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Archiv "Politik und Wissenschaft: nur Mißverständnisse, oder mehr?" (21.12.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

D

er „Spiegel" hat die abnehm- bare Zugkraft der bloßbusi- gen Covers unserer Illustrier- ten ergründet und die zunehmen- de Attraktivität umweltbezogener Themen als Ersatz dafür angekün- digt. Wohlan: es darf der Verdacht geäußert werden, daß dann, wenn das neue Thema mit der gleichen emotionalen Hingabe wie das er- wähnte behandelt wird, der Boom der Unvernunft noch zu erwarten ist.

Gegen Information ist nie etwas einzuwenden, auch das sollte red- licherweise festgestellt werden.

Dementsprechend liegt die Chan- ce für die Medien darin, Wissen zu verbreiten. Das ist aber nicht nur die oberflächliche Verarbeitung hie und da aufgespießter Meinun- gen, es bedarf des abgewogenen und fundierten Urteils.

Politiker und Parlamentarier mö- gen sich überfordert vorkommen, wenn sie wissenschaftliche Fak- ten bewerten sollen und auf der Grundlage derartiger Fakten auch noch politische Entscheidungen treffen müssen. Aus der Sicht der Wissenschaft ist dieses Verfahren gar nicht einmal so schwer, wenn man sich die Zeit für die vernünf- tige Beurteilung der Fakten nimmt. Schwierig wird die Situa- tion erst dann, wenn mit vorder- gründigen und eben noch nicht hinreichend bewertbaren wissen- schaftlichen Fakten Politik ge- macht werden soll. An Beispielen dafür mangelt es gegenwärtig wahrlich nicht. Nur zwei davon:

Waldsterben durch Autoabgase?

Da wird die Geschwindigkeitsbe- grenzung auf unseren Straßen mit dem Scheinargument propagiert, daß dadurch der Wald geschützt werden könne. Ich kenne kaum ei- nen deutschen Autofahrer, der sich nicht zu einer Geschwindig- keitsbegrenzung bereit fände, um die Zahl der Toten auf unseren Straßen zu verringern. Ich kenne aber auch keinen deutschen Poli- tiker oder Parlamentarier, der in der Lage wäre, den Zusammen-

hang zwischen Waldsterben — die Rauchschäden sind hier aus- drücklich ausgenommen — und Luftverschmutzung — ich will jetzt nicht sagen, zu belegen, sondern

— wahrscheinlich zu machen.

Man darf schon jetzt die Feststel- lung wagen, daß das Waldsterben im Bereich der Alpen, im Alpen- vorland des Allgäus, in der Schweiz und auch in weiten Tei- len Österreichs mit Sicherheit nicht der S0 2-Belastung der Luft, die in bestimmten Regionen schon seit einigen Jahren fortlau- fend gemessen wird, zugeschrie-

Politik und Wissenschaft:

nur

Mißverständnisse, oder mehr?

ben werden kann. Die Frage, ob NO >, ein brauchbarer Kandidat für die Schuldzuweisung des Wald- sterbens ist, ist noch offen. Nur ei- nes läßt sich auch jetzt schon fest- stellen, mit der Geschwindigkeits- begrenzung dürfte dieses Pro- blem auch nicht durchgreifend zu lösen sein, wenn man nicht gleichzeitig die Frage angeht, weshalb unsere Autos so einen hohen Ausstoß schädlicher Abga- se haben. Das Steuersystem be- günstigt derzeit die Kleinwagen mit geringem Hubraum, die erfah- rungsgemäß einen sehr viel höhe- ren Schadstoffausstoß haben als Motoren mit größeren Hubräu- men. Hier ist übrigens auch eine Schwierigkeit angesiedelt, wes- halb die durchgreifende Katalysa- tor-Reinigung der Abgase nicht so schnell verwirklicht werden kann;

die großen Hubräume machen da übrigens die geringsten Schwie- rigkeiten. Außerdem ist die gera- dezu skandalöse Bevorzugung dieselgetriebener (Klein)Aggrega-

te, die wenigstens hinsichtlich der Beurteilung der Giftigkeit der ab- gegebenen Schadstoffe über- haupt noch nicht abgeschlossen ist, ein weiteres Argument für die Befürchtung, daß die Geschwin- digkeitsbegrenzung zur Minimie- rung der Schadstoffabgabe nicht viel bringen wird.

Damit kein Mißverständnis auf- kommt: es wird unser Ziel sein müssen, in den nächsten zehn Jahren spätestens eine durchgrei- fende Bereinigung der Abgaspro- blematik unserer Autos durchzu- setzen; in erster Linie zu unserem eigenen Schutz. Dabei wird auch ganz generell die Frage zu klären sein, ob es zu Otto- und Dieselmo- toren nicht vernünftigere Alterna- tiven gibt.

Lehrstück über das Seveso-Gift Ein zweites Lehrstück ganz be- sonderer Qualität ist die Behand- lung des Themas der sicherlich gefährlichen Dibenzofurane und Dibenzodioxine, wobei der letzte- ren Gruppe das bekannte Seveso- Gift TCDD entstammt. Unter dem Aspekt der Vernunft betrachtet hat sich niemand in dieser Repu- blik vorstellen können, daß das, was der Hamburger Senat tat- sächlich zur Problemlösung bei- getragen hat, Wirklichkeit wird:

ein Industriebetrieb wurde ge- schlossen, mehrere hundert wür- den Arbeitsplätze preisgeben, oh- ne daß zur eigentlichen Proble- matik, nämlich der Bereinigung des Dreckhügels in Georgswer- der, auch nur ein Finger gerührt worden wäre.

Unter dem Aspekt der wissen- schaftlichen Vernunft darf jeden- falls die Behauptung aufgestellt werden, daß es für die Schließung des Hamburger Betriebes, etwa wegen akuter Gesundheitsgefähr- dung der Mitarbeiter oder der An- lieger, überhaupt keinen Grund gibt. Die eigentliche Problematik liegt Jahre zurück und muß wohl darin gesehen werden, daß Verur- sacher und Behörden damals mit der Entsorgung von Abfallstoffen

3806 (28) Heft 51/52 vom 21. Dezember 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Bedrohung durch Luftschadstoffe Abgase

Dr. med. W. Schützler

1■11•11111M1111111111111M•111111111■11

WOHNEN SiE iN DER NÄHE EINES CHEMIEWERKES ? — SIND SiE MiT ELB- ODER RHEINWASSER iN BERÜH- RUNG GEKOMMEN? HABEN SIE SPANISCHES OEL VER- WENDET? — HABEN SiE iN DER ADRIA GEBADET, ODER WAREN SIE GAR IN DER

NAHE VON SEESO?

Eines Tages bei der Umwelt-Anamnese 11111■11111111■1111■11■111111M mit, wie wir heute wissen, glückli- cherweise sehr geringen Anteilen hochgiftiger Stoffe nicht zu Rande kamen. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil damals weder die Identität der Giftstoffe, noch ihre Analytik oder gar das toxische Po- tential hinreichend bekannt wa- ren.

Es ist darüber nachzudenken, ob unseren Parlamentariern und Re- gierenden nicht eine bessere Kenntnis wissenschaftlicher Zu- sammenhänge gut zu Gesicht stünde. Haben sie etwa die fal- schen Berater, oder haben sie möglicherweise gar keine Bera- ter? Wie kann es kommen, daß un- sere Parlamente seit geraumer Zeit die Stichworte einer bestimmten, engagierten, aber keineswegs im- mer qualifizierten Fraktion aufneh- men, um bei der Beantwortung der Fragen dann oft das Bild der Unsi- cherheit zu bieten, hinter dem im- mer die Unaufrichtigkeit vermutet wird, daß irgendwer irgend etwas verstecken könnte?

Prof. Dr. Wolfgang Forth

• Fortsetzung von Seite 3805 in denen sie kurz vor ihrem Tod lebten.

Viel aussagekräftiger sind dage- gen Studien, die medizinische Pa- rameter und Schadstoffgehalte di- rekt vor Ort gewinnen. Auf dem umweltmedizinischen Seminar in Berlin berichtete Dr. med. Chri- stian Havestadt über eine Lang- zeitstudie, die er für das Bundes- gesundheitsamt in den beiden letzten Wintern an Berliner Grundschülern durchführte, die in Schulnähe wohnten. Vor Schulbe- ginn wurden Parameter zur Lun- genfunktion bestimmt und nach dem subjektiven Befinden be- fragt. Gleichzeitig maß man in Schulnähe die Schadstoffgehalte in der Luft, die dann mit den medi- zinischen Befunden in Beziehung gesetzt wurden. Für diese beiden Perioden, die sich durch verhält- nismäßig niedrige Belastungen der Luft mit Schadstoffen aus- zeichneten, konnten keine signifi- kanten Korrelationen zwischen der Schadstoffbelastung und dem individuellen Befinden ermittelt werden. Dr. Havestadt zufolge soll diese Studie in diesem Winter fortgesetzt werden.

Im Gegensatz zum bisher erwähn- ten ist die direkte schädliche Wir- kung der Kraftfahrzeugabgase auf den Menschen für wesentliche Abgaskomponenten erwiesen.

Wie Professor Dr. Michael Wag- ner, Fachgebietsleiter im Bundes- gesundheitsamt, beim Berliner Seminar ausführte, stelle eine ein- stündige Autofahrt auf dicht be- fahrenen Straßen, insbesondere auch auf Autobahnen, eine ex- trem hohe gesundheitliche Bela- stung dar. Im Bereich der Fahr- spuren herrschen sehr hohe Schadstoffgehalte in der Luft vor, die zum Fahrbahnrand hin abneh- men. So wird der Fahrer eines Au- tos bis zu dreimal stärker mit Koh- lenmonoxid und Stickoxid bela- stet als ein Fußgänger auf dem Bürgersteig. Die Belastung der Fahrradfahrer nimmt auf den Rad- wegen eine Mittelstellung ein.

Hohe Kohlenmonoxidgehalte füh- ren zu Sauerstoffmangelerschei- nungen wie Kopfschmerzen, Oh- rensausen, Schwindelgefühl, all- gemeine Schwäche und Müdig- keit. Besonders gefährdet sind hierbei pektanginöse Verkehrs- teilnehmer. Das Stickoxid NO be- reitet keine direkten Probleme, während das Oxidationsprodukt NO 2 , das aus NO zeitlich verzögert entsteht, den Atemwegswider- stand und die Bereitschaft für In- fektionen erhöht. Daneben reizt Formaldehyd, das einerseits infol- ge unvollständiger Verbrennun- gen aus den Motoren emittiert wird und das andererseits auch als Sekundärprodukt aus unver- brannten Kohlenwasserstoffen photochemisch entsteht, die Au- gen und Nase. Ozon, ebenfalls ein Produkt des photochemischen Smogs, greift Augen sowie Schleimhäute an und lähmt in hö- heren Konzentrationen die At- mung. Nicht zu vergessen sind aromatische Kohlenwasserstoffe wie zum Beispiel Benzol, die sich im Motor entwickeln und unter dem Verdacht stehen, Krebs aus- zulösen.

Zur Entlastung Kranker und zur Prävention durch die Umwelt be- einflußter Erkrankungen sind vor diesem Hintergrund geeignete Maßnahmen für die Reduktion an Luftschadstoffen dringend ange- zeigt, auch wenn das gesundheit- liche Risiko derzeit nicht exakt quantifiziert werden kann. Bei den komplexen, teilweise noch nicht verstandenen Zusammenhängen werden dadurch wissenschaftlich definierte Höchstwerte und ent- sprechendes Handeln erschwert.

Trotzdem sollte nicht gewartet werden, bis die Zusammenhänge restlos geklärt sind.

Umweltschutz auch aus Fürsorge für den Menschen

Als eine Sofortmaßnahme wird in letzter Zeit eine Geschwindig- keitsbegrenzung in der Öffent- lichkeit heftig diskutiert. Bei Ge- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 51/52 vom 21. Dezember 1984 (31) 3807

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