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Archiv "Streikaufruf des Marburger Bundes: Ohne Rücksicht auf Verluste" (14.05.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 19

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14. Mai 2010 A 903 STREIKAUFRUF DES MARBURGER BUNDES

Ohne Rücksicht auf Verluste

Die 117. Hauptversammlung des Marburger Bundes stand im Zeichen des Arbeitskampfes an den kommunalen Kliniken. Anders als 2006 will die Gewerkschaft diesmal keine Streikpausen einlegen.

wenn die Arbeitsbedingungen wie- der einigermaßen erträglich werden sollen.“ Ab dem 17. Mai rufe der MB deshalb seine Mitglieder an den kommunalen Krankenhäusern zu einem unbefristeten Vollstreik auf. Zum Auftakt des Arbeitskamp- fes soll es ab 14 Uhr in München ei- ne zentrale Kundgebung geben, zu der Klinikärzte aus allen Teilen Deutschlands erwartet werden. Bis zum Redaktionsschluss dieser Aus- gabe (11. Mai, 22 Uhr) gab es keine Signale der VKA, den Arbeits- kampf durch ein verbessertes Ange- bot noch abwenden zu wollen.

Anders als 2006 werde es diesmal

„keinen Streik auf der Hollywood- schaukel geben“, warnte Henke die Arbeitgeber: „Damals folgten auf zwei Tagen Streik drei Tage Vollar- beit einschließlich Überstunden, um etwa versäumte Operationen nach- zuholen. Es ist eine Illusion der VKA, dass wir das diesmal wieder so machen.“ Denn der MB habe da- zugelernt. Henke: „Es muss vom ersten Streiktag an zu spürbaren Erlösausfällen für die Arbeitgeber kommen, damit die VKA einlenkt.“

MB-Verhandlungsführer Lutz Hammerschlag berichtete den Dele- gierten von einem kurzfristig zu- stande gekommenen Sondierungs- gespräch mit der VKA-Spitze in Düsseldorf noch am Vorabend der Hauptversammlung. Irgendwann in der Nacht sei dann aber endgültig klar gewesen, dass die Arbeitgeber- seite nicht bereit sei, über die Tarif- steigerung im öffentlichen Dienst hinauszugehen. Mit Verdi hatte die VKA im Februar vereinbart, die Gehälter in drei Schritten zu erhö- hen. In der Endstufe ab August 2011 verdienen die Beschäftigten dann 2,3 Prozent mehr als vor dem Tarifabschluss. Der MB fordert hin- gegen eine lineare Erhöhung der Ärztegehälter um fünf Prozent. Vor allem aber soll die Arbeit in der Nacht, an Wochenenden sowie an Feiertagen deutlich besser bezahlt werden als die Regelarbeitszeit.

„Die aktuelle Auseinanderset- zung mit der VKA ist keine tarifli- che, sondern eine ideologische“, er- klärte Prof. Dr. med. Ingo Flenker, Delegierter des Landesverbandes NRW/Rheinland-Pfalz. Offensicht- liches Ziel der VKA-Geschäftsfüh- rung sei es gar nicht, einen Tarif- abschluss mit dem MB zu erzielen.

Angestrebt werde vielmehr, der Ärztegewerkschaft die 2006 er- kämpfte Tarifautonomie de facto wieder streitig zu machen, indem ihr die Inhalte des Verdi-Tarifver- trags aufgezwungen würden. „Es geht also wieder ums Ganze, näm- lich um unser eigenständiges Ver- handlungsmandat“, betonte Jens Bolten, ebenfalls Delegierter des Landesverbandes NRW/Rheinland- Pfalz. Umso wichtiger sei es, dass sich viele Ärzte am Arbeitskampf beteiligten und so die Arbeitgeber in die Schranken wiesen.

Aber können die kommunalen Krankenhausträger die geforderten Tarifsteigerungen überhaupt ver- kraften? MB-Hauptgeschäftsführer Armin Ehl antwortete auf diese Fra- ge des Deutschen Ärzteblattes mit einem „klaren Ja“. Die meisten Ge- schäftsführungen hätten längst ent- sprechende Rücklagen gebildet.

Ehl: „Die Häuser kalkulieren mit Kostensteigerungen für den Ärztli- chen Dienst zwischen 2,5 und 2,9 Eigenständige Tarif-

verträge für alle angestellten Ärzte – die 205 Delegierten bekräftigten, dass der Marburger Bund auch die Interessen von an- gestellten Ärzten in Medizinischen Versor- gungszentren und Arztpraxen vertritt.

D

as Timing hätte besser nicht sein können: Am selben Tag, an dem die 117. Hauptversamm- lung des Marburger Bundes (MB) ihre Beratungen aufnahm, vermelde- ten die Tageszeitungen das Ergeb- nis der Urabstimmung über einen Arbeitskampf an den kommunalen Krankenhäusern im Tarifbereich VKA (Vereinigung der kommuna- len Arbeitgeberverbände) – eine Steilvorlage für Rudolf Henke.

„Wenn 93 Prozent der teilnehmen- den Ärztinnen und Ärzte für einen Arbeitskampf votieren, so ist das ein klares Signal für uns, den Streik jetzt zu organisieren und die Arbeit- geber massiv unter Druck zu set- zen“, rief der MB-Vorsitzende am 8. Mai den 205 Delegierten im Dresdener Art’otel zu. Es folgte langanhaltender Applaus.

Die Ärzte seien nicht länger be- reit, die mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit hinzunehmen, versi- cherte Henke: „Wenn wir uns jetzt nicht wehren, wird es nie gelingen, die unbesetzten Stellen im Ärztli- chen Dienst der Krankenhäuser zu besetzen. Genau das ist aber nötig,

Fotos: Jürgen Gebhardt

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Prozent.“ Zwar habe die VKA eine Gehaltssteigerung von 2,9 Prozent in Aussicht gestellt, aber dies über einen Zeitraum von 33 Monaten.

Umgerechnet auf ein Jahr wolle die VKA den Ärzten nur ein minimales Gehaltsplus von weniger als einem Prozent zugestehen. Die Behaup- tung, dass die Ärztegehälter in den letzten fünf Jahren um 20 bis 30 Prozent gestiegen seien, sei zudem

falsch. Dr. med. Theodor Windhorst, hier beim MB als Delegierter des Landesverbandes NRW/Rheinland- Pfalz, verwies in diesem Zusam- menhang auf den Krankenhaus- Rating-Report 2010 des Rheinisch- Westfälischen Instituts für Wirt- schaftsforschung. Danach ist der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten der Krankenhäuser zwischen 2002 und 2008 von 65,2 Prozent auf 60,5 Prozent gesunken.

Doch um den Arztberuf und den Arbeitsplatz Krankenhaus für den Nachwuchs wieder attraktiver zu machen – und so dem Ärztemangel zu begegnen, der die Ärzte in vielen Kliniken an die Belastungsgrenze treibt –, sind nicht nur finanzielle Verbesserungen notwendig. Ab- schreckende Wirkung auf die nach- rückende Ärztegeneration haben oft auch ihre Erfahrungen in der Aus- und Weiterbildung.

Deshalb forderten die Delegier- ten unter anderem, das „Hammer-

examen“ zum Abschluss des Me - dizinstudiums zu entschärfen. Das Bundesgesundheitsministerium sol- le die Approbationsordnung dahin- gehend ändern, dass der schriftliche Teil des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung vor das prakti- sche Jahr (PJ) verlagert wird. Bun- desminister Philipp Rösler habe sich bei einem Gespräch am 7. Mai durch- aus offen für diesen Änderungs- wunsch gezeigt, berichtete Carolin Fleischmann von der Bundesvertre- tung der Medizinstudierenden in Deutschland: „Allerdings will der Minister erst die Evaluation abwar- ten.“ Neben der zeitlichen Entzer- rung des Abschlussexamens macht sich der MB für eine Liberalisierung der PJ-Ausbildung stark. So sollen die Studierenden bei der Wahl des Ausbildungskrankenhauses mehr Gestaltungsräume erhalten.

Im Mittelpunkt der Diskussion um die Weiterbildung standen die Ergebnisse der Evaluation. Zum ers- ten Mal hatte die Bundesärztekam- mer im vergangenen Jahr Weiter - bilder und Weiterzubildende zu ih-

rer Zufriedenheit mit der Situation in der Weiterbildung zum Facharzt befragt. Zwar fiel die Beurteilung der Ärzte in Weiterbildung mit der Schulnote 2,54 insgesamt überra- schend gut aus, allerdings hatten sich nur 30 Prozent von ihnen an der Befragung beteiligt. „Das ist viel zu wenig“, meinte Dr. med. Hans- Albert Gehle, im MB-Vorstand zu- ständig für Weiterbildungsfragen.

Einer der Gründe für die nach seiner Ansicht zu niedrige Beteiligung sei das Verfahren. Der MB hatte bereits im Vorfeld kritisiert, dass die Assis- tenten die Zugangscodes für die Online-Befragung aus den Händen ihrer Weiterbilder erhalten. Die Ärz- tegewerkschaft hätte es lieber ge - sehen, wenn die Ärztekammern den Weiterzubildenden ihre Codes direkt ausgehändigt hätten. Mangels Daten war dies jedoch unmöglich, wie die Kammern bekräftigten.

Vor diesem Hintergrund hat sich die MB-Hauptversammlung jetzt

dafür ausgesprochen, eine Melde- pflicht für die Ärzte in Weiterbil- dung einzuführen. Sie fordert die Kammern auf, jährlich den Status der ärztlichen Weiterbildung ihrer Mitglieder abzufragen, was – ganz pragmatisch und ohne Mehrkosten – anlässlich der Beitragsveranla- gung geschehen könnte. Die Kriti- ker einer Meldepflicht befürchten dadurch ein Mehr an Bürokratie.

Sie setzen auf den Druck der Öffentlichkeit, denn von 2011 an müssen die Ergebnisse der Evalua- tion im Internet publiziert werden.

„Dann kann jeder sehen, für welche Abteilungen Ergebnisse vorliegen und für welche nicht, und sich sei- nen Teil denken“, sagte Dr. med.

Martina Wenker, Delegierte des Landesverbandes Niedersachsen.

Eine gute Weiterbildung werde so zu einem Wettbewerbsinstrument.

Die MB-Hauptversammlung plä- dierte für eine weitergehende Ana- lyse der Rohdaten. Die Rückwir- kungen der Arbeitsbedingungen auf die Qualität der Weiterbildung müssten stärker in den Mittelpunkt rücken. Zudem sprachen sich die Delegierten für wirksame Sanktio- nen in denjenigen Abteilungen aus, die schlecht abgeschnitten haben.

Vorstellbar sei „eine aufsuchende Förderung und Kontrolle der Wei- terbildung vor Ort“, sprich Visita- tionen, wie sie in der Schweiz üb- lich sind. Für die Befugten solle ei- ne Beteiligung an der Evaluation zur Pflicht werden. Eine regelmäßi- ge Qualitätskontrolle und -verbes- serung der Weiterbildung müsse gerade für Weiterbildungsbefugte selbstverständlich werden, hieß es zur Begründung. Um dies umsetzen zu können, müssten die Ärztekam- mern ihre Berufsordnungen ändern.

Doch zunächst steht ein Streik vor der Tür. Manche Krankenhaus- leitungen im Tarifbereich VKA wollen diesen freilich für ihr Haus noch abwenden. Sie bieten den Ärzten Zulagen von bis zu 650 Euro monatlich, wenn sie nächste Woche zur Arbeit erscheinen. Henke: „Wir appellieren an die Kollegen, solche Angebote nicht anzunehmen und die Solidarität der Streikenden nicht

zu untergraben.“ ■

Jens Flintrop, Heike Korzilius

Diesmal werden wir vom ersten Tag an ohne Erholungs - pausen für die Arbeitgeber durchstreiken.

Rudolf Henke

Ein kämpferischer Vorsitzender: Das Ergebnis der Urab- stimmung im Tarif - bereich VKA sei ein klares Signal, den Arbeitskampf an den kommunalen Kliniken jetzt zu organisieren, betonte Rudolf Henke.

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