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Archiv "Die Neuralgien im Kopf-Hals-Bereich aus neurochirurgischer Sicht" (02.07.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Die Neuralgien

im Kopf-Hals-Bereich aus neurochirurgischer Sicht

Helmut Penzholz t

Aus der Neurochirurgischen Universitätsklinik

(ehem. Direktor: Professor Dr. med. Helmut Penzholz t) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die echte Trigeminusneuralgie bedarf einer sorgfältigen Abgrenzung gegenüber allen andersartigen Gesichtsschmerzen. Nach Versagen me- dikamentöser Behandlungen waren bisher nur verschiedenartige neuro- chirurgische Unterbrechungen der Schmerzleitungen möglich; stören- de Sensibilitätsdefekte ließen sich nicht immer vermeiden. Erst neuer- dings wurde als Ursache der echten Trigeminusneuralgie eine mechani- sche Alteration der Nervenwurzel an ihrem Austrittspunkt aus dem Stammhirn durch aberrierende Gefäßschlingen erkannt. Die moderne Mikroneurochirurgie ermöglicht als eine echte kausale Therapie die Beseitigung dieser permanenten Alteration ohne Sensibilitätsdefekte.

ist es für viele Neurologen auch heute noch. Man wußte lediglich, daß Tics durch äußere Reize aus- gelöst werden und daß man sie da- durch verhindern kann, daß man die Hautareale, von denen sie aus- gelöst werden, gefühllos macht.

Dies geschah zunächst durch Ex- hairesen der Peripherie, später durch Durchschneidungen oder Zerstörungen sensibler Afferen- zen immer weiter zentral. Mark- steine dieser Entwicklung sind die ersten Operationen am Ganglion Gasseri durch Fedor Krause (1884) und die partiellen Wurzelresektio- nen in der mittleren und hinteren Schädelgrube durch Frazier (1904) und Dandy (1925).

Dr. Helmut Penzholz, emeri- tierter o. Professor für Neu- rochirurgie und ehemaliger Direktor der Neurochirurgi- schen Universitäts-Klinik Heidelberg, geboren am 8.

April 1913 in Lindenau, Nie- derschlesien, gestorben am 4. April 1985, hat sich als letzter Schüler des berühm- ten Breslauer Neurologen und Neurochirurgen Otfrid Foerster und als späterer Mitarbeiter des Foerster- Schülers Arist Stender inten- siv um die Behandlung des Gesichtsschmerzes bemüht.

Er hat an der Entwicklung moderner Therapieverfahren fast ein halbes Jahrhundert lang aktiv teilgenommen und die großen Erfahrungen in vielen Vorträgen und Arbei- ten bekanntgemacht. In be- wundernswerter Weise hat er

noch im Alter von 60 Jahren die revolutionierenden mi- krochirurgischen Techniken erlernt und meisterhaft aus- geübt. Der Deutsche Neuro- chirurgen-Kongreß 1975 in Heidelberg war unter seiner Präsidentschaft den Proble- men der Schmerzbehand- lung gewidmet.

In der hier veröffentlichten Übersichtsarbeit, die kurz vor seinem Tode entstand, sind seine neuesten Erfah- rungen zusammengefaßt.

Wir glauben, daß sie im Hin- blick auf die Häufigkeit sol- cher Erkrankungen für jeden praktisch tätigen Arzt von höchstem Interesse sind.

Hans Schliack, Hannover, und

Hans Werner Pia, Gießen

s ist bei Neurochirurgen üb- lich, chronische Schmerzen im Gesichtsbereich in zwei Haupt- gruppen zu teilen: 1. Die „typi- schen" Neuralgien (Tic doulou- reux) und 2. die „atypischen" Ge- sichtsschmerzen. Wenn sich zu ei- ner „typischen" Trigeminusneur- algie noch Dauerschmerzen hin- zugesellen, sprechen wir von einer

„sekundär atypischen" Neuralgie.

Die „typische"

Trigeminusneuralgie

Die Pathophysiologie derSchmerz- attacken einer typischen Trigemi- nusneuralgie war bis in die jüng- ste Vergangenheit ein Rätsel und

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Tabelle 1: Chirurgie der „typischen" Trigeminusneuralgie 1. Destruierende Operationen:

Exhai resen

Offene Radikotomien

— temporal (Frazier 1904)

—occipital (Dandy 1925)

Perkutane Gangliotomien

—Alkohol (Härtel 1931)

—Elektrokoagulation (Kirchner 1931)

—Thermokoagulation (Sweet 1968)

— Glyzerin (Häkanson 1984)

2. Dekomprimierende Operationen:

Mikrochirurgie des Kleinhirnbrückenwinkels (Jannetta 1968)

Nucl v I p Nucl. v.c.p.c.

2414.11I 's kortiko-spinale Bahnen Gesichtsregion des Gyrus postcentralis

Formatio reticularis 4.— Vorderseitenstrang

Hinterstränge Intermediärzelle der Substancia gelatinosa 1'

Ab

Hinterhorn Vorderhorn

Motorik Aß — epikritische Sensibilität Ab Schmerzempfindung (schnell) NN— schmerzhemmende Synapsen

> schmerzstimulierende Synapsen

Abbildung 1:

Schema der Schmerzlei- tungsbahnen

in der Periphe- rie, im Rük- kenmark, im Thalamusbe- reich und im Kortex der Großhirn- hemisphären Dem Berliner Chirurgen Fritz Här-

tel verdankt die Welt die Entdek- kung, daß man das Ganglion bei Einhaltung klar definierter Ziel- punkte auch perkutan treffen und diesen eleganten Weg ebenfalls dazu benutzen kann, sensible Bahnen zu durchtrennen bezie- hungsweise zu zerstören. Härtel (1912) gelang dies durch Injektion von Alkohol, Kirschner später durch Einsatz der Elektrokoagula- tion (1931) (Tabelle 1).

Die Reduzierung der afferenten Impulse kann in der Tat in den meisten Fällen verhindern, daß es zu Tics kommt, auf die Dauer aller- dings nur, wenn genügend Affe- renzen durchtrennt werden, was immer mit sensiblen Ausfällen be- zahlt werden muß. Nachteile die- ser bahndestruierenden Opera- tionsmethoden waren neben den unvermeidlichen sensiblen Defek- ten häufigere Rezidive und, was im Einzelfall noch viel schlimmer war, das Neuauftreten von Dauer- schmerzphänomenen.

Besonders stark damit belastet war die Kirschnersche Elektroko- agulation, nach der wir sie in fast 10 Prozent der Fälle sahen. Dieser Dauerschmerz kann von den Pa- tienten noch schlimmer empfun- den werden als der vorherige An- fallsschmerz, weil er nie schwin- det und durch kein Medikament gelindert werden kann.

Voller Rätsel schienen vor allem die Fälle zu sein, die trotz heftig- ster Schmerzsensationen mit ei- ner Anästhesie des schmerzenden Hautareals einhergingen, ein Phä- nomen, welches als „Anaesthesia dolorosa" gefürchtete Berühmt- heit erlangte. Neuere Erkenntnisse der Schmerzphysiologie weisen darauf hin, daß hierbei Deafferen- zierungsphänomene eine wichtige Rolle spielen. Wie kann man sich diese erklären?

In lapidaren Sätzen sei gesagt, daß es drei Hauptarten von sensiblen Nervenfasern gibt, die die Reize von der Körperperipherie zum Zentralorgan leiten (Abbildung 1):

1. die A-Beta-Fasern, die für die Berührungsempfindung zuständig sind;

2. die A-Delta-Fasern, die den epi- kritischen Akutschmerz weiterlei- ten, und schließlich

3. die C-Fasern, die für den vegeta- tiv gefärbten Schmerz verantwort- lich sind, der sich durch seine schlechte Lokalisierbarkeit und ei- nen ausgesprochen brennenden Charakter auszeichnet.

Die beiden ersten Kategorien wer- den als phylogenetisch jüngeres, epikritisches System dem phyloge- netisch älteren, protopathischen System der C-Fasern gegenüber- gestellt. Stark vereinfacht scheint festzustehen, daß die epikritischen Afferenzen die protopathischen moderieren und bremsen.

Um auf den Gesichtsschmerz zu- rückzukommen, ist festzustellen, daß durch die Trigeminuswurzel 1944 (42) Heft 27 vom 2. Juli 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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Abbildung 2: Aus: Johann Friedrich Meckel d. Ä.: Traktat über das 5. Hirnnervenpaar, 1748

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Neuralgien im Kopf-Hals-Bereich

vor allem die Bahnen der epikriti- schen Sensibilität verlaufen und daß es für diese Afferenzen keinen anderen Weg zum Zentralorgan gibt. Den protopathischen C-Fa- sern, die zwar auch in großer Zahl in der Trigeminuswurzel vorhan- den sind, stehen aber noch sicher viele andere Wege zum Zentralor- gan zur Verfügung. Ein besonders wichtiger Umgehungsweg dürfte über die adventiellen Nervenge- flechte der Arterien und den sym- pathischen Grenzstrang verlaufen.

Auf die Praxis übertragen bedeu- tet dies, daß ein pathologischer Zustand von Übererregung vege-

tativer Schmerzrezeptoren im Ge- sicht noch immer als Schmerz- empfindung den Weg zum Gehirn findet, selbst wenn ihm der Weg über die Trigeminuswurzel ver- sperrt ist, z. B. nach operativer Durchtrennung. Eine Totaldurch- trennung der Trigeminuswurzel bedeutet gleichzeitig eine Total- durchtrennung aller epikritischen Afferenzen und damit jeder Steu- erungs- und Bremsmöglichkeit für vegetative Schmerzsyndrome.

Um diese gefürchteten Deafferen- zierungs-Schmerzzustände zu ver- meiden, wurde versucht, die rela- tiv grobe Elektrokoagulation Kirschners durch feinere Destruk- tionsmethoden zu ersetzen mit dem Ziel, die erforderliche Bahn- unterbrechung im Ganglion mög- lichst auf die markarmen protopa- thischen Schmerzbahnen zu be- schränken und die epikritischen Bahnen zu schonen. Erstrebt wur- de eine dissoziierte Empfindungs- störung mit Aufhebung der Schmerzrezeption bei erhaltener Berührungsempfindung. Dies ge- lang durch den Einsatz einer do-

sierbaren Hitzeschädigung im Gan- glion Gasseri durch Sweet (t 1968) und mit ähnlicherZielsetzung auch durch eine Glyzerininjektion in das Ganglion Gasseri durch Hakanson (1984) (Tabelle 1). Die Thermoko- agulation von Sweet wurde bald weltweit die führende Operations- methode. Sie hat jetzt praktisch alle früheren ablativen Operationsme- thoden verdrängt und wurde auch von uns in der Heidelberger Klinik seit 1975 bevorzugt.

Ganz neue Impulse bekam die Chirurgie der Trigeminusneural- gie durch die Mikrochirurgie, de- ren Erfolge darauf beruhen, daß sich ganz allmählich die Erkennt- nis durchsetzte, der Ticschmerz sei Folge eines Kompressions- schadens der Wurzel im Kleinhirn- brückenwinkel. Dandy (1925) war der erste, der diesen Verdacht ausgesprochen hatte. Er hatte, ob- wohl ihm noch kein Operations- mikroskop zur Verfügung stand, bei seinem operativen Vorgehen durch die Kleinhirnbrückenwinkel auffällig oft pathologische Gefäß- schlingen gesehen, die die Wurzel eindeutig komprimierten.

Warum es bei den vaskulären Wur- zelkompressionen nicht zu dem typischen Dauerschmerz kommt, wie wir ihn von anderen Nerven- kompressionen kennen, hat Gard- ner als erster plausibel erklärt. Er meint, daß es sich hierbei um ein interaxonales Kurzschlußphäno- men handelt, das wahrscheinlich durch Schäden an den isolieren- den Myelinscheiden ermöglicht wird. Unterstützt wurde diese An- nahme durch die bekannte Tatsa- che, daß die einzige Nervenkrank- heit, die oft mit dem Bild einer Tri- geminusneuralgie einhergeht, die multiple Sklerose ist, eine Erkran- kung, deren pathologisch-anato- misches Kardinalsymptom der Markscheidenschwund ist.

Gardner vermutete, daß ähnliche Markscheidenschäden bei intak- ten Axenzylindern auch durch sanften aber chronisch über lange Zeit wirksamen Druck auf die Ner- venwurzel verursacht werden kön- nen, wie es zum Beispiel bei unge- wöhnlich verlaufenden Gefäß- schlingen oder extrem langsam wachsenden Tumoren (zum Bei- spiel Cholesteatomen) der Fall ist.

Wahrscheinlich ist dabei auch zu berücksichtigen, daß eine frei im Liquorraum flottierende Wurzel viel eher in der Lage ist, einem Druck von außen auszuweichen als Nerven anderer Lokalisation.

So kann ein Patient, der eine der oben genannten kompressiven Noxen beherbergt, sein halbes Le-

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232 Thermokoagulationen

85 Mikrochirurgische Dekompressionen

31%, davon leicht 7%

6%, davon leicht 2%

Tabelle 2

A) Operative Frühergebnisse bei „typischer" Trigeminusneuralgie Tic-Schmerz beseitigt ungebessert

232 Thermokoagulationen 85% 15%

85 Mikrochirurgische Dekompressionen 97% 3%

B) Tic-Rezidive innerhalb von fünf Jahre

C) Postoperative Mißempfindungen oder „Brennschmerzen" bei Fällen von „typischer" Trigeminusneuralgie

232 Thermokoagulationen

85 Mikrochirurgische Dekompressionen

schwer 3 = 1,3%

12 = 5%

0

leicht

0 ben verbringen, ehe es, wenn

überhaupt, zu einer Trigeminus- neuralgie kommt, und auch die zweite Lebenshälfte ohne irgend welche anderen Symptome über- stehen. Nur selten ist eine vaskulä- re Druckschädigung so massiv, daß es schließlich auch zu Schä- den an den Axonen kommt, was sich dann im Hinzutreten von sen- siblen Ausfällen und Dauer- schmerzkomponenten äußert.

Den entscheidenden Schritt nach vorn brachte die Einführung des Operationsmikroskops in die Neu- rochirurgie. Jannetta kommt das Verdienst zu, die mikrovaskuläre Dekompression der Trigeminus- wurzel im Kleinhirnbrückenwinkel zu einer Routinemethode erhoben zu haben. Wir selbst haben sie seit 1977 gemacht und verfügen jetzt über ein Operationsgut von 103 Fällen mit Katamnesen von über acht Jahren (Tabelle 1).

Nach dem augenblicklichen Stand der Entwicklung konkurrieren welt- weit eigentlich nur noch zwei ope- rative Behandlungsmethoden der typischen Trigeminusneuralgie: 1.

die Thermokoagulation und 2. die mikrovaskuläre Dekompression.

Vorteile der Thermokoagulation

sind ihre rasche und den Patien- ten kaum belastende Durchfüh- rung und ihre leichte Wiederhol- barkeit. Nachteile sind, daß man die Schmerzfreiheit immer mit ei- nem Sensibilitätsdefekt und mit- unter mit zusätzlichen postopera- tiven Mißempfindungen erkaufen muß.

Bei der mikrochirurgischen De- kompression dagegen kommt es nicht zu Sensibilitätsdefekten oder Deafferenzierungssympto- men. Dafür erfordert sie eine sub- tile mikrochirurgische Technik und große Erfahrungen in der richtigen Erkennung und optima- len Beseitigung der ursächlich wirksamen Schädigung. Der Ein- griff verlangt sorgfältigste Präpa- ration an extrem verletzlichen Substraten in beträchtlicher Tiefe durch einen engen Zugang. Er ver- langt äußerste Konzentration ei- nes seiner großen Verantwortung bewußten Operateurs und seiner Mitarbeiter. Zwei Todesfälle durch Nachblutung im eigenen Kranken- gut beweisen Risiko und Ernst die- ser neurochirurgischen Spitzen- leistung. So ernste Zwischenfälle sollten vermeidbar sein. Übrigens können auch bei den perkutanen Eingriffen gefährliche Komplika-

tionen vorkommen, wenn man auch in der Literatur kaum etwas davon erfährt.

Wir hatten bei unseren 232 nach- untersuchten Thermokoagulatio- nen drei Todesfälle. Einen durch Meningitis, einen durch Herzin- farkt sechs Stunden nach der Ope- ration. Eine dritte, kachektische Patienten verstarb einige Wochen nach dem Eingriff an den Folgen einer zunächst harmlos erschei- nenden Karotisläsion.

Der Wert einer Schmerzoperation ist weniger durch den unmittelba- ren Heilerfolg, sondern viel mehr durch das Dauerergebnis be- stimmt. Wir verfügen über kata- mnestische Langzeitkontrollen von bis zu neun Jahren bei 232 Thermokoagulationen und 85 (103 Patienten wurden operiert) mikro- chirurgischen Wurzelkompressio- nen bei reinen Fällen von „typi- scher Trigeminusneuralgie (Tabel- le 2, A). Bereits der Vergleich der Frühergebnisse fällt zugunsten der Dekompressionen aus, bei de- nen es nur in drei Prozent der Fäl- le nicht gelang, den Tic-Schmerz zu beseitigen. Noch deutlicher aber wird die Überlegenheit der Dekompressionen bei der Lang- zeitkatamnese. Tic-Rezidive inner- halb der ersten fünf Jahre sahen wir nach Thermokoagulationen in 31 Prozent, bei Mikrodekompres- sionen nur in sechs Prozent der Fälle (Tabelle 2, B).

Die postoperativen Sensibilitäts- störungen, die ja nur bei Thermo- koagulationen vorkommen und die von manchen Patienten doch als sehr störend empfunden wer- den, habe ich nicht aufgeschlüs- selt. Wohl aber die postoperativen Deafferenzierungsbeschwerden, die immerhin in über sechs Pro- zent der thermokoagulierten Pa- tienten zu beobachten waren, al- lerdings nur in drei Fällen = 1,3 Prozent so schwer, daß man fast von einer Anaesthesia dolorosa sprechen konnte. Nach der Durch- führung von Dekompressionsope- rationen ist so etwas nie vorge- kommen (Tabelle 2, C). Hierin 1946 (46) Heft 27 vom 2. Juli 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Neuralgien im Kopf-Hals-Bereich

ist der wichtigste Vorzug der mi- krochirurgischen Dekompression gegenüber den ablativen Opera- tionsmethoden zu sehen.

Besonders deutlich wird die Über- legenheit der bahnschonenden Dekompressionen in den Fällen, die wegen einer „sekundär atypi- schen Trigeminusneuralgie" zum Neurochirurgen kommen. Es sind dies Fälle, die wegen einer seit Jahren bestehenden „typischen"

Neuralgie mit destruierenden Ope- rationsmethoden, meist Elektro- koagulationen alter Art, behandelt worden waren und zu ihrem Tic noch einen Dauerschmerz hinzu- bekommen hatten. Ein solcher

Dauerschmerz konnte durch Ther- mokoagulation praktisch nie be- seitigt werden, während durch die mikrochirurgische Dekompres- sion in der Hälfte der Fälle sogar die Dauerschmerzkomponente be- hoben werden konnte. Dreimal fanden sie sich als Ursache für diese klinisch und computerto- mographisch nicht erkannten Tu- moren im Kleinhirnbrückenwinkel, die sonst sicher noch viele Jahre unerkannt geblieben wären.

Der „atypische"

Gesichtsschmerz

Chronische Schmerzkrankheiten sind für den Neurochirurgen ein Schreckgespenst oder wie es Sweet einmal sagte, ein böte noir.

Die Behandlung von Dauer- schmerzsyndromen muß sich vor allem nach ihren Ursachen rich- ten, wenn solche erkennbar sind

(Tabelle 3). Relativ einfach ist es bei Frakturen oder Prellungen im Gesichtsbereich. Liegen diese in der Nähe der bekannten Nerven- austrittspunkte, so ist der Versuch einer direkten Neurolyse oder Neuromresektion gerechtfertigt.

Schwieriger wird es, wenn die an- zunehmende Läsion in der Tiefe des Gesichtsschädels oder noch weiter zentral liegt. Als Ursache kommen außer Verletzungen auch Tumoren in Betracht, vom Ober- kiefer-Karzinom über Metastasen im Cavum Meckeli bis hin zum Tu- mor im Kleinhirnbrückenwinkel, um nur einige Sonderfälle heraus- zugreifen (Abbildung 2). Eine intensive Diagnostik einschließ-

lich der Computertomographie ist hier unerläßlich (Abbildung 2).

Eine noch problematischere Grup- pe sind die chronischen Schmerz- krankheiten nach Nebenhöhlen- oder Zahnoperationen. Auch hier können zuerst hals-, nasen-, Oh- ren- oder kieferärztliche Opera- tionsversuche gerechtfertigt sein.

Sie können nützlich sein, und zu- sätzliche Schäden sind kaum zu befürchten. Was man aber nicht tun oder nur in Ausnahmefällen und mit äußerster Vorsicht versu- chen darf, sind neurochirurgische Nervendurchschneidurigen oder Koagulationen im Ganglion- oder Wurzelbereich. Sie führen fast im- mer zu zusätzlichen Deafferenzie- rungssyndromen bis hin zur An- aesthesia dolorosa. Uns sind viele abschreckende Beispiele dieser Art bekannt, weil Heidelberg einen besonderen Ruf auf dem Gebiet der Gesichtsschmerzen hat.

Was kann man aber neurochirur- gischerseits dann überhaupt noch tun? Bei aller Reserve sei hier die Elektrostimulation zu nennen. Ihr Ziel ist die Anhebung des Tonus der afferenten Bahnen des epikri- tischen Systems, welches ja der Gegenspieler des protopathischen ist. In der Tat gelingt es so in vie- len Fällen, den furchtbaren C-Fa- ser-Brennschmerz wenigstens et- was zu lindern.

Relativ einfach ist die transkutane Elektrostimulation mit auf die Haut geklebten Elektroden. Ich ha- be damit einigen Patienten mit un- erträglichem Dauerbrennschmerz nach Herpes Zoster wenigstens et- was helfen können. Bei besonders schweren Zuständen von Deaffe- renzierungsschmerzen kann der Elektrostimulationsreiz mittels spezieller Sonden auch stereotak- tisch-perkutan am Ganglion Gas- seri oder sogar an den epikriti- schen Thalamuskernen eingesetzt werden. Umgekehrt ist es auch möglich, auf stereotaktischem Wege die paläothalamischen Schmerzkerne direkt zu koagulie- ren. Ganz indiskutabel sind nach meiner Vorstellung chirurgische Behandlungsversuche bei den ve- getativen Anfallssyndromen nach Art des Cluster Headaches. Ich kann meine Ausführungen nicht schließen, ohne wenigstens er- wähnt zu haben, daß noch eine Fülle neurologisch-psychiatrisch- pharmakologischer Möglichkeiten zur Behandlung chronischer Schmerzkrankheiten zur Verfü- gung steht, auf die ich aber jetzt nicht mehr näher eingehen kann.

Nur dies noch: Einer der wichtig- sten therapeutischen Faktoren auf diesem so problematischen Ge- biet ist die aufrichtige mensch- liche Zuwendung des Arztes zum leidenden Menschen.

Literatur beim Verfasser Anschrift für den Verfasser:

Frau Inge Penzholz Michael-Gerber-Straße 55 6903 Neckargmünd Tabelle 3: Ätiologie der „atypischen" Gesichtsschmerzen

Chronische Reizherde: - in Gesicht und Schädelbasis

— Traumafolgen, chronische Entzündun- gen

—Tumoren, Arachnitiden

Deafferenzierungs- — nach neurochirurgischen Eingriffen Phänomene: — Herpes zoster und Thalamusapoplexie Vegetative — Bing-Horton = Cluster heaclache Anfallssyndrome: = Vidianus-Neuralgie = Sluder-Neuralgie

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