Immer wieder sterben Patienten an der toxischen Epidermolyse durch Me- dikamente, der schwersten uner- wünschten Arzneimittelreaktion an der Haut. Durch die frühzeitige Erken- nung und gezielte Behandlung läßt sich die Mortalität erheblich senken oder verhindern, weshalb hier noch einmal die wichtigsten Frühzeichen zusam- mengestellt werden sollen.
Den ersten Hauterscheinungen ge- hen in manchen Fällen unspezifische, grippeartige Allgemeinsymptome mit erhöhter Temperatur und einer Eosi- nophilie voraus. Dann kommt es zu exanthematischen Hautveränderun- gen, die entweder aus einem zarten, zu- nächst scarlatiniformen Exanthem aus konfluierenden Flecken bestehen, wel- che sich rasch zu einem zartrosa bis li- vide gefärbten flächigen Erythem aus- dehnen.
Meist ist schon im frühen Stadium die Epidermolyse, die Ablösung der äußeren Epidermisschichten, durch das positive Nikolsky-Phänomen nach- zuweisen: Wird ein Finger mit zartem Druck über die fleckig oder flächenhaft verfärbten Hautbezirke geschoben, so lösen sich Hornschicht und äußere Epi- dermis mit dem Finger von der übrigen Haut ab, die als feucht glänzende, je- doch nicht blutende Fläche zurück- bleibt. Bei einer anderen Frühform ist das Exanthem mehr oder weniger aus- geprägt rot gefärbt und besteht über- wiegend aus Papeln, die — teilweise ko- kardenartig gegliedert — dem Bild des Erythema exsudativum multiforme ent- sprechen können. Auch hierbei kann es innerhalb von Stunden zu einer flä- chenhaften Epidermolyse kommen.
Im weiteren Verlauf lösen sich gro- ße Teile der obersten Hautschichten wie bei einer sehr flachen Verbren- nung oder Verbrühung in mehr oder weniger großen Bezirken ab, so daß der Patient innerhalb von zwei bis drei Ta- gen wie ein Schwerverbrannter aus- sieht und intensivmedizinisch behan- delt werden muß. Dabei wird die Pro- gnose in erster Linie durch den Erhalt eines normalen Flüssigkeits- und Elek- trolyt-Haushaltes und die Verhütung einer Infektion der epidermolytischen Hautareale durch (opportunistische) Keime, insbesondere Pseudomonas ae- ruginosa („B. pyocyaneus"), bestimmt.
Deshalb ist die sofortige Einweisung in eine Klinik mit speziellen Erfahrungen erforderlich.
Im Hinblick auf die Tatsache, daß vor allem bei Kindern eine toxische Epidermolyse durch bestimmte Staphy- lokokken-Stämme ausgelöst sein kann, ist deren differentialdiagnostische Ab- grenzung erforderlich, die gelegentlich aus der Vorgeschichte (sicher keinerlei Medikamente eingenommen), sicherer jedoch aus dem histologischen Befund und dem Nachweis des Erregers mög- lich ist. Auch aus diesem Grund sollte jeder Patient mit Verdacht auf eine to- xische Epidermolyse sofort in eine Hautklinik eingewiesen werden.
Schließlich ist noch festzustellen, daß mit einer toxischen Epidermolyse grundsätzlich bei jedem Medikament gerechnet werden muß. Jedoch zeigen die Literatur und die der Arzneimittel- kommission vorliegenden Meldungen, daß diese schwere „Nebenwirkung" be- vorzugt durch einige wenige, allerdings häufig eingesetzte Medikamente aus- gelöst wird. Es sind dies
—Sulfonamide (auch als Sulfasala- zin oder in Kombination mit Trimetho- prim u. ä.)
—Nichtsteroidale Antiphlogistika, zum Beispiel Pyrazolone
—Antikonvulsiva (vor allem Pheny- toin, Carbamazepin)
—Allopurinol (auch in Kombinatio- nen mit Benzbromaron)
—Barbiturate (auch in Kombinati- onspräparaten)
Es muß aber nochmals betont wer- den, daß die oben beschriebenen klini- schen Symptome auf jeden Fall auch dann für eine toxische Epidermolyse sprechen, wenn keines der aufgeführ- ten Medikamente eingenommen wur- de, weil auch grundsätzlich bei jedem anderen Medikament gelegentlich eine solche Reaktion auftreten kann.
Weiterführende Literatur: G.
Goerz u.T. Ruzicka, „Lyell-Syndrom", Grosse-Verlag, Berlin, 1978.
Zur Häufigkeit
schwerer arzneimittelinduzierter Hautreaktionen
(Arzneimittelschnellinformation des Bundesgesundheitsamtes 1/1991)
Das Bundesgesundheitsamt infor- miert darüber (1), daß eine Arbeits- gruppe unter Leitung von Prof. Dr. E.
Schöpf, Universitäts-Hautklinik Frei- burg, im April 1990 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung
und Technologie (BMFT) eine pro- spektive Studie zur Erfassung und Aus- wertung von Fällen toxischer epider- maler Nekrolyse, Erythema exsudati- vum multiforme und des toxischen Schock-Syndroms begonnen hat. In die Studie sollen möglichst alle Fälle in der Bundesrepublik einbezogen werden, unabhängig davon, ob die Auslösung des Krankheitsbildes auf ein Arznei- mittel oder ein anderes Agens (zum Beispiel Staphylokokkeninfektion, vi- rale Infektion) zurückzuführen ist.
„Die Arbeitsgruppe bittet darum, alle Fälle, in denen der Verdacht auf eine der oben genannten Erkrankun- gen besteht, dem Dokumentationszen- trum schwerer Hautreaktionen (Adresse:
Universitäts-Hautklinik, Hauptstraße 7, W-7800 Freiburg, Tel. 07 61/27 08- 4 23/-4 84, Telefax 07 61/27 08-5 29) te- lefonisch oder schriftlich zu übermit- teln. Mitarbeiter des Dokumentations- zentrums werden in enger Zusammen- arbeit mit der meldenden Stelle/dem Arzt die für eine Bewertung der Fälle notwendigen Daten ermitteln. Die Fallberichte werden einer internatio- nalen Expertengruppe zur Prüfung vor- gelegt, ob die Einschlußkriterien für die Studie erfüllt sind" (1, dazu siehe auch 2).
Das Bundesgesundheitsamt und die Arzneimittelkommission unterstützen die Durchführung dieser Studie. Be- richte über Verdachtsfälle zu den ge- nannten Erkrankungen können auch dem Bundesgesundheitsamt oder der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zugesandt werden. Das Bundesgesundheitsamt sowie die Arz- neimittelkommission leiten diese Be- richte anonymisiert an das Dokumenta- tionszentrum in Freiburg weiter. Erst mit Zustimmung des Berichtenden werden Namen und Adresse der mel- denden Stelle weitergegeben, um dem Dokumentationszentrum weitergehende Recherchen zu ermöglichen.
Entsprechende Beobachtungen können der Arzneimittelkommission auf den im Deutschen Ärzteblatt abge- druckten Berichtsbogen oder formlos zugesandt werden.
Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft, Aachener Straße 233-237, Postfach 41 01 25, W-5000 Köln 41, Tel. 02 21/40 04-5 10, Telefax 02 21/40 04-5 39
Literatur
(1) Arzneimittelschnellinformation des Bun- desgesundheitsamtes 1/1991
(2) Schöpf, E. et al., Dt. Ärztebl. (1990) 87, 46, A-3641
Wir danken Professor Dr. med. G. Goerz, Düsseldorf, Professor Dr. med. H. Ippen, Göt- tingen, und Professor Dr. med. H. Merk, Köln, für ihre Beratung.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft informiert erneut über schwerwiegende, durch Arzneimittel verursachte Hautveränderungen (vergl. Dt.
Ärztebl. (1984), 81, 45, Seite 3344):
Toxische Epidermolyse, „Lyell-Syndrom"
A-2410 (78) Dt. Ärztebl. 88, Heft 27, 4. Juli 1991