P. Brossart, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Bonn.
23. Januar 2019
Immuntherapie von Kopf-Hals-Tumoren
Kopf-Hals-Tumoren zählen zu den sechsthäufigsten Karzinomen weltweit. Ihre Inzidenz ist stark mit dem Konsum von Alkohol und Tabak assoziiert. Die HPV-assoziierten Oropharynxkarzinome scheinen eine eigenständige Entität mit einer deutlich besseren Prognose zu sein. Derzeit laufen mehrere Studien zur Analyse der Effektivität einer weniger intensiven Therapie bei diesen Patienten.
Ungeachtet der Fortschritte durch die multimodalen Therapiekonzepte in frühen Stadien von
Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren ist die Rezidivrate hoch. Ca. 50% aller Patienten erleiden ein lokales Rezidiv nach einer kurativen Therapie und 25% entwickeln Fernmetastasen. Das mediane
Gesamtüberleben (OS) für nicht lokoregionär kurativ behandelte Patienten beträgt 6-10 Monate, bei Platin-refraktären Patienten liegt es sogar bei knapp 2 Monaten unter best supportive care (1).
Zur palliativen Therapie bei fortgeschrittener refraktärer oder rezidivierter Erkrankung steht eine ganze Reihe von Substanzen wie Methotrexat, Docetaxel, Cisplatin, 5-FU, Gemcitabin, Vinorelbin oder der Anti- EGFR-Antikörper Cetuximab zur Verfügung. Die Ansprechraten bei Monosubstanzen sind jedoch gering und liegen bei ca. 10-30%. Bei körperlich fitten Patienten ist das Extreme-Protokoll bestehend aus Cisplatin, 5-FU und Cetuximab der international akzeptierte Standard mit Ansprechraten von 36%, progressionsfreiem Überleben (PFS) von 5,6 Monaten und medianem OS von 10,1 Monaten (2). Im Falle eines Rezidivs stehen dann die oben erwähnten Monosubstanzen zur Verfügung. Durch die Einführung von Checkpoint-Inhibitoren (CIs) wurde das Therapiespektrum der Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren erheblich erweitert (3). CIs sind Antikörper, die gegen Moleküle gerichtet sind, die die Aktivierung von Immunzellen wie den T-Lymphozyten hemmend regulieren. Nach einer erfolgreichen Aktivierung einer T- Zelle wird eine ganze Reihe inhibierender Rezeptoren wie CTLA-4, PD-1, Lag-3, TIM-3, TIGIT oder VISTA auf T-Zellen hochreguliert, die nach Bindung an entsprechende Liganden diese hemmen und so zur
Resolution einer Immunantwort führen.
Im Vordergrund der therapeutischen Entwicklung stehen derzeit Substanzen, die sich gegen CTLA-4 bzw.
PD-1/PD-L1 richten (Tab. 1).
Tab. 1: Checkpoint-Inhibitoren in der Therapie von Kopf-Hals-Tumoren.
Antikörper Antigen Isotyp
Nivolumab PD-1 IgG4
Pembrolizumab PD-1 IgG4
Atezolizumab PD-L1 IgG1
Durvalumab PD-L1 IgG1
Avelumab PD-L1 IgG1
Ipilimumab CTLA-4 IgG1
Tremelimumab CTLA-4 IgG4
CTLA-4 wird unmittelbar nach der Aktivierung von T-Lymphozyten hochreguliert. Auf regulatorischen T- Zellen wird es konstitutiv und in sehr viel höherer Dichte exprimiert. CTLA-4 bindet an CD80 und CD86, was zu einer Kompetition zwischen dem ko-stimulatorischen CD28-Molekül und dem inhibitorischen CTLA-4-Rezeptor führt, und inhibiert die Proliferation von T-Zellen. CTLA-4 spielt eine zentrale Rolle während der frühen Aktivierung von T-Lymphozyten im Lymphknoten.
PD-1 ist im Gegensatz zu CTLA-4 nicht nur auf aktivierten T-Zellen, sondern auch auf B-Zellen, NK-Zellen, Monozyten, Makrophagen und Endothelzellen exprimiert und bindet an PD-L1 und PD-L2. Nach der Bindung an die Liganden rekrutiert PD-1 die Phosphatase SHP-2, was zu einer Dephoshorylierung des T- Zellrezeptors und somit einer Hemmung der T-Zell-Aktivierung sowie Induktion von Anergie und
Apoptose von T-Lymphozyten führt. PD-L1 und PD-L2 sind auf sehr vielen Zellen des Immunsystems und Endothelzellen exprimiert. Man findet ihre Expression aber auch auf malignen Zellen bzw.
tumorinfiltrierenden Immunzellen. Die Interaktion von PD-1 auf tumorspezifischen T-Zellen mit dem PD- L1 auf Tumorzellen hemmt ihre Effektorfunktion und die Elimination der malignen Zellen.
Bereits in den ersten Phase-I/II-Studien mit Antikörpern, die PD-1 bzw. PD-L1 blockieren, konnten Remissionsraten zwischen 15% und 20% bei Patienten mit rezidivierten refraktären Kopf-Hals-Tumoren erreicht werden (3). Ähnlich zu Studien aus anderen Entitäten wie dem Bronchialkarzinom wurde eine sehr lange Remissionsdauer beobachtet, die bis über ein Jahr anhielt und zu einer OS-Verlängerung bei diesen Patienten führte. Die erste publizierte randomisierte Phase-III-Studie war die CheckMate-141 (4).
Im Rahmen dieser Studie wurde bei Patienten mit refraktärem metastasierten Plattenepithelkarzinom des Oropharynx oder Larynx, die innerhalb von 6 Monaten nach einer Platin-haltigen Therapie rezidiviert waren, Nivolumab gegen eine Zweitlinientherapie, die aus Methotrexat, Docetaxel oder Cetu-ximab bestehen konnte, verglichen. Der primäre Endpunkt dieser Studie war das OS. Die Studie zeigte einen signifikanten Vorteil des CI gegenüber der herkömmlichen Standardtherapie in Bezug auf Ansprechraten (13,3% gegen 5,8%), OS und Lebensqualität. So lebten nach einem Jahr in dem Nivolumab-Arm noch 36%
der Patienten, während im Standard-Arm nur 16,6% der Patienten noch am Leben waren. Diese Studie wurde inzwischen mehrfach nachberichtet und zeigt nach 2 Jahren weiterhin einen signifikanten Vorteil
für die mit Nivolumab behandelten Patienten. Dieser Vorteil war unabhängig von der PD-L1-Expression bzw. vom HPV-Status.
Pembrolizumab, ein weiterer PD-inhibierender Antikörper, zeigte auch bereits in frühen Phase-I/II-Studien Effektivität bei Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich. In der Keynote-012-Studie wurden
zunächst Ansprechraten von über 20% und ein 12-Monats-OS bei mehr als 30% bei Patienten mit
metastasierter Erkrankung berichtet (5). In der Keynote-040-Studie wurde dann Pembrolizumab gegen die Standardtherapie bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom von Mundhöhle, Oropharynx, Hypopharynx oder Larynx, die nach einer Platin-haltigen Therapie innerhalb von 3-6 Monaten rezidiviert bzw.
progredient waren, verglichen. Im Gegensatz zu der CheckMate-141-Studie wurde zusätzlich zwischen der Höhe der PD-L1-Expression im Tumor (TPS größer bzw. kleiner 50%) stratifiziert. In der Intention-to-treat- Analyse (ITT) hatte das OS der Patienten nur knapp das vorgegebene Signifikanzniveau verfehlt, was daran lag, dass eine ganze Reihe von Patienten im Falle von Progress oder Rezidiv im Kontroll-Arm einen CI erhalten haben. Eine präspezifizierte Analyse von Patienten mit einem TPS-Score ≥ 50% hat aber
unabhängig von der Nachbehandlung ergeben, dass das OS dieser Patienten signifikant verbessert wurde und nach einem Jahr im Pembrolizumab-Arm 46,6% der Patienten gegenüber von 25,4% im Kontroll-Arm am Leben waren (6).
Auf dem ESMO Meeting 2018 wurden dann die Ergebnisse der randomisierten Phase-III-Studie Keynote- 048 vorgestellt, in der das Extreme-Protokoll gegen eine Monotherapie mit Pembrolizumab bzw. eine Kombination von Pembrolizumab mit Chemotherapie in der Erstlinientherapie bei Patienten mit
rezidiviertem Plattenepithelkarzinom verglichen wurde. Hier hat sich gezeigt, dass bei Patienten, die PD- L1 hoch exprimieren (TPS > 25%), Pembrolizumab im Vergleich zu der Standardchemotherapie in der Erstlinienbehandlung eines metastasierten Kopf-Hals-Tumors zur OS-Verbesserung bei diesen Patienten führt. Basierend auf diesen Daten wäre Pembrolizumab in Zukunft der neue Standard in der
Erstlinientherapie dieser Patienten.
Die CheckMate-151-Studie, die in der gleichen Indikation eine Kombination von Nivolumab + Ipilimumab gegen das Extreme-Protokoll verglich, hat vor kurzem zu Ende rekrutiert und die Daten dieser Studie stehen noch aus. Neben Pembrolizumab und Nivolumab zeigen auch andere CIs wie Atezolizumab, Avelumab oder Durvalumab, ähnliche Ansprechraten in frühen Phase-I-Studien (3). Diese Antikörper, die PD-L1 blockieren, werden derzeit sowohl in Phase-I/II- als auch in randomisierten Phase-III-Studien in der Erstlinie oder in der Adjuvanz als Monotherapie bzw. in Kombination mit Chemotherapie, anderen CIs, Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) oder Radiatio untersucht. Neben der Evaluation von PD-1- bzw. PD-L1- Inhibitoren laufen derzeit zahlreiche weitere Studien, die andere CIs bzw. T-Zell-stimulierende Moleküle analysieren. Von besonderem Interesse scheint hierbei der Antikörper gegen Lag-3, einem inhibierenden Molekül der T-Zell-Aktivierung, zu sein (7). In sehr frühen Studien mit relativ kleinen Patientenzahlen zeigt sich hier, dass dieser Antikörper eine Wirksamkeit bei Patienten, die auf einen CI rezidiviert waren, hat.
Die Einführung von immuntherapeutischen Ansätzen mit CIs bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren hat nicht nur das Spektrum der möglichen Therapieoptionen erweitert, sondern auch zu einer erheblichen Verbesserung der Prognose bei dieser Erkrankung geführt. Neben der erhöhten Wirksamkeit und der besonders langen Remissionsdauer, zeichnen sich diese Substanzen durch eine sehr gute Verträglichkeit aus. Die Rate an Grad-3/4-Toxizitäten liegt zwischen 10 und 20%. Im Gegensatz zu herkömmlichen
Nebenwirkungen von Chemotherapeutika bzw. zielgerichteten Therapien sind die Nebenwirkungen durch CIs i.d.R. durch die Aktivierung des Immunsystems ausgelöst und persistieren nach Absetzen der
Substanz weiter. Entscheidend ist das frühe Erkennen der Nebenwirkung und das frühzeitige Einsetzen einer Therapie mit Glukokortikoiden.
In Zukunft wird es darum gehen, die Effektivität von CIs zu verbessern, Resistenzmechanismen zu überwinden und prädiktive Biomarker zu identifizieren. Neben der Expression von PD-L1, tumor
mutational burden (TMB), Infiltration des Tumors durch T-Zellen, dem Nachweis einer inflammatorischen Genexpressionssignatur (inflamed tumor) oder einer Mikrosatelliteninstabilität (MSI) in den Tumorzellen werden derzeit zahlreiche weitere Parameter, wie z.B. Mutationen im IFN-gamma-
Signaltransduktionsweg, Verlust von HLA-Molekülen und die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms diskutiert und analysiert (8).
Die Induktion einer Immunantwort gegen maligne Zellen ist ein sehr dynamischer, komplexer und vielschichtiger Prozess, sodass es vermutlich nicht nur einen bestimmten prognostischen Parameter geben kann.
Es besteht kein Interessenkonflikt.
Lesen Sie dazu auch:
„Ernährungstherapie von Patienten mit onkologischen Erkrankungen“ von Prof. Dr. med. Martin Wagner
unter www.med4u.org/14485
Prof. Dr. med. Peter Brossart Direktor
Medizinische Klinik und Poliklinik III
Innere Medizin mit den Schwerpunkten Onkologie, Hämatologie, Immunonkologie und Rheumatologie Vorstandsvorsitzender des CCC CIO Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25 53127 Bonn
ABSTRACT
P. Brossart, Medizinische Klinik und Poliklinik III, Bonn.
Head and neck cancer (HNC) is among the six most common carcinomas worldwide. Their incidence is strongly associated with the consumption of alcohol and tobacco. HPV-associated oropharyngeal carcinomas seem to be a distinct entity with a significantly better prognosis. Several ongoing studies are currently analyzing the efficacy of a less intensive therapy in these patients.
Regardless the advances made by multimodal therapy concepts in the early stages of head and neck cancer patients, recurrence rate is high.
Approximately 50% of all patients experience a local recurrence after a curative therapy and 25% develop distant metastases. The median overall survival for non-locoregional curative patients is 6-10 months; for platinum-refractory patients with best supportive care it´s less than 2 months. Introduction of immunotherapeutic approaches with CIs against PD-1/PD-L1 resulted in an improvement of survival and prognosis of patients with HNC.
Keywords: Head and neck cancer, recurrence rate, multimodal therapy concepts, immunotherapy, CIs, anti PD-1/PD-L1
Literatur:
(1) Argiris A, Karamouzis MV, Raben D et al. Head and neck cancer. Lancet 2008;371:1695-709.
(2) Vermorken JB, Mesia R, Rivera F et al. Platinum-based chemotherapy plus cetuximab in head and neck cancer. N Engl J Med 2008;359(11):1116-27.
(3) Forster MD, Devlin MJ. Immune Checkpoint Inhibition in Head and Neck Cancer. Front Oncol 2018;8:310.
(4) Ferris RL, Blumenschein G Jr, Fayette J et al. Nivolumab for Recurrent Squamous-Cell Carcinoma of the Head and Neck. N Engl J Med 2016;375(19):1856- 1867.
(5) Chow LQ, Haddad R, Gupta S et al. Antitumor activity of pembrolizumab in biomarker-unselected patients with recurrent and/or metastatic head and neck squamous cell carcinoma: results from the phase Ib KEYNOTE-012 expansion cohort. J Clin Oncol 2016;34:3838-45.
(6) Cohen EE, Harrington KJ, Le Tourneau C et al. Pembrolizumab (pembro) vs standard of care (SOC) for recurrent or metastatic head and neck squamous cell carcinoma (R/M HNSCC): Phase 3 KEYNOTE-040 trial. Ann Oncol 2017;28(suppl_5):mdx440.040.
(7) Deng WW, Mao L, Yu GT et al. LAG-3 confers poor prognosis and its blockade reshapes antitumor response in head and neck squamous cell carcinoma.
Oncoimmunology 2016;5(11):e1239005.
(8) Ott PA, Bang YJ, Piha-Paul SA et al. T-Cell-Inflamed Gene-Expression Profile, Programmed Death Ligand 1 Expression, and Tumor Mutational Burden Predict Efficacy in Patients Treated With Pembrolizumab Across 20 Cancers: KEYNOTE-028. J Clin Oncol 2018; doi:10.1200/JCO.2018.78.2276.