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Archiv "„Stumme“ Ischämie — mehr als ein Schlagwort?" (19.02.1987)

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Prof. Dr. med.

Berndt Lüderitz ist Direktor der Medizinischen Universitäts- klinik - Innere Medizin-Kardio- logie, Bonn.

Sein besonderes Interesse gilt Herzrhythmus- störungen, Schrittmacher- fragen im weite- sten Sinne, der Echokardio- graphie und den speziellen Er- scheinungsformen der koronaren Herzkrankheit

„Stumme"

Ischämie — mehr als ein Schlagwort?

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Jedes Fach hat seine „heißen Eisen", aktuelle Probleme, die plötzlich auftauchen, einige Zeit intensiv diskutiert und später mit genügender Erfahrung, Nachuntersuchungen, Abschluß randomisierter Stu- dien usw. einen Platz im allgemeinen Wissen einnehmen. Für das Herz ist das (neben dem aufregenden, aber zunächst mehr theoretischen Befund einer eigenen Hormonbildung (siehe auch DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 3 vom 14. 1. 87, S. A-81) die „stumme" Ischämie — ein Thema von beträcht- licher Bedeutung für die Praxis. Wir haben deshalb zwei besondere Bearbeiter der „stummen" Myo- kardischämie, Prof. Dr. B. Lüderitz aus Bonn und Priv.-Doz. Dr. Th. von Arnim aus München, gebe- ten, kurze Darstellungen aus ihrer Sicht zu geben. Der aufmerksame Leser wird — neben der ganz unter- schiedlichen Art der Darstellung — leicht das Gemeinsame und als gesichert Anzusehende erkennen, aber auch Nuancen unterschiedlicher Beurteilung: Die offenen Fragen. Rudolf Gross

Die „stumme" Myokardischämie ist seit Monaten beherrschendes Thema kardiologi- scher Fachkongresse und einschlägiger Publika- tionen (2, 5). In den USA ist bereits eine eigene Zeitschrift zu dem Krankheitsbegriff „Angina und stumme Ischämie" geschaffen worden (8).

Begriffe und Definitionen

Bei dem Terminus „stumme" oder „stille"

Ischämie handelt es sich zunächst um eine elek- trokardiographisch-morphologische Diagnose, basierend auf dem Belastungs- beziehungsweise Langzeit-Elektrokardiogramm (1). Als diagno- stisches Kriterium wird gemeinhin die

„1 x 1 x 1-Regel" angegeben, das heißt eine ST-Streckendepression über 1 mm (0,1 mV), die mindestens 1 Minute (oder mehr als 30 s) an- hält und mindestens 1 Minute getrennt ist von anderen Perioden im Langzeit-EKG. Patholo- gisch-anatomische Grundlage der stummen Ischämie (ebenso wie der symptomatischen Ischämie = Angina pectoris) ist die koronare Herzkrankheit, also das Mißverhältnis von Sau-

erstoffbedarf zu Sauerstoffangebot auf der Grundlage einer Koronarstenose.

Neu ist hierbei die Erkenntnis, daß nicht mehr die Angina pectoris allein als Maßstab („Goldstandard") für die Aktivität der korona- ren Herzkrankheit zu gelten hat, sondern das EKG in einer speziellen Form der Langzeitre- gistrierung beziehungsweise der Ergometrie. — So neu erscheint dieser Gesichtspunkt allerdings nicht, wenn man bedenkt, daß die (schmerzlose)

„stumme" Herzrhythmusstörung seit langem als Angina-pectoris-Aquivalent bekannt ist (ne- ben anderen Symptomen wie Müdigkeit und Dyspnoe). — Gleichwohl könnten in der Früher- kennung der asymptomatischen (stummen) Ischämie nicht unbeträchtliche diagnostische, prognostische und vor allem therapeutische Chancen liegen.

Diagnostik

Die einzelnen Patientengruppen sollten klar unterschieden werden: die asymptomatischen Kranken (welche meist nur unzulänglich erfaß- A-428 (44) Dt. Ärztebl. 84, Heft 8, 19. Februar 1987

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bar sind), die symptomlosen Patienten nach Myokardinfarkt und die besonders wichtige Gruppe mit wechselnden asymptomatischen und symptomatischen Phasen im Krankheitsverlauf.

Für die beiden erstgenannten Kollektive (Pa- tienten ohne klinische Symptomatik einschließ- lich derer mit einem Infarkt in der Vorgeschich- te) stellt das Belastungs-EKG den diagnosti- schen Einstieg dar; für die Patientengruppe, die nebeneinander symptomatische und asym- ptomatische Perioden aufweist, dominiert dia- gnostisch das qualifizierte Langzeit-EKG. Eine verläßliche ST/T-Segment-Analyse muß bei dem heutigen Entwicklungsstand visuell (oder bestenfalls kombiniert automatisch und visuell) mit kontinuierlich registrierenden Langzeit- EKG-Systemen erfolgen, um falsch positive Be- funde zu vermeiden (7). Man wird sich aber auch dann nicht allein auf die Elektrokardiogra- phie verlassen können, denn nicht jede ST- Streckensenkung ist einer Ischämie gleichzuset- zen. So werden heute allgemein zwei voneinan- der unabhängige Ischämiesignale gefordert. Un- ter diesen Voraussetzungen beläuft sich nach vorsichtigen Schätzungen (9) die Zahl der in der Bundesrepublik an stummer Ischämie Erkrank- ten auf nahezu eine Million!

Herzrhythmusstörungen und „stumme" Ischämie

In der Methodenbeurteilung Langzeit-EKG versus Belastungs-EKG ist der Frequenzaspekt von besonderer Bedeutung, denn im Langzeit- EKG auftretende Veränderungen als Ausdruck der Ischämie liegen bei deutlich niedrigeren Herzfrequenzen (85-110/min.) als bei der Ergo- metrie (130-140/min. [3]); das heißt, die Fre- quenz als sauerstoffverbrauchender Effekt (wie bei der Ergometrie) entfällt in der diagnostisch wegweisenden Langzeitelektrokardiographie.

Eine strenge Ischämie-Frequenz-Korrelation scheint andererseits aber nicht zu bestehen.

Dies ist der eine wesentliche rhythmologi- sche Gesichtspunkt der stummen Ischämie; ein zweiter leitet sich aus der Elektro-Pathophysio- logie der ischämischen Myokardzelle selbst ab:

Im Rahmen der akuten regionalen Sauerstoff- minderversorgung bei stummer Ischämie kommt es zu einer verspäteten De- und Repolarisation der ischämischen Zelle. Die Repolarisationsver- spätung führt zu einer negativen T-Welle im ex- trazellulären Elektrogramm. Aus dieser ar- rhythmogenen Veränderung können sich Herz- rhythmusstörungen aufgrund fokaler Reizbil- dung durch Verletzungsstrom und kreisender

Erregung (Reentry) im ischämischen Myokard entwickeln (6).

Folgerichtig sind entsprechende klinische Ereignisse bei Patienten mit ausgeprägten EKG- Veränderungen ohne Angina pectoris oder An- gina-pectoris-Äquivalent in der Vorgeschichte zu beobachten (10, 11). Der plötzliche Herztod bei Patienten mit stummer Ischämie ereignet sich — wie EKG-Registrierungen zeigen — mehr- heitlich im Gefolge von Kammerflattern und Kammerflimmern (4).

Die elektrophysiologischen, arrhythmoge- nen Grundphänomene sind bei der stummen Ischämie dieselben wie bei der symptomatischen Myokardischämie. Die erstgenannte muß je- doch wegen der fehlenden prämonitorischen Zeichen als die gefährlichere angesehen werden.

Für die Arrhythmieentstehung sind naturge- mäß noch eine Reihe weiterer mittelbarer Fak- toren im Rahmen der stummen Ischämie we- sentlich:

> Die Anatomie der Gefäßversorgung, speziell im Hinblick auf das Reizbildungs- und Erre- gungsleitungssystem,

> die Hämodynamik (Transport von Stoff- wechselprodukten),

> die autonome Regulation (Sympathotonie, Vagotonie),

> metabolische Veränderungen (Hypoxie, Azidose, zellulärer Kaliumverlust, Katechol- aminexzeß, freie Fettsäuren und andere) und nicht zuletzt:

>iatrogene Faktoren (Begleitmedikation mit Digitalis, Kalium und anderem).

Offene Fragen

Unbeschadet dieses Versuchs einer Be- standsaufnahme stellt uns das Thema „stum- me" Ischämie derzeit noch mehr Fragen als es Antworten zuläßt:

1. Was ist die pathophysiologische Basis der stummen Ischämie beziehungsweise des stum- men Herzinfarktes im Einzelfall?

2. Welche Bedeutung haben die verschiede- nen Formen der stummen Ischämie und die ein- zelnen Patientengruppen?

3. Wie ist die Wertigkeit nichtinvasiver und invasiver Methoden zur Diagnostik der stum- men Ischämie zu beurteilen?

4. Welche Patienten sollten einem „scree- fing" (Ergometrie, Langzeit-EKG) oder einer gezielten Diagnostik (nuklearmedizinische Ver- fahren: Thalliumszintigraphie, Radionuklidven-

Dt. Ärztebl. 84, Heft 8, 19. Februar 1987 (45) A-429

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trikulographie; Koronarangiographie) zugeführt werden?

5. Wie ist die stumme Ischämie bei Patien- ten nach Myokardinfarkt, nach Ballondilatation und nach aortokoronarer Bypass-Operation zu beurteilen?

6. Welche Prognose besteht grundsätzlich bei stummer Ischämie beziehungsweise beim stummen Myokardinfarkt? Nach bisherigem Kenntnisstand ist die stumme Ischämie offenbar nicht günstiger einzuschätzen als die symptoma- tische!

7. Welche klinische und prognostische Be- deutung kommt speziell den Herzrhythmusstö- rungen bei stummer Ischämie hinsichtlich Ge- samtmortalität und plötzlichem Herztod zu?

8. Ist eine Therapie der stummen Ischämie sinnvoll beziehungsweise notwendig, und wenn ja, welche? (Nitrate, Betablocker, Kalziumanta- gonisten und eventuell Antiarrhythmika). — Wenn die analgetische Indikation entfällt, wird ein aggressives Verfahren (Ballondilatation, By- pass-Op.) bei der stummen Ischämie grundle- gend zu überdenken sein. In jedem Falle sollte aber die Ischämie und nicht das Elektrokardio- gramm behandelt werden!

Fazit

Die genannten Fragen (vor allem aber die nach der Therapie) sind in umfassenden, aussa- gefähigen Studien sobald als möglich zu klären, damit nicht durch ein zu großzügiges „scree- ning" ein Heer von Scheinkranken geschaffen wird, das dann auch noch scheintherapiert wird!

Eine Konkretisierung von Krankheitsbild, Dia- gnostik, Prognose und Therapie tut not ange- sichts inflationärer Verlautbarungen zum The- ma „stumme" Ischämie.

Literatur

1. v. Arnim, Th., ST-Segment-Analyse im Langzeit-EKG. Dtsch Med. Wochenschr 110: 1047 (1985)

2. Cohn, P. F.: Silent Myocardial Ischemia and Infarction.

Dekker, New York Basel (1986)

3. Deanfield, J. E., A. P. Selwyn, S. Chierchia, A. Maseri, P.

Ribeiro, S. Krikler, M. Morgan: Myocardial ischaemia during daily life in patients with stable angina: its relation to Sym- ptoms and heart rate changes. Lancet II: 753 (1983) 4. Feruglio, G. A.: Sudden death in patients with asymptomatic

coronary heart disease in: Rutishauser, W., H. Roskamm (eds): Silent Myocardial Ischemia. Springer, Berlin Heidel- berg New York Tokyo (1984)

5. Gottlieb, S. 0., M. L. Weissfeldt, P. Ouyang, E. D. Menüs, G. Gerstenblith: Silent ischemia as a marker for early unfavor- able outcomes in patients with unstable angina. New Engl J Med 1214 (1986)

6. Lüderitz, B., C. Naumann d'Alnoncourt: Antiarrhythmische Therapie bei Herzinfarkt. In: Lüderitz, B. (Hrsg.) Herzrhyth- musstörungen, Handbuch der Inneren Medizin IX/I. Sprin- ger, Berlin Heidelberg New York (1983)

7. Lüderitz, B.: Langzeit-EKG: Ein hohes Maß an Verantwor- tung (Editorial). Dtsch Ärztebl 33: 2339 (1985)

8. Pepine, C. J.: Characterizing silent ischemie episodes. Journal of Angina and Silent Ischemia (JASI): 4 (1986)

9. Rutishauser, W.: Ballondilatation bei stummer myokardialer Ischämie, 9. Österreich. Kardiologentreffen Bad Gastein (1987)

10. Savage, D. D., W. P. Castelli, S. J. Anderson, W. B. Kan- nel: Sudden unexpected death during ambulatory electrocar- diographic monitoring. Am J Med 74: 148 (1983)

11. Silber, S., A. Vogler: Die stumme Myokardischämie: Dimen- sionierung eines Problems. Intensivmed 23: 52 (1986)

Professor Dr. med. Berndt Lüderitz Medizinische Universitätsklinik Innere Medizin-Kardiologie Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn 1

Stumme

Myokardischämie

Neuere Studien haben für stumme Myo- kardischämien zwei wesentliche Dinge nachge- wiesen:

1. Es handelt sich bei stummen, transienten Episoden von ST-Segment-Senkung, wie sie zum Beispiel im Langzeit-EKG nachgewiesen werden können, um echte Ischämien, also ein Mißverhältnis aus Sauerstoffangebot und Sauer- stoffbedarf des Herzens (4). Hierbei bedeuten stumme Ischämiezustände nicht unbedingt

Privat-Dozent Dr. Thomas von Arnim arbeitet in München seit 1981 an der Diagnostik vor- übergehender Ischämie-Zu- stände und ver- fügt über um- fangreiche Er- fahrungen in der ST-Seg- ment-Analyse im Langzeit- EKG sowie in der erweiterten EKG-Diagnostik während der Ballon-Dilatation

A-430 (46) Dt. Ärztebl. 84, Heft 8, 19. Februar 1987

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