• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Apokalyptische Vision: 4. Weltkongreß der Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges, Helsinki" (17.10.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Apokalyptische Vision: 4. Weltkongreß der Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges, Helsinki" (17.10.1984)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHTE

D

ie Angst vor der Entstehung eines „nuklearen Winters"

hatte 400 Delegierte, zumeist Ärzte, aus 53 Ländern, Anfang Ju- ni 1984 zum 4. Weltkongreß der IPPNW in Helsinki zusammenge- führt. Nach vorausgegangenen

Kongressen 1981 in Airlie/Virginia (USA), 1982 in Cambridge (GB) und 1983 in Amsterdam (NL) stand dieser Kongreß unter dem Motto

„Ärzte bestehen darauf: Ein Nu- klearkrieg kann verhütet werden".

Der Kongreß, unter der Schirm- herrschaft des Präsidenten von Finnland, Dr. Mauno Koivisto, er- hielt Grußbotschaften vom Gene- ralsekretär der KPdSU, Tscher- nenko, von US-Präsident Reagan, der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi, vom schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme und anderen Staatsoberhäuptern sowie von Papst Johannes Paul II.

In seiner Eröffnungsansprache wies der finnische Ministerpräsi- dent Kalevi Sorsa darauf hin, daß das Risiko eines Atomkrieges sei- ner Ansicht nach nicht mehr als nur theoretisch angesehen wer- den kann. Die Atomwaffen seien eine Quelle unabsehbarer Unsi- cherheit für alle Staaten gewor- den, auch für die Kernwaffen- mächte selbst.

Der griechische Regierungschef, Andreas Papandreou, der sich zu einem offiziellen Besuch in Finn- land aufhielt, fand unter den Kon- greßteilnehmern besondere Be- achtung, als er seine Initiativen zur Eindämmung des atomaren Wettrüstens erläuterte. Papan- dreou stellte Olof Palme und des- sen Bemühungen zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa besonders heraus.

Er forderte die Kongreßteilneh- mer dazu auf, in die Abrüstungs- bemühungen aktiv einzugreifen;

die Ärztebewegung sei hier von größter Bedeutung.

Die Eröffnung des Kongresses war von den Spannungen zwi- schen den USA und der Sowjet- union beeinflußt. So konnten, trotz gemeinsamen Auftretens der

beiden Vizepräsidenten der IPPNW, der Kardiologen E. Cha- zov und B. Lown, Mißklänge nicht verhindert werden. Chazov warf den Vereinigten Staaten vor, mit der geplanten Entwicklung von atomaren Weltraumwaffen das Kriegsrisiko zu steigern. Eine Wende zum Schlechteren in der internationalen Lage sei auch mit der Stationierung von US-Mittel- streckenraketen in Westeuropa eingetreten. Damit entsprachen

Apokalyptische Vision

4. Weltkongreß der Internationalen Ärzte

zur Verhinderung eines Atomkrieges, Helsinki

seine Ausführungen den bekann- ten diplomatischen Kommuni- quäs seines Landes. Sein ameri- kanisches Pendant, Co-Präsident B. Lown, rief Ärzte in Ost und West zur vermehrten Zusammen- arbeit auf. Der Feind der Mensch- heit sei nicht der Kapitalismus oder Marxismus, sondern das Wettrüsten mit der Gefahr einer nuklearen Katastrophe, dem

„Nuklearen Winter". Er appellier- te an die Verantwortlichen der Machtblöcke, mit mehr Verständ- nis füreinander erneut in Abrü- stungsverhandlungen einzutre- ten. Der Drang zu verstärkten Ab- rüstungsbemühungen müßte von den Bedrohten, von „unseren Pa- tienten, deren eigenes Leben in Gefahr ist", ausgehen. Er rief Ärz- te in aller Welt auf, als Multiplika- toren zu wirken, da über sie Millio- nen von Patienten erreicht wür- den.

Eine zentrale Stellung nahm auf dem Kongreß die Darstellung des

„Nuklearen Winters" durch die Professoren Geiger (Stanford Uni- versity California) und Aleksan- drov (Akademie der Wissenschaf- ten in Moskau) ein. Die Referen- ten stellten die möglichen meteo- rologischen Folgen des Einsatzes von Nuklearwaffen mit 100 bis 1000 Megatonnen atomarer Sprengkraft über einem Gebiet von etwa der Flächenausdehnung Mitteleuropas dar. Die vorgetrage- nen Ergebnisse waren anhand der verschiedensten Computersimu- lationsmodelle gewonnen wor- den.

Die durch Explosion nuklearer Sprengkörper verursachten Flä- chenbrände, der erzeugte Staub, Rauch und Ruß hätten zur Folge, daß zwischen dem zweiten und dritten Tag nach Explosion die ge- samte Stratosphäre über der nördlichen Halbkugel „verdun- kelt" würde. Dies hätte die nahezu vollkommene Absorption und Re- flexion des Sonnenlichtes mit ark- tischen Temperaturen über den Kontinenten zur Folge. Die menschgemachte Eiszeit würde bis zu zwölf Monaten andauern. In Arbeitsgruppen wurde dieses apokalyptische Szenario, das bei den Teilnehmern auch sichtlich Angst und Schrecken hinterließ, weiter ausgemalt. So wurden die Einwirkungen einer solchen Nu- kleärkriegdrohung auf Kinder und Jugendliche anhand von Model-

len diskutiert. Je nach Kulturein- gebundenheit und Kenntnisstand variierten die vorwiegend deskrip- tiv erfaßten Verhaltensweisen von Lebensoptimismus bis hin zu angstvoller Perspektivelosigkeit, wobei letzteres häufig vom Grad der Aufklärung im Rahmen 'der Versuchsanordnung abhängig war.

Es wurde gefordert, daß nach Aufklärung der Kinder und Jugendlichen über die Atom- kriegsgefahren das Ausmaß der psychischen Entfaltungsbehinde- rung weiter untersucht werden müsse, da die vorliegenden Stu- dien hierüber noch keine Schlüs- se zuließen.

3048 (24) Heft 42 vom 17. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(2)

Kongreßeröffnung im Audimax der Universität von Helsinki: Offizielle und Redner.

Zu erkennen sind u. a. die folgenden im Bericht erwähnten Herren: am Rednerpult der finnische Ministerpräsident Kalevi Sorsa; zweiter von links der griechische Mi- nisterpräsident Papandreou, vierter von links der sowjetische Kardiologe Evgueni Chazov, daneben sein US-amerikanischer Kollege Bernhard Lown Foto: IPPNW

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Verhinderung eines Atomkrieges

In der Arbeitsgruppe „mensch- lich-psychologische Abwehrme- chanismen, die von der Arbeit für Frieden zurückhalten", wurden seelische Verdrängungsmecha- nismen erwachsener Menschen erörtert. Individuelle Angst und ohnmächtige Wut führen zur Gruppensuche und Einbindung.

In den so gefundenen Gruppen soll dann polarisiertes, verein- fachtes Schwarz/Weiß- oder Gut/

Böse-Denken abgebaut werden.

Neue Handlungs-, Interaktions- muster und veränderte Bewußt- seinshaltungen sollten eingeübt werden zwecks friedlicheren Um- gangs von Menschen miteinan- der. Die gewaltlose Konfliktlö- sungsstrategie und die Frauenbe- wegung wurden als Beispiele hierfür genannt.

Die Folgen des Wettrüstens auf Wirtschaft und Gesundheit wur- den anhand von plakativen Einzel- beispielen dargestellt. Beispiels- weise würden die weltweiten mili- tärischen Ausgaben weniger Tage dazu ausreichen, 1000 Millionen Kinder mit den erforderlichen Impfungen zu versehen. Drei Wo-

chen des Militärbudgets bei jähr- licher Investition während der nächsten 10 Jahre würden die Weltbevölkerung mit hygienisch einwandfreiem Wasser versorgen.

Dabei sei zu berücksichtigen, daß 50 Prozent der Menschheit ge- genwärtig kontaminiertes Wasser trinke.

In einer weiteren Arbeitsgruppe wurde die Psychopathologie des nuklearen Wettrüstens darge- stellt. Die Segmentierung des Denkens bei Fachleuten und die emotionsfreie abstrakte Sprache der Technik seien wichtige Vor- aussetzungen für die psychische Abwehr des mit dem Einsatz von Atomwaffen verbundenen Schreckens.

„Nuklearkrieg-Begrenzung reine Selbsttäuschung"

Moralische und ethische Aspekte, die sich für Ärzte angesichts der Bedrohung durch Nuklearwaffen ergeben, wurden diskutiert und mündeten in die Auffassung der Arbeitsgruppe, wonach die Idee eines begrenzten Nuklearkrieges eine reine Selbsttäuschung sei.

Jede Atomwaffenexplosion — un- ter welchen Bedingungen auch immer — sei genauso unmoralisch wie die Nutzung des Weltraumes für militärische Zwecke. Ebenso sei die Drohung, Instrumente des Völkermordes — Nuklearwaffen — einzusetzen, moralisch verwerf- lich. Hoffnung auf Zivilschutzmaß- nahmen gegen nukleare Ausein- andersetzungen seien illusionär.

Maßnahmen der Zivilverteidigung wurden als destabilisierend er- achtet; sie seien keinesfalls zu ak- zeptieren.

Interessanterweise wurden bei der Diskussion die Zivilschutz- maßnahmen skandinavischer Län- der ebenso ausgeklammert wie die der Staaten des Warschauer Paktes.

In der Schlußveranstaltung wur- den der amerikanische Präsident Reagan und der sowjetische Staats- und Parteichef Tschernen- ko aufgefordert, „vom Rand des Abgrundes zurückzutreten" und die Abrüstungsverhandlungen wieder aufzunehmen.

Die ärztlichen Kongreßteilnehmer nahmen aus Helsinki noch eine

„Botschaft an meine Patienten"

mit auf den Weg. In ihr wird der Arzt aufgefordert, seine Patienten von jeder ernsten Gefährdung ih- rer Gesundheit und ihres Lebens zu unterrichten. Atomwaffen brächten eine solche Gefährdung.

Erstaunlich für den Beobachter war während des gesamten Kon- gresses die Fokussierung der Be- ratungen und Diskussionen auf die Wirkungen von Nuklearwaf- fen, während die Gefahren kon- ventioneller, aber auch chemi- scher und biologischer Waffen nicht in angemessener Weise be- rücksichtigt wurden. Die Beratun- gen wurden teils auf recht hohem intellektuellem Niveau geführt.

Sie waren jedoch gelegentlich auch von realitätsfernem, missio- narischem Eifer und mangelnder Pragmatik getragen.

Dr. med. Michael Popovid Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 42 vom 17. Oktober 1984 (27) 3049

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

1 PharmInd 1996, 130: „Die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft und auch das Bun- desinstitut für Arzneimittel und Me- dizinprodukte sind während des lau-

Nach dessen Absatz I Ziffer 1 a wiederum sind Spekulations- geschäfte solche, bei denen der Zeitraum zwischen An- schaffung und Veräußerung bei Grundstücken und

Die Mitglieder der IPPNW ver- treten dagegen die Auffassung, daß sich Ärzte aufgrund ihrer ethischen Verpflichtung auch in verteidigungs- politische Fragen einmischen soll- ten..

Stipendien und Preis für Crohn/Colitis-Forschung – ausgeschrieben von der Deut- schen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e.V., zur Förderung der For- schung auf

Ich kann aber aus meinen Erfahrungen in dem begrenzten Gebiet der Unfallchirurgie beob- achten, daß die Qualität der Arbeiten derjenigen Kliniken, die dem Kontroll- verfahren

*) Pro Bericht werden durchschnittlich 1,4 Symptome angegeben, durch Aufnahme in mehr als eine Gruppe hegt die %-Summe über 100..

Der im Juni 1984 vom Bundes- minister für Arbeit und Sozial- ordnung vorgelegte Referenten- entwurf berücksichtigte zwar nicht den grundlegenden Ansatz des Thesenpapiers, daß die

Mehr als die Hälfte der Taten waren im weitesten Sinne durch eine Art Wahn bestimmt, sei es in Form einer massiv empfundenen Ge- fahr durch den Arzt (zum Beispiel