A1316 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2413. Juni 2008
P O L I T I K
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eine vier Monate ist es her, als die Medien das Thema „ärzt- liche Behandlungsfehler“ erstmals in einem positiven Licht darstellten.Vertreter ärztlicher, pflegerischer und therapeutischer Berufe hatten sich in einer Broschüre zu Fehlern und Beinahe-Fehlern bekannt, was ihnen lobende Worte der Journalisten einbrachte (siehe DÄ, Heft 10/2008).
Damit scheint es nun wieder vorbei zu sein, nachdem die Gutachterkom- missionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern ihre Behand- lungsfehler-Statistik für das Jahr 2007 vorgelegt haben.
Anders, als von einigen Zeitungen suggeriert, hat sich die Zahl der Be- handlungsfehler gegenüber 2006 je- doch kaum verändert. Es haben sich zwar mehr Patienten an die Gremien gewandt als ein Jahr zuvor. Gingen 2006 noch 10 280 Anträge zur Be- gutachtung bei den Stellen ein, stieg deren Zahl 2007 auf 10 432 (plus 1,5 Prozent). Von den 7 049 Verfahren, bei denen es im Jahr 2007 zur medizi- nischen Beurteilung kam, wurden in 1 717 Fällen Behandlungsfehler oder Risikoaufklärungsmängel festge-
stellt, die „ursächlich für einen Ge- sundheitsschaden“ waren. 2006 war es in 7 200 Fällen zu gutachterlichen Bescheiden gekommen, in 1 562 Fäl- len hatten die festgestellten Fehler einen Gesundheitsschaden zur Folge (siehe DÄ, Heft 17/2007). „Damit liegt die Behandlungsfehlerquote wie 2006 bei etwa 30 Prozent“, un- terstrich Johann Neu bei der Vorstel- lung der Statistik in Berlin.
Häufige Fehler in der Klinik Neu ist Geschäftsführer der Schlich- tungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern.
Mit seinen Mitarbeitern entwickelte er vor einigen Jahren ein EDV-Pro- gramm (MERS – Medical Error Re- porting System), das die bei den Gut- achterkommissionen und Schlich- tungsstellen eingehenden Daten nach einem einheitlichen Muster erfasst.
Seitdem sind der Statistik, die die Bundesärztekammer (BÄK) seit 1979 einmal jährlich herausgibt, neben quantitativen auch qualitative Angaben zu den erhobenen Vorwür- fen zu entnehmen. 2007 bezogen sich mehr als 5 700 Beschwerden auf
eine Behandlung im Krankenhaus, mehr als 2 300 auf eine Behandlung in der Praxis. In der Klinik erwiesen sich 1 507 Beschwerden als berech- tigt, in der Praxis waren es 721. In der Klinik befasste sich ein Großteil der Anträge mit Vorkommnissen in der Unfallchirurgie, der Allgemeinchir- urgie und der Orthopädie. In der Praxis ging es überwiegend um die Orthopädie, gefolgt vom Hausarzt- bereich und der Allgemeinchirurgie.
Die häufigsten Behandlungsfehler oder Aufklärungsmängel stellten die Gutachter in der Klinik bei den Krankheitsbildern Koxarthrose, Un- terschenkel- und Sprunggelenkfrak- tur und Femurfraktur fest. In der Pra- xis kam es am häufigsten beim Brustkrebs, bei Hand- und Hand- gelenkfrakturen und bei Rücken- schmerzen zu einer Fehlbehandlung.
Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bieten bereits seit 1975 eine unabhängige Exper- tenbegutachtung und außergericht- liche Streitschlichtung bei Behand- lungsfehlervorwürfen an. Insgesamt bewerten Ärzte und Juristen, die in den Institutionen arbeiten, rund ein Viertel aller in Deutschland vermute- ten Arzthaftungsfälle. Dass sich im- mer mehr Patienten an die Gremien wenden, führt Dr. med. Andreas Cru- sius in erster Linie auf eins zurück:
„Wir arbeiten kostenfrei.“ Das sei im internationalen Vergleich einzigar- tig, betonte der Vorsitzende der Stän- digen Konferenz der Gutachterkom- missionen und Schlichtungsstellen bei der BÄK. Erleichternd kommt nach Ansicht von Neu hinzu, dass es Patienten, Ärzten oder Pflegeperso- nal in Deutschland freisteht, Fehler zu melden. „Diese Freiwilligkeit bringt uns aussagekräftige Daten“, glaubt Neu. In Großbritannien und Dänemark beispielsweise – Ländern, in denen Meldepflicht herrscht – ent- stehe viel heiße Luft. I Martina Merten TABELLE
Die häufigsten fehlbehandelten Krankheiten 2007
Praxis Klinik
Mamma, Neubildung, bösartig (Brustkrebs) 41 Koxarthrose (Hüftgelenkarthrose) 66 Hand- und Handgelenkfraktur 20 Unterschenkel- und Sprunggelenkfraktur 59 Rückenschmerzen 19 Femurfraktur (Oberschenkelbruch) 48 Fußfraktur (ausgenommen oberes Sprunggelenk) 17 Unterarmfraktur 43 Unterarmfraktur 14 Gonarthrose (Kniegelenkarthrose) 35 Thrombose (Venenverschluss), Phlebitis und 11 Hand- und Handgelenkfraktur 30 Thrombophlebitis (Venenentzündung und Thrombose)
Unterschenkel- und 10 Divertikulose des Darms 27 Sprunggelenkfraktur (Ausstülpen des Darms)
Gonarthrose (Kniegelenkarthrose) 9 Cholelithiasis (Gallensteinleiden) 26
Appendizitis 9 Fußfraktur (ausgenommen 24
(Blinddarmentzündung) oberes Sprunggelenk)
Die häufigsten fehlbehandelten Krankheiten; angegeben sind – unterteilt nach den Versorgungsbereichen Praxis und Krankenhaus – die zehn Krankheitsbilder, bei denen am häufigsten Behandlungsfehler oder Mängel der Risikoaufklärung festgestellt worden sind, unabhängig davon, ob der festgestellte Behandlungsfehler ursächlich für einen Gesundheitsschaden war oder nicht.
RISIKOMANAGEMENT