DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BEKANNTMACHUNG DER BUNDESÄRZTEKAMMER
DIE ARZNEIMITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT INFORMIERT:
Die toxische Epidermolyse
( I
Lyell-Syndrom")
diagnostische Abgrenzung erfor- derlich, die gelegentlich aus der Vorgeschichte (sicher keinerlei Me- dikamente eingenommen), sicherer jedoch aus dem histologischen Be- fund und dem Nachweis des Erre- gers möglich ist. Auch aus diesem Grund sollte jeder Patient mit Ver- dacht auf eine toxische Epidermoly- se sofort in eine (Haut-)Klinik einge- wiesen werden.
Immer wieder sterben alte und auch junge Patienten an der toxischen Epidermolyse durch Medikamente, der schwersten Arzneimittel-Neben- wirkung an der Haut. Durch die früh- zeitige Erkennung und gezielte Be- handlung läßt sich die Mortalität wahrscheinlich erheblich senken, weshalb hier unter Hinweis auf die in dieser Zeitschrift erschienene Übersicht (K. Menzel, Deutsches Ärzteblatt vom 20. August 1981, Sei- ten 1591-1596) noch einmal die wichtigsten Frühzeichen und die Behandlung zusammengestellt wer- den sollen.
Den ersten Hautsymptomen gehen in manchen Fällen unspezifische, grippeartige Allgemeinsymptome mit erhöhter Temperatur voraus.
Dann kommt es zu exanthemati- schen Hautveränderungen, die ent- weder aus einem zarten, zunächst scarlatiniformen Exanthem aus kon- fluierenden Flecken bestehen, wel- che sich rasch zu einem zartrosa bis livide gefärbten flächigen Erythem ausdehnen.
Meist ist schon im frühen Stadium die Epidermolyse, die Ablösung der äußeren Epidermisschichten, durch das positive Nikolsky-Phänomen nachzuweisen: Wird ein Finger mit zartem Druck über die fleckig oder flächenhaft verfärbten Hautbezirke geschoben, so lösen sich Horn- schicht und äußere Epidermis mit dem Finger von der übrigen Haut ab, die als feucht glänzende, jedoch nicht blutende Fläche zurückbleibt.
Bei einer anderen Frühform ist das Exanthem mehr oder weniger aus- geprägt rot gefärbt und besteht überwiegend aus Papeln, die — teil- weise kokardenartig gegliedert — dem Bild des •Erythema exsudati- vum multiforme entsprechen kön- nen. Auch hierbei kann es innerhalb
von Stunden zu einer flächenhaften Epidermolyse kommen.
Im weiteren Verlauf lösen sich gro- ße Teile der obersten Hautschich- ten wie bei einer sehr flachen Ver- brennung oder Verbrühung in mehr oder weniger großen Bezirken ab, so daß der Patient innerhalb von zwei bis drei Tagen wie ein Schwer- verbrannter aussieht und entspre- chend behandelt werden muß. Da- bei wird die Prognose in erster Linie durch den Erhalt eines normalen Flüssigkeits- und Mineralien-Haus- haltes und die Verhütung einer In- fektion der epidermolytischen Haut- areale durch (opportunistische) Kei- me, insbesondere Pseudomonas aeruginosa („B. pyocyaneus"), be- stimmt.
In der Mehrzahl der Fälle kann die- ses lebensbedrohliche Stadium der toxischen Epidermolyse durch so- fortige orale Verabreichung von Kortikoiden (100-200 mg Predniso- Ion täglich über 3 bis 4 Tage, mög- lichst morgens) verhindert werden.
Ist allerdings die Epidermolyse be- reits weiter fortgeschritten, müssen Breitband-Antibiotika, die vor allem auch gegen Ps. aeruginosa wirksam sind, gegeben werden.
Sollte der Patient bereits vor Beginn der Hautveränderungen Antibiotika bekommen haben, so sind diese durch andere, strukturell nicht ver- wandte, zu ersetzen, da auch Anti- biotika, insbesondere Penizilline, als Ursache des medikamentenbe- dingten Lyell-Syndroms beschrie- ben wurden.
Im Hinblick auf die Tatsache, daß vor allem bei Kindern eine toxische Epidermolyse auch durch bestimm- te Staphylokokken-Stämme ausge- löst sein kann, ist deren differential-
Schließlich ist noch festzustellen, daß mit einer toxischen Epidermoly- se grundsätzlich bei jedem Medika- ment gerechnet werden muß. Je- doch zeigen die Literatur und die der Arzneimittelkommission vorlie- genden Meldungen, daß diese schwere „Nebenwirkung" bevor- zugt durch einige wenige, aller- dings häufig eingesetzte Medika- mente ausgelöst wird. Es sind dies
> Sulfonamide (auch in Kombina- tion mit Trimethoprim u. ä.)
> Pyrazolone (auch in Kombinatio- nen)
> Allopurinol (auch in Kombinatio- nen)
> Barbiturate (auch in Kombinatio- nen).
Es muß aber nochmals betont wer- den, daß die oben beschriebenen klinischen Symptome auf jeden Fall auch dann für eine toxische Epider- molyse sprechen, wenn keines der aufgeführten Medikamente einge- nommen wurde, weil auch bei je- dem anderen Medikament gele- gentlich eine solche Reaktion auf- treten kann.
• Das Schicksal dieser Patienten wird weitgehend durch die frühzei- tige Erkennung und Einleitung ei- ner intensiven Behandlung be- stimmt, hängt also ganz überwie- gend von der Aufmerksamkeit des erstbehandelnden Arztes ab.
(Weiterführende Literatur: G. Goerz u. T. Ruzicka „Lyell-Syndrom", Grosse-Verlag, Berlin 1978)
Wir danken ProfesSor Dr. med. H. lppen, Göt- tingen, und Professor Dr. med. G. Goerz, Düs- seldorf, für Ihre Beratung.
3344 (72) Heft 45 vom 7. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A