II. wurden mir, zum Teil neugenannt, folgende Diagnosen bekannt: hereditäre Lues (unwahrscheinlich, keine Beweis- möglichkeit); erworbene Lues (nicht auszuschließen; plötzliche, sonst unbegründete Entlobung); intraute- rine Infektion (mir jetzt neu genann- te Diagnose, besonders unsympa- thisch, wenn man sich den Weg der bleichen Spirochäte vom kranken

Vater über die gesunde Mutter zum Föt vorstellt; unwahrscheinlich, weil ein so demolierter Fötus kaum einen mindestens 20 Jahre gesunden, kräftigen Mann geliefert hätte); Ta- bes (ebenfalls mir neu mitgeteilt, mit Literatur, in der der „königliche"

Gang erwähnt sei); Paralyse (deren Bestehen im Anfangsstadium im- merhin möglich ist); Schizophrenie (wohl auch nicht auszuschließen, aber höchstens Anfangsstadium);

Paranoia (offizielle Diagnose, die ohne Untersuchung auf Grund von Akteninhalt unkontrollierbarer Her- kunft zustande gekommen war, der selbst wieder unkontrollierbarer Herkunft war); paranoide Form der Schizophrenie (Kombination der beiden vorigen Diagnosen). Acht Diagnosen, also keine Diagnose.

Gesund? Krank? Regierungsfä- hig? Internierungsbedürftig? Ich ha- be leider versäumt, mitzuteilen, wann ich die ersten Eindrücke über den „Fall" erhalten habe: Das war 1913 bis 1918, als die Tragödie erst rund 30 Jahre zurücklag. Sie ließ die Bevölkerung nicht in Ruhe, wurde dauernd diskutiert. Selbst konnte ich mich mit einem früheren Forst- mann des Königs und mit einer Da- me des Wittelsbacher Hauses aus- giebig unterhalten. Das Resultat war in beiden Fällen dasselbe. Der strah- lende, junge, leicht manische König war traurig, dick und eigenartig ge- worden. Er war und blieb ver- schwenderisch. Regierung und Kö- nighaus hielten ihn nicht mehr für regierungsfähig und beschlossen seine Absetzung. Daraufhin, also später, wurde ein Gutachten in Auf- trag gegeben, das die führenden Psychiater nach Aktenlage erstatte- ten. Wie diese Akten zustande ge- kommen waren, ist — wie schon ge- sagt — nicht feststellbar. Der König hat sich mit mehreren Personen sei- nes Hofstaates zerstritten, manche unsanft entlassen. Deren Berichte könnten die Akten gefüllt haben. Die einmütige Meinung, auch, ja beson- ders der gebildeten Schichten war, daß die Einsetzung einer Regent- schaft wohl erforderlich gewesen sein dürfte, der Versuch der Durch- führung aber ohne jedes Fingerspit- zengefühl (ich sagte Takt) erfolgt

sei. Der Prinzregent war gerade ge- storben. Er hatte sich durch vorbild- liche Regierung in den glücklichen Jahren alle Sympathie erworben, aber stets wurde der Mißgriff von 1886 ihm schwer angerechnet. Ob- jektiv waren bei Ludwig II. nur starke Kopfschmerzen vorhanden. Ich weiß nicht, ob diese auf beginnende Pa- ralyse, Paranoia oder Schizophrenie hindeuten müssen. Aus den Kopf- schmerzen aber sind wohl Berichte über die (angeblichen) Suizidab- sichten zu erklären. Aber (mancher sagt wohl: wenn die Kopfschmerzen nicht aufhören, springe ich noch aus dem Fenster. Von solchen Bemer- kungen bis zur Selbstmordabsicht ist noch ein langer Weg, und ein längerer bis zur Ausführung. Siche- re Beweise über des Königs Selbst- mordgedanken gibt es nicht. Jeden- falls war eine medizinische Internie- rungsindikation auch hieraus nicht gegeben.

Internierung und Tod. „Nachdem der König zunächst die Kommission verhaften ließ, gelang es Gudden drei Tage später . . . , sein Vertrauen gewonnen, ... Überführung verlief reibungslos". Wie ist das gesche- hen? Sicher nicht so, daß dem König mitgeteilt wurde, daß er in einem zum Gefängnis oder zu einer Irren- anstalt umgestalteten Schlößchen interniert werden sollte. Der Patient wurde also getäuscht. Vom Arzt.

Fast unmittelbar darauf erfolgte die Katastrophe. — Mord, Selbstmord, Fluchtversuch? Daß Prof. von Gud- den den König habe ermorden wol- len, ist eine so abstruse Idee, daß man sie nicht zu überlegen braucht.

Zu dem liebenswerten Beruf eines Märchenerzählers habe ich leider keine Begabung. Wenn aber be- hauptet wird, „im bayerischen Volk"

sei „das Märchen, daß Ludwig II. von Prof. von Gudden ertränkt wurde, nicht auszurotten", so ist das ein Märchen, und ich darf die Bezeich- nung des Märchenerzählers gehor- samst zurückgeben. Eine derartige verrückte Behauptung wurde nie- mals und nirgends aufgestellt. Auch die offiziell angegebene Version des Selbstmordes ist eine nicht begrün- dete Annahme. Einen Selbstmord hätte der König wohl geschickter

1198 Heft 17 vom 26. April 1979

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(6)

ausführen können. Der König hatte, als er sah, wohin er gebracht wor- den war, sicher eine gewaltige Wut und dachte nur an Flucht. Dazu brauchte er nicht über den Starnber- ger See zu schwimmen. Der ist viel zu breit; und so verrückt war er nicht.

Er hätte nur die Umzäunung oder Mauer umwaten oder umschwim- men müssen, dann konnte er, wie von Eberhard im Barte gedichtet, sein Haupt jedem Untertan in den Schoß legen. Die „Fluchthilfe", von der viel gesprochen wurde, kann der kurzen Zeit wegen nicht großzügig organisiert gewesen sein, aber daß Hilfswillige sich eingefunden hätten, ist nicht auszuschließen, auch nicht, daß Ludwig durch Wachen oder Wärter — auch Oberbayern! — davon Kenntnis hatte.

Daß der ältere, schwächere, kleinere Arzt ihn an der Flucht würde hindern wollen, hat der König wohl nicht ver- mutet und der nach Grashey ge- schilderte harte Kampf zeigt deut- lich, daß es sich um Flucht und nicht um Selbstmord handelte. Das dürfte auch Gudden gewußt haben; und was wäre geschehen, wenn die Flucht geglückt wäre?

Ich bin jedoch nicht wegen des bisher Diskutierten so scharf gerügt worden, sondern wegen meiner Kri- tik an Prof. von Gudden. Nun ist zu- erst festzustellen, daß jeder Mensch, der ins politische Geschehen ein- greift, sich Kritik gefallen lassen muß. Ich verweise auf Talleyrand, dem Frankreich sein gutes Ab- schneiden auf dem Pariser Kongreß zu verdanken hat und dem trotzdem keine Vorwürfe erspart blieben. Ich weiß, daß Professor von Gudden ein hervorragender Wissenschaftler, ein gütiger Arzt und ein humaner Mensch war. Ich setze ohne weiteres voraus, daß Professor von Gudden von der Richtigkeit und Rechtmä- ßigkeit seiner Handlungen über- zeugt war und sie als seine Pflicht ansah. Ich behaupte aber, daß Pro- fessor von Gudden falsch gehandelt hat. Er hat auf Anordnung eines Vor- gesetzten ein Gutachten über einen Menschen angefertigt, ohne diesen

untersucht zu haben. Er hat die Überführung eines ununtersuchten Menschen, offensichtlich ohne Auf- klärung und Zustimmung des Be- troffenen in eine Internierungsein- richtung durchgeführt. Es waren die Staatsmänner, die Politiker, die die Absetzung des Königs für erforder- lich hielten. Wenn heute im Osten ein Mensch aus politischen Gründen in eine Irrenanstalt gesperrt wird, er- regt sich mit Recht die ganze Welt.

Regierungsfähig oder nicht, irren- hausreif war der König nicht. Es ist die Frage gestellt worden, wie Prof.

v. G. sich hätte verhalten sollen. Das weiß ich nicht. Vielleicht hätte er sa- gen sollen: „Ich bin jederzeit bereit, Herr Minister, den König zu untersu- chen, wenn Ew. Exzellenz mir dazu Gelegenheit verschaffen. Ohne Un- tersuchung ihn festzusetzen, muß ich aus ärztlichem Gewissen ableh- nen, obwohl ich den König auf Grund der in den Akten stehenden Fakten nicht mehr für regierungsfä- hig halte. Zwischen Regierungsfä- higkeit und Internierungsbedürftig- keit besteht ein großer Unter- schied." Es wäre vielleicht ein inter- essantes Hobby, Gutachten zu sam- meln, die nicht nur von Ärzten, son- dern auch von Juristen, Naturschüt- zern, Kernkraftexperten u. a. ange- fertigt wurden und die sich fast in jedem Punkt widersprechen, da sie den Befehlen von Vorgesetzten oder dem Wunsch der Auftraggeber ent- sprechen mußten. Ich bin in diesem Punkt sehr allergisch und wollte grade in diesem Falle, der dem Un- tersucher und dem Untersuchten, besser dem Nichtuntersucher und dem Nichtuntersuchten, den Tod gebracht hat, darauf hinweisen, daß es nicht Sache des Arztes ist, Regie- rungsmaßnahmen durch Gutachten ohne eigene Untersuchung zu un- terstützen.

0 Ich bin der Meinung, daß eine weitere Diskussion über dieses The- ma unter Medizinern zu keinem neu- en Resultat führen wird. Will man ein abschließendes Urteil, so müßte man einem Juristen, Universitätsleh- rer, Staatsanwalt oder Richter die Frage vorlegen: Hat sich Herr Pro- fessor von Gudden in Sachen der

Begutachtung und der Internierung König Ludwigs II. von Bayern ver- halten:

a) richtig,

b) subjektiv gutgläubig, c) fehlerhaft, und zwar:

1. nach Gesetzen und Ansichten der damaligen Zeit,

2. nach Gesetzen und Ansichten der heutigen Zeit?

Ich bedaure, daß ich durch meine bewußt scharfen Formulierungen Empfindungen der Kränkung er- weckt habe. In der Sache aber muß ich meinen Standpunkt voll und ganz aufrechterhalten.

Dr. med. Adolf von Liebermann Am Rehberg 4

7700 Singen 14 (Bohlingen)

BLÜTENLESEN

Zur Seelenkunde

„Die Physiognomen fangen jetzt ein ungeheures Gebäude an, um darauf das Geheimar- chiv der Seele zu erklettern.

Die vernünftige Seele steht oben und lächelt, denn sie sieht voraus, daß, noch ehe dieses babylonische Denkmal ein Viertel seiner Höhe er- reicht haben wird, sich die Sprache der Maurer verwir- ren, und sie es unvollendet lie- gen lassen werden." (Lichten-

berg) Durrak

Jimmi

„Es ist schlecht für einen Staatsmann, alle guten Eigen- schaften zu haben, aber nütz- lich, den Anschein zu erwek- ken, er besäße sie." (Machia-

velli) Durrak

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Durch die Krankheit ist die freie Willensbestim- mung Seiner Majestät voll- ständig ausgeschlossen, sind Allerhöchstdieselben als verhindert an der Aus- übung der Regierung zu

Ist auch die Partner- wahl in den früheren Jahr- hunderten innerhalb der herrschenden Geschlechter nicht durch anatomisch-phy- siologische Besonderheiten als allein aus Gründen der

Dazu sind die Krankheiten Erwachsener und die Krankheiten alter Menschen und ihre Behand- lungserfordernisse nicht nur zu ähnlich, sondern auch zum großen Teil nicht durch einen

91 „Leoni – Seeufer König Ludwig“ mit Begründung ein - sch ließlich Umweltbericht und Baumbestandsplan sowie die nach Einschätzung der Gemeinde Berg wesentlichen,

Zu den ersten organisatori- schen Vorkehrungen gehörte, daß so- wohl bei der ÄKN als auch bei deren Bezirksstellen, die schon vor 1945 die Kammer- und KV-Aufgaben wahrge-

Der Adel übt nach wie vor eine Faszination auf viele Menschen aus, nicht nur auf kleine Mädchen, die gerne Prinzessin sein wollen. Das merkt man ja an Ländern, die noch eine

Abbildung 1: Das elektromagnetische Spektrum...II—3 Abbildung 2: Sehzellendichte und Farbempfindlichkeit im Sehfeld...II—4 Abbildung 3: U-formiges Gebilde...II—4 Abbildung

Bei Patienten mit fort- geschrittenem nichtkleinzelli- gem Bronchialkarzinom lässt sich nach Versagen einer primären Chemotherapie die Überlebensrate durch eine Behandlung mit