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ie wichtigsten Entschei- dungen über die Ein- führung des Euro sind faktisch schon gefallen. Die Währungsunion beginnt, dem Maastrichter Vertrag ent- sprechend, am 1. Januar 1999;ihr werden von Anfang an elf Länder angehören. Die Währungsunion beschränkt sich also beim Start nicht auf den europäischen Kern, wie früher einmal erwartet wurde.
Die Staats- und Regie- rungschefs der 15 EU-Länder haben den entsprechenden Empfehlungen der EU-Kom- mission formal noch mit qua- lifizierter Mehrheit zuzustim- men. Zweifel daran gibt es nicht. Die Bundesregierung allein könnte ohnehin nichts mehr verhindern. Sie will es auch nicht, im Gegenteil:
Kohl und Waigel haben von Anfang an das Projekt nach- haltig unterstützt. SPD, FDP und Grüne sind im Euro-Zug mitgefahren. Für Kohl haben die politischen Überlegungen, die europäische Integration unumkehrbar zu machen, im- mer ein größeres Gewicht ge- habt als die ökonomischen Bedenken, die auch heute keineswegs ausgeräumt sind.
So ist es nur konsequent, wenn die Regierung Bundes- tag und Bundesrat empfiehlt, den Beschluß, die Währungs- union mit elf Mitgliedern ter- mingerecht einzuführen, zu- stimmend zur Kenntnis zu nehmen. Bundestag und Bun- desrat werden darüber nach der Osterpause beraten.
Unumkehrbar ist der Pro- zeß freilich nur, wenn sich die beteiligten Länder an die Spielregeln halten, wie sie im Maastrichter Vertrag und in dem diesen ergänzenden Sta- bilitätspakt festgelegt worden
sind. Sollte es zu tiefgreifen- den Divergenzen in der Wirt- schafts- und Finanzpolitik der beteiligten Länder kommen, so werden die ökonomischen Fakten stärker zu Buche schlagen als die politischen Absichten. Eine solche Ent- wicklung kann niemand wün- schen. Sie würde die ökono- mische und politische Inte- gration gefährden. Deshalb wird es in den nächsten Jahren entscheidend darauf ankommen, die noch vorhan- denen Konvergenz-Defizite weiter abzubauen.
Über den Beginn der Währungsunion und den Teil- nehmerkreis dürfte auf der Gipfelkonferenz am 2. Mai also nicht mehr gestritten werden. Dagegen könnte es
noch zu einem längeren Tau- ziehen um die Kurse kom- men, mit denen die natio- nalen Währungen in Euro umgerechnet werden. Jedes Land könnte bestrebt sein, ei- nen möglichst günstigen Ein- stieg in den Euro zu finden.
Doch dafür bietet sich als Kompromiß an, die Leitkurse des Europäischen Währungs- Systems (EWS) zu überneh- men, die sich in den letzten beiden Jahren als weitgehend stabil erwiesen haben. Damit würde der Entwicklung an den Devisenmärkten Rech- nung getragen.
Die ökonomischen und politischen Bedenken gegen die Europäische Währungs- union ergeben sich nach wie vor daraus, daß es künftig ei-
ne einheitliche und auf die Stabilität der Preise fixierte Geld- und Währungspolitik geben soll, während die Wirt- schafts- und Finanzpolitik je- weils in nationaler Verant- wortung bleibt. Dieser Wi- derspruch ist nur bei einem Höchstmaß an Konvergenz in der wirtschafts- und fi- nanzpolitischen Praxis zu überwinden. Auch in den na- tionalen Politiken muß die Stabilität Vorrang haben.
Wird dies nicht beachtet, so gerät die Zentralbank unter politischen Druck, eine Poli- tik des leichteren Geldes zu betreiben. Die Statuten der Zentralbank geben diesen zwar ein hohes Maß an Unab- hängigkeit. Wichtiger als die Statuten ist jedoch die Statur der handelnden Persönlich- keiten.
Großbritannien:
Leicht auf Kurs Die elf Beitrittskandida- ten sind: Belgien, Deutsch- land, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Por- tugal und Spanien. Griechen- land hat die Konvergenz-Kri-
A-899 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 15, 10. April 1998 (55)
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Europäische Währungsunion
„Abenteuer Euro“ zwingt zu realistischerer Politik
Elf Länder werden nun Mitglied im „Euro-Club“. Die hohen Schulden Belgiens und Italiens bereiten allerdings Sorge. Auch für die Bundesrepublik Deutschland gilt weiterhin der Zwang zum Sparen.
Tabelle
Übersicht zur Konvergenzlage der EU-Staaten
Land Inflationsrate Langfristiger Öffentlicher Öffentliche Zinssatz Finanzierungs- Verschuldung
saldo*)
in Prozent in Prozent des
Februar 1997 bis Januar 1998 Bruttoinlandprodukts 1997
Belgien 1,4 5,7 – 2,1 122,2
Dänemark 1,9 6,2 0,7 65,1
Deutschland 1,4 5,6 – 2,7 61,3
Finnland 1,3 5,9 – 0,9 55,8
Frankreich 1,2 5,5 –3,0 58,0
Griechenland 5,2 9,8 – 4,0 108,7
Großbritannien 1,8 7,0 – 1,9 53,4
Irland 1,2 6,2 0,9 66,3
Italien 1,8 6,7 – 2,7 121,6
Luxemburg 1,4 5,6 1,7 6,7
Niederlande 1,8 5,5 – 1,4 72,1
Österreich 1,1 5,6 – 2,5 66,1
Portugal 1,8 6,2 – 2,5 62,0
Schweden 1,9 6,5 – 0,8 76,6
Spanien 1,8 6,3 – 2,6 68,8
Referenzwert 2,7 7,8 – 3,0 60,0
*) – Defizit/ + Überschuß. Quelle: Europäisches Währungsinstitut, Konvergenzbericht 1998.
terien allesamt nicht erfüllt;
Großbritannien, Dänemark und Schweden warten zu- nächst einmal ab. Vor allem für Großbritannien könnte die Frage entstehen, ob sich das Pfund künftig mehr am Dollar oder am Euro orien- tieren soll. Derzeit sieht es so aus, als wenn die Regierung Blair vorsichtig auf Euro- Kurs gehen will. Dies wird Blair nur möglich sein, wenn die Europäische Zentralbank in ihrer Geldpolitik konse- quent das Ziel der Stabilität verfolgt und nicht versucht, Konjunktur- und Beschäfti- gungspolitik zu betreiben oder mit einer Wechselkurs- politik den europäischen Markt gegen den Dollar- Raum abzuschirmen.
Bedenken der Ökonomen Mit dem Beginn der Währungsunion entfällt für die beteiligten Länder die Möglichkeit, Anpassungspro-
zesse durch Wechselkurs- änderungen zu erleichtern.
Auch künftig wird es in der Euro-Zone aber zu unter- schiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen kommen. Die- sen kann nur mit den verblie- benen Möglichkeiten der na- tionalen Politik begegnet werden. Transferzahlungen aus dem Brüsseler Topf sehen die Verträge nicht vor. Die notwendigen Anpassungen können in solchen Fällen da- her nur gelingen, wenn die Kapital-, die Arbeits- und Gü- termärkte flexibel zu reagie- ren vermögen. Die Flexibi- lität der Preise, Zinsen und Löhne wird noch wichtiger als bisher. Sie ist derzeit nicht hinreichend gegeben, was die Bedenken der Ökonomen ge- gen die Währungsunion ver- stärkt.
Die Bundesbank hat in ih- rer Stellungnahme zur Kon- vergenzlage in der EU die be- teiligten Länder ermahnt, auf dem Weg der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, der Reformen der Sozialsy- steme und der Flexibilisie- rung der Märkte fortzufah- ren. Die Bundesregierung stützt sich in ihrem Beschluß zum Beitritt zur Währungs- union auf den Konvergenzbe- richt des Europäischen Wäh- rungs-Instituts (EWI) und die Stellungnahme der Bundes- bank. Der Zentralbankrat hat über diese Stellungnahme fast 16 Stunden lang beraten.
Offensichtlich lag Präsi- dent Tietmeyer daran, den Zentralbankrat zu einem ein- stimmigen Votum zu bringen, ohne der Politik die Verant- wortung abzunehmen. Dies ist ihm gelungen. Die Bundes- bank hat die Chancen und Ri- siken der Währungsunion auf- gelistet und dabei nichts ge- schönt oder dramatisiert. Die Konvergenz bei Preisen, Zin- sen und der Neuverschuldung ist weit vorangekommen. Das Schulden-Kriterium ist aller- dings in einigen Ländern nur mit einmaligen Maßnahmen („kreative Buchführung“) er- reicht worden. Das gilt vor al- lem für Italien und Frankreich, aber auch für Deutschland.
Die Bundesbank vermerkt
kritisch, daß das Schulden- stand-Kriterium nicht genü- gend beachtet werde. Ein ho- her Schuldenstand enge den Spielraum der Finanzpolitik wegen der hohen Zinsbela- stung auch künftig ein.
Bundesbank rät, Politik bestimmt In der Stellungnahme des Zentralbankrates lauten die beiden entscheidenden Sätze:
„Vor dem Hintergrund der erreichten Konvergenzfort- schritte in vielen Mitglied- staaten und nach Abwägung der noch bestehenden Pro- bleme und Risiken erscheint der Eintritt in die Währungs- union ab 1999 stabilitätspoli- tisch vertretbar. Hinsichtlich der Voraussetzung einer auf Dauer tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand beste- hen allerdings im Falle Belgi- ens und Italiens ernsthafte Besorgnisse.“ Die Bundes- bank empfiehlt weitere sub- stantielle und verbindliche Verpflichtungen zum Schul- denabbau. In beiden Ländern betragen die Schulden mehr als 120 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP), während die Euro-Kriterien die Schulden auf 60 Prozent des BIP begrenzen.
Die Bundesbank kann nur raten, die Politik muß ent- scheiden. Ein Start im kleine- ren Kreis hätte die Risi- ken überschaubarer gehal- ten. Doch dies hat die Bun- desregierung weder durchset- zen können noch wollen, seit sie selbst mit hohen Defiziten
und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Die Bundes- bank mahnt folgerichtig nicht nur andere Länder, sondern auch die deutsche Politik, am Konsolidierungskurs festzu- halten und die Sozialsysteme zu reformieren. Deutschland hat die Schuldenquote nur knapp erreicht und das Schul- denstand-Kriterium über- schritten. Die Bundesbank weist darauf hin, daß es für die Stabilität des Euro vor allem darauf ankomme, die Euro-Kriterien nachhaltig zu erfüllen. Der Stabilitätspakt sieht vor, daß die am Euro- Club beteiligten Staaten bei normaler Konjunktur einen ausgeglichenen Haushalt oder einen Haushalt mit Überschüssen vorlegen. Nur dann lassen sich die Schulden abbauen. Davon ist Deutsch- land weit entfernt. Die deut- sche Politik steht also auch künftig vor der schwierigen Aufgabe, die Haushaltsdefi- zite kontinuierlich abzubau- en, die Sozialsysteme durch Reformen zu entlasten und durch eine Steuerreform gleichzeitig die Wachstums- kräfte zu stärken.
Diktat der Finanzdisziplin Die Entscheidung für die Währungsunion hat eine poli- tische und historische Dimen- sion. Europa findet zu einem großen Wirtschafts- und Währungsraum zusammen, in dem es sich kein Land mehr leisten kann, unbegrenzt Schulden zu machen und A-900 (56) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 15, 10. April 1998
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Kommt er wie geplant, später oder gar nicht – die Entscheidung scheint gefallen.
Elf Länder werden sich am Start der Europäischen Währungsunion beteiligen.
Zeichnung: Romulus Candea, CCC
Wohltaten zu verteilen. Der Wettbewerb der Standorte wird sich verschärfen. Be- treibt die Zentralbank konse- quent eine auf Stabilität zie- lende Geldpolitik, so können sich die Staaten nicht mehr durch inflationäre Politik ih- rer Schulden entledigen; allen wohlfahrts- und versorgungs- staatlichen Übertreibungen wird die Grundlage entzogen.
Die Regierungen unter- werfen sich mit dem Be- kenntnis zum stabilen Euro dem Diktat der finanziellen Disziplin. Damit ist die Po- litik dabei, sich ein Stück selbst zu entmachten. Viele Politiker haben dies nur noch nicht gemerkt. Das könnte einer realistischeren Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik den Weg berei- ten und sich als positive Seite des Euro-Abenteuers erwei- sen. Walter Kannengießer
A-901 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 15, 10. April 1998 (57)
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Schenken und Stiften
Das Manifest einer Kam- pagne „Schenken, Stiften, En- gagieren“ wurde vor kurzem in Köln vorgestellt. Die lang- fristig angelegte Aktion soll Menschen dazu anregen, ei- nen Teil ihres Vermögens zur Lösung sozialer, kultureller und ökologischer Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Der Trägerkreis der Kampagne besteht aus der Heinrich- Böll-Stiftung e.V., der Aache- ner Stiftung Kathy Beys sowie der Gemeinnützigen Treu- handstelle e.V. in Bochum. In- itiiert wurde die Kampagne 1996 von der Gemeinnützigen Treuhandstelle e.V., einer der ersten „Bürgerstiftungen“ in Deutschland, die eng mit der GLS Gemeinschaftsbank eG in Bochum kooperiert.
Die Gemeinnützige Treu- handstelle e.V. ist ein Zusam-
menschluß von derzeit rund 270 gemeinnützigen Verei- nen. Sie hat seit ihrer Grün- dung 1974 nach eigenen An- gaben vielfältige Erfahrun- gen bei der individuellen Ausgestaltung von Schen- kungsformen, Sondervermö- gen und unselbständigen Stiftungen gesammelt (GLS Gemeinschaftsbank eG/Ge- meinnützige Treuhandstelle e.V., Oskar-Hoffmann-Straße 25, 44708 Bochum). EB
Investment mit Börsebius
Im jüngsten „Geldanlage Magazin“ wurde über den 1.
privaten Investmentclub Bör- sebius berichtet. Leider wur- de die Fax-Nummer, unter der der Club zu erreichen ist, falsch angegeben. Sie lautet richtig: 02 21/39 70 71. Rie
Private Altersvorsorge hat große Bedeutung
Die Bereitschaft zur pri- vaten Altersvorsorge wächst:
Rund 80 Prozent der Bundes- bürger halten diese für not- wendig. Das ergab eine Um- frage im Auftrag von Union- Investment, der Fondsgesell- schaft der Volks- und Raiffei- senbanken.
Nur ein Fünftel der insge- samt 800 Befragten ist danach mit dem bestehenden System der Altersvorsorge zufrieden.
Ein Großteil sieht zwar eine Alternative in der privaten Vorsorge, steht allerdings der Anlage in Aktien oder Akti- enfonds skeptisch gegenüber.
Nur jeder zehnte Bundesbür- ger hält Aktienfonds für eine gute Anlageform. Viele Be- fragte gaben jedoch an, zu diesem Thema nicht ausrei- chend informiert zu sein. EN