• Keine Ergebnisse gefunden

In der darauffolgenden Aussprache verwies Prof

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "In der darauffolgenden Aussprache verwies Prof"

Copied!
18
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Originalität des arabischen Propheten Von Johann Fück-Frankfurt^)

Muhammad zählt bis zum heutigen Tage zu den um¬

strittensten Gestalten der Weltgeschichte. Schon zu Lebzeiten

von den einen als der Gesandte Gottes anerkannt, von den

andern als Besessener verspottet, ist sein Bild nach seinem

Tode im Glauben seiner Gemeinde ins Übermenschliche

erhöht worden, während die gegnerische Polemik es in den

schwärzesten Farben gemalt hat. Aber auch seitdem von

religiöser Einseitigkeit freie Betrachter ibm eine gerechtere

Würdigung zuteil werden ließen, durchliefen ihre Urteile

alle Skalen von höchster Anerkennung des großen Weisen

über das achselzuckende Mitleid mit dem Epileptiker bis

zur scharfen Ablehnung des gesinnungslosen Betrügers.

Einen neuen Ton in den vielstiramigen Chor brachte der

Historismus des 19. Jahrhunderts mit seiner Betonung der

Abhängigkeit des Propheten von den älteren Offenbarungs¬

religionen, wie dies vor etwas über 100 Jahren Geiger in

seiner berühmt gewordenen Preisschrift bedeutsam ein¬

leitete. Aber je mehr die Untersuchung dieser Abhängigkeits-

1) Vortrag, gehalten am 4. September 1936 vor dem Achten Deut¬

schen Orientalistentag in Bonn. In der darauffolgenden Aussprache

verwies Prof. Michblanqblo Güidi auf seinen Aufsatz über „Les origines de l'Islam et sa place dans l'histoire de la civilisation" (in Trois con¬

ferences sur quelques problemes generaux de VOrientalisme, ExtrsJt de

l'Annuaire de l'Institut de Philologie et de l'Histoire Orientales, t.

III, 1935), sowie auf seine Ausführungen in Storia della Religione deW

Islam (in Band II der Storia delle Religioni a cura del P. Pietro

Tacchi-Venturi; Sonderabdruck Torino 1936, XIV). Ich freue mich,

feststellen zu können, daß der italienische Forscher in beiden Arbeiten, die mir inzwischen durch seine Liebenswürdigkeit zugänglich geworden

sind, eine Auffassung vertreten hat, die sich weitgehend mit meinen

obigen Ausführungen berührt.

Zeitwlirift d. DUO. Bd. »0 CNeae Folge Bd. 1() 31

(2)

510 J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten

fragen in den Vordergrund rückte, desto stärker verlor die

Forschung jede große Linie und begnügte sich schließlich

mit immer wieder erneuten Versuchen, für alles und jedes

im Koran, sei es nun eine religiöse Idee, eine Vorstellung,

ein Ausspruch, ein Rechtssatz, eine Erzählung, oder aber

ein Motiv, ja schließlich ein einzelnes Wort irgendwelche

Vorbilder nachzuweisen, gerade als ob es möglich wäre, das

Wesen des Propheten in eine Summe von tausend Einzel¬

heiten zu zerlegen. Gegen diese Betrachtungsweise hat

bereits vor mehreren Jahren Tor Andrae nachdrücklich

protestiert und die Aufgabe der Muhammadforschung dahin

definiert, zu erkennen, wie der Prophet aus den geistigen

Anregungen seiner Umwelt eine Anzahl von Elementen der

verschiedensten Art zu einer in ihrer Zusammenfassung

originellen, lebensfähigen Synthese vereint hat. Aber die

beiden jüngsten Darstellungen Muhammads, die von C. C.

ToRREY^) und die von W. Ahrens^), stehen wieder ganz im

Banne jener älteren Betrachtungsweise und bemühen sich,

bei aller Gegensätzlichkeit der Beweisführung und der Er¬

gebnisse die Originalität des Propheten möglichst zu be¬

grenzen und seine Lehre im wesentlichen aus den älteren

monotheistischen Religionen abzuleiten. Ob freilich dem

Judentum oder dem Christentum die Ehre, Vorbild zu sein,

zu geben sei, darin gehen beide Werke diametral auseinander.

ToRREY sieht in Muhammad ebenso bestimmt einen Schüler

der Synagoge, wie es für Ahrens sicher ist, daß die christ¬

lichen Einflüsse schlechthin maßgebend seien. Es wäre müßig,

die Fragwürdigkeit solcher Erklärungsversuche durch die

offensichtliche Unvereinbarkeit der damit erzielten Resultate

zu erweisen. Es ist aber vielleicht doch nicht überflüssig, bei

beiden Darstellungen einen Augenblick zu verweilen, um

durch den Vergleich ihrer Ergebnisse zu einer gerechteren

Abschätzung des Werts der hier angewandten Methode

1) Mohammed, Sein Leben und sein Glaube; Göttingen 1932.

2) The Jewish Foundation of Islam; New York, 1933.

3) Muhammed als Religionsstifter, Abhandlungen der Kunde des

Morgenlandes; Leipzig 1935.

(3)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 511

überhaupt zu gelangen. Für Torrky steht es fest, daß infolge

einer in die vorchristliche Zeit zurückreichenden Einwanderung

längs der von Palästina nach Südarabien führenden Handels¬

straße wie an jedem wichtigen Punkte, so auch in Mekka eine

jüdische Gemeinde saß, die die religiöse und literarische

Tradition ihrer Vorväter hochhielt und pflegte. Diese zwar

nicht zu erweisende, aber, wie Torrey meint, aus dem Koran

mit Notwendigkeit zu erschließende Judengemeinde Mekkas

niit ihrem jüdischen Leben, ihrer Tradition, Literatur und

Propaganda soll es gewesen sein, die dem Propheten die ent¬

scheidenden und richtunggebenden Anstöße gab. Sein Ver¬

kehr mit einigen Juden soll so stark gewesen sein, daß man

mit seinem Übertritt zum Judentum rechnen konnte. Wenn

er freilich die Erwartung seiner Berater enttäuschte, so soll

dafür sein verschlossener Charakter verantwortlich gewesen

sein, der es ihm ermöglicht habe, seine wahren Absichten

solange verborgen zu halten, bis er von seinen Lehrmeistern

genug profitiert hatte, um sich selbständig zu machen.

Gerät hier schon Torrey's These in einen starken Gegensatz

zu der sonst allgemein als richtig anerkannten Überlieferung

von der Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit des Propheten, so

führt sie auch auf anderen Gebieten zu völlig unhaltbaren

Folgerungen; denn da der Koran auf vielen Gebieten der

biblischen Geschichte eine geradezu naive Unkenntnis an

den Tag legt (man denke nur daran, daß er Mariam, die

Mutter Jesu, zur Schwester des Aaron, S. 19 29, 66 12, und

Haman zum Vesier des Pharao, S. 28 5,7, as, 40 38, macht),

da er ferner keinen Schriftpropheten erwähnt, so ist Torrey

zu der Auskunft gezwungen, daß das Verständnis des Pro¬

pheten doch recht begrenzt gewesen sei, und daß die hohen

Lehren der alttestamentlichen Schriftpropheten jenseits

seiner Auffassungsfähigkeit gelegen hätten. Noch unverträg¬

licher mit Torrey's Annahme ist die unbestreitbare Tatsache,

daß Muhammad in Ciiristus einen Propheten von höchstem

Rang sieht, daß er die Jungfrauengeburt (freilich nicht die

Gottessohnschaft) anerkennt, und daß seine Aussagen, auch

wo sie gegen das Christentum gerichtet sind, nirgends eine

34»

(4)

512 J. FüOK, Die Originalität des arabischen Propheten

Spur von Gehässigkeit zeigen. Denn wenn uns Torrey glauben

machen will, daß der jüdische Mentor dem Propheten aus

Angst, ihn an die christliche Kirche zu verlieren, nur so viel

über Jesus mitgeteilt habe, als nötig war, um ihn davor zu

bewahren, sich bei Christen genauer nach Christus zu er¬

kundigen, so bedarf diese Verlegenheitsauskunft keiner aus¬

führlichen Widerlegung. Die eigenwillige Konstruktion Tor¬

rey's scheitert somit an inneren und äußeren Widersprüchen.

Weder läßt sich für Mekka eine starke jüdische Kolonie mit

lebendiger Tradition nachweisen, noch zeigt der Koran die¬

jenige Vertrautheit mit jüdischen Dingen, die wir erwarten

müßten, wenn Muhammad tatsächlich stark vom Judentum

abhängig gewesen wäre.

Von demselben Bestreben geleitet, die Persönlichkeit

des Propheten aus den ihm von dritter Seite gegebenen An¬

regungen zu begreifen, aber mit völlig verschiedener Blick¬

richtung und ausgerüstet mit dem schweren Rüstzeug solider

Gelehrsamkeit tritt Ahrens an die Aufgabe heran, nachzu¬

weisen, daß der Prophet die Anregung zu seinem ersten Auf¬

treten von christlicher Seite erhalten habe, und daß er auch

in der Ausbildung seiner Lehren während des größten TeUs

der mekkanischen Zeit neben selbstverständlich voraus¬

zusetzenden Vertretern anderer Religionsgemeinschaften über¬

wiegend von Christen abhängig gewesen sei. Im Gegensatz

zu Torrey, der die ziemlich allgemein anerkannte Chronologie

der koranischen Suren ablehnt, und sie durch eine eigene

Zeitfolge zu ersetzen versucht, schließt Ahrens sich streng

an die vor allen Dingen von Nöldeke auf Grund sachlicher

und sprachlicher Indizien festgestellte Reihenfolge der Suren

an und erarbeitet dementsprechend das Bild Muhammads

als des Propheten, Lehrers und Gesetzgebers. Dabei bringt

er zu jedem Zug eine Fülle von christlichen Parallelen bei,

wobei er freilich des Guten zu viel tut und nicht nur

Abhängigkeiten vermutet, wo günstigenfalls eine äußere

Berührung vorliegt, sondern auch hin und wieder Heterogenes

zusammenträgt. Freilich geht auch bei ihm die Rechnung

nicht glatt auf, und vor allem in dem Abschnitt über Muham-

(5)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 513

xnad als Gesetzgeber kehrt Ahrens immer deutlicher den

christlichen Apologeten hervor, der bald mit Entrüstung,

bald mit Bedauern feststellen zu müssen glaubt, wie wenig

die Lehre des arabischen Propheten in ihrer medinischen

Form den Erwartungen entspricht, zu denen die Anfänge der

mekkanischen Zeit zu berechtigen schienen. War es bei

Torrey Selbstsucht und mangelndes Fassungsvermögen, das

Muhammad aus der klaren jüdischen Linie abgedrängt haben

soll, so ist es bei Ahrens seine Opportunitätspolitik, die ihn

die besten Stücke seiner aus dem Christentum bezogenen

Grundsätze um irdischen Gewinns willen aufgeben läßt.

Wo aber, fragen wir, hat jemals ein „Bandenführer, dem zur Er¬

reichung seiner Ziele jedes Mittel recht ist", der ,,zu gemeinem

Meuchelmord" greift und sich „am Anblick getöteter Feinde

weidet", einen solchen Einfluß auf die Weltgeschichte aus¬

geübt, daß 1300 Jahre nach seinem Tode über 200 Millionen

Menschen sich zu ihm bekennen? Das Zeugnis einer viel¬

hundertjährigen Geschichte und das Zeugnis heute noch

lebendigen Islams widerlegen besser als alle Argumente das

Urteil, das Ahrens auf Grund einer verfehlten Konstruk¬

tion ausspricht.

So wenig also die Versuche Torrey's und Ahrens' befrie¬

digen können, so lehrreich sind sie in methodischer Hinsicht.

Sie zeigen, daß die unbestreitbar vorhandenen, übrigens im

Koran selbst anerkannten Berührungen des Islams mit

Juden- und Christentum nicht als Beweise für eine unmittel¬

bare Abhängigkeit verwandt werden können. Jeder derartige

Versuch führt unweigerlich in unlösbare Schwierigkeiten

und Widersprüche. Nun möchte es vielleicht scheinen, als ob

die wirkliche Lösung des Problems gefunden werden könnte,

wenn man unter Verzicht auf jede Einseitigkeit die ver¬

schiedenen Berührungen als eben so viele Anregungen deutet,

so daß der Koran sich als eine Resultante aus christlichen,

jüdischen und mancherlei anderen Antrieben darstellen

würde. In der Tat hat es auch an solchen Versuchen nicht

gefehlt; insbesondere hat J. Horovitz mehrere Einzelpro¬

bleme des Korans monographisch behandelt und dabei die

3 .

(6)

514 J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten

verschiedensten Einflüsse gleichmäßig berücksichtigt. Aber

derartige Quellenuntersuchungen lösen den Koran in ein

Mosaik von zahllosen Einzelsteinchen der verschiedensten

Herkunft auf, die kein inneres Band zusammenhält. Hinter

der Masse von Einzelheiten verschwindet die Persönlichkeit

des Propheten, von dessen lebendiger Kraft keine wie immer

geartete Quellenkritik Kunde zu geben vermag. So erweist

sich auch an diesen Arbeiten die von Andrae geübte Kritik

als völlig berechtigt. Man vermag eben auf dem Wege einer

allen Einzelheiten bis ins kleinste nachgehenden Analyse

dem eigentlich Schöpferischen des Propheten überhaupt

nicht beizukommen. Niemals werden die Mittel der rationalen

Wissenschaft ausreichen, das Geheimnis der Persönlichkeit

dieses Mannes ganz zu entschleiern, und niemals werden wir

nachprüfend feststellen können, welche Erlebnisse seine Seele

bewegten, bis er sich in qualvollem Kampfe zu der Gewißheit

durchrang, von Gott zum Warner und Gesandten ausersehen

zu sein. Ist diese Einsicht gewonnen, so verliert die Frage

nach etwaigen Vorbildern, Einflüssen und Anregungen jene

schlechthin entscheidende Bedeutung, die sie für eine mecha¬

nistische Geschichtsauffassung besaß. Wohl aber ist es

wichtig und wissenswert, wie der Prophet das ihm gegebene

Material verwandt und verarbeitet, seinen Zwecken dienstbar

gemacht, geändert und ausgelesen hat. Daß er dies stärker

als irgend ein anderer der Heroen der Religion getan hat,

besagt nichts gegen seine Originalität. Gehört es doch zum

Wesen aller Großen im Reiche des Geistes, daß sie den ihnen

überlieferten Stoff dankbar benutzen, aber mit neuem Leben

erfüllen.

Ist aber der Prophet wirklich originell? Legt nicht der

Koran auf jeder Seite Zeugnis ab für eine merkwürdige,

bald nähere, bald weitere Berührung mit den älteren mono¬

theistischen Religionen? Erkennt der Muslim nicht Tora

und Evangelium als besondere Offenbarungsschriften an und

bekundet damit die innere Übereinstimmung seines Glaubens

mit dem der Juden und Christen, mag er ihnen auch vorwerfen,

daß sie die Schrift verfälscht haben? Um diese Frage zu

(7)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 515

beantworten, bedarf es der Betrachtung der in der ältesten

islamischen Verkündigung wirksamen religiösen Ideen, so

wie sie sich in den Suren der ersten mekkanischen Periode

darstellen.

Man hat längst erkannt, daß nicht der Monotheismus die

ZentraHdee der urislamischen Predigt ist, sondern das Jüngste

Gericht, das freilich engstens mit dem monotheistischen

Gedanken verbunden ist. Es ist eben der einige Gott, der über

die Menschen am Jüngsten Tag zu Gericht sitzt. Der Monotheis¬

mus spielt in den ältesten Suren durchaus keine führende

Rolle 1). Andrae S. 19 hat darauf verwiesen, daß Muhammads

Glaubensbekenntnis, „es gibt keinen Gott außer Allah",

keineswegs die Einführung eines neuen Gottes bedeutete^).

Die Mekkaner bestritten nicht etwa die Existenz Allahs,

,,des Herrn des Hauses"; er war auch für sie der höchste

Gott; sie hatten keinen lebendigen Glauben an eine Mehrheit

verschiedener, gleichgeordneter göttlicher Wesen, und hingen

am altüberkommenen Götzendienst nur aus Pietät. Dazu

kam als besonders wirksame Triebfeder der Eigennutz und

die Profitgier der führenden Handelsaristokratie, die am

Götzendienst mit seinen Festen und Märkten gut verdiente.

Andrae ist geneigt, diesen Allahglauben als ,, primitiven

Monotheismus" aufzufassen. Ich glaube aber, daß die alte

Deutung zu Recht besteht, die darin die Einwirkung der

monotheistischen Religionen erblickt hat. Der Handel, der

Mekka mit der Außenwelt verknüpfte, hatte eine, wenn auch

oberflächliche Kenntnis fremder Religionen ins Higäz ge¬

bracht und bereits vor dem Auftreten Muhammads bei

denkenden Mekkanern Zweifel an der Gültigkeit des Heiden¬

tums aufkommen lassen. Die Tradition hat uns ja die Namen

1) Zum ersten Male tritt die Warnung vor dem Polytheismus in

Sure 51, 51 auf; diese Stelle gehört nach Nöldbke-Schwally 1,105 einem jüngeren Zusatz an.

2) Den von ihm gegebenen Belegen reiht sich als ältester (noch

aus der 1. mekkanischen Periode) Sure 89,14 — 16 an: „Wenn sein

Herr ihn prüft und ehrt und begnadet, spricht er (der Mensch) : Mein

Herr hat mich geehrt; wenn er ihn aber prüft und ihm seine Ver¬

sorgung bemißt, spricht er: mein Herr verachtet mich."

(8)

516 J. Fück, Die Originalität des arabisciien Propheten

solcher Gottsucher erhalten, von denen die einen im Juden¬

oder Christentum Rettung suchten während andere, die

ihre nationale Eigenart nicht aufgeben wollten, aus den

älteren Religionen dasjenige übernahmen, was ihnen brauch¬

bar erschien: den Glauben an den einigen Gott, die Ab¬

lehnung aller Vielgötterei und die Forderung einer sittlichen

Lebenshaltung. Ein solcher Hanif war Zaid b. 'Amr b. Nufail,

ein Oheim des nachmaligen Kahfen 'Umar. Auch in anderen

Städten fmden wir Männer von ähnlicher Geistesrichtung,

so in Tä'if den Dichter Umajja b. abi's-Salt, in Medina die

beiden Führer der Ausalläh, Abü 'Ämir ar-Rähib und Abü

Qais b. al-Aslat^), die dem Propheten nach seiner Übersied¬

lung nach Medina heftigen Widerstand entgegensetzten und

wie Umajja als Hanifen starben. Nun benutzt bekanntlich

der Koran das Wort Hanl] zur Bezeichnung der Urreligion.

Muhammad hat also deutlich ein Bewußtsein davon gehabt,

daß seine Lehre mit der der alten Hanifen übereinstimmte.

Daraus folgt aber, daß wir einen nationalarabischen Mono¬

theismus als Vorstufe zum Islam anzunehmen haben, der

bei allen Untersuchungen über die etwaigen Anregungen,

die Muhammad empfing, nicht außer acht gelassen werden

darf; vermutlich ist dieser nationalarabische Monotheismus

für vieles verantwortlich zu machen, was Muhammad mit

Juden- und Christentum gemein hat. Dazu paßt trefflich,

daß gerade in der ersten Periode Muhammads Predigt ein

überraschend arabisches Kolorit zeigt. Hierher gehören drei

1) Das ist an sich glaubwürdig. Freilich darf man sich dafür nicht

auf Waraqa b. Naufal, den angeblichen Vetter der Hadiga, berufen.

Sämtliche Nachrichten über ihn zeigen so einseitig das Bestreben,

ihn als einen bibelkundigen Christen darzustellen, der auf Grund der

messianischen Verheißungen das Erscheinen des arabischen Propheten

weissagt, daß es unmöglich scheint, den geschichtlichen Kern zufassen.

2) S. Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten IV, 16f. Erst die spätere

Legende läßt Abü Qais b. al-Aslat auf dem Totenbette den Islam an¬

nehmen ("Abd al-Qädir, ffizänat al-Adab II, 533). Die älteren Quellen

berichten das Gegenteil (Gumalil, Tabaqät 55; Gähiz, ffajawän 7,59).

Daß er ein Hanlf war, beweisen die Verse B. Hiääm 293 selbst dann,

wenn sie unecht sein sollten: Kein Muslim konnte ein Interesse daran

haben, diesen Gegner des Propheten zum Hanifen zu stempeln.

(9)

J. FüOK, Die Originalität des arabischen Propheten 517

der ältesten Suren: III, 106, 105. In der III. Sure Tabhat

jadä abl Lahab hat Fischer, ZDMG 86,*10* uns ein hand¬

festes altarabisches Higä' sehen gelehrt ; Sure 106 IV Iläfi QuraiS

sieht in den Handelskarawanen der Mekkaner einen Gnaden¬

erweis Gottes und erkennt das heilige Gebiet ganz naiv an.

Das Fragment 105 schließlich ist eine Straflegende, die am

Beispiel der (christlichen!) Abessinier zeigt, welches Schicksal

denen droht, die gegen Gott, den „Herrn des Hauses", freveln.

Das spricht gewiß nicht für Sympathien mit den Christen,

geschweige denn für eine Beeinflussung durch sie. Auch die

bald darauf erwähnte Straflegende der Tamüd, Sure 91, 11,

die er häufiger als jede andere anführt, ist arabischer Her¬

kunft; ihr schließen sich verwandte Stolle, die Legenden

von 'Äd, Hüd, Iram und in der 2. Periode die Ashäb al-

Aika mit Su'aib, die Asljäb ar-Rass und Tubba' an. In

der ebenfalls alten Sure 108 wird der Prophet aufgefordert:

„Bete zu deinem Herrn und opfere". Nur erinnert sei an

die Garäniq-Episode in Sure 53. Schließlich sind nur vom

Arabertum her die Einwände der Mekkaner verständlich,

der Prophet sei magnün, ein kähin, Sä'ir oder sähir. Ein¬

wände, die er — und dies ist entscheidend — durchaus

ernst nahm. Dazu halte man Fischer's glänzenden Nach¬

weis (EI s. V. Kähin), daß Muhammad tatsächlich in seinem

Auftreten in vielem an die altarabischen Kuhhän gemahnt,

und daß selbst noch in den ersten Jahren seines medinischen

Aufenthaltes die Formen, unter denen er Recht sprach und

Streitigkeiten schlichtete, im wesentlichen denen eines heid¬

nischen Kähin und Hakam entsprachen. Zu diesen Überein¬

stimmungen zählen auch, wie längst erkannt ist, die Stil¬

mittel des Korans; Sag', Alliteration und die häufigen, auf

die erste mekkanische Periode beschränkten Schwüre zu

Beginn mancher Suren. Schließlich trägt auch die älteste

Schilderung von Hölle und Paradies in Sure 77 rein arabische

Züge.

Die Vorstellung vom jüngsten Gericht, die im Mittelpunkt

der urislamischen Verkündigung steht, ist aufs innigste ver¬

knüpft mit dem Glauben an den einigen Gott, neben dem

(10)

518 J. Fück, Die Originalität des arabisciien Propheten

es keine anderen Götter gibt, der Überzeugung von seiner

Allmacht, gegen die keine andere Macht aufkommt, dem

Bewußtsein seines sittlichen Wesens, das dem Menschen

Richtschnur für das eigene Handeln sein soll. Alle diese

Ideen aber, die bereits in der ältesten mekkanischen Periode

vorliegen, mögen sie auch nicht immer deutlich zum Aus¬

druck kommen, sind eingebettet in die großartige Konzeption

von der zyklischen Offenbarung, ohne die Muhammads

Prophetenbewußtsein und sein Auftreten als Warner und

Prediger schlechterdings unverständlich bleibt. Diese Lehre

besagt, daß Gott jedem Volk in seiner eigenen Sprache

durch einen besonderen Boten die göttliche Offenbarung

schickt, daß freilich bisher alle Völker, verleitet von den am

Herkommen zähe festhaltenden führenden Kreisen, die

Gottesboten der Lüge geziehen, beschimpft und verspottet

haben, und daß dann Gott in einem Strafgericht die Sünder

hinwegraffte'). Offenbar denkt sich der Prophet diese Völker

als Stadtstaaten nach dem Muster seiner eigenen Heimat¬

stadt Mekka und ihrer Einwohner, der Quraisch, wie er ja

auch zunächst sich als den Gesandten Mekkas gefühlt und

erst später seine Tätigkeit auf außermekkanische Kreise

ausgedehnt hat. Diese eigenartige Zyklentheorie läßt sich

weder aus dem Judentum noch aus dem Christentum ab¬

leiten; die Idee als solche hat Parallelen in der Gnosis und

insbesondere bei Mani*), ohne daß sich vorläufig die Ver¬

bindungsfäden aufweisen ließen. Aber ihre spezielle Ausprä¬

gung, wie sie im Koran vorliegt, vor allem die Eingliederung

altarabischer Gottesboten, ist Muhammads Eigentum; sie

enthält sozusagen seine Geschichtsphilosophie und bestimmt

sein Verhältnis zu anderen Völkern, die bereits die göttliche

Offenbarung empfangen haben. Sie ist der beste Beweis dafür,

daß Muhammad den entscheidenden Anstoß zu seiner Predigt

weder von Juden noch von Christen erhalten haben kann.

Man hat zwar vermutet, daß er vor seiner Berufung einer

jüdischen oder christlichen Schriftverlesung beigewohnt habe,

1) Diese Theorie liegt bereits in der alten Sure 91 deutlich vor.

2) Siehe T. Andbae, Mohammed S. 80«.

(11)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 519

und daß ein solches Erlebnis in ihm den Wunsch habe wach¬

werden lassen, daß auch seinem Volke Gottes Wort gepredigt

werden möge. Wäre dem so, so hätte er sich zunächst wohl

näher mit Juden- oder Christentum beschäftigt. Ganz un¬

begreiflich aber bleibt es, wie er auf den Gedanken hätte ver¬

fallen können, Gott müsse seinen Landsleuten einen neuen

Propheten senden, um ihnen die alten Wahrheiten in ihrer

Sprache zu verkündigen. Eine Übersetzung hätte da gewiß

näher gelegen. Ebensowenig befriedigt die Deutung, die

Andbak (Mohammed S. 14) vorgeschlagen hat. Er hält es

für sicher, daß Muhammad einmal einer christlichen Missions¬

predigt, wohl der eines Nestorianers'), gelauscht habe. Nur

so soll es sich erklären, ,,daß der Prophet nicht nur die christ¬

liche Lehre von dem Gericht, von der Vergeltung und den

guten Werken in den Grundzügen kennt, sondern auch in

Einzelheiten die in den Kirchen des Orients übliche Auf¬

fassung dieser Lehren wiedergibt, teilweise sogar in Stil¬

formen und Ausdrücken, die christlichen Ursprungs sein

müssen". Wie aber hätte Muhammad, der von einer christ¬

lichen Missionspredigt so tief beeindruckt sein soll, daß er aus

ihr bis in die Einzelheiten des Stils Anregungen übernimmt,

gerade das Entscheidende, die Predigt von Christus, so ganz

außer acht lassen können, daß er in der ersten mekkanischen

Periode gar nicht darauf Bezug nimmt? Müßten wir nicht

wenigstens einen, wenn auch noch so leichten Hinweis darauf

erwarten, daß er die christliche Heilslehre ablehnt? Und vor

allem: Für die Prophetologie, jenen metaphysischen Hinter¬

grund für Muhammads Wirksamkeit, gibt das Christentum

nicht den mindesten Anhalt. Die auffälligen Übereinstim¬

mungen zwischen Koran und der christlichen Literatur,

1) Andbae ist offenbar geneigt, der Tradition einiges Gewicht bei¬

zulegen, wonach Muhammad auf der Messe von 'Uliä? den Quss b.

Sä'ida, „einen christlichen Prediger, der Bischof in Nagrän gewesen

sein soll", predigen hörte. Quss ist vielmehr ein Hanif. Zum Christen wird er erst in jungen Quellen gemacht. Der älteste uns zugängliche Bericht bei Ibn Sa'd I 2, 55 (aus Madä'ini) besagt nur, daß er im Heiden¬

tum als Hanif lebte und daß er nach 'Ukäz kam und Ansprachen hielt,

„welche man im Gedächtnis aufbewahrt hat".

(12)

520 J. Fdck, Die Originalität des arabischen Propheten

auf die Andrae sich beruft, finden sich nicht in den ältesten

Suren. Allzuleicht vergißt man, daß die einzelnen Suren sich

über eine lange Reihe von Jahren erstrecken, und daß selbst

die erste mekkanische Periode Stücke umfaßt, die um mehrere

Jahre auseinander liegen. Was sich in den ältesten Suren,

die für die Frage nach dem ursprünglichen Charakter des

Islams entscheidend sind, an christlichen und jüdischen

Anklängen findet, ist so unbestimmt, daß es sich nicht mit

Sicherheit der einen oder andern Quelle zuschreiben läßt.

Die monotheistische Idee und den Glauben an Auferstehung

und Gericht kannte bereits das Hanifentum. Die religiösen

Termini nichtarabischer Herkunft entstammen zum größten

Teil dem Aramäischen, das damals die internationale Kultur¬

sprache des vorderen Orients war und von den verschiedenen

Religionsgemeinschaften gleichermaßen benutzt wurde. Nur

bei einigen Ausdrücken äthiopischer Herkunft scheint es

wahrscheinlich, daß sie dem Propheten durch christliche

Sklaven oder Händler aus Abessinien zugetragen worden

sind'); doch ist auch hier mit Südarabien als Mittelglied zu

rechnen. Überdies müssen bereits die Hanifen eine Anzahl

religiöser Termini besessen haben. Wenn in Sure 87 auf die

Suhuf Ibrähim wa-Müsä angespielt wird, so weist dies gewiß

nicht auf eine Kenntnis jüdischer oder christlicher Orthodoxie

hin, und dies bestätigt Sure 53, 37—54, wonach in diesem

Suhuf unter anderem auch die Geschichte von 'Äd und

Tamüd stehen soll. Hier hat Muhammad vielmehr deutlich

vom Standpunkt seiner zyklischen OfPenbarungstheorie aus

seine eigenen Lehren einer älteren Offenbarungsschrift zu¬

geschrieben "). Ebenso hat er je länger desto mehr den früheren

Propheten seine eigenen Worte in den Mund gelegt und ihre

1) Nöldekb, Neue Beiträge S. 46ff. Solcher Herkunft ist z. B. das Wort Öahannam, das sich bereits in der 1. mekkanischen Periode findet.

2) Beiläufig verweise ich auf die Form Ibrähim, die nicht zu hebräisch

Abraham stimmt (Rhodokanakis, WZKM XVII, 283 sieht in ihr eine

Reimwortbildung zu Ismä'il) und den Abstand von den älteren Reli¬

gionen deutlich markiert. Das gleiche gilt für den Tür Sinin Sure 95,1 und das heilige Tal Tuwan Sure 79,16. Übrigens zeigt 'lUiyyün, S. 83,18,

daß Muhammads Gewährsleute keine gelehrten Männer waren.

(13)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 521

Gegner dieselben Einwände erheben, dieselben Reden halten

lassen, die er selbst von den ungläubigen Mekkanern zu hören

bekam'). Um seine Lehre von der Offenbarung zu erweisen,

zählt er als Illustration seiner Predigt immer wieder Beispiele

von göttlichen Strafgerichten über Völker der Vorzeit auf,

darunter eine ganze Reihe bibhscher Legenden. Aber die

christlichen Stoffe sind durchaus nicht vorherrschend. Es

fmden sich vielmehr auch die arabischen Legenden von den

Propheten Sälih, Su'aib und Hüd darunter, die sich zwar in

der vorislamischen Literatur nicht nachweisen lassen, die

aber üire Existenz gewiß nicht einem Einfall des Propheten

verdanken, sondern altarabischer Überlieferung angehören.

Das Material dieser Legenden griff er eben von allen Seiten

auf; es begegnen uns neben Namensformen, die ein deutlich

aramäisches Gepräge tragen, auch solche, die auf abessinische

Herkunft weisen; das eine Mal trägt er eine jüdische, das

andere Mal eine christliche Fassung vor. Dabei kam es ihm

nicht darauf an, ein vergnügungssüchtiges Publikum zu

unterhalten ; er wollte vielmehr seine im Unglauben lebenden

Mitbürger zum rechten Glauben bekehren, sie zu einem

sittlichen Lebenswandel aufrufen, sie warnen vor dem jüng¬

sten Tag und seinem ewigen Höllenfeuer. Dieser praktische

Endzweck erklärt die stilistischen Eigentümlichkeiten der

Straflegenden, ihre Kürze, die sich häufig mit einer An¬

spielung begnügt, den Mangel an anschaulicher Ausführlich¬

keit und die ermüdenden Wiederholungen. Die biblischen

Legenden spielen also innerhalb des Systems der koranischen

Offenbarung nur eine untergeordnete Rolle als Illustrations¬

material und dürfen keineswegs als Beweis dafür verwandt

werden, daß der Prophet in einem wesentlichen Punkte

seiner religiösen Überzeugung von Juden oder Christen

abhängig sei. Wie wenig das tatsächlich der Fall war, und wie

bescheiden Muhammads Kenntnisse der älteren Offenbarungs-

1) Demgemäß bezeichnet er in Sure 51 bei der Geschichte von

Abrahams Gästen Lot und seine Familie als ein „muslimisches Haus";

doch gehört diese Stelle wohl erst der 2. mekkanischen Periode an

(vgl. Nöldeke-Schwally 1,105).

(14)

522 J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten

religionen waren, das zeigt am deutlichsten seine naive

Hoffnung, er werde von Juden und Christen als Prophet

anerkannt werden; ja, es scheint mir, daß erst die Überzeu¬

gung von der inhaltlichen Übereinstimmung seiner Ver¬

kündigung mit dem, was Juden und Christen in ihren Büchern

lasen, ihn veranlaßt hat, sich mit ihrer Überlieferung näher

zu befassen: denn erst die zweite mekkanische Periode zeigt

eine ausgedehntere Kenntnis biblischer Legenden. Erst in

ihr treten die stilistischen Übereinstimmungen mit den

Formen christlicher Liturgien auf, die A. Baumstark,

Islam XVI, 299 in sorgsamer Analyse aufgezeigt Ijat. In

dieser Zeit sendet er einige seiner Anhänger nach dem christ¬

lichen Abessinien hinüber; in der dritten mekkanischen

Periode beginnt er, in den Äußerlichkeiten des Kultus sich

an das Muster der älteren Religionen anzulehnen. (Fasten,

Qibla, Gottesdienst). In Medina freilich mußte er bald er¬

kennen, daß seine Hoffnungen eitel waren, und die Ab¬

lehnung, die er durch die Juden erfuhr, traf ihn um so schmerz¬

licher, als keine tieferen Kenntnisse jüdischen Wesens ihn

darauf vorbereitet hatten. Ihre scharfe Gegenkritik war der

schwerste Schlag, der je gegen seine Lehre geführt wurde,

und den er instinktiv parierte, indem er sich auf die unver¬

rückbaren arabischen Grundlagen seiner Religion zurückzog.

Die millat Ibrähim ist nur das äußere Symbol dieser Selbst¬

besinnung. Wieder richtet der Prophet seine Augen auf die

Ka'ba. Sie rückt jetzt in den Mittelpunkt des islamischen

Kultus. Die Pilgerfahrt und ihre Bräuche werden nunmehr

ihres heidnischen Wesens entkleidet und endgültig in die

neue Religion übernommen. In der Gesetzgebung der letzten

medinischen Jahre vollendet sich die Schöpfung des Prophe¬

ten. Hier gewinnt der Islam seine endgültige Gestalt.

Christliche Polemik stellt die medinische Zeit gern als

eine Periode des inneren Zerfalls dar, in der der Enthusiasmus

der mekkanischen Zeit ganz erloschen sein, nur noch kalter

Egoismus und berechnende Klugheit den Propheten beherr¬

schen soll. Eine solche Auffassung übersieht, daß alle wahre

Religion den ganzen Menschen ergreift und den vollen Einsatz

(15)

J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten 523

aller seiner Kräfte fordert. Kein Gebiet läßt sich dann ihrem

Einfluß entziehen. Wenn Muhammad erst in Medina die

islamische Gesetzgebung ausgebaut hat, so deshalb, weil erst

hier infolge der ständig wachsenden Zahl seiner Anhänger

eine Notwendigkeit dazu vorlag, und weil erst hier die Mög¬

lichkeiten dazu gegeben waren. Der Streit, ob Muhammad

bereits in Mekka politisch tätig gewesen sei, ist müßig; denn

für ihn gab es keinen Gegensatz zwischen religiöser und

politischer Betätigung. Bereits die älteste Predigt des Islams

enthält notwendigerweise die Forderung einer sittlichen

Lebenshaltung als der einzigen Gewähr gegen den göttlichen

Zorn und die Höllenstrafen. Vor allem schärft der Koran

wieder und wieder ein, daß die Gläubigen Almosen geben und

sich der Armen und Waisen annehmen müssen'). Bereits

in sehr früher Zeit werden für sie feste Abgaben erwähnt").

Diese und ähnliche Forderungen, wie die, daß man sich das

Gut der Witwen und Waisen nicht aneignen solle, daß

man anvertrautes Gut zurückgeben müsse, daß man rechte

Waage und rechtes Gewicht geben müsse, und daß man

keinen Meineid schwören solle*), sind aufs engste mit den

im modernen Sinne eigentlich „religiösen" Forderungen des

Gebets, der nächtlichen Vigilien und ähnlicher Akte prakti¬

scher Frömmigkeit verknüpft, und T. Andrae hat mit Recht

betont, daß die Wurzel dieser Sozialethik die Religion, nicht

die Humanität ist. Nur sollte man sich hüten, eine solche

Gesinnung vorschnell als krassen Egoismus abzutun ; denn das

Entscheidende war doch, daß der Prophet in einer Zeit

schreiender sozialer Mißstände Abhilfe schuf und eine Ethik

predigte, die seinen Anhängern schwere persönliche Opfer auf¬

erlegte, Opfer, die um so höher zu bewerten sind, als die ersten

Gläubigen großenteils arme und unbemittelte Leute waren.

Wenn diese sozialen Forderungen in der ersten mekkanischen

Periode nur hin und wieder erwähnt und nirgends besonders

hervorgehoben werden, so erklärt sich das hinreichend aus

1) Sure 92,18; 90,13-16; 93,9-10; 89,17-20 (18-21); 69, 34.

2) Sure 51,19; 70,24f.

3) s. vor allem Sure 89,14-21.

(16)

524 J. Fück, Die Originalität des arabischen Propheten

der Ekstase der Frühzeit, in der die wahnwitzige Angst vor

dem drohenden Gericht alles andere in den Hintergrund

drängte. Überdies war die Urgemeinde so klein und lebte in

so engem Umgang mit ihrem Propheten, daß sich für einen

so gleichgestimmten Kreis eine umständliche Gesetzgebung

mit genauen Vorschriften für das sittliche Verhalten er¬

übrigte. Erst in Medina machte die starke Zunahme seiner

Anhängerschaft und die schwierige wirtschaftliche Lage der

mekkanischen Auswanderer eine Ordnung des Armenwesens

und der öffentlichen Fürsorge zur unumgänglichen Not¬

wendigkeit. Nur darf man" darin keinen grundsätzlichen Um¬

schwung oder gar einen Bruch in der inneren Entwicklung

des Propheten sehen wollen. Die Gründe, die ihn in Mekka

daran gehindert hatten, seine Gemeinde so aufzubauen,

wie er es nachher in Medina tat, lagen nicht in ihm, sondern

außer ihm. In Mekka hatte ihm der erbitterte und zähe

Widerstand der quraischitischen Aristokratie im Wege gestan¬

den, die richtig fühlte, daß die neue Religion den Untergang

der altmekkanischen Gesellschaft bedeutete. Anders war es

in Medina. Hier war die altarabische Stammesverfassung

schon so stark in Zerfall geraten, daß sie der neuen Bewegung

keinen ernsthaften Widerstand zu leisten in der Lage war.

Es ist nicht so, daß die Gelegenheit, sich als Politiker zu

betätigen, Muhammad dazu verführt hätte, seine früheren

Bestrebungen aufzugeben und das, was ihm einst heilig war,

zu verraten; vielmehr hat er in Medina den günstigen Boden

gefunden, auf dem er das, was er in Mekka gepredigt und

gelehrt, in die Tat umsetzen konnte. Mit Stolz konnte er bei

der Abschiedswallfahrt des Jahres 10 h, wenige Monate vor

seinem Tode, die Verse Sure 5, 3 (5 Fl.) rezitieren: ,, Heute

habe ich euch euren Glauben vollendet und an euch meine

Gnade erfüllt."

Das Bild, das wir von dem Propheten gewinnen, wäre

aber nicht vollständig, wenn wir nicht zum Schluß seiner

Persönlichkeit gedächten, in deren Zauber das letzte Ge¬

heimnis seines Erfolges beschlossen liegt. T. Andrae (S. 104)

hat darauf hingewiesen, daß die Macht seiner Persönlich-

(17)

J. Fück, Die Originalität des arabisciien Propheten 525

keit sich auch darin zeigt, daß er Männer wie Abu Bakr und

'Umar in seinen Bann gezogen hat. Dieser seiner Stärke

war der Prophet sich wohl bewußt; stellt er sich doch den

Gläubigen als „schönes Beispiel" hin (Sure 33, 21; a. d.

Jahre 5 h) und bezeichnet sich als den „Ersten unter den

Gläubigen" (Sure 6, 163; 3. mekkanische Periode). Wir sind

leicht geneigt, diesen persönlichen Einfluß zu unterschätzen;

und doch liegt die bleibende Wirkung Muhammads in dem

einzigartigen Wesen seines persönlichen Charakters be¬

schlossen. Der Koran hat sich, wie alles geschriebene Wort,

bis zum heutigen Tage Auslegungen und Umdeutungen

gefallen lassen müssen; aber das Vorbild des Propheten hat

durch die Jahrhunderte hindurch wegweisend und richtung¬

gebend seinen Nachfolgern vorangeleuchtet. Wenn immer

fremde Einflüsse das wahre islamische Wesen zu überwuchern

drohten, war die Wiederherstellung der Sünna das Schlag¬

wort, unter dem der Kampf gegen die Überfremdung geführt

wurde. So ist durch die Jahrhunderte hindurch sein Einfluß

spürbar, und noch heute sehen wir in wahrer muslimischer

Frömmigkeit einen Abglanz jenes Gotteserlebnisses, das

vor 1300 Jahren im fernen Arabien Muhammad, den Sohn

Abdallahs zwang, aufzutreten und von Gott und dem Gericht

zu predigen.

Zettnbrift d. DHO. Bd. SO (Naae Folge Bd. It) 35

(18)

über den Hellenismus in Baghdad und Cairo im 11. Jahrhundert')

Von Joseph Schacht

Daß die islamische Zivilisation in der Spätantike wurzelt,

ist seit C. H. Becker") Gemeingut der orientalistischen

Wissenschaft geworden. Die Araber haben zur Errichtung

jenes Gebäudes fast nur durch die formalen Elemente ihrer

Sprache und ihrer Religion beigetragen; das Material da¬

gegen stammt großenteils aus dem orientalisierten Hellenis¬

mus. Ja, das arabische Reich hat dieser Hellenisierung des

vorderen Orients, als deren Frucht wir eben die islamische

Zivilisation zu betrachten haben, erst den geeigneten Reso¬

nanzboden verschafft und ihr damit zur vollen Durch¬

setzung verholfen. So finden wir*), daß von etwa 750 bis

gegen 900 die Übersetzung philosophischer, naturwissen¬

schaftlicher und medizinischer Werke aus dem Griechischen,

deren Anfänge die Araber in den eroberten Ländern bereits

vorgefunden hatten, einen neuen, großen Aufschwung nahm.

Zur Vermittlung zwischen dem Griechischen und dem Ara¬

bischen diente weiter die Sprache der frühesten Übersetzun¬

gen, das Syrische, und die Übersetzer waren großenteils

nestorianische Christen. Unter ihnen steht in erster Linie

der gelehrte Philosoph und Arzt Hunain ibn Ishäq (809

1) Dieser am 17. 6. 1936 in der Königsberger Gelehrten Gesellschaft

und am 4. 9. 1936 auf dem 8. Deutschen Orientalistentag in Bonn

gehaltene Vortrag unterrichtet über Inhalt und Ziel einer gemeinsamen

Arbeit von M. Mkyerhof und mir, die demnächst in Cairo erscheinen

soll: The Medico-Philosophical Controversy between Ibn Butlän and

Ibn Ridwän. A Contribution to the History of Greek Learning among the

Arabs.

2) Islamstudien, Bd. I, Iff.

3) Zum folgenden vgl. M. Mbterhop in The Legacy of Islam, 311 ff.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Teammitglieder der Kita sind sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit und den Zeit- einsatz der Projektgruppe und freuen sich, dass allen Kindern demnächst

Wenn angezweifelt wird, dass Straßen Verkehr erzeugen, dann ist es für mich nicht schwierig, den gedanklichen Kern dieser Kritik zu erfassen, denn ich wurde in dieser

In diesem Papier wird aus historischer und begriffskritischer Perspektive die Ent- wicklung des öffentlichen Nahverkehrs in Deutschland zu einem Bestandteil der

(4) Die Betreuungskräfte sind in Ausübung ihrer Tätigkeit durch die Stadt Ratingen außer in der Haftpflichtversicherung gegen Unfall und Unfallfolgen gemäß § 539 RVO beim

Schon Monate vor dem Gipfel begannen die Vorbereitungen, nicht nur in Evian, sondern auch in den umliegenden Regionen, allem voran der Region des Chablais, in der die Konferenz-

August 1635 in Trier, bestritt das Hexenwesen zwar nicht, sah sich aber verpflichtet, gegen die gängige Praxis anzuklagen – möglicherweise we- gen eines bekannten Prozesses

Ähnlich wie im Buch Hosea (M5) geht es um die Verkündigung eines be- stimmten Gottesbildes, hier eines Gottes, der sich nicht von einer bestimmten Gruppe vereinnahmen lässt, sondern

Nach der Begrüßung stellen Sie Gast und Schüler einander vor. Berichten Sie aus welcher Motivation die Idee entstanden ist, einen Gast einzuladen. Sollten noch organisatorische