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Archiv "Wettbewerb im Gesundheitswesen: Was sich nicht rechnet, findet nicht statt" (13.07.2009)

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Eliot Freidson zufolge ist die Auto- nomie die entscheidende Energie- quelle von Profession („the very soul of professionalism“). Da der Gestal- tungsspielraum der Ärztinnen und Ärzte kleiner wird, stimmen diese mit den Füßen ab – ein Trend, der Land und Leuten noch wehtun wird.

Vielleicht gibt es aber auch Wege zur Schadensbegrenzung. Das setzt vor- aus, dass die Zielkonflikte, denen Ärzte im Wettbewerb unterliegen, beim Namen genannt werden.

Jeder Arbeitnehmer hat seinem Dienstherrn bei der Verfolgung der Unternehmensziele zu dienen (solan- ge keine Gesetze verletzt werden).

Was aber, wenn der Angestellte er- kennt, dass die Interessen des Arbeit- gebers dem Gemeinwohl schaden?

Der Industriearbeiter fragt: Was ist, wenn mein Produkt Vorsprung bringt, aber Menschen gefährdet

(zum Beispiel Medikamente mit Ri- siken)? Der Journalist hat abzuwä- gen: Was ist, wenn meine Schlagzei- le Leser bringt, aber Hass schürt?

Der Arzt hat zu entscheiden: Darf ich Patienten aufnehmen, die vorherseh- bar das ihnen zugedachte Budget sprengen werden, weil ihre Diagno- sen nicht „wertschöpfende“ Behand- lungen nach sich ziehen? Mancher- orts ist es schon so weit, dass Ärzte mit ihren Geschäftsführern darum feilschen, wie viele „unrentable“ Pa- tienten sie aufnehmen dürfen.

Aber gut ist nicht nur, was dem

„Unternehmen Krankenhaus“ Profit bringt, sondern auch, was den Men- schen eine gute Gesundheitsversor- gung, den Patienten bedarfsgerechte Angebote und den Mitarbeitern gute Arbeitsplätze verschafft. Dies ver- schlechtert zunächst den Ertrag und die Zukunftsfähigkeit des Unterneh- WETTBEWERB IM GESUNDHEITSWESEN

Was sich nicht rechnet, findet nicht statt

Die Politik hat dem Gesundheitswesen mehr Wett- bewerb verordnet.

Daraus ergeben sich erhebliche Zielkonflikte für die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern.

Ottmar Leidner

D

ie Frage, ob Wettbewerb in der Heilkunde überhaupt Sinn macht, ist obsolet geworden. Wettbe- werb im Gesundheitswesen ist poli- tisch gewollt, wird gefördert und ist in weiten Bereichen längst Realität.

Die Frage muss stattdessen lauten:

Wie kann man die schädlichen Ne- benfolgen von Privatisierung und Wettbewerb begrenzen?

Dabei sollen die positiven Effekte des Wettbewerbs auf die Kranken- hausversorgung nicht kleingeredet werden: Das Angebot hat sich ver- bessert, die Wartezeiten sind kürzer, der Ton gegenüber den Patienten ist freundlicher geworden. Zudem wur- den Arbeitsabläufe patientenfreund- licher organisiert und beschleunigt – manche einfache und pfiffige Lö- sung ist erst unter Einspardruck ent- standen. Auch der gestiegene Druck auf die Aktualisierung von Wissen und Technik ist nützlich.

Die Kehrseite des Wettbewerbs wird aber auch immer offensichtli- cher: Alle Anbieter konzentrieren sich auf die einträglichen Felder, und diese ziehen weitere Investoren an, die Renditen erzielen wollen. Was sich nicht rechnet, findet nicht statt.

Der Preiskampf führt zu ständigem Einsparungsdruck. Dadurch „ver- schlankt“ sich die Leistung und ver- schärft sich das Tempo bis an die Grenzen des Verantwortbaren. Dar- aus ergeben sich Risiken für die Pati- enten und die Ärzte. Wer das an- mahnt, gilt als Jammerlappen. Man klagt nicht, man macht seine Arbeit – oder man geht, aber leise. 40 bis 50 Prozent der approbierten Ärztinnen und Ärzte landen heutzutage nicht mehr in der Klinik oder Praxis.

Dem 2005 verstorbenen US-ame- rikanischen Professionssoziologen

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mens. Spontan wird ein Unterneh- men im Wettbewerb immer nur das tun, was sich rechnet. Alles andere muss vom Gesetz oder von der öf- fentlichen Meinung durchgesetzt werden, damit es für alle gilt.

Es gibt einen permanenten Loya- litätskonflikt zwischen den Interes- sen des Krankenhauses und denen der Patienten. Dies lässt sich zuge- spitzt am Beispiel der Fallpauschale darlegen: Sind Ärzte aus Treue zu ihren Arbeitgebern verpflichtet, kos- tenbewusst zu arbeiten, indem sie für eine Fallpauschale möglichst wenig Ressourcen einsetzen (wenig Zeit, wenig Geld), damit das Betriebser- gebnis möglichst hoch ausfällt? Oder sind sie aus Pflichtbewusstsein ihren Patienten gegenüber zu Wirtschaft- lichkeit in einem anderen Sinn ver- pflichtet, nämlich für die Fallpau- schale eine möglichst optimale Leis- tung zu erbringen, damit möglichst viel von dem Geld auch beim Patien- ten ankommt? Bin ich als Chefarzt verpflichtet, die Leistung der Abtei- lung mit möglichst wenig Personal zu erbringen, also möglichst Stellen einzusparen, um das wirtschaftliche Ergebnis zu steigern? Oder bin ich dann ein guter Chef, wenn ich der Geschäftsführung jeden möglichen Euro abringe, um die Leistungs- fähigkeit meines Teams langfristig zu sichern – etwa durch eine gute Einarbeitung, Supervision und hu- mane Arbeitszeiten?

Hat ein Chefarzt, der morgens in den Börsennachrichten erfährt, dass seine Klinikgruppe ein Rekordergeb- nis eingefahren hat, Grund, sich auf die Schulter zu klopfen? Oder hadert er mit sich, weil er nicht mehr finan- zielle Mittel für die Versorgung sei- ner Patienten abgezweigt hat? Da wird viel Geld aus der solidarisch fi- nanzierten gesetzlichen Krankenver- sicherung auf die Konten von Ak- tionären verschoben, das in der klini- schen Arbeit am Patienten besser hät- te eingesetzt werden können.

Letztlich geht es um das Verhält- nis von Leistung und Gegenleistung.

In der freien Wirtschaft ist dies im Idealfall ein fairer Kompromiss. In der Klinik wird die Balance dadurch gestört, dass die Leistung zwischen Arzt und Patient erbracht und die Ge- genleistung zwischen der Verwal-

tung und der Krankenversicherung geregelt wird. Ärzte sollten sich als Anwälte ihrer Patienten ein klares Bild davon verschaffen, wie viel Ge- winn ihre Klinik erwirtschaftet und wohin der Gewinn fließt. Sie brau- chen diese Information für die tägli- chen Kompromisse und für schwieri- ge Entscheidungen.

Ein besonderes Thema ist die Ge- winnbeteiligung von Ärzten. Sie ver- lagert das Dilemma zwischen wirt- schaftlichem Betriebsergebnis und Rücksichten auf Gemeinwohl, Pati- enten und Mitarbeiter in das Porte- monnaie der Ärzte. Die niedergelas- senen Kollegen kennen das Problem.

Aus Sicht der Kaufleute ist die Ein- bindung der Ärzte naheliegend: Es entlastet sie von der Rolle der einzi- gen Buhmänner im Unternehmen und konfrontiert die Ärzte mit der ba- nalen, aber harten Realität, dass nur der Euro ausgegeben werden kann, der eingenommen wird.

Zwei Probleme werfen Gewinn- beteiligungen auf jeden Fall auf. Sie fördern erstens die Bereitschaft, die Schlagzahl des Teams noch schneller ans Limit zu führen und ständig dort zu halten. Für diese Grenze gibt es nach heutiger Struktur nur drei Para- meter: stressbedingte Fehler am Pati- enten, sinkende Patientenzufrieden- heit und explodierender Kran-

kenstand unter den Mitarbeitern. Das zweite Problem ist subtiler und in Deutschland noch kein offenes The- ma. Es gibt bei Patienten ein grund- legendes Misstrauen gegenüber den wirtschaftlichen Verflechtungen zwi- schen Klinikträgern und der Ärzte- schaft. Deutlich abzulesen ist das zum Beispiel an der Konnotation, am

„Gschmäckle“ des Begriffs „Privat- klinik“ in Fernsehserien und der Boulevardpresse. Man rechnet da- mit, dass dort auch Dinge getan wer- den, die medizinisch nicht unbedingt nötig wären. Im Fall der „Schönheits- chirurgie“ und der „Botox-Partys“

nimmt man das schmunzelnd hin.

In einer südafrikanischen Klinik hängt ein Plakat mit folgendem Text:

„For Your Peace of Mind: No doctor working in this hospital has any di- rect financial interest in the hospital.“

Dies impliziert, dass man einer Kli- nik mehr vertrauen kann, wenn ärzt- liche Leistung und wirtschaftlicher Erfolg möglichst unabhängig von- einander sind. Der Soziologe Bruno Hildenbrand gibt Hinweise dafür, dass das eine uralte Sorge der Men- schen sein dürfte. Offenbar erwarten weltweit in vielen Kulturen bis heute Kranke, zumindest unbewusst, von den „Heilern“, dass diese ihre Auf- gabe ohne Rücksicht auf eigene Gewinnmaximierung erfüllen. Für Richter, Heiler, Seelsorger und ande- re Professionen haben einige Kultu- ren aus diesem Grund das Konzept der Alimentierung (also der Sicher- stellung eines ausreichenden Ein- kommens) anstelle von Einzelleis- tungsvergütung erfunden und ge- pflegt. Dieses Prinzip ist einem leis- tungs- und marktbasierten Gesund- heitswesen wesensfremd, denn es fördert Leistung nicht nach Maß und Zahl. Aber ist das nicht genau eine der Fallen des Wettbewerbs? Sätti- gung der Nachfrage ist beim Thema Gesundheit nicht wirklich zu be- fürchten. Ärzte tun wohl gut daran, das Bedürfnis nach sauberer Tren- nung ernst zu nehmen.

In diesem Konfliktfeld zieht ein neues Thema herauf, das in Deutsch- land erst allmählich Fahrt aufnimmt, in den USAaber schon als regelungs- bedürftig angesehen wird: der Inter- essenkonflikt von Ärzten, die Anteile an Unternehmen der Gesundheits-,

Immer seltener möglich:

die persönliche Begegnung, die vielen Ärzten hilft, die tägliche Belastung zu ertragen.

Foto:Laif Foto:Visum

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Pharma- oder Medizinprodukteindus- trie besitzen. Ist ein Arzt wirklich un- abhängig, wenn er Aktien besitzt, de- ren Wert er durch Promotion eines Untersuchungs- oder Behandlungs- verfahrens steigern kann? Wenn ein Krebsspezialist an einer Firma betei- ligt ist, die ein neues Chemothera- peutikum entwickelt und erprobt und diese Firma in Nöte gerät und der Nachweis guter Effekte des Präpa- rats die Firma retten würde, bedarf es schon eines starken Charakters, um Wahrnehmungsfilter bei der Indika- tionsstellung und der Heilerfolgsbe- wertung ganz auszuschließen. Die auch in Deutschland zunehmenden Ausgründungen von Hightechfirmen aus Universitätsinstituten werden auf solche Interessenkonflikte achten müssen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen: „Wes’ Brot ich ess, des’

Lied ich sing.“

Ärzte, die bei Wirtschaftsunter- nehmen angestellt sind, machen sich streng genommen der Untreue schul- dig, wenn sie Betriebsinterna preis- geben – auch wenn es sich dabei um diagnostische oder therapeutische Verbesserungen der Patientenversor- gung handelt. Dem Autor ist zwar kein Fall bekannt, in dem die Weiter- gabe von diagnostischen oder thera- peutischen Verbesserungen zu jus- tiziablen Untreuevorwürfen geführt hätte. Jedoch gibt es in der Regel ei- ne unausgesprochene „Unterneh- menskultur“, wie weit man andere

„gucken“ lässt, wie weit eine Klinik Hospitationen zulässt, wie sie leiten- de Mitarbeiter in externe Arbeitskrei- se delegiert und wie offen diese dann dort reden dürfen.

Fakt ist, dass man sich nur noch in wenigen fachlichen Gremien offen über klinikinterne Schwierigkeiten und Lösungen austauscht. Die Stim- mung ist eher: Sollen die anderen sich doch selbst anstrengen, ich kann doch meinen mühsam erarbeiteten Wettbewerbsvorsprung nicht einfach verschenken. Wer weiß, wo ich mei- ne vertraulich gegebenen Informa- tionen am Ende wiederfinde. Wenn einige in solchen Runden immer nur zuhören und Information abgreifen, aber selbst wenig oder nur Geglätte- tes einbringen, dann sinkt die Bereit- schaft der anderen zur offenen Rede rasch. Der Wettbewerb entzweit so

auch Ärzte untereinander. Er macht sie zu Konkurrenten, er bringt den Keim des Misstrauens ins Spiel. Da- bei wäre schnelle offene Kommuni- kation mit anderen Kliniken unend- lich wichtig, um schnell zu lernen, um sich schnell über gute Neuent- wicklungen und aktuelle Widrigkei- ten auszutauschen und neuen Gefah- ren begegnen zu können.

Ärzte müssen akzeptieren, dass der Druck zur Kostensenkung da ist.

Den denken sich die Geschäftsführer nicht aus, sie überbringen nur die schlechte Nachricht, die sich aus dem politisch gewollten Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern er- gibt. Wie im Sport dreht sich im Wettbewerb die Spirale immer wei- ter. Es geht immer noch schneller, ef- fizienter, günstiger, mit noch weni- ger Personal oder mit günstigerem, weil weniger qualifiziertem Perso- nal. Fallzahl rauf, Verweildauer run- ter, noch eine Aufgabe, noch ein Pro- jekt. Und tatsächlich, es geht ja. Die Einführung der Fallpauschalen hat die Verweildauern massiv gesenkt.

Aber es gibt Nebenfolgen: Tempo er- höht die Fehlerrate. Wenn Fehler- meldesysteme ernsthaft betrieben werden, wird es offenbar: Personal- mangel und Taktrate zählen zu den häufigsten Fehlerursachen. Mitar- beiter sind keine Maschinen. Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten haben heute das Gefühl, dass es nur noch um Tempo und Geld geht, um Ein- sparungen, um „Effektivität“, und darum, dass die Kostenschraube im- mer weiter angezogen werden wird.

Geschwindigkeit schafft Fließ- bandgefühle. Was vielen Ärzten und Pflegekräften am meisten hilft, ihre beruflichen Belastungen zu ertragen, wird immer seltener möglich: die persönliche Begegnung mit dem lei- denden Menschen, das Ausüben von Kunst in Diagnostik und Therapie, die leidenschaftliche Suche nach Lö- sung oder Linderung. Patienten ha- ben Ängste. Sie haben Fragen, sie stehen nicht selten in speziellen Si- tuationen, die aufwendige Modifika- tionen des üblichen Vorgehens erfor- dern. Für die Ärzte und Pflegekräfte bedeutet das immer wieder: Zuhören und Herausfinden, was diesem Men- schen, der da vor mir sitzt oder liegt, wichtig ist. Gespräche über Chancen, über Leben und Zukunft, über Behin- derung und Sterben brauchen Zeit.

Einen Moment innehalten.

Der Wettbewerb kennt keine Brem-

se. Bremsen müssen die Ärzte.

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tragen. Dazu gehört das Durchsetzen ausreichender Stellenpläne; das Durchsetzen ordentlicher Gehälter (ohne wettbewerbsfähige Vergütun- gen sind nur wenige gute Mitarbeiter zu gewinnen); das Durchsetzen von Stellenbesetzungen (Stellenvakan- zen belegen scheinbaren Überfluss, wenn die Last der Vertreter nicht ständig gemeldet wird); das Durch- setzen hoher Sicherheitsstandards in Hygiene und Arbeitsschutz sowie die Klärung, wie viel Diagnostik er- bracht werden muss, wenn sie zwar geboten erscheint, aber nicht in den unmittelbaren Auftrag fällt und bis nach der Entlassung Zeit hätte. Im Fall „erfolgsabhängiger“ Bezahlung sollten Ärzte auch auf die verwende- ten „Erfolgskriterien“ achten. Kenn- zahlen müssen ethische Aspekte mit einbeziehen und nicht nur den mo- netären Gewinn der Klinik.

Daraus resultiert eine klare Forde- rung an die Kaufleute: Die leitenden Ärztinnen und Ärzte brauchen Transparenz und Einblick in die Ge- winn- und Verlustrechnung. Chef-

ärzte und Pflegedienstleiterinnen, die ihre Teams mit Einsparungen quälen, müssen wissen, wofür. Schließlich müssen sie bei den Mitarbeitern um Verständnis werben und vermitteln.

Denn es gibt ja auch den Fall, dass die Einsparungen einen Verkauf vorbe- reiten sollen oder einem Kapitalgeber eine unanständig hohe Umsatzrendite verschaffen sollen, und dafür werden Chefärzte und Pflegedienstleitende nicht leicht Personal und Einkommen opfern wollen. Dann können sie im Interesse der Patienten sogar zum Wi- derstand verpflichtet sein. Dann wird es ernst mit dem Untreuekonflikt. Im Normalfall, für den ständigen, den alltäglichen Verteilungsstreit, gilt eher die mildere Regel: Wenn es zwi- schen Ökonom und Mediziner keine Reibung mehr gibt, macht einer von beiden seinen Job nicht gut. So nor- mal, so immanent ist dieser Konflikt.

Je klarer Geschäftsführer ihren Chefärzten und Pflegedienstleitun- gen die Rechtsform und die Bilanzen des Unternehmens transparent ma- chen, umso weniger wird sich Miss- trauen entwickeln können. Ge- schäftsführer geben dabei eines ihrer größten Machtmittel auf, aber das kann Vertrauen schaffen.

Standesvertreter brauchen Unter- stützung bei der Suche nach Regeln, mit denen die Gefahrgrenze bei Per- sonaleinsparungen erkannt werden kann. Die Krankenhausgesellschaf- ten sind in diesem Punkt vom Wett- bewerb weitgehend entmachtet wor- den. Die bestehenden Personal- schlüssel werden durch den Wettbe- werb immer mehr ausgehebelt. Es braucht eine Drehzahlbegrenzung durch die Neuberechnung und Wie- dereinführung von Stellenschlüsseln – eine schwierige Aufgabe. Rücken- wind dafür könnte aus der aktuellen Initiative zur Patientensicherheit kommen. Die Initiative fordert Gre- mien, die die Sicherheitsrisiken in Kliniken analysieren. Das größte Ri- siko ist überfordertes und fehlendes Personal. Dafür gibt es harte Daten.

Sehr hilfreich im alltäglichen Entscheidungsdruck, jedoch nicht üblich, ist der regelmäßige Aus- tausch von drei bis fünf vertrauten, aber unternehmensfremden Kolle- gen mit ähnlichem Aufgabenfeld zur „Intervision“ – also zur kolle- Sie zehren an der Kraft, und brauchen

Einfühlung und Training – nicht im- mer, aber dort, wo es nötig ist , dürfen sie nicht unter die Räder kommen.

Medizin darf dort, wo sie über Routi- ne und Handwerk hinausgehen muss, nicht durch die Schlagzahl, durch die Effizienzvorgaben überrollt werden.

Der Wettbewerb kennt keine Bremse.

Bremsen müssen die Ärzte. Niemand sonst wird das tun.

Qualität ist nicht deshalb ein so bedeutsames Schlagwort, weil mög- lichst hohe Qualität gewünscht ist.

Nein, Qualität muss gesichert wer- den, weil alle in einem permanenten Preiswettkampf stehen. Und natür- lich kann deram günstigsten anbie- ten, der die niedrigsten Personalkos- ten hat, weil diese den weitaus größ- ten Kostenblock ausmachen. Wer mit den wenigsten und den günstigsten Leuten das Ziel erreicht, der kann sein Produkt günstiger anbieten oder hat bei gleichem Marktpreis den höchsten Gewinn. Das bedeutet, dass Kliniken immer in der Versuchung stehen, Arbeit auf günstigere Berufs- gruppen zu verlagern. Blut abneh- men müssen die Pflegekräfte, weil deren Arbeitsstunde weniger kostet als eine Arzt-Arbeitsstunde. Klini- ken werden möglichst unerfahrene Ärzte einstellen, wenn der Tarifver- trag die erfahrenen teurer macht. Sie werden Tarifverträge umgehen ler- nen, wenn das Geld einspart. Sie werden, um es kurz zu machen, den günstigsten Weg suchen, der gerade noch die notwendige Qualität sicher- stellt, ab der es gefährlich wird oder erkennbar schlecht. Qualitätssiche- rung hat zum Ziel, die notwendige Qualität mit möglichst wenig Res- sourceneinsatz zu gewährleisten.

Pointiert gesagt: Qualitätssicherung unterstützt die Suche nach der nied- rigsten, gerade noch zielführenden Qualität. Und weil man Qualität vor- täuschen kann, mussten Qualitäts- kontrollen und jede Menge Doku- mentation eingeführt werden.

Ärzte sehen sich täglich mit Ent- scheidungen und Aufgaben konfron- tiert, die latent Treuekonflikte in sich

Foto:Visum Foto:Laif

Teure Diagnose? Ärzte und Geschäftsführer feilschen darum,

wie viele „unrentable“ Patienten aufgenommen werden.

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gialen Supervision auf gleicher Ebene, etwa mit der Methode der

„kollegialen Beratung“. Solche In- tervisionsrunden funktionieren um- so besser, je mehr das rivalisierende

„diese Probleme kenne ich nicht“

aufgegeben werden kann. Das setzt Vertrauen voraus – absolute Ver- traulichkeit ohnehin. Der Austausch zum Beispiel darüber, ob das geneh- migte Budget, ob die bewilligten Stellen überhaupt verantwortbares Arbeiten erlauben, ist selbstver- ständlich notwendiges „Benchmar- king“. Das Verbot in Dienstverträ- gen, über diese Belange mit Unter- nehmensfremden zu kommunizie- ren, wird von Ärzten übererfüllt.

Ärzte müssen sich klarmachen, dass die Empfehlung an Patienten, eine Zweitmeinung einzuholen oder das Eingeständnis nicht ausreichen- der Kompetenz keine Untreue ge- genüber dem Arbeitgeber darstellt, im Gegenteil. Der Wettbewerb ver- ändert auch die Außendarstellung, und selbstkritische Berichte von ärzt- licher Arbeit werden zunehmend von marketingorientierten Hochglanz- präsentationen abgelöst. Aber die ei- gentliche Gefahr liegt in den klini- schen Alltagsentscheidungen, denn unter Wettbewerbs- und Spardruck fällt es immer schwerer, das Wohl des Patienten ganz oben zu sehen.

Die Freiräume schwinden. Für ihren Schutz und für das Handeln unter Wettbewerbsbedingungen brauchen Ärzte daher ohne Zweifel neue Re- geln, und diese formulieren sich erst langsam und gegen systemimmanen- te Widerstände. Nötig wären sie vor allem zum Schutz der Patienten, aber auch zur Burn-out-Prävention bei Krankenpflegekräften, Ärzten und Therapeuten. Die Zeit ist günstig, denn noch ist unklar, wer diese Re- geln eigentlich schreiben könnte: Die Betroffenen? Medizinethiker? Wirt- schaftsethiker? Professionssoziolo- gen? Oder die ärztlichen Standesver- treter mit allen zusammen? Unter- stützung wird hiermit erbeten.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2009; 106(28–29): A 1456–0

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Ottmar Leidner Luststraße 4, 07639 Bad Klosterlausitz E-Mail: LeidnerCO@t-online.de

W

ir leben in der Medizintech- nikbranche im Unterschied zu anderen Wirtschaftszweigen noch auf einer Insel der Seligen“, konstatierte Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer- Gesellschaft, bei der „Zukunftskon- ferenz Medizintechnik“ Ende Juni in Jena*. Fraunhofer selbst hat im vergangenen Jahr 1 400 neue Mitar- beiter eingestellt und verzeichnet auch 2009 bereits einen Zuwachs von 400 Mitarbeitern.

Generell blickt die Branche trotz Wirtschaftskrise noch optimistisch in die Zukunft, denn die Experten pro- gnostizieren für 2009 eine moderate Fortsetzung des bisherigen Wachs- tumskurses, und weltweit steigt die Nachfrage nach medizintechnischen Produkten. Allein 2008 erwirtschaf- tete die deutsche Medizintechnikin- dustrie 18,7 Milliarden Euro; dabei betrug der Auslandsumsatz mit rund 10 Milliarden Euro mehr als die Hälf- te des Gesamtumsatzes. Mit einem

Weltmarktanteil von circa zehn Pro- zent rangiert Deutschland auf Platz 3 hinter den USA und Japan, bei Paten- ten sogar auf Rang 2 nach den USA.

„Die Medizintechnikbranche ist das Rückgrat der Gesundheitswirtschaft und ein echter Jobmoter“, erklärte Cornelia Quennet-Thielen, Staats- sekretärin im Bundesforschungsmi- nisterium (BMBF). Derzeit seien hier knapp 100 000 Mitarbeiter in 1 250 vorwiegend mittelständisch gepräg- ten Unternehmen beschäftigt.

Sieben Schlüsseltechnologien Im Rahmen der Hightechstrategie der Bundesregierung stellt das BMBF rund 25 Millionen Euro pro Jahr für die Förderung von For- schung und Entwicklung in der Me- dizintechnik zur Verfügung. Nach ei- ner Umfrage des Ministeriums gel- ten vor allem sieben Schlüsseltech- nologien als besonders innovativ:

Bio- und Zelltechnologie, Mikrosys- temtechnik, Informationstechnolo- MEDIZINTECHNIK

Strategien für die Zukunft gefragt

Die „Jenaer Erklärung“ fordert einen intensiveren Dialog von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über die techni- schen und wirtschaftlichen Potenziale der Medizintechnik.

* Veranstalter:

Bundeswirtschafts- ministerium, Bundesforschungs- ministerium, Thüringer Ministe- rium für Wirtschaft, Technologie und Arbeit, die Branchenverbände BVmed, Spectaris, DGBMT, ZVEI sowie medways Das Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin an der Charité in Berlin betreut kardiologische Hochrisikopatienten.

Foto:Charité

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