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Archiv "Die orthopädische Behandlung von muskulo-skelettalen Komplikationen der Hämophilie" (01.11.2002)

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urch die Entwicklung der Substi- tutionstherapie für die Hämophi- lie konnte vor 30 Jahren, am 4. Ju- li 1972, an der Universitätsklinik in Frankfurt am Main, zum ersten Mal in Europa, elektiv eine fortgeschrittene hämophile Arthropathie des Hüftge- lenks erfolgreich mit einer Totalendo- prothese versorgt werden. Dies stellte einen Durchbruch in der Behandlung dieser sekundären Veränderung von Gelenken bei Blutern dar. Die Mög- lichkeit des endoprothetischen Ersat- zes eines zerstörten Gelenkes erwei- terte damit das Therapieschema, wel- ches zu diesem Zeitpunkt fast aus- schließlich konservativer Art war und im Laufe der Leidensgeschichte von Blutern zu ausgeprägten Behinderun- gen und Schmerzen führte. Nach der erfolgreichen elektiven Operation un- ter Substitution eines Faktor-VIII- Präparates ist die Palette der therapeu- tischen Möglichkeiten sukzessive er- weitert worden. Dies ermöglicht or- thopädischen Chirurgen muskulo-ske- lettale Operationen bei Hämophilen

mit der gleichen Sicherheit durchzu- führen, wie bei Patienten ohne Blutge- rinnungsstörung. Damit stehen heute für jedes Stadium der hämophilen Arthropathie differenzierte Therapie- formen zur Verfügung.

Die Hämophilie A, mit kongenita- lem Faktor-VIII-Mangel ist die häufig- ste Form der angeborenen plasmati- schen Gerinnungsstörungen. Der Ver- erbungsgang ist X-chromosomal rezes- siv. Auf 10 000 Einwohner kommt ein Patient mit einer Hämophilie A. Die erste Hämophiliefamilie der Welt mit den typischen Bluterknien (die sich vom Großvater auf die Enkel vererbt hatte) wurde 1349 in Frankfurt am Main von Alexander Süßlin beschrie-

ben (14). Pathogenetisch kommt es durch den Faktor-VIII-Mangel, aber auch durch den Mangel an Faktor IX bei der Hämophilie B, zu einer Störung der Gerinnung. Faktor VIII wird über Prothrombin und Xa aktiviert und über das Protein C abgebaut. Laborche- misch sind der Quick-Wert (INR) und die Blutungszeit normal, wobei die PTT bei schweren Formen verlängert ist. Die Diagnose wird durch die Be- stimmung des F VIII : C gestellt. Es werden vier Schweregrade nach der Restaktivität des Faktor VIII unter- schieden. (15)

Seit den 70er-Jahren sind Fak- torenkonzentrate aus humanem Plas- ma in den hochentwickelten Ländern verfügbar. 1984 gelang es in den USA die Aminosäuresequenz des Faktors VIII zu entschlüsseln. Diese Auf- klärung hat wesentlich zum Verständ- nis der Pathophysiologie des ange- borenen Faktor-VIII-Mangels beige- tragen und zur Entwicklung gentech- nologisch hergestellter Konzentrate

geführt (16).

Die orthopädische Behandlung

von muskulo-skelettalen Komplikationen der Hämophilie

Andreas A. Kurth

1

, Wolfhart Kreuz

2

, Inge Scharrer

3

Zusammenfassung

Die Gelenkprobleme von Blutern beginnen schon im Säuglings- und Krabbelalter, wenn kleine Verletzungen zu Gelenkeinblutungen führen. Der frühe Beginn einer regelmäßigen Prophylaxe ist von größter Bedeutung, da das wachsende Skelett sehr anfällig für Blutungen und deren Komplikationen ist. Schwerwiegen- de strukturelle Defizite können sich schnell entwickeln. Wenn eine regelmäßige Prophyla- xe nicht durchgeführt werden kann, muss eine konsequente Therapie bei akuten Gelenkein- blutungen erfolgen, um wiederkehrende Ein- blutungen, ein Fortschreiten der Synovitis, und eine hämophile Arthropathie zu verhindern.

Beim Auftreten einer Synovitis muss diese so früh und konsequent wie möglich behandelt werden. Dafür stehen zurzeit konservative und operative Verfahren zur Verfügung. Zwischen der zweiten und vierten Lebensdekade ent-

wickeln sich bei vielen Blutern ausgeprägte Gelenkzerstörungen. In dieser Situation be- inhaltet die Therapie Korrekturosteotomien, Gelenkdebridement, Gelenkversteifung und Gelenkersatz. Diese sind heute durch eine kon- sequente Substitutionstherapie des fehlenden Gerinnungsfaktors mit einer großen Sicherheit erfolgreich durchführbar.

Schlüsselwörter: Hämophile Arthropathie, Synovitis, Muskeleinblutungen, Hemmkörper, orthopädische Behandlung

Summary

Orthopaedic Interventions of Musculo- skeletal Complications in Hemophilia Joint problems of hemophilic patients begin in infancy and toddler age when minor injuries lead to hemarthrosis. The early start of contin- uous factor prophylaxis is of high importance,

since the immature skeleton is very sensitive to bleedings and the subsequent complications.

Severe structural deficiencies may develop quickly. If continuous prophylaxis is not an op- tion a strict treatment of acute hemarthrosis is mandatory to prevent recurrent joint bleeding, progression of synovitis, and hemophilic ar- thropathy. Once synovitis has developed the treatment must be as early and aggressively as possible. Currently conservative as well as sur- gical interventions are available. In the second and third decade in many hemophilic patients articular destructions develop. In this stage possible treatments are osteotomy, joint de- bridement, arthodesis and joint replacement.

These surgical interventions are successful and safe procedures under factor substitution.

Key words: hemophilic arthropaty, synovitis, muscle bleeding, inhibitors, orthopaedic inter- ventions

1Orthopädische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Ludwig Zichner), Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Univer- sität, Frankfurt am Main

2Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Klinik III (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Klingebiel), Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

3Zentrum der Inneren Medizin (Direktor: Prof. Dr. med.

Klaus-Henning Usadel), Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

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Pathophysiologie der hämophilen Arthropathie

Die hämophile Arthropathie entwickelt sich aus einer initialen Blutung in der Gelenkschleimhaut als direkte Folge des Faktor-VIII-Mangels. Die Blutun- gen treten zuerst in der Synovia auf und die rezidivierenden Blutungen resultie- ren aus einer Entzündung der Synovia.

Aus rein klinischer Sicht beschrieb be- reits Franz König 1892 (5) das erste Sta- dium der Blutung vor dem zweiten Sta- dium der Entzündung, der so genann- ten „Panarthritis“. Davon grenzte er das dritte Stadium der regressiven Ver- änderungen ab. Klinisch wird die akute Synovitis von der chronischen Synovitis unterschieden. Die chronische Syno- vitis manifestiert sich entweder in einer villös-hyperplastischen und gra- nulomatösen oder aber in einer hoch aktiven hämorrhagisch-entzündlichen Form (13). Im Fall einer Persistenz der Blutung oder von erneuten Einblutun- gen kommt es zur Hypertrophie der Synovia, und es entwickelt sich der Cir- culus vitiosus aus chronischer Synovitis, Gelenkzerstörung und hämophiler Osteoarthropathie.

Die hypertrophe Synovia ist charak- terisiert durch eine villöse Formation, vermehrter Vaskularisierung und dem Vorhandensein von Entzündungszel- len. Bei Kindern führt die Synovitis zu einer Hypertrophie der Wachstumsfu- ge. Eine Knochenhypertrophie kann zu Längenunterschieden der Extremitä- ten, Deformitäten und Veränderungen der Kontur im wachsenden Skelett führen.

Wenn die Synoviablutungen auf Dauer nicht zu kontrollieren sind, kommt es zur Zerstörung des Gelenk- knorpels. Die Synoviozyten lösen sich auf und setzen lysosomale Enzyme frei, welche nicht nur den Gelenkknorpel zerstören, sondern auch die Synovitis weiter unterhalten. Blutabbauprodukte haben ebenfalls einen negativen Ein- fluss auf Chondrozyten des Gelenk- knorpels. Die Hämosiderinablagerung in der Synovia und dem Knorpel sind ein Hinweis auf die zerstörerischen Ele- mente der proteolytischen Enzyme.

Symptome der chronischen hämophi- len Arthropathie entwickeln sich typi- scherweise in der zweiten und dritten

Lebensdekade. Durch eine progressive Degeneration des Gelenkknorpels re- sultiert eine eingeschränkte Gelenk- funktion (13).

Die morphologischen Veränderun- gen des Blutergelenks wurden von Mohr zusammengefasst und klassifi- ziert, wobei er die Veränderungen an den Knorpelzellen und der Gelenk- schleimhaut getrennt betrachtete (8).

Der klinische Schweregrad der Hä- mophilie ist vom Plasmaspiegel der Ge- rinnungsfaktoren VIII beziehungsweise IX abhängig. Patienten mit einer Hä- mophilie werden in eine milde, modera- te und schwere Hämophilieform einge- teilt, abhängig von dem Spiegel des feh- lenden Gerinnungsfaktors. Diese sind für milde Fälle > 5 Prozent und für schwere Fälle < 1 Prozent des normalen Plasmaspiegels. Diese Einteilung kor- reliert in der Regel mit der Frequenz und dem Auftreten von Blutungen.

Während Patienten mit einer milden Hämophilie selten, normalerweise nur nach einem Trauma oder nach chirurgi- schen Eingriff bluten, können Patienten mit schwerer Hämophilie mehrere spontane Einblutungen pro Monat auf- weisen. Diese spontanen Blutungen nach Bagatelltrauma oder sogar nach normalen Aktivitäten des täglichen Le- bens sind die Regel.

Über 90 Prozent der Blutungen bei einer Hämophilie treten im muskulo- skelettalen System, 80 Prozent davon in den Gelenken auf. Mit 80 Prozent die- ser Blutungen haben die Knie, die El- lenbogen und die Sprunggelenke den größten Anteil daran. Das erste Sym- ptom der Patienten bei einem begin- nenden Hämarthros ist die so genannte

„Aura“. Diese ist eine sehr empfindli- che subjektive und verlässliche Empfin- dung des Patienten. Klinisch funk- tionell manifestiert sich diese an dem betroffenen Gelenk in einer Flexions- schonhaltung, aktive und passive Be- weglichkeit sind schmerzhaft einge- schränkt. Mit einer früh einsetzenden Substitution des fehlenden Gerin- nungsfaktors können Einblutungen kontrolliert werden. Eine konservative orthopädische Behandlung (Physiothe- rapie) kann die Funktionseinschrän- kungen normalerweise ohne das Auf- treten von Langzeitkomplikationen be- heben.

Die adäquate Behandlung von ortho- pädischen Problemen bei Blutern set- zen die enge Zusammenarbeit zwischen Hämostaseologen, einem in der Be- handlung von Hämophilen erfahrenen Orthopäden, Physiotherapeuten, Ergo- therapeuten und Orthopädietechniker voraus. Das Ziel der gemeinsamen Be- strebungen muss die Wiederherstellung der Funktion des muskulo-skelettalen Systems und die Bewahrung des Patien- ten vor weiteren Behinderungen sein.

Prävention der Synovitis

Eine regelmäßige früh einsetzende pro- phylaktische Substitution des fehlen- den Gerinnungsfaktors verzögert den natürlichen Verlauf einer hämophilen Arthropathie. Eigene Erfahrungen zei- gen, dass eine kontinuierliche Prophy- laxe bei Kindern zwischen dem zweiten bis achten Lebensjahr die Entwicklung einer hämophilen Arthropathie verhin- dert, wenn der fehlende Gerinnungs- faktor über 1 Prozent gehalten werden kann. Patienten, die früh mit einer Pro- phylaxe begonnen und sich über Jahre einer prophylaktischen Langzeitbe- handlung unterzogen haben, zeigen selbst nach vielen Jahren einen unauf- fälligen radiologischen und klinischen Gelenkstatus. Bei Patienten mit einer spät einsetzenden Prophylaxe (nach mehreren Gelenkeinblutungen) oder sogar nur einer ereignisorientierten Be- darfsbehandlung kommt es im zeitli- chen Verlauf zu klinischen und radiolo- gischen progredienten osteoarthropa- thischen Veränderungen. Das Ziel muss es sein, eine Langzeitprophylaxe früh- zeitig, spätestens nach der ersten Ge- lenkeinblutung, zu beginnen und weite- re Gelenkeinblutungen, zu vermeiden.

Dies kann durch die Gabe von 25 bis 40 E/kg des Faktors VIII dreimal wöchent- lich bei einer Hämophilie A und 25 bis 40 E/kg Faktor IX zweimal wöchentlich bei Patienten mit Hämophilie B er- reicht werden. (6)

Wenn eine regelmäßige Prophylaxe nicht durchgeführt werden kann (zum Beispiel Antikörperbildung), müssen Gelenkeinblutungen aggressiv behan- delt werden. Das Ziel sollte die Verhin- derung der Progression der Synovitis, wiederholter Gelenkeinblutungen und A

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ein Fortschreiten der hämophilen Ar- thropathie sein.

Im Zentrum der Autoren wurden fol- gende Behandlung bei akuten Einblu- tungen durchgeführt:

> sofortige Gerinnungsfaktorensub- stitution,

>Ruhigstellung des Gelenkes und eventuell Bettruhe für zwei bis drei Tage,

>Physiotherapie/Elektrotherapie/ Eis/

NSAR/Entlastung für zwei bis drei Wochen,

>Faktorensubstitution bis zur völli- gen Rehabilitation des Gelenkes oder dem Abklingen der Synovitis. Diese kann bis zu 30 Tage nach der Einblu- tung notwendig sein.

>Bei massiven Blutungen, Gelenk- punktion, Aspiration und Spülung.

Synoviorthese und Synovektomie

Eine Synoviorthese ist eine sehr effekti- ve Behandlung, welche die Frequenz und die Intensität von Gelenkeinblu- tungen, ausgelöst durch eine Synovitis, reduziert. Der Sinn dieser Behandlung ist es, eine Fibrosierung der synovialen Membran und anschließende Verschor- fung der Synovia zu erreichen. Dies kann mit sklerosierenden Substanzen (zum Beispiel Rifampicin 500 mg in 10 ml Lokalanästhetikum) (chemische Synoviorthese) oder mit Radiokolloi- den (zum Beispiel Yttrium-90, Rheni- um-196) (Radiosynoviorthese, RSO) durchgeführt werden. Von vielen Auto- ren wurde der Wert der Radiosynovior- these als Behandlung der chronischen hämophilen Synovitis diskutiert. Trotz vieler positiver Berichte bleiben Un- klarheiten bei der Indikation dieses Verfahrens (welche Patienten?, welches Krankheitsstadium?). Rodriguez-Mer- chan (12) empfiehlt dieses Verfahren so früh wie möglich, schon bei jungen Pa- tienten und bei Gelenkdestruktionen von 0 bis 2 Punkten nach Pettersson anzuwenden. Größer 2 Punkte ist die RSO nicht mehr angebracht, und eine arthroskopische Synovektomie ist indi- ziert (8).

Erfahrungen der offenen Synovekto- mie haben gezeigt, dass dieses Verfah- ren zwar effektiv, aber mit einem signifi-

kanten Verlust der Beweglichkeit ein- hergehen kann (3). Da auch eine arthro- skopische Synovektomie nur als zweite Wahl der Therapie der chronischen Sy- novitis angesehen wird, muss die RSO als Therapieoption immer in Betracht gezogen werden (12). Ob eine in unse- rem Zentrum durchgeführte arthrosko- pische Synovektomie gefolgt von einer RSO auch bei fortgeschrittener Arthro- pathie ähnlich gute Ergebnisse wie bei einer rheumatoiden Arthritis erbringen kann, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten (4). Auf jeden Fall muss ei- ne RSO/Synovektomie interdisziplinär indiziert und ausgeführt werden. Eine RSO muss unter Substitution bei einem apparativ adäquat ausgestatteten Nu- klearmediziner durchgeführt werden, da eine korrekte intraartikuläre Appli- kation des Radioisotops absolut not- wendig ist.

Obere Extremitäten

Komplikationen des muskulo-skeletta- len Systems bei Hämophilen sind pa- tientenspezifisch und müssen mit einem individuellen Behandlungskonzept an- gegangen werden.

Wachstumsstörungen der proxima- len Epiphyse des Humerus infolge von Einblutungen, können in einem kleinen atrophierten Humeruskopf und Varus- deformität resultieren. An der Schulter des Erwachsenen können Osteophyten entstehen. Die Arthrodese der Schulter hat sich als gutes und zuverlässiges Ver- fahren herausgestellt. Bei Hämophilen, bei denen ebenfalls Ellenbogenzer- störungen und Einschränkungen der Beweglichkeit nicht selten sind, muss dieses Verfahren sehr kritisch betrach- tet werden. Mit den zunehmend guten Erfahrungen der Schulterendoprothe- tik ergibt sich eine erweiterte Therapie- option, welche bisher kontrovers disku- tiert wurde. Erfahrungen aus unserem Zentrum bei vier Schulterendoprothe- senoperationen zeigen bisher viel ver- sprechende Ergebnisse.

Am Ellenbogengelenk ist die Indika- tion der Endoprothetik weiterhin un- klar. Da dieses Gelenk als eines der Problemgelenke („Targetgelenk“) des hämophilen Patienten angesehen wer- den muss, bleiben nur wenige chirurgi-

sche Optionen. Die Radiusköpfchenre- sektion und partielle offene Synovekto- mie ist eine zuverlässige chirurgische Intervention, welche die Funktion des Ellenbogens signifikant verbessert. Bei richtiger Indikation kann dieses Verfah- ren die Rotation des Unterarms bis zu 60 Grad sowie den Schmerz verbessern und die Rate der Einblutungen reduzie- ren. Dies resultiert in einer deutlich ver- besserten Funktion ohne die Gefahr einer Ellenbogeninstabilität. Da der Einsatz von Ellenbogenendoprothesen zurzeit kein akzeptiertes Verfahren ist, sollten schwerere Gelenkzerstörungen des Ellenbogens durch eine Orthese oder Arthrodese versorgt werden.

Untere Extremitäten

Einblutungen in das Hüftgelenk sind relativ seltene Ereignisse. Trotzdem ha- ben sie das zusätzliche Risiko einer vas- kulären Knochennekrose des Hüft- kopfes. Veränderungen ähnlich dem Morbus Perthes wurden beschrieben.

Aus diesem Grund ist bei diesen Patien- ten eine Gelenkpunktion und Aspirati- on des Blutes unabdingbar. Im Endsta- dium der hämophilen Arthropathie an der Hüfte stellt sich die Indikation zur totalen Endoprothese dieses Gelenkes.

Da der endoprothetische Ersatz des Hüftgelenkes ein Routineverfahren mit einer sehr hohen Patientenzufrieden- heit ist, sollte heutzutage dieses Verfah- ren auch bei Blutern routinemäßig zum Einsatz kommen. Im eigenen Kranken- kollektion zeigte sich nach einem mitt- leren Nachuntersuchungszeitraum von neun Jahren keine vermehrten Locke- rungen (3, 7). Der erste operierte Pati- ent musste sich nach 14 Jahren aufgrund einer Pfannenlockerung einer Wechsel- operation unterziehen. Wegen der gro- ßen Variation an Möglichkeiten der - endoprothetischen Versorgung des Hüftgelenks, ist eine klare Empfehlung für die Versorgung schwierig. Basierend auf der Weltliteratur empfehlen die Autoren eine Versorgung mit einem ze- mentierten Schaft und einer zement- freien sphärischen Pfanne (7).

Die Veränderungen der hämophilen Arthropathie betreffen bei weitem häufiger das Kniegelenk (> 50 Pro- zent), wenngleich Funktionseinschrän-

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kungen besser kompensiert werden können. Der endoprothetische Ersatz des zerstörten Gelenkes ist auch hier ein sicheres Verfahren, um Behinde- rungen und Schmerzen zu therapieren.

In der Literatur werden insgesamt gute Ergebnisse dieses Verfahrens berichtet (3). Auch hier bietet sich eine große Va- riation an Versorgungsmöglichkeiten und Modellen an. Wir versorgen unsere Patienten in der Regel mit einem ze- mentierten bandgeführten Oberflä- chenersatz. Bei ausgeprägten Fehlstel- lungen und/oder Beugekontrakturen ist es notwendig, eine achsgeführte En- doprothese zu implantieren.Aus der ei- genen Erfahrung heraus, sollte die In- dikation zu dieser Operation nicht erst bei ausgeprägten Beugekontrakturen und Atrophie der Streckmuskulatur und grotesken Achsenfehlstellungen gestellt werden. Zwar ist es nie zu spät zu solch einem Vorgehen, aber die be- schriebenen klinischen Befunde sind denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein gutes Langzeitergebnis und eine zufriedenstellende postoperative Re- habilitation. Aber gerade bei jungen Patienten besteht die Gefahr von asep- tischen Prothesenlockerungen und von Spätinfekten. Ein Gelenkdebridement kann bei jungen Hämophilen in Be- tracht gezogen werden, um den endo- prothetischen Ersatz zu verzögern.

Dieses Vorgehen kann für längere Zeit Schmerzfreiheit bewirken.

Die häufigste Fehlstellung der hämo- philen Arthropathie des oberen und un- teren Sprunggelenkes sind fixierte Plantarflexionen, Varusfehlstellungen des Rückfußes und Valgus des Sprung- gelenkes.

Wir folgen bei schmerzhaften hämo- philen Arthropathien der Fußgelenke einem strikten Therapieschema mit:

>konfektionierten Bandagen,

>Absatzerhöhung, Abrollhilfen (zum Beispiel Schmetterlingsrolle) eingear- beitet in die Sohle der Schuhe,

>Arthrodesenstiefel,

>Arthrodese des oberen Sprungge- lenkes.

Die Arthrodese nach vorheriger Ru- higstellung durch einen Arthrodesen- stiefel ist ein hervorragendes Verfahren bei Patienten mit nur noch minimaler Restbeweglichkeit im zerstörten Ge- lenk. Diese Restbeweglichkeit führt bei

allen Patienten zu Schmerzen und syno- vialitischen Reizerscheinungen bis hin zu Einblutungen. In der Literatur wer- den auch von verschiedenen Autoren supramalleoläre Korrekturosteotomien bei sekundären Valgusdeformität mit Erfolg beschrieben (10).

Muskuläre Einblutungen

20 Prozent Einblutungen in das mus- kulo-skelettale System bei Hämophilen sind muskuläre Einblutungen. In den meisten Fällen sind diese intramus- kulären Einblutungen durch ein Trau- ma verursacht. Nach einem direkten Trauma der Weichteile zeigen sich die pathologischen Veränderungen durch Schwellung, Schmerz, lokale Überwär- mung und einem charakteristischen Hämatom. Die meisten Muskeleinblu- tungen gehen spontan zurück ohne ei- nen größeren Funktionsverlust. Nach akuten Einblutungen empfehlen wir das konservative Vorgehen, nachdem durch eine Gerinnungsfaktorensubsti- tution eine ausreichende Hämostase er- reicht ist. Unter weiterer Faktorensub- stitution wird die betroffene Extremität hochgelagert, geschont, mit Eis behan- delt und der Patient mit Analgetika und oder nichtsteroidalen Antirheumatika versorgt. Mit zunehmender Abschwel- lung kommt es zu einer Abnahme des Schmerzes und einem schrittweisen Funktionsgewinn. Sollte ein Kompart- mentsyndrom vorliegen, muss eine ope- rative Dekompression durchgeführt werden.

Die häufigste und schwerwiegende Muskeleinblutung betrifft den M. ilio- psoas. Schmerzen im unteren Abdomen können den Symptomen einer akuten Appendizitis ähneln. Eine Einengung des Nervus femoralis kann mit neurolo- gischen Defiziten des anterioren Ober- schenkels einhergehen. Bei der klini- schen Untersuchung kommt es bei der Extension im Hüftgelenk zu erhebli- chen Schmerzen, und der Patient nimmt eine Schonhaltung mit einer Hyperlor- dose der LWS ein.

Die klinische Unterscheidung einer Einblutung in den M. iliopsoas und ei- ner intraartikulären Einblutung in das Hüftgelenk gestaltet sich schwierig.

Die Ultraschalluntersuchung erlaubt

die Beurteilung einer ausgeprägten Vergrößerung der Gelenkkapsel bei ei- ner intraartikulären Blutung. Zur ge- naueren Beurteilung und Differenzie- rung sollte eine MRT durchgeführt werden. Bei einer Psoaseinblutung wird bei Flexion der Hüfte der Schmerz nachhaltig reduziert und die Funktion verbessert. Diese benötigt eine lange Zeit zur Rückbildung. Eine Flexions- kontraktur des Hüftgelenkes kann über Wochen persistieren. Erneute Einblutungen in die betroffene Region sind häufig, und aus diesem Grund soll- te eine längere Faktorensubstitution durchgeführt werden. Die Resorp- tion eines Iliopsoas-Hämatoms kann mehrere Wochen benötigen, hingegen eine Hüftgelenkseinblutung nur einige Tage.

Pseudotumor

Der muskuläre Pseudotumor bei Hä- mophilen stellt nichts anderes als ein altes abgekapseltes Hämatom dar.

Eine dicke fibröse Kapsel umschließt das Hämatom verschiedener Orga- nisationsstufen. Kalzifikationen und Ossifikationen werden häufig in die- sen Pseudotumoren gefunden. Pseudo- tumoren sind häufig im proximalen Skelett lokalisiert. Sie scheinen ihren Ursprung im Weichteilgewebe zu ha- ben und erodieren den Knochen se- kundär periostal. Sie entwickeln sich langsam über viele Jahre. Pseudotumo- ren treten hauptsächlich beim Erwach- senen auf und lassen sich durch eine konservative Therapie schlecht behan- deln. Große proximale Pseudotumoren beim Erwachsenen müssen nach der Diagnose chirurgisch entfernt werden.

Distale Pseudotumoren treten distal des Hand- und Sprunggelenkes auf und scheinen sekundär nach intraossären Blutungen zu entstehen. Diese treten hauptsächlich bei Kindern und Jugend- lichen auf und entwickeln sich schnell.

Distale Pseudotumoren sollten primär durch eine Langzeitsubstitution und Immobilisation der Extremität be- handelt werden. Bei dem Versagen der konservativen Therapie und einer Progredienz sollte auch bei Kindern eine chirurgische Entfernung erwogen werden.

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Operationen bei

HIV-positiven Patienten

Bluter mit einer HIV-Infektion haben ein erhöhtes Risiko von bakteriellen und opportunistischen Infektionen. Bei diesen Patienten ist das Risiko einer In- fektion nach einer chirurgisch-orthopä- dischen Intervention erhöht. Eine Er- hebung von US Hämophiliezentren von Ragni et al.(11) untersuchte das Auftre- ten einer postoperativen Infektion bei HIV-positiven Blutern mit einem CD4- Wert von unter 200. Bei 66 Patienten mit 74 orthopädischen Operationen kam es in einem Zeitraum von fünf Mo- naten postoperativ bei 13 Prozent zu ei- ner Infektion. Staph. aureus war mit 60 Prozent der häufigste Keim, und ein endoprothetischer Gelenkersatz hatte ein zehnfach erhöhtes Risiko als andere Operationen. Nach Greene (1) ist das Risiko einer Infektion bei diesen Pati- enten zwar erhöht, aber insgesamt im- mer noch gering. Zwar ist das Risiko ei- ner Spätinfektion nach einer Totalen- doprothese (TEP) deutlich höher, aber der Gewinn an Lebensqualität bei Pati- enten mit Funktionseinschränkungen und großen Schmerzen rechtfertigt sol- che Operationen, insbesondere unter der heute üblichen HAART (hoch- aktiven antiretroviralen Therapie). Ei- ne ausführliche Aufklärung über die Ri- siken ist gerade bei solchen Patienten unerlässlich.

Orthopädische Operationen bei Hemmkörperhämophilen

Im Rahmen der Substitutionstherapie bei der Hämophilie A kann sich die Entwicklung von Antikörpern gegen den Faktor VIII : C (so genannte Hemmkörperhämophilie) als schwer- wiegende Komplikation entwickeln.

Sind einmal Hemmkörper gegen Fak- tor VIII aufgetreten, ist eine weitere Substitution mit Faktor VIII nicht mehr möglich und wegen des Hemm- körpertiteranstiegs sogar gefährlich.

Unfälle und notwendige elektive Ope- rationen können fatale Folgen haben.

Für diese Patienten stehen zurzeit ver- schiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, akute Blutungen zu vermei- den. Neben der Immuntoleranzthera-

pie und der extrakorporalen Entfer- nung des Faktor-VIII-Hemmkörpers, stehen aktivierte Prothrombinkom- plexkonzentrate, rekombinanter akti- vierter Faktor VIIa und porciner Fak- tor VIII zur Verfügung. An unserem Zentrum wurden in den vergangenen beiden Jahren bei fünf Patienten mit einer Hemmkörperhämophilie sieben elektive Operationen durchgeführt.

Durch eine extrakorporale Hemm- körperentfernung konnte der Hemm- körper präoperativ bis fast auf Null re- duziert werden. Perioperativ und in den ersten Tagen postoperativ sprach eine Faktor-VIII-Substitution gut an.

Es kam zu einer ausreichenden Blutge- rinnung. Mit einem Anstieg des Hemm- körpers wird die Wirkung dieser Sub- stitution inaktiviert. Zur notwendigen Blutgerinnung wird an unserem Zen- trum anschließend eine Substitution mit rekombinantem Faktor VIIa durch- geführt. Damit ist trotz hohem Hemm- körper eine adäquate Blutgerinnung zu

erreichen. Auch Operationen unter ausschließlicher Substitution mit re- kombinantem Faktor VII a wurden in den vergangenen beiden Jahren erfolg- reich durchgeführt (2). In allen Fällen kam es zu keiner außergewöhnlichen Blutungskomplikation, und die Nach- behandlung unterschied sich nicht von der unserer übrigen Hämophilie- patienten.

Manuskript eingereicht: 28. 5. 2002, revidierte Fassung angenommen: 9. 7. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2928–2935 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas A. Kurth Orthopädische Klinik

Klinikum der J. W. Goethe-Universität Marienburgstraße 2

60528 Frankfurt

E-Mail: A.Kurth@em.uni-frankfurt.de

Bei Probiotika handelt es sich um leben- de Mikroorganismen wie Streptococcus thermophilus, Lactobacillus bulgaricus, Bifidobacterium bifidum, B. longum, Enterococcus faecium, Saccharomyces boulardii, L. acidophilus, L. casei und L. GG, deren Einsatz zur „Regulierung“

der Darmflora in der wissenschaftlichen Medizin umstritten ist.

Die Autoren führten eine Metaana- lyse in Medline und der Cochrane Library durch und konnten neun ran- domisierte, doppelblinde, placebokon- trollierte Studien aus den Jahren 1966 bis 2000 auswerten. In zwei Studien wurde der Einsatz von Probiotika bei Kindern untersucht, vier Studien beschäftigten sich mit Hefe (Saccha- romyces boulardii), vier mit Lacto- bacillus und eine mit einem Enterococ- cus-Stamm, der Milchsäure produzier- te. In drei Studien kam eine Kom- bination von probiotischen Bakterien- stämmen zum Einsatz. In allen neun Versuchsreihen wurden die Probiotika in Kombination mit Antibiotika ge-

geben. Die Kontrollgruppen erhielten Placebo und Antibiotika.

Die Metaanalyse ergab, dass Pro- biotika erfolgreich eingesetzt werden können zur Prävention Antibiotika- assoziierter Durchfälle. Dies betraf in erster Linie S. boulardii und Lacto- bacillen. Nicht eindeutig gesichert ist der Effekt der Probiotika bei der Therapie der Antibiotika-assoziierten, durch Clostridium difficile Toxin aus- gelösten, Diarrhö.

Die Autoren weisen darauf hin, dass das praktische Fehlen von unerwünsch- ten Wirkungen der Probiotika bei der Prävention Antibiotika-assoziierter Durchfallserkrankungen von besonde- rer Bedeutung sein könnte. w D’Souza AL, Rajkumar C, Cooke J: Probiotics in preventi- on of antibiotic associated diarrhoea: meta-analysis.

BMJ 2002; 324: 1361–1364.

Dr. A. L. D’Souza, Care of the Elderly Section, Faculty of Medicine, Imperial College School of Medicine, Ham- mersmith Hospital, London W12 ONN, Großbritannien, E-Mail: aloysius.dsouza@ic.ac.uk

Probiotika zur Prävention

Antibiotika-assoziierter Diarrhö

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