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Archiv "Krankenhäuser: Die neue Dimension der Marktwirtschaft" (01.02.2002)

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e mehr Erfolge die freie Marktwirt- schaft, zumindest gemessen an dem herrschenden Weltbild, kurzfristig zu verzeichnen hat, desto weniger wird sich ein so wichtiger Teil der Volkswirt- schaft wie das Gesundheitswesen den Regeln und den Mecha-

nismen des Marktes ver- schließen können. Gesund- heitsleistungen werden als Dienstleistungen und damit als handelbare Waren inter- pretiert, bei denen nationale Grenzen bedeutungslos wer- den. Der europäische Ge- richtshof hat diese Auffas- sung bereits in seinen Urtei- len zur ambulanten und sta- tionären Versorgung zum Ausdruck gebracht.

Deregulierung und Priva- tisierung verwandeln alle Formen von Institutionen – auch Krankenhäuser – ten- denziell in Gewinn maximie- rende Unternehmen. Sicher kann dadurch ihre Wirt-

schaftlichkeit verbessert werden, ihr es- senzieller Sinn, das ist die Humanität, wird jedoch deformiert.

Dominanz der Ökonomie

Der Markt erobert eine Institution nach der anderen. Denn die Gesellschaft, das scheint die systemimmanente Vorgabe, hat der Ökonomie zu dienen – und nicht umgekehrt. Die politisch vorgege- bene Ausgabenlimitierung in Form der Beitragssatzstabilität ist unter einer derartigen Vorgabe ordnungspolitisch widersprüchlich und systemwidrig. Es ist so, als ob man den Markt und die staatliche Reglementierung gleichzeitig anstreben würde – den Markt, um im Sinne des Zeitgeistes bei den „Siegern“

zu sein, die Reglementierung, um das nach wie vor latent vorhandene Sicher- heitsbedürfnis zu befriedigen. In der Realität führt dies dazu, dass bei einem oktroyierten Deckel der Verwaltungs- aufwand für das Gesundheitssystem zu-

lasten der Beschäftigten (Leistungsver- dichtung) und der Patienten (Rationie- rung) ständig steigt.

Das Gesundheitswesen, vor allem das Krankenhaus, hat sich in Deutsch- land, unterstützt durch die Philosophie der „Daseinsfürsorge“, lange erfolg- reich gewehrt, die Regeln des freien Marktes und die damit verbundene Dy- namik zu überneh-

men. Mit der These

„ein Krankenhaus ist ein Betrieb wie jeder andere“ wur- den jedoch in den letzten Jahrzehnten

in immer kürzeren zeitlichen Interval- len die jeweils aktuellen Spielregeln, Leitbilder, aber auch die sich schnell wandelnden betriebswirtschaftlichen

Modetorheiten der am freien Markt teilnehmenden Unternehmen über- nommen. Auch das Verwaltungshan- deln der öffentlichen Hände bleibt von dieser Entwicklung nicht ausgenom- men. Zunehmend werden früher juri- stisch geprägte und rechts- staatlich überprüfbare Vor- gehensweisen und Entschei- dungen durch sozial- und wirtschaftswissenschaftlich begründete Methoden er- setzt. Medienwirksames Entertainment ohne Nach- haltigkeit ersetzt die kon- krete fachliche Überzeu- gungsarbeit. Die Professio- nalität bei der Ankündi- gung ersetzt die Professio- nalität bei der Umsetzung.

Es wird spannend wer- den zu beobachten, ob sich diese Geisteshaltung nach kurzem Innehalten als Fol- ge der aktuellen Erschütte- rung, vergleichbar dem vorübergehend langsame- ren Fahren nach einem Verkehrsunfall, wieder Bahn bricht oder ob eine Phase längerer Nachdenklichkeit und des Be- sinnens eingeleitet wird.

Wettbewerb im Gesundheitswesen kann zwar zur Kostensenkung führen, hat aber noch nie eine Ausgabenredu- zierung für das Gesamtsystem und eine gleichmäßige Angebotsstruktur zur Folge gehabt, da die Kostensenkung in der Regel durch die Mengenausweitung mehr als kompen- siert wird. Wettbe- werb als Kernele- ment der freien Marktwirtschaft ist sei- nem Wesen nach ein selektierendes Ex- pansionsinstrument und kein Verknap- pungsmittel. Übersehen wird auch, dass T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002 AA261

Krankenhäuser

Die neue Dimension der Marktwirtschaft

Die Krankenhauswirtschaft gerät immer mehr in das Spannungsfeld zwischen Ethik und Ökonomie.

Ernst Bruckenberger

Medienwirksames Enter- tainment ohne Nachhaltigkeit

ersetzt die konkrete fachliche

Überzeugungsarbeit.

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der Wettbewerb klare, verlässliche und längerfristig kalkulierbare, aber auch verbindliche Rahmenbedingungen be- nötigt. In einer arbeitsteiligen Welt ist es von zentraler Bedeutung, dass man sich auf Vereinbarungen zwischen Part- nern verlassen kann.

Wettbewerb zwischen den Leistungs- anbietern hat nicht das Ziel, die Ausga- ben der Krankenkassen zu reduzieren, sondern durch Innovation, Selektion und vergleichsweise geringere Kosten zulasten der Mitbewerber expandieren zu können. Auch gibt es keinen Wettbe- werb der Krankenkassen um die Gunst von Versicherten oder Pati-

enten, sondern nur um den erwünschten Versicherten beziehungsweise Patienten, und das ist derjenige mit dem geringsten Krankheits- risiko.

Der Begriff „Kranken- haus“ wird als Folge des Wettbewerbsdenkens und der vermehrten Errichtung kooperativer und integrier- ter Angebotsstrukturen, un- ter anderem bedingt durch die demographische Ent- wicklung sowie das ver- mehrte Ausgliedern von be- trieblichen Einrichtungen und Funktionen, einen Be- deutungswandel erfahren.

Das „Tante-Emma-Kran- kenhaus“ um die Ecke ge- nauso wie die einzelne Pra-

xis haben unter den Bedingungen und Gesetzen der freien Marktwirtschaft sowie der demographischen Entwick- lung keine Überlebenschance. Koope- rationen und Vernetzungen sind not- wendig. Der medizinische Fortschritt findet durch die freie Marktwirtschaft, verstärkt durch den Globalisierungsef- fekt, die schnell wachsenden Möglich- keiten der Telemedizin und der Me- dienpräsenz immer schneller weltweite Verbreitung. Jeder Fortschritt steuert aber nicht auf einen Sättigungspunkt zu, sondern wird im Erfolgsfall der An- lass zu weiteren Schritten in alle mögli- chen Richtungen, wobei die Zwecke sich selber „verflüssigen“. Oftmals sol- len mit dem Fortschritt Probleme gelöst werden, die ohne ihn gar nicht beste- hen würden. Die schnelle technologi-

sche Verbreitung geht, mit geringem Zeitunterschied, auf der Ebene des Wissens wie der praktischen Aneig- nung vor sich. Die Erstere wird garan- tiert durch die weltweiten Möglichkei- ten der Kommunikation, die Zweite wird durch den Druck des Wettbewerbs erzwungen.

Bei der Einführung immer neuer Formen der Diagnostik und Behand- lung als Folge des medizinischen Fort- schrittes wird allerdings häufig ver- drängt, dass die Zahl der dadurch aus- gelösten zusätzlichen Untersuchungen beziehungsweise Behandlungen grund-

sätzlich größer ist als die Zahl der weg- fallenden Untersuchungen beziehungs- weise Behandlungen, allerdings oftmals verbunden mit einer geringeren Bela- stung des Patienten, einer besser auf ihn zugeschnittenen Behandlungsform oder einer besseren Lebensqualität.

Leistungsexplosion, nicht Kostenexplosion

Weil die systemimmanente Leistungs- explosion das eigentliche Problem des Gesundheitswesens ist, wird in Nieder- sachsen von der Planungs- behörde gemeinsam mit dem Planungsausschuss, dem die Krankenkassen, die private Krankenversiche- rung, die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft e.V.

und die Kommunalen Spit- zenverbände angehören, schon seit Jahren ange- strebt, durch sektorenüber- greifende Kooperationen zwischen den verschiedenen Leistungssektoren wie Pra- xen, Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen nicht bedarfsnotwendige Lei- stungen zu vermeiden oder notwendige prozessorien- tierte Leistungen kosten- günstiger zu erbringen. Nie- dersachsen hat bereits 1979 mithilfe eines Standortpla- nungsausschusses, dem von Beginn an die Kassenärztliche Vereinigung Nie- dersachsen angehörte, einen koopera- tiven Einsatz medizinisch-technischer Großgeräte eingeführt. 80 Prozent aller Großgeräte stehen derzeit auf dem Krankenhausgelände, der überwiegen- de Teil wird kooperativ zwischen Kran- kenhäusern und Praxen eingesetzt.

In einem folgerichtigen nächsten Schritt wurden zur Umsetzung koope- rativer sektorenübergreifender Versor- gungskonzepte zwischen dem Kran- kenhaus- und Rehabilitationsbereich verbindliche Abstimmungen zwischen allen Kostenträgern und der Kranken- hausplanungsbehörde mithilfe eines

„Rehakoordinierungskreises“ herbei- geführt, der 1990 unter der Feder- führung der AOK Niedersachsen ge- T H E M E N D E R Z E I T

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A262 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002

Grafik 1

Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Baden-Württemberg Sachsen Hessen Brandenburg Thüringen Rheinland-Pfalz Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorp.

Hamburg Bremen Saarland Bayern Berlin

–19,0

–6,6 –5,3

–4,6 –4,1

–2,5 –2,5 –2,4 –2,1

–1,8 –1,1 –0,7 –0,6 –0,6

0,0 3,8

Investiver „Nachholbedarf“, gemessen an der KHG-Finanzierung Bayerns pro Bett seit 1973 (Betrag in DM)

Quelle: Ernst Bruckenberger

Bundesweiter investiver

„Nachholbedarf“ an KHG- Mittel/Bett, gemessen an Bayern = 50,2 Mrd. DM

–22 –17 –12 –7 –2 0 3

Der lnvestitionsstau der Krankenhäuser wird häufig mit rund 15 Milliarden DM geschätzt. Tatsächlich dürfte er wesent- lich höher liegen. Konkrete Berechnun- gen darüber liegen nicht vor. In einer Studie der Oppenheim Research (vom November 2001) wird der Investitions- stau mit rund 60 Milliarden DM veran- schlagt. Ein Ländervergleich bestätigt die unterschiedliche Finanzierungsbe- reitschaft der Länder für ihre Plankran- kenhäuser. Gemessen an den seit 1973 in Bayern zur Verfügung gestellten KHG- Mitteln, bestünde rechnerisch ein bun- desweiter investiver „Nachholbedarf“

an KHG-Mitteln pro Fall von rund 43,4 Milliarden DM und pro Bett von 50,2 Milliarden DM. Unterstellt, selbst in Bay- ern gäbe es noch einen Investitionsstau, wäre der bundesweite investive „Nach- holbedarf“ noch größer.

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gründet wurde. Dadurch war es mög- lich, 1992 integrierte prozessorientierte Versorgungskonzepte für Geriatrie und Schwerst-Schädel-Hirn-Verletzte um- zusetzen. Das integrierte, sektoren- übergreifende Versorgungskonzept für Herzerkrankungen folgte kurz darauf.

Bei dem geriatrischen Versorgungskon- zept ist beispielsweise für jeden aner- kannten Standort eine Abteilung für Akutgeriatrie, eine Abteilung für geria- trische Rehabilitation und eine Tages- klinik vorgesehen. Einer flächen- deckenden „Geriatrisierung“ in Nie- dersachsen wird der Schaffung von flächendeckenden Abteilungen für Geriatrie der Vorzug gegeben. Im Pla- nungsausschuss bestand Einvernehmen darüber, dass es für eine verbesserte Versorgung geriatrischer Patienten kei- ne einheitliche, überall geltende Lö- sung geben kann. Ballungsgebiete und Flächengebiete haben jeweils andere Voraussetzungen.

Erfolgreich planen heißt präventiv handeln und nicht nachträglich reparieren. Um diesen Aufgaben Rechnung zu tragen, führte die für die Krankenhausplanung zu- ständige Landesbehörde in Niedersachsen gemeinsam mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkas- sen zur Weiterentwicklung der Kooperationsphiloso- phie im Jahr 1995 Abstim- mungen in Form von

„Strukturgesprächen“ mit Vertretern der Krankenhäu- ser und der für die Sicher- stellung der stationären Ver- sorgung und der Pflege zu-

ständigen kreisfreien Städte und Land- kreise durch. Die niedersächsischen Krankenhäuser haben seit 1995 mit al- len Leistungssektoren die Zahl der Ko- operationen deutlich ausgebaut.

Was bringt die nahe Zukunft? Das Gesetzgebungsverfahren für das Fall- pauschalengesetz befindet sich auf der Zielgeraden. Die ab 2003 vollständige Transparenz über das Leistungsgesche- hen der einzelnen Krankenhäuser als Folge des neuen Fallpauschalensystems wird die Emotionalisierung und die Konflikte zwischen den Leistungsanbie-

tern und Krankenkassen sowie die Ra- tionierungsdiskussion verstärken. Die Forderungen nach Mindestleistungen, Mindestbesetzungen und Mindestkapa- zitäten aus Gründen der Wirtschaftlich- keit und Qualitätssicherung sind eine bisher in der Öffentlichkeit deutlich un- terschätzte logische Konsequenz. Bei al- len Bedenken gegen derartige Festle- gungen und Überlegungen ist aber da- von auszugehen, dass als Folge der Transparenz des Leistungsgeschehens die Frage der Mindestfrequenz der ein- zelnen Behandlungsformen an Bedeu- tung gewinnen wird und von den Patien- ten selbst beziehungsweise ihren Inter- essenverbänden, Selbsthilfegruppen und so weiter in den Mittelpunkt ihrer Wahl des Behandlungsortes treten wird.

Tendenziell weisen kleinere Kran- kenhäuser überwiegend eine geringere Behandlungsfrequenz pro Indikation auf. Geringe Behandlungsfrequenzen

gibt es andererseits auch für hoch spe- zialisierte Leistungen in den Kranken- häusern der Spitzenversorgung. Dies wird zur örtlichen und trägerorientier- ten Konzentration der Leistungen führen und damit zwangsläufig zur Schließung von Abteilungen oder ganzer Krankenhäuser.

Wohnortnahe Versorgung

Die Entwicklung spielt sich im Rahmen einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung ab. Die im Alter deutlich zunehmende Morbidität ist tendenziell mit einer abnehmenden Mobilität ver- bunden. Dies hat deutliche Auswirkun- gen auf die Art der Leistungserbringung und die damit verbundene künftige An- gebotsstruktur. Die zu erwartende wei- tere Verweildauerreduzierung bei ten- denziell immer älter werdenden, ver- mehrt allein lebenden und zunehmend dementen Pati- enten wird nachstationär ei- ne verstärkte ambulante ärztliche und pflegerische Betreuung erfordern.

Auch künftig ist mit einer Steigerung der vollstatio- nären Fälle zu rechnen, die per saldo höher sein werden als die sich entwickelnden oder geforderten substituti- ven Möglichkeiten der sta- tionären Krankenbehand- lung. Bisher hat noch jeder medizinische Fortschritt zu neuen Krankheitsbildern, neuen Diagnosemöglichkei- ten, neuen Behandlungs- möglichkeiten, neuen Medi- kamenten und neuen Kosten geführt. Dazu kommen noch eine höhe- re Lebenserwartung, eine sinkende Ge- burtenrate und ein negatives Beitrags- aufkommen.

Bei der weiteren Verkürzung der Verweildauer wird sorgfältig zu beach- ten sein, ob sie denn tatsächlich bei Be- trachtung des Gesamtsystems, das heißt aller Leistungssektoren, zu einer Aus- gabenreduzierung führt und nicht nur zu einer Ausgabenverlagerung bei gleichzeitiger Verschlechterung der Pa- tientenversorgung. Bettenabbau heißt nicht Leistungsabbau und ebenso wenig T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002 AA263

Grafik 2

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72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 Jahr

Quelle: Ernst Bruckenberger

Entwicklung der Investitionsquote aller zugelassenen Krankenhäuser von 1972 bis 2000

ab 1991 alte und neue Bundesländer

Die Investitionsquote aller zugelasse- nen Krankenhäuser (Hochschulkliniken, Plankrankenhäuser, Vertragskranken- häuser) ist zwischen 1972 und 2000 im Bundesdurchschnitt von 17 Prozent auf 9 Prozent gesunken. Dies ist ein objekti- ver Indikator für die zu geringe Investiti- onsförderung im Krankenhaussektor.

Um eine wie bei Industriebetrieben ver- gleichbare Investitionsquote von 20 Prozent zu erreichen, müssten die der- zeitigen jährlichen Investitionsmittel von etwa 10 Milliarden DM auf 20 bis 25 Milliarden DM aufgestockt werden.

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Ausgabenreduzierung. Kosten werden grundsätzlich nicht durch Betten, son- dern durch die an Patienten verordne- ten Leistungen verursacht. Die Zahl der vollstationären Fälle in einer redu- zierten Bettenkapazität wird vermut- lich ebenso zunehmen wie die dadurch ausgelöste Leistungsverdichtung für die im Krankenhaus Beschäftigten – eine Tatsache, die auch das Verhältnis zwi- schen den Beschäftigten und den Pati- enten beeinflussen wird.

Die Rolle der Krankenhäuser, ihrer Kapazitäten und Leistungsstrukturen wird vor allem davon abhängen, wie die Konflikte zwischen der Notwendigkeit einer wohnortnahen Versorgung der häufigsten Erkrankungen einerseits und der Konzentration der Angebots- struktur aus Gründen der Qualitätssi- cherung und der Wirtschaftlichkeit an- dererseits gelöst werden. Eine wohn- ortnahe Versorgung, bei der eine zeit- gemäße Qualität der Leistungserbrin- gung nicht gesichert werden kann, wird auch mit Zuschlägen nicht vermittelbar sein. Um die in diesem Zusammenhang zu erwartenden Konflikte mit vertret- baren Mitteln steuern zu können, ist es deshalb erforderlich, auch für die Zu- kunft nachvollziehbare und praktisch handhabbare Vorstellungen von dem Begriff „wohnortnahe Versorgung“ zu entwickeln.

Um den zu erwartenden Konflikt zwischen einer wohnortnahen Versor- gung, den Konzentrationsbestrebungen als Folge des neuen durchgängigen diagnosebezogenen Fallpauschalensy- stems und einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation im Interesse der betroffenen Patienten in Grenzen zu halten, liegt der Gedanke einer koope- rativen Regionalisierung der Kranken- versorgung nahe. Darunter ist eine en- ge sektorenübergreifende prozessori- entierte Zusammenarbeit der verschie- denen Leistungsanbieter (Kranken- haus, Praxis, Rehabilitationseinrichtun- gen und so weiter) einer Region zu ver- stehen. Betroffen sind vor allem Regio- nen, das heißt zwei oder mehr Land- kreise oder kreisfreie Städte, bei denen ein überdurchschnittlicher Austausch von Patienten stattfindet. Dies betrifft zum Beispiel Landkreise und kreisfreie Städte, bei denen eine Abwanderung von mehr als 20 Prozent der dort woh-

nenden Patienten in wohnortferne Ver- sorgungsschwerpunkte stattfindet. Nur durch eine kooperative Regionalisie- rung können Synergieeffekte beim Ein- satz von Personal und Apparaten ge- wonnen werden und Standorte kleiner Krankenhäuser im Interesse einer flächendeckenden Versorgung gesi- chert werden.

Krankenhaus im Wandel

Im neuen Jahrtausend werden im Kran- kenhaus Computer, Diagnosesysteme, Roboter und Mikrosystemtechniken herrschen. Was früher eine verletzbare Kunst des Arztes war, wird zunehmend zu einem perfekten technischen Pro- zess. Mit der Mechanisierung, Automa- tisierung, Virtualisierung und High- Tech-Medizin werden die Folgen der modernen Medizin deutlich. Die Ver- wissenschaftlichung hat ihren Preis. Er lautet Spezialisierung, Apparatisierung und Entpersönlichung der Arzt-Patien- ten-Beziehung. Der Begriff „Kranken- haus“ wird einen grundsätzlichen Be- deutungswandel erfahren.

Diese medizinisch-technische Ent- wicklung wird immer stärker von den Auswirkungen und Möglichkeiten der freien Marktwirtschaft und der Globali- sierung beeinflusst. In der Wettbe- werbsgesellschaft ändern sich immer schneller die Bedingungen der Lei- stungserbringung und -inanspruchnah- me. Die Forderung nach Wirtschaftlich- keit und Qualitätssicherung der im Krankenhaus erbrachten Leistungen in Verbindung mit innovativen Lösungen wird unter diesen Voraussetzungen im Interesse der Patienten zwangsläufig zunehmen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 261–264 [Heft 5]

Anschrift des Verfassers:

Leitender Ministerialrat Dr. jur. Ernst Bruckenberger Lehrbeauftragter an der Medizinischen Hochschule Hannover

Hitzackerweg 1a 30625 Hannover www.bruckenberger.de

Dieser Grundsatzbeitrag ist dem Geriatrischen Zentrum Göttingen anlässlich seiner Inbetriebnahme am 17. Okto- ber 2001 gewidmet.

T H E M E N D E R Z E I T

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A264 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002

Mit dem Gesetz zur Einführung eines diagnose- orientierten Fallpauschalensystems für Kranken- häuser („Fallpauschalengesetz“), das der Bundes- tag am 14. Dezember 2001 beschloss, wird sich der Bundesrat abschließend am 1. Februar befas- sen. Die Einführung des Vergütungssystems auf der Basis von Diagnosis Related Groups (DRGs) soll sich in einem Überleitungsprozess bis zum Jahresende 2006 nach den zeitlichen Vorgaben auf Selbstverwaltungsebene vollziehen. In den Jahren 2003 und 2004 werden die Fallpauschalen budgetneutral eingeführt, das heißt, sie werden zwar abgerechnet, die wirtschaftliche Situation der Kliniken wird jedoch weitgehend noch von den nach herkömmlicher Methode vereinbarten Kran- kenhausbudgets bestimmt. 2005 und 2006 erfolgt eine stufenweise Heranführung der Fallpauscha- len-Preise auf das landesweite Preisniveau (Basis-

fallwert), sodass zum 1. Januar 2007 die Leistun- gen aller Krankenhäuser grundsätzlich gleich ver- gütet werden (Festpreise). Das DRG-Fallpauscha- len-Entgeltsystem startet am 1. Januar 2003 als Option, also auf der Grundlage einer freien Ent- scheidung der Krankenhausträger. Das Gesetz stellt klar, dass in der Anfangsphase auch hilfswei- se auf die australischen Bewertungsrelationen zurückgegriffen werden kann, falls diese noch nicht ausreichend auf das deutsche System adap- tiert wurden. Die dreistufige Angleichung der un- terschiedlichen Krankenhausbudgets an das lan- deseinheitliche DRG-Preisniveau (jeweils zum 1.

Januar der Jahre 2005, 2006 und 2007) vollzieht sich auf der Grundlage einheitlicher Preise, auf die das Krankenhaus Anspruch hat; ein freiwilliger Verzicht ist möglich.

Die politische Forderung einer beitragsstabilen Ausgabenentwicklung gilt wie bisher auch im Krankenhaussektor. Im Mittelpunkt der Ausga- bensteuerung stehen ab 2005 nicht mehr Budget- abschlüsse, sondern die Preishöhe (Basisfallwert) und die regelmäßige Überprüfung und Fortschrei- bung der Leistungskalkulationen (Bewertungsre- lationen). Es ist eine Zuschlagsregelung zur Siche- rung bedarfsgerechter, wohnortnaher Versor- gungsstrukturen vorgesehen, wobei die Länder die Voraussetzungen für leistungsbezogene Zu- schläge festlegen können. Krankenhäuser und Krankenkassen können im Einvernehmen mit dem Land Vereinbarungen über die Leistungsstruktur und Änderungen des Versorgungsauftrages ver- einbaren. Die Krankenhäuser werden verpflichtet, regelmäßig Qualitätsberichte zu veröffentlichen.

Es sind Mindestmengen für planbare Leistungen vorzugeben, bei denen ein Zusammenhang zwi- schen Quantität und Qualität besteht. HC

Krankenhäuser

Fallpauschalen

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