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Archiv "Risikomanagement: Freiwillig aus Fehlern lernen" (10.11.2006)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4510. November 2006 A2993

P O L I T I K

U

m zu wissen, welche Situatio- nen für einen behandelnden Arzt risikoreich sind, reicht es zur- zeit nicht aus, nur eine Statistik zu lesen. Denn ein einziges Fehler- melderegister, das Daten zu ver- schiedenen Risikosituationen in un- terschiedlichen Fachgebieten, diffe- renziert nach Diagnose, Geschlecht, Alter und aufgetretenem Schaden beim Patienten, widerspiegelt, gibt es nicht. Das könnte sich ändern.

Denn auf mehreren „Baustellen“

wird daran gearbeitet, die vorhande- nen Wissenselemente zu einem Mo- saik zusammenzuführen.

Bundeseinheitliche Statistik Einen großen Beitrag dazu werden die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Lan- desärztekammern leisten. Die Mit- glieder dieser weisungsunabhängi- gen Gremien erheben jährlich die Anzahl gestellter Anträge und listen auf, in wie vielen Fällen es zu einem Behandlungsfehler gekommen ist.

Die Arbeitsergebnisse werden ein- mal jährlich im Rahmen der Ständi- gen Konferenz der Gutachterkom- missionen und Schlichtungsstellen bei der Bundesärztekammer (BÄK) ausgewertet. Dem vorausgegangen sind schriftliche Anträge von Patien- ten, in denen Ärzten ein solcher Feh- ler vorgeworfen wird. Ärzte und Ju- risten, die in den Institutionen arbei- ten, versuchen daraufhin, außerge- richtlich zu klären, ob eine gesund- heitliche Komplikation tatsächlich auf einer (haftungsbegründeten) feh- lerhaften ärztlichen Behandlung be- ruht oder eher nicht.

Erhoben bis Ende 2005 viele Gut- achterkommissionen und Schlich- tungsstellen die Daten noch auf un- terschiedliche Weise – also mit unter- schiedlichen EDV-Systemen und nach uneinheitlichem Muster –, wird

der Bundesärztekammer im kom- menden Jahr erstmals eine bundes- einheitlich erstellte Statistik mit An- gaben zum Fehlervorkommen im Jahr 2006 zur Verfügung stehen.

„Diese neue Statistik ermöglicht uns, Daten, zum Beispiel zu Fehlerhäu- figkeiten bei einer Operation oder in einem Fachgebiet, gezielter auszu- werten und beispielsweise in Fortbil- dungsveranstaltungen zu nutzen“, erklärt Barbara Berner, Assessorin in der gemeinsamen Rechtsabteilung von BÄK und Kassenärztlicher Bun- desvereinigung (KBV). Zudem, er- gänzt der Vorsitzende der nordrheini- schen Gutachterkommission für ärzt- liche Behandlungsfehler, Dr. jur.

Dieter Laum, lägen dann neben quantitativen auch inhaltliche Anga- ben vor: „Daten zur Art der erhobe- nen Vorwürfe oder zu den Gesund- heitsschäden ermöglichen uns, tiefer zu gehen als bislang.“

Die Mitglieder der Gremien ha- ben die Kriterien, nach denen die bundeseinheitliche Statistik erstellt

wird, in diesem Sommer abschlie- ßend festgelegt. Das „Medical Error Reporting System“ (MERS) baue auf neun Basisparametern auf, berichtet Johann Neu, Geschäfts- führer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeut- schen Ärztekammern. Neu und sei- ne Mitarbeiter entwickelten MERS bereits 1999 und wandten es zu- nächst in der eigenen Schlichtungs- stelle an. „Wir werten die Anträge nach ärztlichen Fachgebieten und Versorgungsebenen aus, erheben die Krankheiten und verschlüsseln die Diagnose nach ICD-10, erfassen das Alter und das Geschlecht der Patienten, dokumentieren die Pati- entenvorwürfe, die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen, die gut- achterlich festgestellten Behand- lungsfehler und die aufgetretenen Schäden nach Art und Schwere- grad“, fasst Neu die Möglichkeiten zusammen. Mit Ausnahme Bayerns arbeiten inzwischen alle Gutachter- kommissionen und Schlichtungs- RISIKOMANAGEMENT

Freiwillig aus Fehlern lernen

Patientensicherheit steht hoch im Kurs: 2007 wird erstmals eine bundeseinheitliche Statistik über die Tätigkeit der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen vorliegen; an einem Kerndatensatz für Behandlungsfehlerregister wird gearbeitet.

TABELLE

Einheitliche statistische Erhebung über die Tätigkeit der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen

Übersicht zum 31. 12. 2005

Baden- Bayern Hessen Nord- Nord- Saar- Sach- Westf.- Rhld.-

Württ. rhein dtschl. land sen Lippe Pfalz

Verbleibende zur Sach- 706 483 558 1 548 2 850 73 258 1 094 233

entscheidung ange- nommene Fälle GESAMT:

Behandlungsfehler und 529 346 384 1 032 1 856 50 173 684 164

Risikoaufklärung verneint

Nur Risikoaufklärungs- 4 12 13 23 14 0 0 6 5

mängel bejaht

Behandlungsfehler bejaht 173 139 159 493 980 23 85 13 7

Behandlungsfehler/Risiko- 22 20 18 142 249 1 21 209 6

aufklärungsmangel bejaht und Kausalität verneint

Behandlungsfehler/Risiko- 155 99 141 374 745 22 64 182 51

aufklärungsmangel und Kausalität bejaht

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A2994 Deutsches ÄrzteblattJg. 103Heft 4510. November 2006

P O L I T I K

stellen mit MERS. Ihre Daten über- mitteln sie anonymisiert nach Han- nover, wo sie für die bundeseinheit- liche Statistik der BÄK aufbereitet und zusammengeführt werden. Bei der Aufbereitung der Daten wird routinemäßig eine Plausibilitätskon- trolle durchgeführt. Daneben erhal- ten die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen ihre eigenen Da- ten aufbereitet zurück. So können sie gezielt in ihrem Kammerbezirk mög- licherweise erkennbare medizinische Problemfelder analysieren. Liegen die Daten für 2006 vor, soll die Stän- dige Konferenz der BÄK darüber be- raten, welche Projekte sich zur Feh- lerprophylaxe eignen würden.

Die Daten der Gutachterstelle für Arzthaftpflichtfragen bei der Bayeri- schen Landesärztekammer (BLÄK) fließen ebenfalls in die bundesein- heitliche Statistik ein. Die Auswer- tung möchte die Kammer allerdings nicht aus der Hand geben. Deshalb übermittelt sie ihre Daten direkt an die BÄK. „Auf diese Weise“, betont

BLÄK-Vizepräsident Dr. med. Klaus Ottmann, „bleiben wir Herr unse- rer Daten.“ Mit dem gravierenden Schwachpunkt, kritisiert Neu, dass die BÄK die bayerischen Daten ge- sondert einpflegen muss, „ohne deren Konsistenz prüfen zu können“.

Bündnis Patientensicherheit Noch an anderer Stelle wird am Risi- komanagement gearbeitet: im Akti- onsbündnis Patientensicherheit (sie- he DÄ, Heft 19/2006)*. Eine Arbeits- gruppe des 2005 gegründeten Zu- sammenschlusses aus Vertretern der Bundesärztekammer, der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, diverser medizinischer Fachgesellschaften, Patientenverbänden und Mitgliedern der Spitzenverbände der Kranken- kassen erstellt zunächst eine Über- sicht über die in Deutschland vorhan- denen Fehlermelderegister. Von bei- nahe 200 potenziellen Registerhal- tern, die die Arbeitsgruppe um Dr.

med. Jörg Lauterberg vom AOK- Bundesverband, den Berliner Ärzte-

kammerpräsidenten Dr. med. Gün- ther Jonitz und Prof. Dr. jur. Dieter Hart, Direktor des Instituts für Ge- sundheit und Medizinrecht der Uni- versität Bremen, anschrieb, hatten die wenigsten brauchbare Fallbe- stände, die zur klinischen Risikoana- lyse genutzt werden könnten. „Syste- matische und größere Medizinscha- dens- und Behandlungsfehlerregis- ter fanden wir nur bei den Gutach- terkommissionen und Schlichtungs- stellen, bei einigen Krankenkassen und der Haftpflichtversicherungs- wirtschaft“, berichtet Lauterberg.

Um die vorhandenen Daten der brauchbaren Fehlerregister künftig für alle nutzbar zu machen, arbeitet das Bündnis daran, einen Kernda- tensatz zu erstellen. Ähnlich der bun- deseinheitlichen Statistik soll sich auch der des Aktionsbündnisses auf Basisparameter wie Geschlecht, Al- ter, ärztliches Fachgebiet, Behand- lungsanlass, Maßnahmen im Rah- men des Behandlungsgeschehens und entstandener Schaden konzen- trieren. Das Bündnis will den Kern- datensatz im Frühjahr 2007 veröf- fentlichen. Den Registerhaltern steht es dann frei, ihn zu nutzen.

Für Mitte nächsten Jahres ist dar- über hinaus eine Fachveranstaltung zu einzelnen Indikationen geplant.

„Hierbei wollen wir prüfen, welche differenzierten Angaben zum Feh- lervorkommen bei den Indikationen in den Registern vorliegen“, sagt Lauterberg. Letztlich ginge das Ak- tionsbündnis bei seinem Vorhaben aber in kleinen Schritten vor.

In welchen Schritten die gesund- heitspolitischen Akteure beim Thema Risikomanagement auch vorgingen, wichtig sei, dass sie es freiwillig tun, sagt der Berliner Ärztekammerpräsi- dent Jonitz. In Ländern wie Großbri- tannien, den USA oder Neuseeland sei man zwar auch sehr aktiv um Feh- lermanagement bemüht. Da viele der dortigen Aktivitäten jedoch den Cha- rakter „autoritärer Drohgebärden mit moralischem Zeigefinger“ hätten – Beispiel National Safety Agency in Großbritannien –, ändere sich nichts an der Verhaltenskultur im Land.

„Und auf die“, unterstreicht Jonitz,

„kommt es beim Umgang mit Be- handlungsfehlern an.“ n Martina Merten

* Die Arbeit des Aktions- bündnisses wird bis 2008 vom Bundes- gesundheitsministerium finanziell unterstützt. Ziel der Förderung ist, eine Agenda Patienten- sicherheit für Deutsch- land zur Bestands- aufnahme zu erstellen.

Den ersten Teil hat das Aktionsbündnis im April dieses Jahres veröffentlicht.

DÄ: Die außergerichtliche Beilegung von Arzthaftungs- streitigkeiten gibt es seit 1975, das Thema Fehler- management hat dagegen erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.

Warum?

S

Smmeennttkkoowwsskkii::In einer größeren Öffentlichkeit wird das Thema zwar erst in den letzten Jahren wahrgenommen, auch verstärkt durch das Engagement von Prof. Schrappe. In den Gutachter- kommissionen haben wir aber schon viel früher damit begonnen, die systematisch erfassten Ergebnisse der Begut- achtungsverfahren auszuwer- ten. Wir in Nordrhein haben bei- spielsweise sehr früh „warnende Hinweise“ im Rheinischen Ärzteblatt veröffentlicht.

Seit 1994 veranstalten wir mehrmals jährlich in Zusam- menarbeit mit dem Institut für Qualität im Gesundheitswesen

themenbezogene Fortbildungs- veranstaltungen für Ärzte. Etwa seit Anfang der 1990er-Jahre wurden „Risk-Management- Maßnahmen“, vor allem in Krankenhäusern, mehr beach- tet, auch um zu vermeiden, dass die Versicherungsprämien in der Arzthaftpflichtversiche- rung weiter steigen.

DÄ: Im langjährigen Durch- schnitt enden rund ein Drittel der Verfahren mit der Fest- stellung eines ärztlichen Behandlungsfehlers.

Eine Quote, die überrascht?

S

Smmeennttkkoowwsskkii::Die Quote über- rascht nicht, sie ist auch deshalb

„unverdächtig“, weil sie – soweit wir feststellen können – auch der Erfolgsquote gericht- licher Arzthaftungsklagen ent- sprechen dürfte. Da über den Zeitraum von mehr als 30 Jah- ren fast alle mit der Prüfung von Behandlungsfehlervorwürfen

befassten Institutionen ziemlich gleichmäßig zu dieser Quote gelangen, gehe ich davon aus, dass diese Größenordnung den tatsächlichen Anteil der Patientenbeschwerden wider- spiegelt.

DÄ: Die bundeseinheitliche Statistik soll neben quantita- tiven auch inhaltliche Anga- ben zum Fehlervorkommen ermöglichen. Verringert sich dadurch die Fehlerquote?

S

Smmeennttkkoowwsskkii::Daran glauben wir fest. Indem Institutionen zur Schadensprophylaxe durch das Datenmaterial unterstützt werden, soll die Zahl der Haftungsfälle reduziert und das Vertrauen in die Ärzteschaft gestärkt werden. Abzuschätzen, um wie viel Prozent sich die Fehlerquote verringern kann, wäre aber reine Spekulation.

3 FRAGEN AN…

Ulrich Smentkowski, Referent der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein

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